172. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. April 2005
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Wolfgang Thierse:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Vorgestern, am 19. April 2005, hat das Kardinalskollegium mit Joseph Kardinal Ratzinger zum ersten Mal seit fast 482 Jahren einen Deutschen zum Papst gewählt. Ich habe Papst Benedikt XIV.
– Entschuldigung, dem XVI. – im Namen des Deutschen Bundestages bereits schriftlich die herzlichen Glückwünsche zu seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche übermittelt.
Für seine große Aufgabe dürfen wir unserem Landsmann Benedikt XVI. von dieser Stelle aus alles, alles Gute wünschen.
Bevor wir zur Tagesordnung übergehen möchte ich auf der Tribüne die Präsidentin des griechischen Parlaments, Frau Professor Anna Benaki, herzlich begrüßen.
Wir hoffen, dass Sie einen aufschlussreichen – wenn auch kurzen – Eindruck unserer parlamentarischen Arbeit gewinnen können. Für Ihren Aufenthalt in unserem Haus und in Deutschland und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Die Kollegin Erika Simm feierte am 16. April ihren 65. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich ihr sehr herzlich und verbinde mit den besten Wünschen auch unseren Dank für ihre Arbeit als Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses.
Sodann müssen die Mitglieder im Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ neu gewählt werden, da ihre Amtszeit am 30. Juli dieses Jahres endet. Gemäß § 8 Abs. 1 des HIV-Hilfegesetzes werden zwei Mitglieder für den Stiftungsrat vom Deutschen Bundestag benannt. Die Fraktion der SPD schlägt den Kollegen Horst Schmidbauer (Nürnberg) und die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Dorothee Mantel vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegin und der Kollege als Mitglieder für den Stiftungsrat „Humanitäre Hilfe“ benannt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen auf Drucksache 15/5312
(siehe 171. Sitzung)
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Für eine nationale Kraftanstrengung – Pakt für Deutschland umsetzen
– Drucksache 15/5322 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dietrich Austermann, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwendige Investitionen in die deutsche Verkehrsinfrastruktur bereitstellen
– Drucksache 15/5325 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Haushaltsausschuss
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Infrastrukturinvestitionen erhöhen – Neue Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstraßen
– Drucksache 15/5338 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorfahrt für Arbeit – Der Weg nach vorne für Deutschland und Europa
– Drucksache 15/5339 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)InnenausschussRechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss
ZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 24)
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 15/5315 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
– Drucksache 15/5314 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Günter Baumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5319 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschussHaushaltsausschuss
ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Äußerungen der SPD-Fraktions- und Parteispitze zu Wirtschaftsinvestitionen in Deutschland
ZP 8 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Arzneimittelversorgung bei Kindern und Jugendlichen
– Drucksache 15/5318 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Schmidt (Meschede), Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Christa Reichard (Dresden), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Biologische Vielfalt schützen und zur Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung nutzen
– Drucksachen 15/4661, 15/5337 –
Berichterstattung:Abgeordnete Dagmar Schmidt (Meschede)Christa Reichard (Dresden)Thilo Hoppe Ulrich Heinrich
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Conny Mayer (Freiburg), Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Togos Weg in die Demokratie unterstützen – Afrikanische Union (AU) und ECOWAS beim Engagement für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit unterstützen
– Drucksache 15/5324 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 11 Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Jürgen Gehb, Daniela Raab, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Graffiti-Bekämpfungsgesetz – (… StrÄndG)
– Drucksache 15/5317 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: EU-Nitratrichtlinie in nationales Recht umsetzen – Wettbewerbsnachteile für heimische Landwirte durch Düngeverordnung verhindern
– Drucksache 15/4432 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit erforderlich – abgewichen werden.
Ferner sollen die Vorlagen unter Punkt 22 – NATO-Mitgliedschaft – bereits heute als zweites Kernzeitthema behandelt und somit die Punkte 4 a bis 4 f abgesetzt werden. Die Punkte 8 und 15 werden getauscht. Außerdem soll der Punkt 21 – Akustische Wohnraumüberwachung – abgesetzt werden.
Schließlich mache ich noch auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 169. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISESS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5244 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschuss Haushaltsausschuss
Der in der 157. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit und dem Verteidigungsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Birgit Homburger, Hans-Michael Goldmann weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Leitlinien für die Privatisierung der Deutschen Flugsicherung – Gesamtkonzept zur Neuordnung der Flugsicherung
– Drucksache 15/4670 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit VerteidigungsausschussAusschuss für Tourismus Haushaltsausschuss
Der in der 157. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Verteidigungsausschuss und dem Haushaltsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Norbert Königshofen, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Maßnahmen zur Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung GmbH
– Drucksache 15/4829 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit VerteidigungsausschussAusschuss für Tourismus Haushaltsausschuss
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatzpunkte 2 bis 5 auf:
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Klaus Brandner, Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt), Anja Hajduk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Investitionskräfte stärken – Neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung
– Drucksache 15/5340 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Haushaltsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Für eine nationale Kraftanstrengung – Pakt für Deutschland umsetzen
– Drucksache 15/5322 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dietrich Austermann, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Notwendige Investitionen in die deutsche Verkehrsinfrastruktur bereitstellen
– Drucksache 15/5325 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Haushaltsausschuss
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Infrastrukturinvestitionen erhöhen – Neue Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstraßen
– Drucksache 15/5338 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vorfahrt für Arbeit – Der Weg nach vorne für Deutschland und Europa
– Drucksache 15/5339 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)InnenausschussRechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Manfred Stolpe das Wort.
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland braucht Investitionen, eine schon oft geäußerte Binsenweisheit.
Jetzt kommt es darauf an, dass etwas getan wird.
Wenn Sie ein bisschen zuhören würden, dann hätten Sie vermutlich – wenn Sie ehrlich sind – Freude daran, zu erfahren, dass wir etwas bewegen können.
In diesem Land stecken nämlich doch beachtliche Potenziale. Mehr Investitionen, mehr Wachstum und mehr Beschäftigung sind möglich. Die Bundesregierung ist entschlossen, die Kräfte, die in Deutschland da sind, in Bewegung zu setzen. Am 17. März dieses Jahres hat der Bundeskanzler vor diesem Hause eine wichtige Regierungserklärung abgegeben. In dieser Regierungserklärung gab es ein paar zentrale Punkte, die ich heute ansprechen möchte.
Ich möchte erstens darüber informieren, dass wir in der nächsten Woche im Bundeskabinett ein wichtiges Investitionsthema angehen wollen: die Weiterführung des Gebäudesanierungsprogramms der KfW-Förderbank. 2006 und 2007 werden für die Fortführung dieses Programms 720 Millionen Euro zur Zinsverbilligung und auch für Teilschuldenerlasse zur Verfügung stehen. Das heißt im Klartext, man wird damit Darlehen in der Größenordnung von 3 Milliarden Euro auslösen und Bauleistungen in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro bewegen können. Das ist schon allerhand.
In enger Abstimmung mit der KfW-Förderbank soll diese Förderung dann in Zukunft auf solche Maßnahmen konzentriert werden, die einen hohen Energie- und CO2-Einspareffekt haben werden. Jede in diesen Bereich investierte Milliarde schafft 25 000 Arbeitsplätze. Das macht in den Jahren 2006 und 2007 rund 125 000 Arbeitsplätze aus, die gesichert oder neu geschaffen werden können. Das ist Tatsache; das ist keine Ankündigung. Das geht sofort in Gang.
Sichere und neue Erwerbschancen erreichen wir auch mit dem zweiten Investitionsprogramm. Gestern haben wir im Kabinett Verkehrsinvestitionen in Höhe von 2 Milliarden Euro vorgesehen; ich habe hier im Hause schon kurz darüber berichten können. Das heißt im Einzelnen: Von 2005 bis 2008 mobilisieren wir jährlich eine halbe Milliarde zusätzlich für Investitionen in den Verkehr. Das schafft ganz direkt bis zu 60 000 Arbeitsplätze mit Schwerpunkt gerade in der mittelständischen Wirtschaft.
Das Entscheidende ist: Dieses Programm wird jetzt ohne Zeitverzug seine Wirkung entfalten können. Wir können handeln. Wir können dafür sorgen, dass Aufträge an die Bauwirtschaft ausgelöst werden. Die wartet schon darauf.
Glückwunschschreiben habe ich schon bekommen. Ich hoffe, auch bei Ihnen wird das angekommen sein. Wir werden zunächst im Jahr 2005, um schnell handeln zu können, eine Reihe von Einzelmaßnahmen starten, sodass ohne Verzug gearbeitet werden kann.
