Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > PARLAMENT > Interparlamentarische Gremien > Parlaments-Präsidenten-Konferenz > Konferenz der Parlamentspräsidenten aus den G8-Staaten, 8. und 9. September 2003 in Paris >
PPK
[ zurück ]   [ Übersicht ]

Beitrag des Präsidenten des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse

zum Thema:

"Kontrollfunktionen des Parlaments"

Konferenz der Präsidenten der Parlamente der Mitgliedsländer der G 8
Paris, 8. - 10. September 2003

Wesensmerkmal unseres parlamentarischen Regierungssystems ist die enge Verknüpfung von Parlament und Regierung. Dieses Zusammenwirken ist dabei unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass die Regierung der Kontrolle durch das Parlament unterliegt. Parlamentarische Kontrolle wird dabei zunehmend nicht nur im Sinne einer nachträglichen Reaktion auf Regierungshandeln verstanden; ihr wird vielmehr eine begleitende und dirigierende Funktion zugeschrieben. Die Ausübung parlamentarischer Regierungskontrolle ist damit - neben der Gesetzgebung und der Durchführung bestimmter Wahlen, insbesondere der Wahl des Bundeskanzlers - eine der zentralen Aufgaben des Deutschen Bundestages.

Im Folgenden werde ich mich auf die parlamentarischen Kontrollinstrumente im herkömmlichen Sinne beschränken und dabei insbesondere diejenigen darstellen, die im parlamentarischen Alltag größere Bedeutung haben. Nicht näher eingehen werde ich auf das schärfste parlamentarische Kontrollrecht - das konstruktive Mißtrauensvotum - sowie auf dass damit im Zusammenhang stehende Instrument der Vertrauensfrage. Von beiden Instrumenten ist bisher nur in wenigen, besonderen Situationen Gebrauch gemacht worden.

1. Fragerechte

Das wohl meist genutzte Mittel parlamentarischer Kontrolle ist das parlamentarische Fragerecht. Es ist dem Grunde nach in der Verfassung verankert und wird durch die Geschäftsordnung näher ausgestaltet. Diese unterscheidet Große und Kleine Anfragen, mündliche und schriftliche Einzelfragen und die Befragung der Bundesregierung. Die Ausübung der Fragerechte ist an unterschiedliche Minderheitserfordernisse gebunden. So hat z. B. der einzelne Abgeordnete das Recht, mündliche und schriftliche Einzelfragen an die Regierung zu adressieren. Große und Kleine Anfragen dagegen erfordern die Unterstützung von mindestens fünf Prozent der Abgeordneten oder einer Fraktion. Dieses Quorum gilt ebenso für das Verlangen auf Durchführung einer Aktuellen Stunde. Die Statistik zeigt, dass vom Fragerecht zunehmend und intensiv Gebrauch gemacht wird: In der letzten - der 14. - Wahlperiode stellten die Abgeordneten neben den ca. 11.800 schriftlichen Anfragen knapp 3.300 mündliche Einzelfragen und brachten daneben mehr als 1.800 Kleine und 100 Große Anfragen ein.

1.1. Befragung der Bundesregierung

Eine besondere Ausgestaltung hat das Fragerecht durch die Befragung der Bundesregierung erfahren. Der Einführung dieser Befragung lag der Wunsch zugrunde, dass die Bundesregierung zunächst dem Parlament über die wöchentlichen Kabinettssitzungen berichten solle, bevor sie über die Bundespressekonferenz an die Öffentlichkeit geht. Die Befragung der Bundesregierung dauert 30 Minuten und beginnt regelmäßig mit einem fünfminütigen Bericht eines Ministers über ein von der Regierung gewähltes und dem Parlament mitgeteiltes Thema aus der Kabinettssitzung. An diesen Bericht schließen sich Fragen der Abgeordneten an, zunächst zum Berichtsthema, sodann zu weiteren mitgeteilten Themen der Kabinettssitzung. Schließlich werden die sogenannten "freien" Fragen aufgerufen zu allen Bereichen der Verantwortlichkeit der Regierung. Der Bundesregierung sind weder die Namen der Fragesteller noch die Fragen vorher bekannt.

