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12/2001
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FORUM: ERGEBNISSE DER PISA-STUDIE

Was muss sich im Schulsystem ändern?

Pisa verbinden viele mit "schief". Nicht der dortige Turm, sondern eine internationale Studie gleichen Namens hat nun den Hinweis ergeben, dass sich das deutsche Schulsystem auf der schiefen Bahn befindet. Unter 32 Ländern erreichten deutsche Schüler im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften nur Rang 20, im Leseverständnis nur Platz 21. Lägen die Leistungen der jungen Leute im internationalen Vergleich dicht beieinander, wäre der Befund nur akademisch. Doch die Studie zeigte eklatante Mängel bei den Fähigkeiten der 15-Jährigen in Deutschland auf. Jeder Vierte verfügt nur über minimale Mög-lichkeiten, sich im späteren Berufsleben zurecht zu finden. Blickpunkt Bundestag hat die Fachpolitiker der fünf Fraktionen gefragt, was sich im deutschen Bildungssystem ändern muss.

Zwei Mädchen lesen.

Lesen bildet.

Es gibt Sätze, die versteht nicht jeder gleich auf Anhieb. Zum Beispiel die Sprache der "Pisa"-Forscher: "Primäre Aufgabe des Programms ist es, den Regierungen der teilnehmenden Staaten auf periodischer Grundlage Prozess- und Ertragsindikatoren zur Verfügung zu stellen, die für politisch-administrative Entscheidungen zur Verbesserung der nationalen Bildungssysteme brauchbar sind." Nein, um Sätze wie diese ging es nicht, als im Jahr 2000 rund 5.000 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 in 219 deutschen Schulen freiwillig ihre Fähigkeiten vor allem im Lesen und Verstehen von Texten und nebenbei auch in Mathematik und Naturwissenschaften testen ließen – so wie parallel 180.000 Altersgenossen in 31 anderen Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auch.

Sie mussten nicht wissen, was "Pisa" ist, nämlich die Abkürzung für "Programme for International Student Assessment". Sie sollten einfach lesen und das Gelesene wiedergeben, einordnen, bewerten. Etwa das Für und Wider von Graffiti, das Abwägen der Argumente. Leseprobe: "Warum schädigt ihr den Ruf junger Leute, indem ihr Graffiti malt, wo es verboten ist?", schreibt Helga. Und: "Professionelle Künstler hängen ihre Bilder doch auch nicht in den Straßen auf, oder? Stattdessen suchen sie sich Geldgeber und kommen durch legale Ausstellungen zu Ruhm. Meiner Meinung nach sind Gebäude, Zäune und Parkbänke an sich schon Kunstwerke. Es ist wirklich armselig, diese Architektur mit Graffiti zu verschandeln, und außerdem zerstört die Methode die Ozonschicht. Wirklich, ich kann nicht begreifen, warum diese kriminellen Künstler sich so viel Mühe machen, wo ihre ,Kunstwerke' doch bloß immer wieder beseitigt werden und keiner sie mehr sieht." Dagegen Sophia: "Wer zahlt den Preis für die Graffiti? Wer zahlt letzten Endes den Preis für die Werbung? Richtig! Der Verbraucher. Haben die Leute, die Reklametafeln aufstellen, dich um Erlaubnis gebeten? Nein. Sollten also die Graffiti-Maler dies tun? Denk mal an die gestreiften und karierten Kleider, die vor ein paar Jahren in den Läden auftauchten. Die Muster und die Farben waren direkt von den bunten Betonwänden geklaut. Es ist schon komisch, dass die Leute diese Muster und Farben akzeptieren und bewundern, während sie Graffiti in demselben Stil scheußlich finden. Harte Zeiten für die Kunst."

Im Erfassen und Bewerten solcher und ähnlicher Texte sind die deutschen Jugendlichen im Vergleich mit ihren Altersgenossen in den anderen Ländern "unterdurchschnittlich erfolgreich". Der Abstand zur internationalen Spitzengruppe sei "beträchtlich". Unter fünf Kompetenzstufen mit wachsenden Anforderungen sind in Deutschland 23 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht in der Lage, die Vorgaben für Stufe zwei zu erfüllen. Der OECD-Durchschnitt beträgt dagegen 18 Prozent. In die beiden höchsten Anforderungsstufen kommen im OECD-Durchschnitt 31,7 Prozent, in Deutschland hingegen nur 28,2 Prozent. Das heißt: Viele sind noch sehr viel besser. Aber auch die Streuung zwischen guten und schlechten Leistungen ist in Deutschland krasser ausgeprägt als in allen anderen teilnehmenden Staaten: Nirgendwo klafft das Fähigkeitenniveau weiter auseinander.

