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August 5/2003
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Streitgespräch

Dagmar Wöhrl und Klaus Brandner
Dagmar Wöhrl und Klaus Brandner.

Meisterbrief

Qualitätssiegel oder Hemmschuh?

Die Gesprächspartner im TV-Studio des Bundestages
Die Gesprächspartner im TV-
Studio des Bundestages.

Die Bundesregierung will im Handwerk den Meisterzwang erheblich einschränken und so die Gründung von Betrieben erleichtern. Bei der CDU/CSU-Fraktion und beim Handwerk stoßen die Pläne zum Teil auf heftige Kritik. Meisterzwang und Meisterbrief – unverzichtbares Qualitätssiegel oder Hemmschuh für neue Jobs? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit den wirtschaftspolitischen Sprechern von CDU/CSU- und SPD-Fraktion, Dagmar Wöhrl und Klaus Brandner.

Blickpunkt Bundestag: Herr Brandner, warum will die Bundesregierung die doch eigentlich bewährte Handwerksordnung reformieren?

Klaus Brandner: Die Handwerksordnung ist so, wie sie ist, nicht mehr zeitgemäß. Wir wollen einen Impuls für mehr Beschäftigung und mehr Existenzgründungen geben, denn Deutschland hinkt hier hinter unseren europäischen Nachbarn her. Wir müssen den Berufszugang erleichtern für neue Existenzen und das Handwerksrecht europatauglich machen. Das sind die drei wesentlichen Kriterien für die angestrebte Novellierung. Erstaunlicherweise gibt es nun dagegen gerade von denen Widerstand, die sonst so gern von Deregulierung reden.

Blickpunkt: Frau Wöhrl, da sind Sie angesprochen. Müssten Sie nicht einverstanden sein, weil ja auch die Union seit langem eine Entbürokratisierung und mehr Wettbewerb verlangt?

Dagmar Wöhrl: Im Ziel sind wir uns einig: mehr Arbeitsplätze, mehr Existenzgründungen, mehr Ausbildungsplätze. Nur: Erreicht man das auf diesem Weg? Wir haben eine der niedrigsten Selbstständigenquoten in Europa, dagegen müssten wir viel tun. Aber das hängt doch nicht am Meisterbrief! Wir haben zurzeit 130.000 Meister, die sich noch nicht selbstständig gemacht haben. Das Problem liegt also anderswo.

Blickpunkt: Für welche Bereiche soll der Meisterzwang weiter gelten?

Brandner: Bei allen Tätigkeiten, die Gefahr für Leib und Leben Dritter beinhalten, soll der Meisterzwang als Voraussetzung einer Gewerbetätigkeit erhalten bleiben, also zum Beispiel im Elektro-, Kfz- oder Sanitärbereich. Dass hier Sicherheit für die Bevölkerung und für die Beschäftigten Priorität haben muss, bleibt für uns ganz klar.

Blickpunkt: Sind diese Abgrenzungen nicht willkürlich? Denn auch ein Fleischer oder Gebäudereiniger kann bei schlechter Arbeit ja eine Gefahr bedeuten.

Wöhrl: Mit dem Sicherheitskriterium sind wir einverstanden, aber das allein reicht nicht. Ganz wichtig ist der Aspekt der Ausbildung im Handwerk. Wir müssen für junge Menschen eine Basis schaffen, damit sie positiv in die Zukunft schauen können. Das Handwerk ist der Ausbilder der Nation. Ein Drittel der Jugendlichen wird hier ausgebildet. Und zwar nahezu ausschließlich in Meisterbetrieben. Unsere Sorge ist: Weniger Meisterbetriebe bedeutet auch weniger Ausbildungsplätze.

Blickpunkt: Ist das nicht ein stichhaltiges Argument?

Im Gespräch: Klaus Brandner ...
Im Gespräch: Klaus Brandner...

Brandner: Nein, das sehe ich nicht so. Denn in der Praxis sind es überwiegend die Gesellen, nicht die Meister, die ausbilden. Dass die Ausbildungszahlen im Handwerk zurückgegangen sind, hat vor allem damit zu tun, dass insgesamt die Beschäftigtenzahlen im Handwerk stark gefallen sind. Das wollen wir ja gerade ändern: Wenn wir mehr Ausbildungsplätze haben wollen, müssen wir Existenzgründungen einfacher und attraktiver machen.

Wöhrl: Das ist eine falsche Schlussfolgerung. Wenn die Regierung bei 65 Berufen den Meisterzwang abschafft, kommen wir doch in eine gefährliche Schieflage: Denn in den meisterbrieffreien Betrieben muss man noch nicht einmal Geselle sein, um sich selbstständig zu machen. Wie aber soll jemand junge Menschen ausbilden, der selbst nie eine richtige Ausbildung erfahren hat? Man kann doch nur Dinge weitergeben, die man selbst erfahren hat. Und das ist eben vor allem beim Meister der Fall.

Brandner: Es geht uns doch gar nicht darum, den Meister abzuschaffen. Wir erkennen den Meister weiter als Qualitätssiegel an. Der fakultative Meister soll gefördert werden, etwa durch die Aufstockung beim Meister-Bafög. Wir glauben sogar, dass es nach der Reform eher mehr Meister geben wird. Was wir als Hindernis sehen und ändern wollen, sind die Zugangsbeschränkungen zur Selbstständigkeit.

