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Mai 05/2001
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Tagesläufe

R(h)apsodie in Grün und Bunt

Ein Wochenende ist auch ein Arbeitstag für die Abgeordnete Antje Hermenau vom Bündnis 90/Die Grünen. Zeit für den Wahlkreis. Zeit zum Reden und Planen.

fröhliche Menschen

In einem Wettbewerb der Argumente hätte die Abgeordnete Antje Hermenau allerbeste Chancen. Nehmen wir an, es ginge um so ein Thema wie die Ökosteuer. Antje Hermenau hörte sich erst an, was ihr Gegenüber zu sagen hat und begänne dann ihre Gegenrede mit dem Satz "Ich verstehe, was Sie meinen." Das gefiele dem Gesprächspartner und die Wachsamkeit ließe für einen Augenblick nach. Und dann? Dann legte Antje Hermenau richtig los. Ein Feuerwerk machte sie. Eine wohl gedachte und gut geordnete Kette von Argumenten reihte sie auf. Große Kreise malte sie mit den Händen in die Luft. Überzeugen wollte sie, nicht gewinnen. Was ist ein Sieg gegen Partnerschaft im Geiste?

Rapsfeld

Und was kann ein Wochenende in der rapsgelben sächsischen Landschaft sein? Ein kleines Abenteuer geradezu und ein Versuch, errungene Partnerschaften zu pflegen oder neue zu entwerfen.

Bautzen, im sorbischen Restaurant.
Bautzen, im sorbischen Restaurant.

In Bautzen hat der Countdown begonnen. Noch 233 Tage bis zum Jubiläum zählt die extra angefertigte Uhr auf dem Marktplatz. Dann ist Budissin oder Bautzen, wie es im Deutschen heißt, tausend Jahre alt. Auf dem Bahnhof der Stadt fühlt man sich zurückversetzt in eine Zeit, da die Mädchen sonntags noch weiße Kniestrümpfe trugen und die Jungs Leder- gegen Stoffhosen tauschten.

Bautzen, im sorbischen Restaurant.
Bautzen, im sorbischen Restaurant.

Antje Hermenau kommt aus Dresden. Ihre zweite Zugfahrt an diesem Tag, denn der Morgen hatte in Berlin begonnen. Jetzt ist die gebürtige Leipzigerin, die vor elf Jahren nach Dresden gezogen ist, in Bautzen, wo die Domowina, der Bund Lausitzer Sorben, ihren Sitz hat.

 

Bautzen, Bahnhof.
Bautzen, Bahnhof.

Auf dem Bahnhofsvorplatz steht Jan Nuck, Vorsitzender des Bundes, der 60 000 Menschen vertritt, die eine Sprache sprechen, deren Klang weich ist und mit der man sich in Tschechien und Polen gut verständigen kann. Der Vorsitzende und die Abgeordnete kennen sich gut. Sie haben schon oft gemeinsam für die Interessen der Sorben gefochten – die eine in Bonn und Berlin, der andere im Land Sachsen. Sie haben um Geld und Unterstützung gekämpft, für kulturelle Einrichtungen und Sprachunterricht. Dafür, dass die Sorben eine Zeitung haben, ein Theater, zweisprachige Kindergärten und Schulen. Dafür, dass man sie im fernen Berlin und anderswo nicht nur mit bunten Ostereiern, prachtvollen Trachten und Dudelsack identifiziert. Sie haben beide immer gewusst, dass die sorbischen Menschen einen Brückenschlag nach Osteuropa verkörpern und im so genannten Drei-Länder-Eck die Grenzen zwischen Deutschland, Polen und Tschechien unbedeutender werden.

Crostwitz, sorbischer Bauernhof.
Crostwitz, sorbischer Bauernhof.