Im Jahr 2000 lag ein Schwergewicht der Untersuchungen auf der Lesefähigkeit. Bei den nächsten Pisa-Studien werden im Jahr 2003 vor allem die mathematischen und 2006 vor allem die naturwissenschaftlichen Kenntnisse abgefragt – und auch hier nicht stur nach Lehrplan, sondern vor allem mit Blick auf handhabbares Wissen, das die jungen Menschen weniger für die Schule als vielmehr fürs Leben brauchen. Aber auch in der jüngsten Studie machten die Forscher keinen Bogen um Mathematik und Naturwissenschaft.

Zum Beispiel sollten die Schüler im mathematischen Teil den Flächeninhalt eines Rechteckes von vier mal drei Zentimetern berechnen. Obwohl es sich um die einfache Multiplikation handelte und die Antwortoption "zwölf" vorgegeben war, scheiterten 6,7 Prozent der Neuntklässler an dieser Aufgabe. Bei der Vorgabe, mit Zehn-, Fünf- und Zwei-Pfennig-Stücken auf eine Summe von 31 Pfennig zu kommen, konnten nur 1,3 Prozent der Schüler alle Möglichkeiten angeben. Dieses Abschneiden auf hinteren Plätzen im internationalen Vergleich war von Schulpolitikern befürchtet worden, nachdem die TIMSS-Studie (Third International Mathematics and Science Study) im Vorjahr der deutschen Jugend bereits dürftige Leistungen bescheinigt und ihre Kenntnisse international im hinteren Mittelfeld angesiedelt hatte.

Doch nach der Ausweitung des mangelhaften Zeugnisses auf die Lesekompetenz schrillten bei Lehrer- und Elternverbänden, bei Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften die Alarmglocken. Denn ohne Lesen ergibt sich auch kein tiefes Verständnis aller anderen Lernbereiche. Der "Pisa-Schock" passte ganz und gar nicht zu den jahrzehntelangen intensiven Bemühungen, die nach den spektakulären Thesen des Heidelberger Hochschullehrers Georg Picht über "die deutsche Bildungskatastrophe" 1964 in Gang gekommen waren. Picht hatte die deutsche Abiturientenquote mit den schulpolitischen Entwicklungen im Ausland verglichen und eine durch Schicht- und Geschlechtzugehörigkeit sowie regionale Herkunft bewirkte Benachteiligung auch intelligenter Kinder in der Bundesrepublik beklagt. Der Prototyp der schlechten Bildungschancen traf danach seinerzeit das katholische Mädchen aus einem Arbeiterhaushalt vom Lande. Das sollte alles anders werden. Doch die Benachteiligung selbst ist nicht verschwunden. Sie trifft heute nur andere.

Die Abiturientenquote ist in der Zwischenzeit zwar von unter sechs auf über 30 Prozent gestiegen. Doch bei der konkreten Problemlösungskompetenz scheint der deutsche Nachwuchs laut Pisa-Studie auf breiter Front den Anschluss zu verlieren. Im Land der Dichter und Denker, das traditionell die geistigen Fähigkeiten der Menschen als seine wichtigsten "Bodenschätze" betrachtet, begreifen deshalb nicht nur Bildungspolitiker die Pisa-Ergebnisse als prekär. Die Details der 550 Seiten umfassenden Studie werden in den nächsten Wochen und Monaten sicher intensiv studiert und diskutiert werden.

Dazu gehört zum Beispiel ein Zusammenhang zwischen sozial besser stehendem Elternhaus und guten Leistungen einerseits und Haushalten von kaum qualifizierten Arbeitern und schlechten Leistungen andererseits. Knapp zehn Prozent aller getesteten deutschen Schüler blieben unter einem Leseniveau, das laut Studie als Minimum eines halbwegs verständigen Umgangs mit Texten definiert wird. Der Anteil dieser "Risikopersonen" sei in der Sozialschicht, die durch Familien ungelernter Arbeiter bestimmt wird, am größten. Ein anderer Aspekt verdeutlicht die Notwendigkeit verstärkter Integrationsbemühungen und Sprachvermittlung: Je länger die Eltern ausländischer Herkunft in Deutschland leben, je länger auch ihre Kinder in Deutschland sind und je mehr Deutsch in den Haushalten gesprochen wird, desto höher ist auch die Lese- und Lösungskompetenz der Kinder.