Wir haben Handlungsbedarf in drei Bereichen: in den Bereichen der Schiene, der Wasserstraße und der Straße. Für die Schiene und die Wasserstraße soll mehr als die Hälfte der Mittel eingesetzt werden. Wir brauchen diese umweltfreundlichen Verkehrsträger als starke Wettbewerber, um das Verkehrswachstum – es ist unaufhaltsam und für die Mobilität in der Wirtschaft unverzichtbar – vor allem in den Bereichen des Güterverkehrs bewältigen zu können. Die Straße ist und bleibt ein Hauptleistungsträger. Deshalb werden wir etwa 900 Millionen Euro zusätzlich für das Bundesfernstraßennetz einsetzen.
Mit dem 2-Milliarden-Programm im Ganzen wird der Verkehrsstandort Deutschland gesichert und verbessert. Unsere Stärken im Wachstumsfeld Mobilität und Logistik bauen wir aus. Das wird Innovationen ermöglichen. Wir verbessern unsere Vernetzung in Europa. Damit beschleunigen wir auch den Aufbau Ost.
Wichtig sind dabei Erhaltungsinvestitionen für Straße und Binnenwasserstraße. Dazu gehören die Sanierung von Brücken und Schleusen und die Nachrüstung von Tunnels. Über die Erhaltungsmaßnahmen hinaus können wir schon dieses Jahr bei den Bundesfernstraßen neue Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs beginnen und begonnene spürbar beschleunigen.
Wir sichern die Leistungskraft des Wirtschaftsstandortes Deutschland und wir sichern dabei ganz besonders die Leistungskraft der starken Potenziale, in denen sich gegenwärtig die Hauptentwicklung unseres Landes bewegt. Das heißt, die Wachstumskräfte, die in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen und in Bayern vorhanden sind, werden durch diese Maßnahmen unterstützt.
Die maritimen Standorte an Nord- und Ostsee werden durch bessere Anbindungen auf das künftige Verkehrswachstum vorbereitet.
Wir schaffen auch Voraussetzungen für Wachstum und Arbeit im Osten Deutschlands.
Von unseren sofortigen Investitionsmaßnahmen bei der Straße profitieren zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen.
Meine Damen und Herren, für die Zukunft der Schiene verstärken wir unsere wichtigen, herausragenden Projekte mit zusätzlichen Investitionsmitteln und werden im Jahr 2005 – als eine Ausnahmeregelung von der bisherigen Praxis – ein Bahnhofssanierungsprogramm in enger Abstimmung mit der Bahn auf den Weg bringen. Auch das ist eine Maßnahme, die wichtig ist für Aufträge, wichtig ist für Arbeit und die darüber hinaus die Attraktivität des Schienenverkehrs erheblich erhöhen wird.
Wir werden dann für den weiteren Fortgang des Vorhabens, also für die Jahre 2006 und folgende, in den allernächsten Wochen ein Maßnahmenpaket erarbeiten, um die nötigen Prioritäten zu entscheiden. Wir werden das in Abstimmung mit den Verkehrspolitikern dieses Hauses, aber auch mit den Ländern vornehmen. Dabei wollen wir von einem modernisierten Planungsrecht profitieren. Das wird eine Beschleunigung von Baumaßnahmen bringen.
Damit komme ich zu meinem dritten Punkt: Beschlossene Infrastrukturprojekte müssen zügiger realisiert werden können. Daher werden wir noch vor der Sommerpause den Entwurf eines Infrastruktur- und Planungsbeschleunigungsgesetzes vorlegen. Es wird eine deutliche Beschleunigung für ganz Deutschland bringen und wird die guten Erfahrungen, die wir mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz im Osten gemacht haben, für ganz Deutschland umsetzen.
Wir gehen davon aus, dass wir mit einem solchen Gesetz die Planungsphase für wichtige Infrastrukturvorhaben um mindestens 30 Prozent verkürzen können.
In der Ressortabstimmung müssen wir noch einige Fragen klären, so zum Beispiel die Zahl der Klageinstanzen. In der Anhörung habe ich jetzt meinen Entwurf vorgestellt und dabei auch auf die Erfahrungen des Ostens zurückgegriffen; das heißt: eine Klageinstanz.
Das wird von allen Bundesländern unterstützt. Darüber wird es aber sicherlich noch Diskussionen geben.
Wir haben ein Ziel bei dem Ganzen: Es muss schnell gehen, es muss effektiv durchgeführt werden. Wir müssen dann zuverlässige Bedingungen für Investitionen in Deutschland haben. Dann kann besser kalkuliert werden, wann wichtige Verkehrswege, wann städtische Bauvorhaben und Versorgungsleitungen fertig sein werden. Die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort kann damit noch deutlich erhöht werden. Ich appelliere an das ganze Haus, dass wir diese Dinge ernsthaft und sachlich angehen und dann auch zügig zu Lösungen kommen. Solche Lösungen brauchen wir, damit am 1. Januar 2006 diese rechtliche Regelung in Kraft treten kann.
Meine Damen und Herren, wir wollen aber auch zusätzliche private Investitionen für die Verkehrswege mobilisieren. Die A-Modelle – wir haben häufig darüber gesprochen; wir haben die ersten Pilotprojekte in Gang gesetzt – sind dazu ein Weg. Wir brauchen aber weitere Unterstützung und Flankierung. Wir brauchen die Anwerbung zusätzlicher Investitionsmittel.
Deshalb möchte ich hier einen vierten Punkt nennen: die Überlegung, ein ÖPP-Beschleunigungsgesetz zu starten. Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass öffentlich-private Partnerschaften ein wichtiges Instrument sein können. Dabei kommt es darauf an, das Know-how von beiden Seiten – von den privaten, aber auch von den öffentlichen Händen – zu verbinden und damit die Leistungsfähigkeit zu potenzieren. Wir sind dabei in den letzten Monaten bereits intensiv unterwegs. Es hat gute Absprachen gegeben, auch mit anderen Ministerien, zum Beispiel mit dem Finanzministerium. Ich gehe davon aus, dass das ganze Haus dieses Projekt unterstützten wird.
Ziel ist es, bis zur Sommerpause den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes zu erarbeiten, um die rechtlichen Rahmenbedingungen von öffentlich-privater Partnerschaft in Deutschland zu verbessern und noch bestehende Benachteiligungen gegenüber anderen Formen der Beschaffung abzubauen. Die laufenden Arbeiten beziehen sich auf Regelungen im Vergaberecht, im Haushalts- und Förderrecht, im Steuerrecht, im Gebührenrecht sowie auf Fragen im Bereich der Finanzierung.
Meine Damen und Herren, die Maßstäbe unserer Reform- und Investitionspolitik sind eindeutig. Wir wollen und wir müssen alle miteinander Deutschland nach vorne bringen. Ich bitte um Ihre Unterstützung. Wir handeln jetzt.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Stolpe, die Dynamik Ihres Vortrags hat eindrucksvoll die Dynamik dieser Bundesregierung dargestellt.
Ich habe den Eindruck, dass wir nicht nur ein Beschleunigungsgesetz zur Umsetzung der Aufgaben brauchen, sondern vor allem auch ein Regierungsbeschleunigungsgesetz. Das wäre zwingend notwendig.
Sie haben so schön formuliert: Wir sind auf dem Weg. – Ja, diese Regierung ist ständig auf dem Weg. Aber sie kommt nie an. Das ist das Problem in unserem Land.
Als ich den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion gelesen habe, hatte ich zunächst die Hoffnung, Sie würden darin auch erklären, wie es mit der Umsetzung dessen vorangeht, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zur Fortführung der Agenda 2010 angekündigt hat. Aus dem Antrag geht aber dazu nichts konkret hervor.
Einen bemerkenswerten Satz habe ich in Ihrem Antrag allerdings gefunden: „Die Erfolgsgeschichte der Agenda 2010 wird fortgesetzt.“
Lassen Sie uns gemeinsam einen kurzen Blick auf diese Erfolgsgeschichte werfen: 5,2 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Auch ohne die erwerbsfähigen Empfänger des Arbeitslosengeldes II bedeutet das die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Auch saisonbereinigt stieg die Arbeitslosigkeit im März weiter an, und zwar um weitere 92 000 Arbeitslose. Eine schöne Erfolgsgeschichte, die Sie uns präsentieren!
Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ging um 156 000 zurück. Tag für Tag gehen rund 1 000 Arbeitsplätze verloren. Eine bemerkenswerte Erfolgsbilanz, die Sie vorzuweisen haben!
Es bleibt dabei, Herr Müntefering – auch wenn Sie noch so viel reden –: Rot-Grün ist die Koalition der Massenarbeitslosigkeit.
Leider ist dies das Ergebnis Ihrer Politik.