An diesem Samstag ist Gelegenheit, gemeinsam den Stand der Dinge zu betrachten und sich mit der nahen Zukunft zu beschäftigen. "Aber", sagt Antje Hermenau, "wir sind jetzt bei den Slawen. Und die Slawen laden erst einmal zum Essen." Also rein nach Bautzen ins "Wjelbik", was so viel wie "Willkommen" heißt, und die Karte mit den sorbischen Nationalgerichten studiert. So ein Hochzeitsessen wäre nicht schlecht, obwohl die Meerrettichsoße es in sich hat und für Untrainierte eine tränenreiche Angelegenheit werden könnte. Lang allerdings hält die Abgeordnete die Sache mit dem Essen nicht durch. Also fängt man schon mal mit dem Diskutieren an. Der Vorsitzende Nuck, sein Geschäftsführer Bernhard Ziesch und der Chefredakteur der sorbischen Tageszeitung "Serbske Nowiny" haben einen Plan: Die finanzielle Unterstützung seitens Bund und Land darf in den kommenden Jahren nicht gekürzt werden. Auf keinen Fall. Im vergangenen Jahr hatte die Abgeordnete Hermenau im Bundestag gekämpft wie eine Löwin, mit allen Wassern war sie gewaschen als Mitglied des Haushaltsausschusses, überzeugende Reden hatte sie gehalten, vorgerechnet, diskutiert und eine Million, die schon gestrichen war, für die Sorben gerettet. Aber was soll jetzt werden? In den nächsten Jahren? Die drei Männer reden sich warm und ein wenig in Rage. Sie sind gut vorbereitet und geben sich beim Reden die Stichworte. Das Nationaltheater ist in Gefahr, wie soll das sorbische Institut mit noch weniger Mitteln auskommen und die Zeitung – wie kann man eine Zeitung machen, wenn zu wenig Geld da ist? Wir brauchen 32 Millionen, sagen sie am Höhepunkt ihrer Reden. 16 vom Bund und 16 von den Ländern. Und dann ist es da. Das Missverständnis. "Ich bin enttäuscht", sagt Antje Hermenau. "Ich habe Euch im vergangenen Jahr erklärt, dass es noch einmal gelingt, die 16 Millionen vom Bund zu bekommen, aber dass dann zurückgefahren werden muss. Das war kein Versprechen auf die Ewigkeit." "Ja, nein, so war es nicht gemeint, aber..." Nach einer Stunde ist aus der heftigen Diskussion ein Plan erwachsen. "Ich habe verstanden", sagt die Abgeordnete. "Das werden wir versuchen", erklären die drei Männer: eine Reform der Verwaltung überlegen und konzipieren, sparen, wo es möglich ist, und das eingesparte Geld für noch mehr inhaltliche Arbeit investieren. "Das ist vermittelbar", sagt die Abgeordnete, "auch im Bund, wenn wir denen erklären können, dass es eine Entwicklung gibt und neue Überlegungen, dass es vorangeht. Dann kann ich besser dafür kämpfen."

Crostwitz, Diskussion mit Jugendlichen.
Crostwitz, Diskussion mit Jugendlichen.

Jetzt aber raus in die Landschaft, vorbei an riesigen Rapsfeldern, gelb die ganze Gegend, kurzer Zwischenstopp am Denkmal für Cyrill und Methodius, die die kyrillische Schriftsprache entwickelten. Die kennt Antje Hermenau, hat schließlich Sprachen studiert. Weiter über die etwas holprigen Landstraßen, tief ins katholische Gebiet der Sorben, rein bis nach Crostwitz, wo auf dem Dorfplatz ein großes Bierzelt steht und Jugendliche darauf warten, eine nachmittägliche Diskussion führen zu können mit der Abgeordneten. Und das wird dann auch eine Diskussion, sie hat den Namen verdient. Lehrstellen und das JUMP-Programm der Bundesregierung: Findet man in der Region einen Ausbildungsplatz und bekommt man später einen Job? Die meisten Jugendlichen wollen bleiben. Nein, nicht in die Stadt. "Aber wenn man Informatik machen will", sagt ein Mädchen, "dann geht das hier nicht." Und die kleinen Betriebe können zwar ausbilden, aber nicht alle übernehmen. Antje Hermenau erzählt und erklärt. Sie ist, das kann man wohl sagen, in ihrem Element. Sie lacht viel, spricht jeden Einzelnen direkt an. "Was machst Du gerade, was willst Du später tun, wo geht Ihr abends hin, wie sind die Verkehrsverbindungen?" Und dann ist man schon bei der Ökosteuer: "Ich geb fast mein ganzes Geld für Benzin aus, aber ein Auto brauchst Du hier", sagt ein junger Mann. "Was fährst Du denn", fragt die Abgeordnete. "Einen Jeep." Da lacht sie, laut und herzlich. "Ja, einen Jeep, Mensch, da kann ich mir vorstellen, dass das teuer wird." Sie redet über die Ökosteuer, über die Vorteile und die Unzulänglichkeiten. Sie fragt, wie die Leute im Dorf die Energiebäume finden. "Na manchmal stehen die Windräder schon ein bisschen komisch in der Landschaft", sagen die Jugendlichen. Der Chefredakteur fotografiert und schreibt mit. Die Abgeordnete will wissen, wie es mit der zweisprachigen Erziehung in Kindergärten aussieht. Es fehlt Geld, um die Erzieherinnen in sorbischer Sprache auszubilden. Im Zelt ist es warm, ein kleiner Hund macht die vierbeinigen Wächter auf den umliegenden Höfen verrückt, ein paar Leute bauen schon ein bisschen für die abendliche Diskothek auf. Ab und zu versucht die Abgeordnete einen Knoten in ihre langen Haare zu machen, der sich immer wieder löst. Warum man von hier nicht fort will, will sie wissen. "Es ist gut hier", sagen die Jugendlichen, "hier leben die Sorben, das ist zu Hause", sagen sie. "Und wissen Sie", fragt der stellvertretende Bürgermeister, "wer die Thüringer Bratwurst erfunden hat? Die Sorben. Wir überlegen, ob wir Titelschutz anmelden."