Nicht nur die Details der Bedingungen in Deutschland wird die Politik in der nächsten Zeit beschäftigen, intensiv wird man auch die Verhältnisse in den anderen Ländern unter die Lupe nehmen. Wie schaffen es Australien, Kanada und Finnland, dass 15 Prozent ihrer Schüler sogar extrem schwierige Texte verstehen und für sich nutzen können, während es in Deutschland nur neun Prozent sind. Ist es das Ganztagsangebot? Der Start schon im Kindergarten? Die Lehrerausbildung? Die Wertschätzung von Bildung, Leistung und Schule in der Gesellschaft?

Ob es auch mit regionalen Unterschieden zusammenhängen könnte und welche Einflüsse womöglich in Nuancen unterschiedliche Schulkonzepte in den einzelnen deutschen Bundesländern haben, das wird im Herbst 2002 auf der Hand liegen: Bis dahin wollen die Pisa-Forscher eine gleichzeitig mit der internationalen Studie durchgeführte nationale Testreihe ausgewertet haben. Diesmal dabei: 50.000 statt 5.000 Schüler aus 1.466 statt 219 Schulen. Das lässt noch differenziertere Aussagen erwarten.

Freilich wird auch dieser Befund an einem auffälligen Umstand nicht vorbeikommen: an der Leselust. 22 Prozent der finnischen Jugendlichen gaben an, dass sie nicht zum Vergnügen lesen. In Deutschland waren es 42 – so viel wie in keinem anderen Land. Dichten und Denken scheinen in Deutschland bei vielen 15-Jährigen wenig attraktiv zu sein. Sozusagen mega-out. Nun sind Ideen und Konzepte gefragt, Bundes- und Landespolitik he-rausgefordert, Schulen und Elternhäuser in der Pflicht.

Gregor Mayntz

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Auswirkung der sozialen Herkunft auf die Schülerleistung

Auswirkung der sozialen Herkunft auf die Schülerleistung.

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Lesekompetenz

Lesekompetenz von Schülern und Schülerinnen.

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Pisa hat die Systemfrage gestellt

Jörg Tauss, SPD jörg.tauss@bundestag.de

Jörg Tauss

Jörg Tauss.

Die Pisa-Studie dokumentiert es: Das deutsche Bildungssystem befindet sich in einem unbefriedigenden Zustand.

Hektischer Aktionismus wäre jedoch angesichts der Probleme Augenwischerei. Das deutsche Bildungssystem braucht eine grundlegende Erneuerung. Die alten Instrumente wie eine weitere Differenzierung und Abschottung der Schultypen oder verschärfte Prüfungen werden keine Wende herbeiführen. Gefragt sind vielmehr neue Konzepte. Pisa hat mit aller Deutlichkeit die Systemfrage gestellt. Kleine Klassen, Dialog von Schule und Lernenden, Einsatz neuer Medien und ein motivierendes Klima für Schüler und Lehrer sind die wichtigsten Faktoren einer neuen Bildungspolitik. Wir brauchen vor allem eine differenzierte Förderung des einzelnen Schülers und zwar gerade auch am unteren Ende der sozialen Skala. Das deutsche Bildungssystem muss sich von der Zuteilung von Privilegien verabschieden und endlich dazu übergehen, die Bildungsreserven zu erschließen. Dem dient auch eine gezielte Förderung ausländischer Schüler.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung bereits zu Beginn der Legislaturperiode mit dem Forum Bildung eine Einrichtung geschaffen hat, in der Bund, Länder und gesellschaftliche Gruppen Einvernehmen über den Handlungsbedarf zum Beispiel bei der früheren Förderung von Kindern und bei der Einrichtung von Ganztagsschulen gefunden haben. Diesem ermutigenden Schritt müssen nun Taten fol-gen. Die vorgeschlagenen Reformen werden nicht ohne zusätzliche Mittel zu verwirklichen sein. Der Bund ist in dieser Legislaturperiode mit gutem Beispiel vorangegangen und hat trotz Haushaltskonsolidierung seine Mittel für Bildung erheblich und kontinuierlich gesteigert. Die Länder sind aufgefordert, diesen Weg mitzugehen.

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Schlechte Zensuren für Deutschlands Schulen

Gerhard Friedrich, CDU/CSU gerhard.friedrich@bundestag.de

Gerhard Friedrich

Gerhard Friedrich.