Rot-Grün ist aber auch die Schlusslichtkoalition: Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum, bei der Entwicklung unseres Wohlstandes und in allen anderen wesentlichen Punkten. Rot-Grün macht ärmer. Arbeitnehmer in Deutschland haben 2005 im Schnitt fast 1 Prozent weniger in der Tasche als 2004. Eine tolle Erfolgsbilanz, die Sie hier vorlegen! Es ist Zynismus gegenüber den Menschen, wenn Sie Ihre Politik und deren Auswirkungen als Erfolgsbilanz bezeichnen.
Rot-Grün ist aber auch die Koalition der Zukunftskiller. Das vierte Mal in Folge wird Deutschland in diesem Jahr den Stabilitätspakt der Europäischen Union verletzen und mehr Schulden aufnehmen als erlaubt.
Wir dürfen heute nicht aufessen, wovon unsere Kinder und Kindeskinder morgen und übermorgen auch noch leben wollen. – Das ist ein Originalzitat von Bundeskanzler Schröder vom Mai 2003.
Es wäre schön, wenn Sie sich auch daran halten würden, nicht das aufzuessen, wovon die Kinder in Zukunft leben wollen.
Die Menschen in unserem Land sehen die rot-grüne Erfolglosigkeit und reagieren darauf. Bei den Landtagswahlen, in den Meinungsumfragen und auch in Nordrhein-Westfalen sieht es für die SPD nicht sehr gut aus. Deswegen wird der SPD-Vorsitzende auf einmal erstaunlich nervös und greift in die Mottenkiste des Klassenkampfes. Dass das reines Wahlkampfmanöver ist, meinen auch die Journalisten, die Ihnen gar nicht so fern stehen.
Wie schlimm muss es um die SPD stehen, wenn ein Vorsitzender ideologische Seelenmassage betreiben muss.
Mit dem Verständnis ist aber dann Schluss, wenn die Staatssekretärin Ute Vogt die Bevölkerung aufruft, die deutsche Wirtschaft zu boykottieren.
Dass die Bundesregierung – vertreten durch eine Staatssekretärin – dazu auffordert, die deutsche Wirtschaft zu boykottieren, hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. So werden Arbeitsplätze vernichtet und die Menschen in diesem Land müssen darunter leiden. Das gilt für diejenigen, die noch Arbeit haben, aber vor allen Dingen für die Arbeitslosen. Das ist eine miserable Politik.
Auch Betriebe, die der SPD gehören, haben Arbeitsplätze abgebaut, Herr Müntefering. Zum Beispiel die „Frankfurter Rundschau“ wird die Arbeitsplätze um ein Drittel reduzieren.
Bestellen Sie nun das Abo Ihrer Lieblingszeitung ab? Befolgen Sie also den Auftrag von Frau Vogt oder nicht? Die absurde Forderung von Frau Vogt zeigt, dass Sie die Geister, die Sie gerufen haben, nicht mehr in den Griff bekommen.
Es drängt sich ohnehin der Verdacht auf, dass man es in der SPD von Anfang an mit den Menschen nicht ernst gemeint hat. Noch zum Jahreswechsel 2002/03 sagte Franz Müntefering:
Dennoch, was wir machen, ist richtig: weniger für den privaten Konsum und dem Staat mehr Geld geben ... Beton ist ein moderner Baustoff, mit dem man viel Schönes machen kann.
Dann kam die Agendarede von Schröder und Müntefering sagte:
Ich bekenne mich dazu, dass wir nach der Bundestagswahl noch manches anders gesehen haben als heute.
Daraufhin stellte ein großes Magazin die Frage:
Herr Müntefering, wann dämmerte Ihnen, dass es so nicht weitergeht?
Herr Müntefering antwortete:
Mein Damaskus ereignete sich im letzten Quartal 2002. Da wurde mir klar: Das haut alles überhaupt nicht hin.
Heute, zwei Jahre später, werden wieder genau die gleichen alten Klassenkampfparolen hervorgeholt. Ich sage Ihnen, Herr Müntefering: Es gibt Leute, die auf dem Weg nach Damaskus vom Saulus zum Paulus geworden sind. Es gibt auch Leute, die auf dem Weg von Damaskus vom Paulus zum Saulus geworden sind. Aber dass jemand beim Hin- und Rückweg an der gleichen Stelle
zweimal Erweckungserlebnisse hat, ist ausgesprochen selten.
Das nährt doch den Verdacht, Herr Müntefering, dass jemand in Wirklichkeit gar nicht in Damaskus gewesen ist und den Menschen von Anfang an nur Geschichten erzählt hat.
So ruiniert man auch den Rest an Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Politik. Das zeigt wieder einmal, dass das, was man über Ihre Politik sagt, richtig ist: versprochen und gebrochen. Das ist leider das Motto, nach dem Sie arbeiten.
Wir von der Union meinen allerdings, dass die Menschen ein Recht auf ernsthafte Vorschläge haben. Wir haben mit dem Pakt für Deutschland einen ernsthaften Vorschlag gemacht. Was Rot-Grün bisher vorgelegt hat, ist aber mehr als unzureichend. Strukturreformen betreffend den Arbeitsmarkt, das Steuersystem und die Sozialversicherungen fehlen. Der rot-grüne Vorschlag, Programme der Bundesagentur für Arbeit auszuweiten, geht eigentlich am Kern der Schwierigkeiten vorbei; denn wir haben – das sehen wir auch bei der Umsetzung von Hartz IV – ein Arbeitsplatzproblem in Deutschland, Herr Müntefering. Für die Lösung dieses Problems muss eine richtige Politik gemacht werden. Wir brauchen wieder mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Mit Ihrer Politik und Ihren Methoden wird dies aber nicht gelingen.
Schauen wir uns einmal ganz konkret an, was auf dem so genannten Jobgipfel vereinbart worden ist! Viele Punkte, die wirklich wichtig sind und die Angela Merkel und Edmund Stoiber vorgetragen haben, sind von Ihnen bisher noch gar nicht akzeptiert worden. Aber selbst das, was Sie nach eigenem Bekunden machen wollen, wozu Sie bereit sind, haben Sie bis zum heutigen Tage noch nicht umgesetzt. 35 Tage sind seit dem Jobgipfel vergangen und Sie haben noch nichts Konkretes auf den Tisch des Hauses gelegt.
– Wenn Sie den von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag als etwas Konkretes bezeichnen, dann ist das eine jämmerliche Aussage; denn er ist überhaupt nichts Konkretes. Wenn das, was Herr Minister Stolpe vorgetragen hat, ein Zukunftsprogramm sein soll, dann kann ich nur sagen: Sie haben wirklich allen Grund, darüber nachzudenken, ob Sie noch auf der Höhe der Probleme sind.
– Meistens ist es so, dass diejenigen, die wirklich nichts zu bieten haben, am lautesten schreien. Das trifft auch auf Sie zu.
Wir haben jedenfalls ganz konkrete Vorschläge gemacht. Der Bundeskanzler hat von diesem Rednerpult aus gesagt: Eine Senkung der Unternehmensteuern wäre und ist ein richtiges Signal. Aber das muss seriös finanziert werden. Der Bundeskanzler hat von „einkommensneutraler Finanzierung“ gesprochen.
Steuersenkungen auf der Basis von Neuverschuldung ist das Unsolideste, was es je gegeben hat.
Herr Müntefering, damit haben Sie einmal einen richtigen Satz gesagt.
Da es unsolide ist, Steuersenkungen durch mehr Schulden zu finanzieren, können wir das, was Herr Eichel zur Finanzierung einer Steuersenkung bisher vorgelegt hat, nicht akzeptieren. Sämtliche Finanzminister sind der Meinung: Da muss nachgelegt werden, weil das sonst nicht funktionieren kann. Sie können mit unserer sofortigen Zustimmung rechnen – das kann alles in wenigen Tagen über die Bühne gehen; Ihre ständigen Aufforderungen in der Öffentlichkeit sind deswegen völlig unangebracht –, wenn der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf eine solide Finanzierung der Steuersenkung enthält. Sie müssen aber zunächst einmal Ihre Hausaufgaben machen und nicht ständig andere ermahnen.
Wir von der Christlich Demokratischen Union und von der CSU sind bereit, den Weg zu gehen, der es ermöglicht, dass wir mehr Arbeit in diesem Land bekommen. Unsere Vorschläge liegen im Pakt für Deutschland auf dem Tisch. Sie haben 35 Tage verstreichen lassen, ohne dass konkret etwas passiert ist. Das, was Sie in Ihrem Antrag heute vorlegen, führt nicht einmal in die richtige Richtung; vielmehr zeigt es: Sie haben kein Konzept. Also: Haben Sie einmal Mut und legen Sie einmal etwas vor! Das, was Herr Stolpe heute vorgetragen hat, ist zu wenig. Von Herrn Eichel haben wir noch keinen einzigen Vorschlag gehört, der es möglich macht, die Agenda 2010 fortzusetzen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Albert Schmidt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauder, was Sie hier abgeliefert haben, ist der Niedergang nicht nur des sozialen Gewissens, sondern auch des christlichen Gewissens in der Union. Wenn es noch eines Beweises dieser Entwicklung bedurft hätte,
dann haben Sie ihn heute erbracht.