1.2 Aktuelle Stunde

Neben den Fragerechten möchte ich die Aktuelle Stunde in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen. Sie wurde 1965 eingeführt und ist eine besondere Debattenform, die es dem Parlament ermöglicht, rasch aktuelle Themen aufzugreifen. Die Aktuelle Stunde zeichnet sich durch Kurzbeiträge von bis zu fünf Minuten aus. Sie findet entweder aufgrund einer interfraktionellen Vereinbarung im Ältestenrat oder auf Verlangen einer Fraktion statt. Dieses Verlangen kann im Zusammenhang mit einer Antwort der Bundesregierung auf eine mündliche Frage in der Fragestunde geltend gemacht werden oder unabhängig von der Fragestunde. Die Geschäftsordnung legt fest, dass pro Sitzungstag nur eine Aktuelle Stunde stattfinden kann. Sowohl bei Abgeordneten wie auch in der Medienberichterstattung erfreut sich die Aktuelle Stunde großen Interesses. Die Themen dieser Aussprachen sind breit gefächert. Anlässe für ein Verlangen auf Durchführung einer Aktuellen Stunde können aktuelle Vorfälle im In- und Ausland, politische Äußerungen oder wichtige Entscheidungen sein.
In der 14. Wahlperiode fanden insgesamt 141 Aktuelle Stunden statt, davon 115 auf Verlangen von der Opposition.

2. Zitierrecht

Zu nennen ist weiterhin das sog. Zitierrecht. Der Bundestag kann auf Antrag einer Fraktion oder von mindestens fünf Prozent der Mitglieder die Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung beschließen. Dieses Recht auf Herbeirufung ist in der Verfassung niedergelegt und erfordert den Beschluss der Mehrheit des Hauses. Herbeigerufen werden kann grundsätzlich nur der für den Beratungsgegenstand zuständige Ressortminister. In der Praxis wird vom Zitierrecht selten und wenn, in der Regel von der Opposition Gebrauch gemacht. Hat ein Antrag auf Herbeirufung eines Regierungsmitgliedes Erfolg, wird üblicherweise der Fortgang der Plenarsitzung so lange unterbrochen, bis das zitierte Mitglied der Regierung anwesend ist.

3. Untersuchungsausschüsse

Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Das Untersuchungsrecht, vielfach als "schärfstes Schwert des Parlaments und wirksamste Waffe der Opposition" beschrieben, gehört zu den öffentlichkeitswirksamsten und spektakulärsten Mitteln politischer Auseinandersetzung. Erst im Jahre 2001 wurde das Verfahren und die Rechte von Untersuchungsausschüssen in einem Bundesgesetz geregelt. Thematisch sind Untersuchungsausschüsse in ihrer Arbeit durch den Einsetzungsbeschluss des Plenums begrenzt. Sie erheben grundsätzlich in öffentlicher Sitzung die zur Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Beweise. Dabei haben sie das Recht, Zeugen vorzuladen und zu vereidigen. Auch können sie die Herausgabe von Beweismittel, wie beispielsweise Akten der Bundesregierung (unter Beachtung des Geheimnisschutzes) verlangen. Im Durchschnitt hat der Bundestag seit der 3. Wahlperiode 1957 ein bis zwei Untersuchungsausschüsse pro Wahlperiode eingesetzt. In der laufenden 15. Wahlperiode hat bislang ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen.

4. Enquete-Kommissionen

Seit 1970 hat der Bundestag die Möglichkeit, sogenannte Enquete-Kommissionen einzusetzen. Wie bei Untersuchungsausschüssen können Minderheiten die Einsetzung verlangen. Enquete-Kommissionen dienen vor allem der Informationsgewinnung und aktiven Politikberatung bei umfassenden und schwierigen Aufgabenkomplexen. Als Beispiele seien hier die Enquete-Kommissionen "Verfassungsreform", "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur" oder "Demographischer Wandel" genannt. Anders als Untersuchungsausschüsse haben Enquete-Kommissionen nicht die oben beschriebenen Beweiserhebungsrechte. Neben Abgeordneten gehören ihnen externe Wissenschaftler, Sachverständige und Praktiker an. Die Mitglieder der Kommission werden von den Fraktionen nach ihrem Stärkeverhältnis benannt. Parlamentarier und "Externe" sind gleichberechtigt. Wie auch Untersuchungsausschüsse, schließen die Kommissionen ihre Arbeit mit einem Bericht an das Plenum ab. Die teils sehr umfangreichen Berichte werden als Bundestagsdrucksache veröffentlicht.