Crostwitz, Diskussion mit Jugendlichen.
Crostwitz, Diskussion mit Jugendlichen.

"Wie ist das, wenn der Euro kommt?", will einer wissen. "Wird da auch die Arbeitsleistung angeglichen?" Damit spielt er der Abgeordneten einen guten Ball zu. Europa. Sie redet sich in Fahrt, malt ein Bild. Fast ist es, als könnte man Europa auf der Zeltwand abgebildet sehen, wie es aussehen und sein wird. "Solche Gespräche hier sind wichtig für mich", sagt sie. "Ich brauche die für meine Arbeit in Berlin." Und dann kommt noch zum Schluss die Frage mit der Feuerwehr.

Freital, Blick auf die Stadt.
Freital, Blick auf die Stadt.

Da reicht das Geld nicht aus. Feuerwehr, denkt man, wie soll sie jetzt da Bescheid wissen? Aber doch, sie weiß Bescheid und erklärt auch das. Nicht schlecht, so eine Abgeordnete, und reden kann die, alle Achtung, nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Gespräch dauert länger als geplant. Aber jetzt muss Antje Hermenau nach Dresden, in eine andere Welt und hoch hinauf, in die 16. Etage des World Trade Centers. "Dresden oder Leipzig – wer hat die Nase vorn?" ist die Frage, über die der Leipziger Oberbürgermeister, Wolfgang Tiefensee, und der Dresdner Kandidat fürs Oberbürgermeisteramt, Ingolf Roßberg, diskutieren. In den Gazetten war an diesem Tag zu lesen, dass Wolfgang Berghofer auf eine Kandidatur verzichtet. Nun hat der junge Ingolf Roßberg Chancen, gegen den CDU-Amtsinhaber zu gewinnen. Er ist ein selbstbewusster Kandidat, stört sich auch nicht daran, dass irgendein Spaßvogel Eric Claptons "Nobody knows you, when you are down and out" aufgelegt hat.

Freital, Frauenzentrum.
Freital, Frauenzentrum.

Der Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen, dem Antje Hermenau angehört, hat beschlossen, Roßberg zu unterstützen. Keine einfache Sache, so ein Beschluss. Roßberg ist Kandidat einer unabhängigen Bürgerinitiative, arbeitet zur Zeit als Dezernent in Wuppertal, mit FDP-Parteibuch. Antje Hermenau steigt aufs Dach des Welthandelszentrums und redet mit dem Kandidaten. Ein kleines Signal setzt sie so: Wir werden Sie unterstützen, damit die CDU hier abgelöst wird.

Freital, Frauenzentrum.
Freital, Frauenzentrum.

Ein wenig müde steigt sie danach vom Himmel ins Parterre. In Dresden tobt das Dixielandfestival und oben in der 16. Etage haben sich bereits eine Menge Allianzen für die abendlichen Konzerte gebildet. Die Abgeordnete aber wird nach Hause gehen. Morgen früh geht das Wahlkreiswochenende weiter. Im Frauenzentrum Freital. Da will sie fit sein. Das Frauenzentrum gab es schon zu DDR-Zeiten, da hieß es noch anders und gehörte dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands. Jetzt wird es von Frauen am Leben erhalten, die in ABM beschäftigt sind. Immer nur für ein Jahr. Um zehn sitzen die Frauen um den Tisch. Unter ihnen die Kandidatin fürs Bürgermeisteramt in Freital, eine kämpferische junge Frau, die in den vergangenen Tagen Unterschriften für ihre Kandidatur gesammelt hat. Freital ist oder war eine Arbeiterstadt.

Dresden, World Trade Center.
Dresden, World Trade Center.