Seit dem Abschied von Norbert Blüm, seit der Kaltstellung von Horst Seehofer haben das Soziale und das Christliche in dieser Fraktion offenbar keinen Platz mehr. Wenn Sie meinen, die Kapitalismuskritik hier schelten zu müssen, dann kann ich Ihnen, wenn Sie schon nicht auf uns oder auf den Fraktionsvorsitzenden der SPD hören wollen, nur empfehlen: Schauen Sie sich wenigstens die Umfragen an!
Lesen Sie nach: Einer Blitzumfrage zufolge halten 75 Prozent der Anhänger der CDU und der CSU die hier geäußerte Kapitalismuskritik ausdrücklich für richtig. Das gilt sogar für eine Mehrheit der FDP-Anhänger. Sie wissen überhaupt nicht, wovon Sie reden.
Herr Kollege Kauder, dass Sie die Bibel zitiert haben, macht die Sache nicht besser. Auch ich könnte jetzt aus der Bibel zitieren.
Ich könnte zum Beispiel sagen: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich. Ich will mir das ersparen. Ich will nur sagen: Sie haben mit dem Thema der heutigen Debatte offenbar überhaupt nichts anfangen können. Ich verstehe das auch. Denn das, was wir Ihnen heute vorstellen, sind konkrete Schritte
auf dem Weg zu mehr Beschäftigung; das sind konkrete Schritte auf dem Weg in die Zukunft. Es geht um mehr Investitionen in die Infrastruktur, um Verwaltungsvereinfachungen und um neue Partnerschaften zwischen öffentlicher und privater Hand, um das Land nach vorne zu bringen. Dazu haben Sie keine einzige Silbe gesagt. Das zeigt, dass Sie damit nichts anfangen können. Sie können nur polemisieren und Sie können sich überhaupt nicht auf die Sache beziehen.
Herr Kauder, ich will gar nicht mit Kritik in eine andere Richtung sparen. Ich habe auch nichts gegen Selbstkritik. Ich will hier sogar deutlich sagen: Nach unserer Auffassung war es von Anfang an grundfalsch, sich zum Beispiel an den Investitionen in Verkehrswege zu vergreifen. Die Etikettierung, das seien Subventionen, war irreführend. Das haben nicht wir erfunden.
Ich hätte übrigens nie gedacht, dass ich als Grüner einmal in die Lage komme, die Investitionen in Schiene und Straßennetz gegen leibhaftige Ministerpräsidenten der SPD und der CDU verteidigen zu müssen. Ich habe von diesem Pult aus immer wieder eindringlich davor gewarnt, die Kürzungsvorschläge der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück umzusetzen. Diese Kürzungsvorschläge hatten die Überschrift: Subventionsabbau mit dem Rasenmäher. In Wahrheit ist die Umsetzung dieser Vorschläge in Bezug auf Verkehrsinvestitionen wie die Axt im Walde. Dieses Vorgehen war falsch.
Am 15. Dezember 2003 wurde dieser Kardinalfehler der deutschen Verkehrspolitik dank der Bundesratsmehrheit gegen jeden Sachverstand, gegen unseren Willen im Vermittlungsverfahren durchgesetzt. Das war ein schwarzer Tag.
Wir haben den Koch/Steinbrück-Beschluss
und die Folgen in zwei Haushaltsjahren zähneknirschend vollzogen. Wir haben dabei zugesehen, wie das Rekordniveau an Verkehrsinvestitionen, das wir seit der Regierungsübernahme im Jahr 1998 aufgebaut haben, Schritt für Schritt, von Jahr zu Jahr dahinschmolz wie Schnee in der Sonne.
Gerade deshalb ist es gut, heute sagen zu können: Seit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 17. März dieses Jahres
ist klar: Dieser Irrweg wird nicht länger beschritten;
im Gegenteil: Die Fehler aus dem unsäglichen Koch/Steinbrück-Papier werden korrigiert, die Verkehrsinvestitionen werden wieder annähernd auf das Rekordniveau der Jahre 2002 und 2003 aufgestockt. Und das ist gut so.
Mit den zusätzlichen 2 Milliarden Euro, die die Bundesregierung über vier Jahre verteilt für die Verstärkung der Verkehrsinvestitionen zur Verfügung stellt, werden nicht nur die Kürzungen nach dem Koch/Steinbrück-Papier und den Folgebeschlüssen des Vermittlungsausschusses faktisch korrigiert und rückgängig gemacht. Mittelfristig werden darüber hinaus berechenbare und solide Grundlagen für die weitere Modernisierung unseres Verkehrswegenetzes geschaffen. Das ist wichtig, nicht nur für ein integriertes Verkehrssystem, sondern auch für die Bau- und Verkehrswirtschaft, die sich auf eine mittelfristig bessere Investitionslinie einstellen kann.
Dies wird nicht nur 60 000 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft bringen; in der gesamten Verkehrswirtschaft, ob im Fahrzeugbau für die Schiene oder im Fahrzeugbau für die Straße, wird es einen Push geben. Wenn Sie aufmerksam verfolgt hätten, was die Industrie gestern dazu gesagt hat, dann hätten Sie heute diese Rede gar nicht halten können, Herr Kauder. Dann hätten Sie mit Respekt sagen müssen: Jawohl, das ist der Schritt, auf den wir alle gewartet haben.
Dass wir dabei nicht einseitig und einäugig vorgehen, zeigt übrigens die Verteilung der Zusatzmittel, wie sie von Bundesminister Manfred Stolpe vorgestellt wurde: Der größere Teil geht in die umweltfreundlichen Systeme Schiene und Wasserwege – plus 750 Millionen Euro für die Schiene und plus 350 Millionen Euro für die Wasserwege – und der kleinere Teil – plus 900 Millionen Euro – geht in den Bereich Straße.
Dabei werden die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Natürlich werden vorrangig Ersatzinvestitionen zur Erneuerung bestehender Verkehrswege, also im Bestandsnetz, finanziert. Das ist deshalb notwendig, weil dort – das ist klar – die kürzesten Planungsvorläufe sind, weil man dort das zusätzliche Geld sehr schnell arbeitsplatzwirksam umsetzen kann und weil dort auch dringender Handlungsbedarf besteht. Ich nenne nur die Erneuerung von Fahrbahndecken und entsprechende Erneuerungen in den Bereichen Wasserstraße und Schiene.
Darüber hinaus werden einige ausgewählte Neu- und Ausbauprojekte auf der Schiene wie auf der Straße verstärkt, neu anfinanziert und damit in der Realisierung beschleunigt. Aus grüner Sicht ist hier von ganz besonderer Bedeutung die Beschleunigung im Bau der viergleisigen Rheintalschiene als Zulauf auf die neuen Alpentunnel Gotthard und Lötschberg in der Schweiz, die beide bis 2015 fertig werden und für den alpenquerenden Verkehr ein neues Zeitalter eröffnen werden. Das ist unsere Pflicht entsprechend dem Staatsvertrag mit der Schweiz. Das ist ein Zukunftsprojekt für ganz Europa.
Der viergleisige Ausbau auf der Strecke Nürnberg–Fürth im Rahmen des VDE 8 für einen zukunftsfähigen S-Bahn-Verkehr im Großraum Nürnberg ist ein weiteres Projekt, das damit angeschoben werden kann. Ich nenne die längst überfällige Elektrifizierung der Strecke Hamburg–Lübeck. Der Start der ersten Maßnahmen für einen modernen, hochleistungsfähigen und schnellen Nahverkehr im größten Ballungsraum der Republik, nämlich im Rhein-Ruhr-Gebiet, unter der Überschrift „Rhein-Ruhr-Express“ ist ein weiteres Projekt, das wir damit beschleunigt auf den Weg bringen.
Dies alles sind richtige Akzente und notwendige Projekte. Wir sind stolz darauf, dass wir Ihnen heute sagen können: Wir haben auch das zusätzliche Geld dafür beschafft.