Blickpunkt: Dient der Meisterzwang wirklich der Qualität oder ist er nicht auch eine willkommene Abschottung gegen lästige Konkurrenz?

...und Dagmar Wöhrl
...und Dagmar Wöhrl.

Wöhrl: Man kann aus der Geschichte lernen. 1871 hatten wir vollkommene Gewerbefreiheit mit fatalen Folgen für Produktqualität und Ausbildung. Erst als es wieder zu klaren Qualitätsvoraussetzungen kam, hat das Handwerk seinen guten Ruf wiedererlangt.

Brandner: Wir müssen aber auch sehen, dass unser reguliertes System in Europa fast einzigartig ist. Als Vorbild scheint es nicht sonderlich geeignet zu sein: In fast allen anderen Ländern sind Existenzgründungen viel einfacher als bei uns. Man spricht in Deutschland ja auch von Inländerdiskriminierung, weil EU-Bürger bei uns viel leichter Handwerksbetriebe aufmachen und als Handwerker arbeiten können als die Deutschen. Insofern haben wir wirklich Nachholbedarf.

Wöhrl: Das lasse ich nur zum Teil gelten. Wir richten uns ja auch nicht beim Tier- oder Umweltschutz nach anderen Ländern, sondern setzen eigene, strengere Regeln. Humankapital ist für uns eine der wichtigsten Ressourcen, die wir haben. Qualifizierung muss daher weiter sehr wichtig bleiben. Wir waren immer stolz auf unsere Facharbeiter und Meister. Wenn man jetzt an diesem Ast sägt, ist das die falsche Politik.

Blickpunkt: Wird die eigentliche Arbeit in den Handwerksbetrieben in der Praxis nicht von den Gesellen und Lehrlingen erledigt? Damit wäre das Qualitätsargument doch vom Tisch.

Wöhrl: Aber der Meister schaut doch immer auf die Arbeit. Er ist die Qualitätsautorität.

Brandner: Das kann ja auch so bleiben. Die Behauptung, dass es nach der Reform weniger Meister gibt, ist völlig verfehlt. Es geht darum, dass denen eine Chance eröffnet wird, die sagen, ich traue mir zu, ein Handwerk selbstständig auszuüben. Wir haben in unserem Land eine riesige Anzahl von Schwarzarbeit; diese Potenziale müssen wir wieder zurückholen. Dass dies einige Handwerker als Wettbewerb für sich sehen, ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar, darf aber gesamtgesellschaftlich keine Rolle spielen.

Blickpunkt: Bliebe nach der Reform der Anreiz, einen Meisterbrief zu machen, auf der Strecke?

Wöhrl: Auf jeden Fall. Junge Menschen wollen doch schnell fertig werden, wollen im Beruf Geld verdienen. Deshalb bin ich sicher, dass wir nicht mehr so viele Meister haben werden wie jetzt. Und das wird sich unheilvoll auf die Ausbildung auswirken. Denn viele Meister werden sagen: Warum soll ich noch ausbilden, wenn sich derjenige, den ich ausbilde, sofort danach im Haus nebenan selbstständig machen kann. Ich bilde mir doch nicht die eigene Konkurrenz aus.

Brandner: Wenn wir diesen Gedanken weiter verfolgen, sind wir doch total blockiert. Was wichtig ist und bleibt, ist die ständige Weiterbildung, auch im Handwerk. Deshalb wollen wir auch den Meisterbrief nicht abschaffen, sondern nur die Zugangsvoraussetzungen zur Selbstständigkeit erleichtern. Das gibt den Marktkräften eine neue Dynamik, die wieder allen zugute kommen wird. Das Gütesiegel Meisterbrief wird als hohes Qualitätsmerkmal weiter bestehen bleiben.

Wöhrl: Das geht doch alles nach dem Prinzip Hoffnung, was Sie vorhaben. Wenn für die Betriebsgründung noch nicht einmal ein Geselle notwendig ist, stimmt doch etwas nicht. Wer ohne qualifizierte Ausbildung nur schnell einmal auf den Markt geworfen wird, hat im Übrigen auf Dauer keine wirkliche Chance, zu überleben.

Brandner: Natürlich ist und bleibt eine solide Ausbildung wichtig, da sind wir uns doch einig. Nur dürfen zu hohe formale Zugangsregelungen nicht die Chancen junger Handwerker verringern. Darum geht es uns.

Blickpunkt: Welche Rolle spielen die Kosten? Bis zur Meisterprüfung kann es eine Menge Geld kosten.

Wöhrl: Auch ein Studium hat mit Kosten zu tun. Deshalb schaffen wir es ja nicht gleich ab und verzichten auf Prüfungen.

Brandner: Das ist auch für uns nicht die entscheidende Frage. Hohe Produktkosten müssen durch Arbeitsteilung und Spezialisierung auf kleine Teilbereiche gesenkt werden. In diesen Bereichen die Selbstständigkeit zuzulassen und sie nicht in die Schwarzarbeit abgleiten zu lassen, ist ein Ziel unserer Novelle.



Reden Sie mit zum Thema „Meisterbrief“:

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): dagmar.woehrl@bundestag.de

Klaus Brandner (SPD): klaus.brandner@bundestag.de

Redaktion BLICKPUNKT BUNDESTAG: blickpunkt@media-consulta.com

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0305/0305044
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