Die Dresdner Porzellanmanufaktur ist hier angesiedelt, Bombastus – zu DDR-Zeiten allseits beliebtes Mundwasser – wird hier produziert und ebenso der für seine Qualität bekannte Freitaler Edelstahl. Aber so ein Frauenzentrum zu erhalten und zu fördern, ist keine einfache Sache. Fast so schwer, wie Industrie anzusiedeln. Antje Hermenau erzählt von einem Frauenprojekt in der Oberlausitz. Da haben sich einstige Textilarbeiterinnen gegen Gott und die Welt verschworen, um ihre Idee eines generationsübergreifenden Frauenprojektes umzusetzen. Jahrelang hat die Abgeordnete mitgekämpft. "Die Crux war die Idee, grenzüberschreitende Arbeit zu machen", erzählt sie den Freitaler Frauen. "Wenn man eine Idee entwickelt und konzeptionell unterlegt, hat man Chance auf Förderung. Wir werden Ihnen Material zukommen lassen und dann muss man darüber reden, ob hier was zu machen ist."

Dresden, Gespräch mit dem OB-Kandidaten.
Dresden, Gespräch mit dem OB-Kandidaten.

Ein Computer findet sich an dem Vormittag für das Frauenzentrum – eine Anwältin wird ihn spenden. Die Bürgermeisterkandidatin bietet an, beim Lernen am Computer zu helfen. Netzwerke müssen her, dafür sitzt man an diesem Morgen zusammen. Und wenn man da noch einen Draht nach Berlin knüpfen kann, gut. Die Abgeordnete wird das Frauenzentrum nicht vergessen. An diesem Sonntagmittag ist man noch an einem anderen Ort in Freital verabredet. In der alten Feilenfabrik gibt es seit einigen Jahren ein Berufsausbildungszentrum für benachteiligte Jugendliche. Auch dafür hat die Abgeordnete mitgekämpft, zu der Zeit war sie berufsbildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Sie will wissen, wie der Stand der Dinge heute ist. Weil Sonntag ist, hat jemand einen Kuchen mitgebracht. Eierschecke – ein wahrer Hit an diesem Nachmittag.

Dresden, Gespräch mit dem OB-Kandidaten.
Dresden, Gespräch mit dem OB-Kandidaten.

Das Ausbildungszentrum hat sich gut entwickelt, das Spektrum der Ausbildungsbereiche konnte erweitert werden. 180 Jugendliche werden gegenwärtig in verschiedenen Berufen ausgebildet, Partner für Praktika sind gefunden und viele Jugendliche schaffen nach der Ausbildung auch den Sprung in den Arbeitsmarkt. Antje Hermenau will mehr über Lebenswege einzelner Jugendlicher wissen, über Kooperationspartner, Ausstattung mit Computern.

Freital, Berufsausbildungszentrum.
Freital, Berufsausbildungszentrum.

Viele, die in die alte Feilenfabrik kommen, sind noch halbe Kinder, manche schon längst abgeschoben von ihren Familien. Das Ausbildungszentrum ist auch ein Zufluchtsort und eine Hoffnung auf bessere Zeiten. Wer hier lernt und einen Abschluss macht, hat Chancen, die vorher verwehrt schienen.

Freital, Berufsausbildungszentrum.
Freital, Berufsausbildungszentrum.

Man macht noch einen kleinen Rundgang zum Abschluss. Es riecht nach Holz und Farbe in den Werkstätten. Auf dem Hof werden fast alle Erwachsenen für einen Moment wieder zu Kindern und balancieren auf den Schienen der alten Werkbahn. Antje Hermenau hangelt sich an dem Fenster einer zerfallenen Werkhalle hoch, um einen Blick ins Innere zu werfen. "Wäre schön, wenn man die auch noch herrichten könnte. Wir werden sehen", sagt sie. "Man muss weiterdenken und planen."

Freital, Berufsausbildungszentrum.
Freital, Berufsausbildungszentrum.

Die Sonne malt helle Kringel auf die Pflastersteine. Über Mädchen mit weißen Kniestrümpfen und Jungs in kurzen Stoffhosen wunderte sich in diesem Moment vielleicht niemand. Aber draußen ist nur ein kleiner Kerl, der versucht, mit sich allein Fußball zu spielen. Und weiter hinten, kurz bevor die Neubauten von Freital beginnen, blüht der Raps. Knallgelb und knallgrün. Also eigentlich bunt.

Kathrin Gerlof

 

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0105/0105012
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