Lassen Sie mich allerdings auch ein kritisches Wort zum Mittelabfluss bei der Deutschen Bahn AG sagen, vielleicht deutlicher, als manch anderer das sagen kann. Dass im ersten Jahr, in dem diese Zusatzmittel zur Verfügung stehen, der Löwenanteil in Straßenmaßnahmen geht, ist nicht politischer Willkür geschuldet und auch keine Strafaktion gegen die Schiene oder dergleichen, sondern hängt mit der momentanen Investitionsunfähigkeit oder -unwilligkeit des DB-Vorstandes zusammen. Es ist der Wunsch der DB, den Hauptanteil der zusätzlichen Schienenbaumittel nicht jetzt, sondern erst in den Jahren 2006 und folgende zu bekommen. Das wird mit weiterem Planungsvorlauf begründet. Dabei ist längst klar, dass es zusätzliches Geld für die Schiene geben wird: 1 Milliarde Euro zusätzlich aus dem Kabinettsbeschluss vom Juli letzten Jahres, 266 Millionen Euro zusätzlich erneut aus den Mitteln, die von der DB im letzten Jahr nicht abgerufen wurden, 750 Millionen Euro aus dem Programm, das wir heute vorstellen. Dies alles kommt nicht überraschend. Von daher verstehe ich nicht, weshalb die DB sagt, sie sei planerisch darauf nicht vorbereitet.
Es gibt eine Reihe anderer Projekte, die längst laufen, die man finanziell verstärken könnte.
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege Schmidt, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident.
Damit drängt sich uns der Eindruck auf, dass für die Investitionszurückhaltung ad hoc ein ganz anderes Motiv ausschlaggebend sein könnte, nämlich der Wunsch der DB, die Kofinanzierungsmittel aus der Unternehmenskasse einzusparen, um die Bilanz möglichst rasch börsenfähig zu trimmen. Wenn dies das Ergebnis der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG sein sollte, wäre das pervers. Dann käme nämlich am Ende nicht mehr, sondern weniger Geld ins Schienennetz.
Von daher kann ich nur sagen: Jetzt ist das Geld da, jetzt muss gebaut werden. Das gilt für alle, auch für die Deutsche Bahn AG.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.
Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Herr Schmidt hier von Sozialpolitik spricht und dies in Deutschland anmahnt,
muss ich ihm deutlich machen: 5,2 Millionen Arbeitslose ist das Unsozialste, was es in diesem Land gibt. Dafür sind Sie verantwortlich.
Sozial ist – im Gegensatz zu Ihrer Politik –, was Arbeit schafft. Was aber schafft Arbeit? Arbeit schafft das, was für ein günstiges Investitionsklima und für günstige Standortfaktoren sorgt.
Beim Investitionsklima geht es darum, das Vertrauen der Menschen in einen klaren Kurs einer modernen Wirtschaftspolitik zu gewinnen.
Was haben Sie gemacht? Sie sind mit Lafontaine gestartet und haben dann das Schröder/Blair-Papier vorgelegt. Statt dieses Konzept wie Herr Blair umzusetzen, haben Sie sich für die ruhige Hand entschieden. Als das Kind längst in den Brunnen gefallen war, kamen Sie mit der Agenda 2010. Sie reichte nicht. Jetzt sind Sie mit dem Notfallkoffer unterwegs. Um davon abzulenken, kommt Herr Müntefering nun mit seiner Kapitalismuskampagne und läuft erneut Lafontaine hinterher.
Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie im so genannten Schröder/Blair-Papier formuliert haben.
Ich zitiere, was in dem Papier steht, Herr Müntefering:
Modernisierung der Politik bedeutet nicht, auf Meinungsumfragen zu reagieren, sondern es bedeutet, sich an objektiv veränderte Bedingungen anzupassen.
Ihre Politik hat sich in den letzten Jahren aber immer an kurzfristigen Elementen, an Meinungsumfragen orientiert. Ihre Politik „Einen Schritt vor und einen Schritt zurück“ und das Land waren immer in Bewegung, haben sich aber nicht von der Stelle bewegt.
Das ist das Problem, das wir hier vorfinden.
Hinsichtlich der Standortfaktoren sind die Probleme ganz klar, auch die Stellhebel sind hinlänglich bekannt. Sie liegen bei den Lohnnebenkosten, bei den Bürokratielasten, bei den Steuern und bei der Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur. Das Steuer können Sie nur herumreißen, wenn Sie sich an zwei ganz klaren Grundregeln orientieren. Die erste Grundregel muss lauten: Vorfahrt für Arbeit.
Das heißt, Sie müssen in dieser Situation alles tun, was Arbeit schafft,
und Sie müssen endlich alles unterlassen, was Arbeit in diesem Land vernichtet. Das ist die entscheidende Regel, die jetzt gelten müsste.
Was aber tun Sie?
Sie verabschieden ein Gesetz zur Grünen Gentechnik, das vom Betriebsratsvorsitzenden der Bayer AG in Nordrhein-Westfalen, der von Ihrer Partei gestellt wird, wie folgt bewertet wird:
Was Verbraucherministerin Renate Künast mit der Gentechnik macht ..., ist
– mit Verlaub, Herr Präsident, ich zitiere nur –
eine Sauerei... Alte Arbeitsplätze werden vernichtet und neue andernorts geschaffen.
Das sagt Ihr Betriebsratsvorsitzender zu Ihrer Politik, meine Damen und Herren.
Ein zweites Beispiel, das zeigt, dass Sie gegen die Regel „Vorfahrt für Arbeit“ verstoßen, ist das Antidiskriminierungsgesetz. Sie wissen ganz genau, dass die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfes mehr Bürokratie bringt und unserem Investitionsstandort schadet. Statt ihn zurückzuziehen und ihn auf dem Niveau, das die EU vorgibt, wieder vorzulegen, verweisen sie ihn in die Ausschüsse. Sie wollen Ihren Entwurf über die Wahl retten, um dann wieder draufzusatteln. Das in Wahrheit Ihre Politik.
Die zweite Grundregel, um das Steuer herumreißen zu können, lautet, dass kein zentrales Reformfeld aus ideologischen Gründen von der Modernisierung ausgenommen werden darf. Auch hier heißt es im Schröder/Blair-Papier sehr treffend:
Die Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkte müssen allesamt flexibel sein: Wir dürfen nicht Rigidität in einem Teil des Wirtschaftssystems mit Offenheit und Dynamik in einem anderen verbinden.
Genau hieran scheitert Ihre Politik. Sowohl bei der Agenda 2010 als auch bei dem so genannten Jobgipfel haben Sie die zentralen Stellhebel zur Verbesserung unserer Wirtschaftspolitik in den Bereichen Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik, Kündigungsschutzregelungen und Mitbestimmung mit der Begründung ausgeblendet, das sei sozialdemokratisches Inventar. Indem Sie aber hier die Stellhebel nicht richtig bedienen, kommt der Aufschwung in diesem Land insgesamt nicht zustande.
Sie verletzen die Grundregeln für eine erfolgreiche Erneuerung des Landes. Auch deshalb sind Sie für das Scheitern Ihrer Reformen verantwortlich. Diese Verantwortung können Sie nicht auf andere abschieben, auch nicht mit noch so abwegigen Verschwörungstheorien, wie sie jetzt von Ihnen propagiert werden. Dies zeigt ein ganz einfacher Vergleich: Tony Blair hat die Punkte des Schröder/Blair-Papiers von 1999 Schritt für Schritt umgesetzt. Sie haben sich vom Schröder/Blair-Papier seit 1999 Schritt für Schritt abgesetzt.
Konsequenz dieser Politik ist: In Großbritannien ist die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken, bei uns ist die Arbeitslosigkeit deutlich angestiegen. Fazit nach sechs Jahren verfehlter Politik: Bei uns liegt die Arbeitslosigkeit mittlerweile doppelt so hoch wie in Großbritannien. Das zeigt, wie sich Ihre verfehlte Politik auf die Menschen auswirkt.
Wir von der FDP-Fraktion haben deshalb das Schröder/Blair-Papier heute als Antrag erneut in den Bundestag eingebracht, nicht, weil wir mit jeder Formulierung einverstanden sind,
aber weil wir glauben, dass dies der richtige Kompass für Deutschland ist. Sie haben hier Gelegenheit, Farbe zu bekennen:
Durchsetzung des Prinzips „Vorfahrt für Arbeit“, Herr Müntefering, so wie es dieses Schröder/Blair-Papier seinerzeit vorgegeben hat, wie es durch unzählige Antragsinitiativen der FDP-Fraktion Ihnen in den letzten Jahren zur Abstimmung vorgelegt worden ist
und wie es auch vom Bundespräsidenten in seiner großen Rede erneut angemahnt worden ist, oder Fortsetzung des Schlingerkurses, wie Sie ihn seit Jahren fahren. Oder müssen wir uns nach den Verlautbarungen von Ihnen, Herr Müntefering, noch auf ganz andere Initiativen einstellen? Wollen Sie etwa Hartz IV zurückziehen, wie es Lafontaine will? Wollen Sie, wie Regierungsmitglieder vorschlagen, die Bürger dazu aufrufen, gewisse Unternehmen in Deutschland zu boykottieren?