5. Haushalts- und Finanzkontrolle

Wesentliche Bedeutung hat weiterhin die parlamentarische Haushalts- und Finanzkontrolle, die im System der parlamentarischen Kontrolle eine Sonderstellung einnimmt. Die Haushalts- und Finanzkontrolle erfolgt in drei Phasen:

Der jährliche Haushaltsplan, in dem alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes ausgewiesen sind, wird durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Der Entwurf des jährlichen Haushaltsplans wird auf der Grundlage der Entwürfe der einzelnen Ministerien vom Bundesminister der Finanzen ausgearbeitet und nach Billigung durch das Kabinett - unter gleichzeitiger Zuleitung an den Bundesrat - in den Bundestag eingebracht. Die Haushaltsberatung im Plenum ist die "Stunde der Opposition": Hier hat sie die Möglichkeit, die "Schwachstellen" der Regierungspolitik offen zu legen und ihre Alternativen vorzustellen.

Zwischen der ersten Beratung des Haushaltes im Plenum im September und der zweiten und dritten Beratung zum Jahresende liegen Monate intensiver Beratung des Haushaltsausschusses. Der Haushaltsausschuss, dem traditionell ein Mitglied der größten Oppositionsfraktion als Vorsitzender vorsteht, arbeitet nach einem Berichterstattersystem, das der ressortspezifischen Gliederung des Haushaltsplanes Rechnung trägt. Die Berichterstatter kennen "ihr" Fachministerium und den dazugehörigen Einzelplan genauestens und führen intensive Gespräche mit den Ministerien über die einzelnen Haushaltstitel und -ansätze. Ergeben sich Mindereinnahmen oder Mehrausgaben, muss das Plenum darüber entscheiden, ob und wie das Defizit gedeckt werden soll.

Nach der Feststellung des Haushaltsplanes durch das Haushaltsgesetz liegt die Durchführung, der sogenannte Haushaltsvollzug, bei der Bundesregierung. Hier kommen aber wiederum Mitwirkungsrechte des Parlaments bzw. des Haushaltsausschusses in der Form begleitender parlamentarischer Kontrolle zum Tragen. Sie reichen von einfachen Unterrichtungen bis hin zu Mitentscheidungskompetenzen.

Nach Abschluss des Haushaltsjahres wird die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesregierung geprüft. Neben dem - unabhängigen - Bundesrechnungshof wird hierbei der Rechnungsprüfungsausschuss, ein Unterausschuss des Haushaltsausschusses, tätig. Er prüft im wesentlichen die Einhaltung der politischen Zielvorstellungen beim Haushaltsvollzug und bereitet das parlamentarische Entlastungsverfahren vor. Den Abschluss bildet der Beschluss des Bundestages über die Entlastung der Bundesregierung.

6. Kontrolle der Nachrichtendienste

Besondere Anforderungen werden an die parlamentarische Kontrolle von Nachrichtendiensten gestellt. Die nachrichtendienstliche Tätigkeit ist einer auf Öffentlichkeit angelegten parlamentarischen Kontrolle tendenziell entzogen. Daher eignen sich öffentlich tagende Ausschüsse, Untersuchungsausschüsse oder das Plenum nicht für diese sensiblen Bereiche. Aus diesen Gründen hat sich der Bundestag für eine besondere Kontrolleinrichtung entschieden und 1978 durch Gesetz ein parlamentarisches Kontrollgremium eingerichtet. Danach unterliegt die Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch dieses Gremium. Zu Beginn der Legislaturperiode legt der Bundestag die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Gremiums fest und wählt die Mitglieder aus seiner Mitte. Derzeit hat das Gremium, das geheim tagt, neun Mitglieder.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch zwei weitere Kontrollgremien erwähnen: Der Bereich der Brief-, Post-, und Fernmeldeüberwachung durch die Nachrichtendienste ist spezialgesetzlich in einem Gesetz zu Artikel 10 des Grundgesetzes geregelt. Die Kontrolle in diesem Bereich gehört zu den Aufgaben der sogenannten G10-Kommission. Daneben gibt es das Gremium nach § 41 Außenwirtschaftsgesetz, das mit der speziellen Telefon- und Postkontrolle zur Verhütung von Straftaten nach diesem Gesetz oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz befasst ist.

Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/internat/ppk/ppk_paris/g8_ppk_kontroll
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion