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Januar 01/2001
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PARLAMENTARISCHE DEBATTE ZUM GIPFEL VON NIZZA

Schröder: Sehr befriedigendes Ergebnis Merz: Ernüchternd bis deprimierend

(eu) Nach den Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Ende vergangenen Jahres in Nizza "ein sehr befriedigendes Ergebnis" erzielt. Die Europäische Union werde zum Jahresbeginn 2003 in der Lage sein, erste Neumitglieder aufzunehmen. Nun, so der Kanzler, liege es an den Kandidatenländern selbst, das Ziel, beitrittsfähig zu werden, durch eigene Anstrengungen zu erreichen. Schröder äußerte sich im Rahmen einer Regierungserklärung am 19. Januar im Plenum des Bundestages.

Dem SPD-Politiker zufolge wird die Erweiterung aber auch – zeitlich begrenzt und bezogen auf bestimmte Regionen – Verwerfungen mit sich bringen. Diese dürfe man nicht mit dem Verweis auf die "Großartigkeit des Projekts" wegdrücken, verdrängen oder auch nur verharmlosen. Gerade den Grenzregionen sei vielmehr dabei zu helfen, bevorstehende Anpassungsprozesse zu bewältigen. Der Bundeskanzler nannte in diesem Zusammenhang besonders das Problem der Freizügigkeit, dessen Lösung eine befristete Übergangsregelung sein müsse. Er verwies in dieser Hinsicht auf sein Fünf-Punkte-Konzept vom 18. Dezember vergangenen Jahres (siehe auch Seite 52).

Für die CDU/CSU-Fraktion erwiderte deren Vorsitzender Friedrich Merz, das Ergebnis von Nizza sei ernüchternd bis deprimierend. Offenbar bestimme der kleinste gemeinsame Nenner der Einzelinteressen derzeit Inhalt, Umfang und Grenzen dessen, was in Europa möglich sei. Merz vermisste in seiner Rede zudem konkrete gemeinsame Schritte Deutschlands und Frankreichs, ohne die Fortschritt in Europa nicht möglich sei. Er warf – wie später auch die F.D.P. – der rot-grünen Regierung vor, seit ihrem Amtsantritt sei das deutsch-französische Verhältnis so schlecht wie seit Abschluss des Elysée-Vertrages vor 38 Jahren nicht mehr.

"Nicht bis 2004 warten"

Zu Ausführungen des Bundeskanzlers, Deutschland habe sich in Nizza erfolgreich für eine Regierungskonferenz 2004 eingesetzt, die sich unter anderem der Kompetenzabgrenzung zwischen nationaler und europäischer Ebene sowie der Gewaltenteilung zwischen den Brüsseler Institutionen und dem künftigen Status der Grundrechte-Charta widmen soll, erklärte Merz, diese Aufgaben duldeten keinen Aufschub bis 2004. Nach den Erfahrungen mit Regierungskonferenzen mehrten sich zudem Stimmen, die forderten, das Projekt des Europäischen Verfassungsvertrages nicht erneut den Regierungen der Mitgliedstaaten zu übertragen, so der Unionspolitiker weiter.

"Regierung hat gut verhandelt"

Demgegenüber hielt Joachim Poß für die SPD-Fraktion fest, man befinde sich mitten im Post-Nizza-Prozess. Poß zufolge hat die Bundesregierung in Nizza im Übrigen gut verhandelt, und das im europäischen wie im deutschen Interesse. Zwar sei das Ergebnis auch hinter den Erwartungen der Sozialdemokraten zurückgeblieben, ohne das "große Engagement" Schröders wären die Fortschritte aber noch geringer gewesen.

Für die F.D.P.-Fraktion kündigte Helmut Haussmann an, man werde dem Vertragsentwurf von Nizza in der bisher bekannten Form nicht zustimmen. Der Bundesregierung warf der Liberale vor, sie sei bei dem Gipfel der besonderen Verantwortung der Deutschen für die Wiedervereinigung der Europäer nicht gerecht geworden. Diese, auch in einem Entschließungsantrag (14/5084) vertretene Position, wies der Bundestag allerdings mit deutlicher Mehrheit zurück.

Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) äußerte dazu, wenn die Bundesregierung die Position der F.D.P. übernähme, so wäre dies zum einen nicht klug und zum anderen gegen die Interessen Deutschlands gerichtet. Wenn man zusätzlich die Vorwürfe berücksichtige, die Regierung habe das Verhältnis zu Paris beschädigt, so wäre die Position, jetzt einen neuen Gipfel zu fordern, "für das deutsch-französische Verhältnis so ziemlich das Schlimmste, was eine Bundesregierung machen könnte", so Fischer. Für die PDS äußerte deren Fraktionsvorsitzender Roland Claus, seine Partei trete nachdrücklich für die Osterweiterung der EU ein. Allerdings bekräftigte auch Claus, wer die Osterweiterung wolle, müsse den Nizza-Vertrag ablehnen und ihn nachbessern.

Außenminister Fischer hatte es bereits in einer öffentlichen Sondersitzung des Europaausschusses am 15. Dezember vergangenen Jahres als "historischen Schritt" bezeichnet, dass es den EU-Staats- und Regierungschefs in Nizza gelungen sei, die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union herzustellen.

Der Vorsitzende des Ausschusses, Friedbert Pflüger(CDU/CSU), verwies auf die in Frankreich über die Sachkonflikte in Nizza hinaus zu beobachtende Sorge, das größere Deutschland gewinne in Europa derart an Gewicht, dass die historische Balance zwischen beiden Ländern nicht mehr funktioniere. Peter Hintze (ebenfalls CDU/CSU) stellte fest, die Erweiterungsfähigkeit der EU sei nunmehr zwar hergestellt, mehr wäre aber wünschenswert gewesen.

"Eindeutiges Signal"

Günter Gloser (SPD) und Christian Sterzing (Bündnis 90/Die Grünen) erklärten demgegenüber, das Engagement der Bundesregierung habe in Nizza geholfen, ein "eindeutiges Signal" in Richtung Bewerberstaaten zu setzen. Mit Blick darauf, dass die Entscheidungen in Europa als nicht mehr transparent genug empfunden würden, bedürfe es jetzt eines breiten Diskussionsprozesses in den EU-Mitgliedstaaten im Vorgriff auf einen künftigen Verfassungsvertrag.

Mit der Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen billigte der Europaausschuss am 24. Januar einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen (14/4733), den diese vor Nizza vorgelegt hatten. Initiativen der CDU/CSU (14/4732) und der PDS (14/4666, 14/4653,14/4654) fanden hingegen keine Mehrheit. Bereits am 19. Januar hatte das Plenum auf Empfehlung des Europaausschusses (14/4980) eine Entschließung zur Tagesordnung des Gipfels gebilligt.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0101/0101036
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