Sorgen Sie endlich für Klarheit in diesem Land, um nicht noch mehr Investoren abzuschrecken und um nicht noch mehr Arbeitsplätze zu vernichten! Sie betreiben eine unsoziale Politik. Kehren Sie endlich im Interesse der Menschen in unserem Land um!
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
Klaus Brandner (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um es ganz deutlich und klar zu sagen: Wir, die Sozialdemokraten in diesem Lande, setzen den Reformprozess konsequent fort. Der Kanzler hat am 17. März die Richtung mit einem 20-Punkte-Programm vorgegeben: Aufbruch und Perspektive insbesondere für die Jugend war der Debattenschwerpunkt der letzten Woche; wir wollen der Jugend eine Chance geben. Heute reden wir über Wachstums-, Innovations- und Investitionsimpulse insbesondere im Bereich der öffentlichen Hände. In der nächsten Sitzungswoche werden wir die Steuerdebatte führen.
Klar ist, dass wir diesen Reformkurs konsequent fortsetzen werden, weil er zu Wachstum und Beschäftigung in diesem Lande führt. Dazu gibt es keine Alternative.
Was macht die CDU/CSU? Sie beklagt, dass die SPD auf die Verantwortung der Unternehmen hinweist. Für die CDU/CSU scheint die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmern und Managern noch nicht einmal eine Frage zu sein.
Der SPD jedenfalls erscheint ein verantwortliches Miteinander aller Beteiligten notwendig
und nicht nur der ständige Ruf nach Kostensenkungen durch den Abbau sozialer Rechte und Sicherungen; denn wer nur abbaut, kann nichts aufbauen.
Es ist bereits zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die CDU/CSU früher zumindest einen Norbert Blüm hatte, der gelegentlich auf die ethische Verantwortung der Unternehmen hingewiesen hat.
Seine Position scheint in Ihrer Fraktion aber schon seit längerem vakant zu sein.
Nun zu Ihrem Antrag. Was bringt er eigentlich Neues? Er beinhaltet viele Forderungen, über die wir hier schon mehrfach diskutiert haben. Ihnen ging es dabei immer nur um den Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Sie wollen die Schwächung der Tarifautonomie und der Arbeitnehmermitbestimmung sowie den Abbau des Kündigungsschutzes – die gleiche Leier tagein, tagaus. Aber Ihre Vorschläge, die Herr Kauder heute wiederholt hat, werden auch durch Wiederholung nicht richtiger und nicht besser. Im Kern bin ich Ihnen allerdings dafür dankbar, dass Sie die Unterschiede zwischen Ihnen und uns vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen noch einmal deutlich gemacht haben.
Sie fordern zum Beispiel eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozent. Das würde zu Einnahmeausfällen in Höhe von 11 Millionen Euro führen.
– Ja, Milliarden. – Zugleich sagen Sie, dass dadurch 150 000 neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen würden. Sie wissen doch, dass unser Land insbesondere unter der hohen Jugendarbeitslosigkeit leidet. 70 Prozent der langzeitarbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren besitzen keinen Berufsabschluss; ein Drittel von ihnen hat keinen Schulabschluss. In die Förderung dieser Jugendlichen zu investieren, um einen Prozess zu organisieren, der dazu beiträgt, dass sie überhaupt eine Chance haben, genau das wollen Sie nicht. Man muss es Ihnen ganz klar vorwerfen: Sie nehmen ihnen ihre Chancen und wollen sie im Dunkeln lassen; das zeigt sich an Ihrem Auftreten.
Die SPD will den Erhalt der Arbeitnehmerrechte und der Mitbestimmung. Dies gehört nach unserer Überzeugung zu den unverzichtbaren Bausteinen der sozialen Marktwirtschaft und der Beteiligung der Arbeitnehmer. Darauf wollen Sie völlig verzichten. Sie wollen zum Beispiel den Kündigungsschutz abbauen. Ihren Vorschlägen zufolge sollen 90 Prozent der in Betrieben beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Kündigungsschutz überhaupt nicht mehr profitieren können. Dadurch schaffen Sie Verunsicherung. Die Menschen in diesem Land müssen allerdings wissen: Dieser Forderung werden wir nicht das Wort reden.
Zum Thema Weiterbildungschancen will ich Ihnen sagen: Ich finde es heuchlerisch, dass Sie, wenn Sie die Kolping-Bildungswerke und die Bildungswerke des Handwerks – insbesondere in NRW – besuchen, dort sagen, welch tolle Arbeit sie leisten, ihnen aber die Finanzierungsgrundlage entziehen wollen, indem Sie hier im Bundestag sagen, diese Mittel seien überflüssig. Das ist scheinheilig. Das muss Ihnen so deutlich vorgeworfen werden.
Die Menschen in diesem Land wollen – das ist meine tiefe Überzeugung – keinen Kapitalismus pur mit zweistelligen Profitraten. Sie wollen Teilhabe; denn sie sind mehr als nur ein Kostenfaktor. Wir werden auch hier weiterhin die Weichen in diesem Land in die richtige Richtung stellen.
Die Menschen wollen aber auch Sicherheit und Motivation. Kluge Unternehmer, die gemeinsam mit den Arbeitnehmern für die Zukunft ihres Unternehmens eintreten und sie gemeinsam gestalten wollen, begrüßen daher ausdrücklich die Mitbestimmungsrechte in Deutschland.
In Ihrem Antrag haben Sie Ihre altbekannten Forderungen noch einmal verdeutlicht. Ich habe nur auf wenige Aspekte hingewiesen, könnte aber einen langen Vortrag darüber halten, was Sie und was wir wollen, um deutlich zu machen, wohin die Reise in diesem Land ginge, wenn Sie die Mehrheit stellen würden, zu der Sie allerdings Gott sei Dank nicht so schnell kommen werden.
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn Sie das 20-Punkte-Programm, das der Bundeskanzler vorgeschlagen hat und dessen Inhalt Sie inzwischen in wesentlichen Teilen als Ihre Forderungen darstellen, nicht wie Erstklässler abschreiben und sagen würden, Ihre Forderungen seien besser, sondern wenn Sie in diesen Prozess offensiv einstiegen. Dabei denke ich an das GmbH-Gesetz, die Absenkung des Mindeststammkapitals für GmbHs, die Einführung eines elektronischen Handelsregisters, die Beschränkung des Vorbeschäftigungsverbots bei befristeten Arbeitsverhältnissen und insbesondere daran, wie die Investitionskraft in unserem Land durch öffentlich-private Partnerschaften gestärkt werden kann.
Wir sind angetreten, insbesondere die Investitionskraft der öffentlichen Hände zu stärken; das Thema greifen wir seit Jahren auf. Wir haben von dieser Stelle sehr häufig deutlich gemacht, welche Bedeutung die öffentlichen Investitionen für die Beschäftigung in diesem Land haben. Bei den Gewerbesteuereinnahmen haben wir in den vergangenen Jahren eine deutliche Verbesserung erfahren: Gegenüber den Rekordjahren 1999/2000 haben wir jetzt bei der Gewerbesteuer eine Größenordnung von über 20 Milliarden Euro erzielt; das sind 4 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Das ist der erste Punkt, der deutlich macht, wohin die Reise gehen muss. Mit den Arbeitsmarktgesetzen haben wir eine Entlastung von 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen erreicht und mit dem Ganztagsschulprogramm sind vom Bund weitere 4 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung gestellt worden.
Jetzt geht es darum, deutlich zu machen, dass mit öffentlich-privaten Partnerschaften, auf die mein Kollege Bürsch noch näher eingehen wird, eine gute Möglichkeit besteht, die Stärkung der öffentlichen Investitionstätigkeit zu forcieren.
Sie selbst schreiben in Ihrem Antrag, von Public Private Partnership dürfe nicht länger nur geredet werden, sondern es müssten konkrete Lösungen für die bestehenden Hemmnisse gefunden und umgesetzt werden.
Minister Stolpe hat schon deutlich gemacht, dass wir ein ÖPP-Beschleunigungsgesetz erarbeiten. Sie sind herzlich eingeladen, diesen Prozess aktiv zu unterstützen und nicht, wie bisher, solche Prozesse im Bundesrat zu blockieren. Sie sind eingeladen, die Länder aufzurufen, mitzuhelfen, die Stärkung der öffentlichen Investitionskraft noch schneller, als das bisher möglich ist, Wirklichkeit werden zu lassen. Dann haben Sie viel und Gutes für unser Land getan.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
Dietrich Austermann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Debatte der letzten Minuten verfolgt hat, wird erinnert an das, was Jahr für Jahr von den gleichen Rednern angekündigt, aber nicht vollzogen worden ist.
Herr Kollege Brandner, Sie haben von sozialer Gerechtigkeit geredet. Ich war in letzter Zeit gezwungen, 700 Stunden lang über eine Koalitionsvereinbarung zu verhandeln, um möglichst viel von dem herauszuwerfen, was die Grünen an Schaden anzurichten versucht haben.