Die Ergebnisse der Pisa-Studie sind alarmierend: Beim weltweit größten Schulleistungstest belegten Jugendliche aus Deutschland unter 32 Staaten nur Platz 25. Besonders schlecht schnitten die Schüler aus sozial benachteiligten Schichten ab. Vieles spricht dafür, dass wir zumin-dest an sozialen Brennpunkten mehr Ganztagsschulen einrichten müssen. Nur durch zusätzliche Unterrichtsangebote könnten die Defizite abgebaut werden.

Besorgnis erregend ist auch das schlechte Abschneiden der Kinder von Einwanderern. Hier zeigt sich deutlich, wie notwendig es ist, beim Familiennachzug die Altersgrenze für Kinder zu senken und das Ausländerrecht stärker am Ziel der Integration auszurichten. Auch die ausbildenden Betriebe klagen über immer schlechtere Sprachkenntnisse ausländischer Jugendlicher auf Grund zunehmender Gettobildung ihrer Familien.

Neben Faktenwissen muss auch die praktische An-wendung dieses Wissens vermittelt werden. Jugendliche müssen rechtzeitig für das Berufsleben fit gemacht werden, damit die Wirtschaft auf einheimische Fachkräfte zurückgreifen kann statt nach im-mer neuen Green Cards zu rufen.

Auch die Lehreraus- und -fortbildung ist zu überdenken. Die Kultusminister der Länder sollten eine obligatorische Fortbildungspflicht für Lehrer einführen, wie sie etwa für Ärzte bereits besteht.

Die PISA-Studie wird zwischen den Ländern einen heilsamen Wettbewerb um das leistungsfähigste Schulsystem auslösen. Wir sind zuversichtlich, dass die Ergebnisse der nationalen Ergänzungsstudie im nächsten Jahr belegen werden: Ein differenziertes, aber durchlässiges Schulsystem, in dem Schüler entsprechend ihrer Begabung möglichst individuell ge-fördert werden, ist die richtige Antwort auf die Feststellung, dass Leistungen bei uns breiter gestreut sind als in den meisten OECD-Staaten.

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Konzertierte Aktion statt Gräbenkämpfe

Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen reinhard.loske@bundestag.de

Reinhard Loske

Reinhard Loske.

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Deutsche Schülerinnen und Schüler verfügen im internationalen Vergleich über unterdurchschnittliche Lesekom

petenz. In dieser Erkenntnis steckt eine doppelte Brisanz: Erstens wird dem deutschen Schulsystem in einem seiner selbst deklarierten Kompetenzbereiche, der kritischen Aneignung von Wissen, eine Absage erteilt. Zweitens bestimmt gerade die Lesekompetenz, also die Fähigkeit, sich eigenständig Texte zu erschließen und für verschiedene Zwecke sachgerecht anzuwenden, die weiteren Chancen eines jeden in der Wissensgesellschaft. Nur wer über Lesekompetenz verfügt, kann sich eigenständig fortbilden.

Die Ergebnisse sind so alarmierend, dass sie zu einem Umdenken in der Bildungsdebatte führen müssen. An die Stelle ideologischer Grabenkämpfe muss eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern, Lehrern, Eltern und Schülern treten. Ziel muss es ein, die Qualität des Unterrichts zu verbessern und die Chancengleichheit des Bildungssystems zu erhöhen. Zwei Felder, auf denen das deutsche Schulsystem versagt.

Dazu brauchen wir eine Umorientierung in der Pädagogik und Didaktik. Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern müssen endlich anerkannt und der Umgang mit Differenz zum Qualitätsmerkmal des Unterrichtens werden. Nur wenn Lehrer in der Lage sind, differenziert auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler zu reagieren, können diese optimal gefördert und gefordert werden. Dies gilt besonders für Kinder von Migranten.

Auf Bundesebene setzen wir uns für ein Bund-Länder-Programm zur Verbesserung der Lehrqualität ein. Erste gute Erfahrungen konnten hier bereits mit SINUS, dem Programm zur Verbesserung des naturwissenschaftlichen Unterrichts, gesammelt werden. Darüber hinaus muss über eine qualitative Verbesserung der Lehreraus- und -weiterbildung und der Ausbildung für Erzieher nachgedacht werden.

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Weiter bergab auf der schiefen Ebene von Pisa?

Ulrike Flach, FDP ulrike.flach@bundestag.de

Ulrike Flach

Ulrike Flach.