Ich habe mir dabei einmal die Überschrift der Koalitionsvereinbarung dieser Bundesregierung angeschaut. Sie lautete: „Erneuerung, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit“. Schauen wir uns die Situation im Land an: Was wurde so erneuert, dass wir es als Fortschritt betrachten können? Wo ist die soziale Gerechtigkeit geblieben und wo ist die Nachhaltigkeit?
Herr Brandner, Sie haben das Thema Jugend angesprochen. Wir erinnern uns, dass mit großem Pomp ein Programm zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit angekündigt wurde: das JUMP-Programm; es gab immer wieder unterschiedliche Vokabeln für das gleiche Thema. Inzwischen ist dieses Programm zum Spartopf der Bundesagentur für Arbeit geworden; man hat es sang- und klanglos eingestellt. Es gab andere Programme, mit denen man angekündigt hat, jetzt gehe es aber los: Das Programm „Kapital für Arbeit“ ist ebenfalls sang- und klanglos eingestellt worden. Sie sind gut im Setzen von Überschriften, aber Sie sind nicht gut in der Realität; denn das, was Sie als Überschrift ansetzen, ist meistens untauglich, eine vernünftige Entwicklung in Gang zu bringen. Das ist aber der entscheidende Punkt für unser Land.
Gewissermaßen symbolisch für die Situation in unserem Land ist, was der Bundesverkehrsminister sagt. Er ist der vierte Minister seit 1998, der für Verkehr und Innovation zuständig ist. Das heißt, im Schnitt war jeder anderthalb Jahre an der Regierung – einer war übrigens auch Herr Müntefering; die anderen Namen haben wir inzwischen vergessen –, anderthalb Jahre für langfristige, zukunftsweisende Projekte in Deutschland. Herr Stolpe sagt: Jetzt können wir endlich Brücken sanieren. Was passiert denn, wenn wir es nicht tun? Fallen sie uns dann auf den Kopf? Ist es ein Fortschritt, dass wir das, was wir haben, die Substanz, erhalten können? Oder liegt der Fortschritt nicht eher darin, eine Entwicklung zu betreiben, um Deutschland mit Innovationen voranzubringen?
Schauen wir uns einmal die finanzielle Situation Deutschlands an. Nehmen Sie die Ausgaben für Investitionen im Bundeshaushalt: Im letzten Jahr haben wir die niedrigsten Volumina gehabt. Beim Verkehrsetat das Gleiche: Es war einmal angekündigt, durch die Maut 3 Milliarden Euro für das Anti-Stau-Programm und für Verkehrsinvestitionen zusätzlich zur Verfügung zu haben.
Aber auch mit den 500 Millionen Euro, die jetzt hinzukommen sollen – und die bisher nicht finanziert sind –, werden wir in diesem Jahr weniger Mittel für die Verkehrsinfrastruktur haben als im letzten Jahr.
– Das ist die Wahrheit; genau das ist die Situation.
Sie hingegen erzählen den Menschen, es gebe einen gewaltigen Aufschwung und eine gewaltige Bewegung nach vorne.
Das ist aber der entscheidende Punkt. Die Menschen merken, dass sie von Ihnen immer wieder hinter die Fichte geführt und mit schönen Vokabeln, die sich in der Realität nachher als ein Irrweg entpuppen, irritiert werden.
Sie werden das nicht glauben. Deswegen werden sie nicht investieren und nicht konsumieren. Die eigentliche Ursache für den Vertrauensverlust gegenüber der derzeitigen Regierung ist, dass sie zwar Programme verkündet, auch teilweise richtige Programme, sie aber nicht umsetzt, sondern immer wieder nur neue Vokabeln bringt.
Herr Schmidt, Sie haben eine Mehdorn-Phobie und glauben, Sie müssten den Bundesbahnvorstand in jeder Debatte anmachen. Ich frage mich, warum der Bundeskanzler dann den Vertrag von Herrn Mehdorn vorzeitig verlängert hat. Das war mindestens ein Jahr, bevor die Entscheidung anstand. Ich frage mich auch, was Sie eigentlich dafür tun, dass die Bahn die Mittel für ihre Investitionen rechzeitig zur Verfügung hat. Verkehrsvereinbarungen werden durch den Finanzminister verzögert; so wurde im Dezember die Vereinbarung für die Investitionen des abgelaufenen Jahres unterschrieben. Dann wundert man sich noch, dass es zu keiner Verstetigung der Mittel kommt und dass das Geld nicht rechtzeitig ausgegeben wird!
– Doch, genau so ist das.
Seit 1988 heißt es ständig, mit Otto Reutter gesprochen: Jetzt fangen wir gleich an. – Man hat aber festgestellt, dass es eigentlich immer weiter zurückging. Die entscheidenden Reformen wurden nicht umgesetzt.
– Natürlich wird in Deutschland gebaut. Natürlich werden 8 Milliarden Euro umgesetzt. Aber im letzten Jahr wurden 9 Milliarden Euro umgesetzt. Sehen Sie sich doch die Summen an!
Als wir noch an der Regierung waren, wurden 12 Milliarden für Verkehrsinvestitionen umgesetzt. Das ist der entscheidende Unterschied.
Das, was die Bahn bekommt, reicht dafür aus, die Substanz zu erhalten. Es reicht aber nicht dafür, zusätzliche Projekte durchzuführen, auch wenn Sie heute das eine oder andere Projekt, das seit langer, langer Zeit auf dem Programm steht, als neu verkaufen.
Ich bin gestern mit einem Taxi gefahren, dessen Fahrer nicht so aussah, als ob er die Union wählen würde. Als ich ihm gesagt habe, wohin ich wollte, sagte er nur ganz kurz: Beim Dicken ging es uns besser als beim Kleinen.
Ich glaube, jeder kann sich vorstellen, was damit gemeint war.
Wenn Sie sich die Situation anschauen, dann erkennen Sie, dass es in Deutschland bis 1998 besser lief. Schauen Sie sich nur das wirtschaftliche Wachstum an!
Sie haben doch den Fehler gemacht, die Reformen und all das, was Mitte der 90er-Jahre auf den Weg gebracht wurde, zum 1. Januar 1999 mit einem Federstrich auszuradieren.
Sie haben dann eine Steuerreform gemacht, die dazu geführt hat, dass in den letzten Jahren 60 Milliarden Euro weniger an Körperschaftsteuer in die öffentlichen Haushalte geflossen sind. Durch Ihre Steuerreform wurde den Menschen das, was ihnen dadurch in die eine Tasche getröpfelt wurde, auf der anderen Seite mit großen Griffen, mit einem richtigen sozialistischen Zugriff, wieder aus der Tasche gezogen. Das bedeutet doch, dass unter dem Strich nicht mehr Geld da war.
Als wir 1982 eine vergleichbare Situation hatten,
haben wir mit einer angebotsorientierten Wirtschafts-, Wachstums- und Steuerpolitik die richtigen Entscheidungen getroffen. Das Ergebnis war, dass die Beiträge gesunken sind, dass die Steuereinnahmen gesprudelt haben und dass wir auch bei der Beschäftigung einen deutlichen Zuwachs hatten. Wir müssen zurück zu einer angebotsorientierten Wirtschafts- und Wachstumspolitik.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Schelte der Unternehmen. Man muss sich schon einigermaßen wundern: Ihre Regierung ist seit sechseinhalb Jahren dran. Der Kanzler umgibt sich gerne mit den Leuten, die heute in den Vorständen an der Stelle sitzen, die er kritisiert.
Die Rogowskis – und wie sie sonst alle heißen – waren immer gern gesehene Gesprächspartner, Schrempp war natürlich ganz besonders gern gesehen. Sie alle werden heute kritisiert. Hat man nicht jahrelang eine Politik gerade zugunsten bestimmter Unternehmen gemacht?
Jetzt wird geschimpft, es werden Schützengräben ausgehoben und ein kalter Krieg bricht aus, und das nur, um für die Wahl in Nordrhein-Westfalen ein paar Leute hinter den roten und grünen Fahnen zu versammeln. Das ist nicht in Ordnung. Sie werfen damit praktisch der gesamten Wirtschaft – 80 Prozent davon sind Mittelständler – ein unsoziales Verhalten vor.
Das haben die vielen Millionen Mittelständler und auch die Arbeitnehmer nicht verdient.