Das schwache Abschneiden Deutschlands überrascht kaum. Wir wissen längst, wo die Schwachstellen unseres Bildungssystems liegen. Also bitte keine ritualisierte Schuldzuweisungsdebatte, sondern Anpacken der Probleme. Das beginnt im Elternhaus. Wenn Kinder nicht betreut werden, können Kindertagesstätten, Vorschule und Schule die Defizite nur schwer aufholen. Pisa zeigt, dass Kinder aus sozial schwachen Familien oder mit Migrationshintergrund es nicht schaffen, ihre Rückstände aufzuholen. Vorschulerziehung muss deshalb bundesweit geregelt werden. Hier sind pädagogische Konzepte nötig, die Kinder spielerisch an das Lernen heranzuführen.

Lernschwache brauchen wie Hochbegabte besondere Unterstützung, Kinder aus Ausländerfamilien intensive Hilfe beim Spracherwerb, verbunden mit einer verbindlichen Sprachprüfung vor der Einschulung. Wir brauchen klare Noten in den ersten Schuljahren. Die Einschulung sollte in der Regel mit fünf Jahren erfolgen und nach zwölf Jahren zum Abitur führen.

Schulzeit muss betreute Zeit sein. Deshalb ist der Entschluss des Landes Rheinland-Pfalz richtig, jede fünfte Schule in eine Ganztagsschule umzuwandeln. Bessere pädagogische Betreuung lässt sich nur mit mehr Lehrern, kleineren Klassen und weniger Unterrichtsausfall realisieren. Sinkende Schülerzahlen dürfen nicht zum Abbau von Lehrerstellen missbraucht werden. Lehrer brauchen Motivation durch praxisorientiertere Ausbildung an den Hochschulen, durch Bezahlung nach Leistung und Personalautonomie der Schulen. Schulen sollen regelmäßig auf ihre Leistung überprüft werden. Dazu benötigen wir einen gemeinsamen Bildungsbericht von Bund und Ländern.

Wenn es nicht gelingt, den erhöhten Stellenwert der Bildung auch finanziell gegenüber den Finanzministern durchzusetzen, wird es auf der schiefen Ebene von Pisa weiter bergab gehen.

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Versetzungsgefährdetes Bildungssystem

Maritta Böttcher, PDS maritta.boettcher@bundestag.de

Maritta Böttcher

Maritta Böttcher.

Was ist neu an den Ergebnissen der Pisa-Studie? Die Situation ist seit Jahren bekannt. Auch, dass es um wirkliche Struktur- und damit Qualitätsverbesserung gehen muss. Doch da redet sich die eine Ebene mit der anderen heraus. Die Bildungsministerin kann nichts machen, weil die Länder zuständig sind. Und die Kultusminister der Länder stellen sich plötzlich an die Spitze der Bewegung, sind aber verantwortlich für das Desaster. Die Studie stellt zu Recht das Bildungssystem insgesamt in Frage – es ist versetzungsgefährdet.

Da helfen keine Schnellschüsse, sondern endlich mehr Geld und gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Bildung. Die Studie belegt, dass es kein Argument für das in Deutschland favorisierte mehrgliedrige System gibt. Denn selbst die so "Ausgelesenen" erreichen nur knappe Durchschnittswerte. Die Selektion produziert einen gravierenden Mangel an individueller Förderung. Im Mittelpunkt steht nicht das Kind mit seinen Fähigkeiten, Neigungen und Lernmöglichkeiten, sondern seine "Passgenauigkeit" für die eine oder andere Bildungseinrichtung. Eben dieses "Aussortieren" erklärt die schockierenden Pisa-Befunde für Deutschland: Spitzenwerte bei der Diskrepanz zwischen guten und schlechten Schülern und beim Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Bildungserfolg.

Dagegen zeigt der internationale Vergleich, dass ein hohes Leistungsniveau mit der Förderung aller Leistungsgruppen durch langes gemeinsames Lernen in integrierten Systemen vereinbar ist. Die Botschaft heißt: individuelle Förderung statt Auslese für alle und von Anfang an. Dafür braucht es Bedingungen – von Kindergärten über Ganztagsschulen bis hin zu qualifiziertem und motiviertem Personal und den entsprechenden Lehr- und Lernbedingungen. Mit weniger Geld ist das nicht zu machen – es sei denn, Deutschland will auch bei der Bildungsfinanzierung das Schlusslicht sein.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0112/0112072
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