Bei manch einem muss man sich fragen: Wie sieht das denn mit dem Recht auf Mitbestimmung aus, das Sie in den großen Unternehmen ausgeweitet haben? Haben die Arbeitnehmer, die an den Entscheidungen in den Unternehmen, die Sie jetzt so massiv kritisieren, beteiligt waren, immer alle geschlafen? Sie sollten sich wirklich überlegen, an welcher Stelle Sie Ihre Kritik ansetzen. Es geht hier nicht darum, Überschriften zu setzen. Es geht darum, dass wir eine wirklich wirtschafts- und wachstumsfreundliche Politik brauchen, wie wir das ab 1982 gemacht haben. Erfolgsrezepte sollte man wiederholen.
Die Bundesbank hat Ihnen das ins Stammbuch geschrieben. Die Sachkapitalbildung hierzulande hat im Vergleich zu Auslandsinvestitionen offensichtlich erheblich an Attraktivität verloren. In den letzten Jahren ist es in Deutschland zu einem Einbruch der Investitionstätigkeit auf breiter Front gekommen. Das, was Sie in Ihrem Programm ankündigen, ist ungeeignet, weil es wieder den gesamten Bereich von Arbeitsmarkt und Sozialsystemen ausblendet. Rot-Grün fehlt offensichtlich ein ordnungspolitisch sauberes Konzept.
Liebe Kollegen, nach 23 Jahren im Bundestag und der Erfahrung mit fünf von mir geschätzten Fraktionsvorsitzenden – Kohl, Dregger, Schäuble, Merz und Merkel – habe ich Anlass, für erlebte Kollegialität und gute Entscheidungen für unser Land insbesondere beim Thema Wiedervereinigung zu danken, an denen ich mitwirken durfte. Ich hoffe, dass die Verletzungen, die ich dem einen oder anderen zugefügt habe, nicht größer waren als die, die mir zuvor zugefügt wurden.
Ich wünsche dem 15. Bundestag die Kraft – wir können nicht bis zur nächsten Bundestagswahl warten – umzusteuern. Unser Land und unsere Bürger haben es nicht verdient, dass wir Schlusslicht in Europa sind. Unser Pakt für Deutschland zeigt, dass man mehr tun kann. Es ist richtig, dass wir alle miteinander – jeder an seinem Platz, ich demnächst an einem anderen – unsere ganze Kraft dafür aufwenden, besser zu werden. Unser Land hat es verdient.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Austermann, ich wünsche Ihnen für Ihre neue Aufgabe alles Gute.
Nun erteile ich das Wort Kollegen Reinhard Loske, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Austermann, viel Spaß in Kiel und schöne Grüße an Peter Harry Carstensen.
Bevor ich zu meinem eigenen Vortrag komme, möchte ich im Zusammenhang mit der Kapitalismuskritik auf zwei Vorredner eingehen, zunächst auf Herrn Kauder, von dem ich nicht weiß, ob er noch anwesend ist. Ich glaube, Sie sollten wirklich nicht unterschätzen, wie weit das Gefühl in den Mittelstand hineinreicht, dass im Grunde genommen die soziale Verantwortung und die Verantwortung für die Unternehmen sehr stark vernachlässigt wird.
An Ihre eigene Adresse möchte ich sagen: Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft von Eucken, Röpke und Müller-Armack, den Vätern dieser Idee, auf der später Ludwig Erhard sein Konzept der sozialen Marktwirtschaft aufgebaut hat, war doch auch einmal Ihr Konzept. Wenn Sie heute von „neuer sozialer Marktwirtschaft“ reden, dann hat man immer das Gefühl, Sie wollten einen Nachtwächterstaat ohne jede Einflussmöglichkeit schaffen. Damit ist nicht die ursprüngliche soziale Marktwirtschaft gemeint. Daran sollte man Sie einmal erinnern.
Man sollte Sie vielleicht auch daran erinnern, dass es einmal Zeiten gab, in denen beispielsweise Klaus Töpfer, Herr Schäuble, der leider nicht mehr anwesend ist, oder auch der Kollege Repnik über die sozial-ökologische Marktwirtschaft geredet haben. Diese konstitutionellen Ansätze sind bei Ihnen völlig untergegangen. Sie propagieren den schwachen Staat, der sich aus der Verantwortung zurückziehen soll. Aber das geht nicht und das wollen wir auch nicht. Das ist der große Unterschied zwischen uns. Das wird auch im Wahlkampf klar werden.
Zum Kollegen Pinkwart möchte ich Folgendes sagen: Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie ein Papier aus dem letzten Jahrhundert zur Abstimmung stellen.
Besser wäre es, Sie machten sich ein paar eigene Gedanken, zu denen wir uns dann äußern könnten. Ich muss sagen: Hier sehe ich bei Ihnen gewisse konzeptionelle Defizite.
Jetzt zum Thema. Wir debattieren heute über das Thema öffentliche und private Investitionen. In unseren Infrastrukturen besteht in der Tat ein enormer Investitionsbedarf:
im Bereich der Energie, vor allem bei der Elektrizitätswirtschaft; im Bereich der Wasserwirtschaft, wo vor allen Dingen die Renovierung der Netze und die Sicherung der Qualität im Vordergrund stehen; im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen, wo es vor allem um die Bestandserhaltung und die Qualitätssicherung und nicht so sehr um Neubau geht; im Bereich der Abfallwirtschaft, wo wir vor großen Umbrüchen stehen, weil sich dieser Bereich weg von der reinen Entsorgungswirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft entwickeln muss.
Sie sagen: „Die Infrastruktur ist das Rückgrat der Mobilität.“ Alles richtig. Aber Sie haben doch bisher mit Ihren Parolen wie „Bildung statt Beton“ Stimmung gegen die Bau- und die Investitionspolitik gemacht!
So geht es doch nicht. Sie mussten sich sagen lassen, dass Deutschland inzwischen die zweitniedrigste Investitionsquote der OECD-Länder hat. Das ist doch die Realität. Der Herr Bundesminister Stolpe kann sich in diesem Kabinett nicht durchsetzen. Er sagt vieles Notwendige, aber entscheidend ist, was hinten rauskommt.
Was jetzt auf den ersten Blick als gewaltige Finanzspritze erscheint, entlarvt sich bei genauerem Hinsehen als eine Mogelpackung.
– Wenn Sie es selber noch nicht gemerkt haben, dann schauen Sie sich das einmal an: Mit der Aufteilung der 2 Milliarden Euro auf vier Jahre entsprechen die jährlichen 500 Millionen Euro noch nicht einmal dem Betrag, um den die Verkehrsinvestitionen in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr gekürzt worden sind.
Wir brauchen eine Infrastruktur, die auch der zu erwartenden Verkehrsentwicklung gerecht wird. Wir haben in Deutschland gegenwärtig für rund 4 Milliarden Euro baureife Projekte bei Autobahnen und Bundesstraßen, ohne dass die notwendigen Finanzmittel vorhanden wären. Jederzeit könnte nach einer Ausschreibung der Bagger, der Schieber anfahren und entsprechend arbeiten. Da würden Arbeitsplätze geschaffen, nicht durch Ihre Ankündigungen auf dem Papier!
Deutschlands größter Automobilverband hat errechnet, dass jährlich rund 7 Milliarden Euro benötigt werden, um einen bedarfsgerechten Ausbau und Erhalt der Bundesfernstraßen zu gewährleisten. Die Realität kann der Autofahrer täglich beobachten. – Wenn Sie auf der Regierungsbank bei diesem Thema lachen, dann wissen wir Bescheid.
– Wenn Ihnen das Lachen vergangen ist, ist es auch recht.
Staus sind auf der Tagesordnung. Auf über 2 100 Kilometern des Bundesfernstraßennetzes gibt es inzwischen täglich Engpässe. Die Staus kosten Zeit und Kraft, vergeuden Ressourcen und treiben den Kraftstoffverbrauch in die Höhe. Was im Stau auf Deutschlands Straßen heute ungenutzt in die Luft geblasen wird, entspricht rund 18 Prozent des Gesamtverbrauchs an Kraftstoff. Warum regt sich hier eigentlich niemand mehr auf?
– Außer meiner Fraktion und der FDP natürlich. – Den durch Stau entstehenden volkswirtschaftlichen Schaden kann man mit rund 100 Milliarden Euro beziffern. Auch die Sicherheit leidet unter dem Mangel an Instandhaltungsmaßnahmen. 23 Prozent der Autobahnen und 30 Prozent der Bundesstraßen sind nicht mehr voll gebrauchsfähig. Bei Brücken und Tunneln steigt die Sanierungsbedürftigkeit. Es gibt Arbeit über Arbeit in Deutschland für die ganze Baubranche.
Züge fahren unpünktlich, denn Langsamfahrstellen behindern den Verkehrsfluss und mindern die Leistungsfähigkeit der Bahn im Bereich des Personen- und Güterverkehrs. Große Teile des Schienennetzes sind sanierungsbedürftig.
Das, was Sie heute mit Ihrem Antrag hier vorlegen, ist viel zu wenig. Das ist eine Beruhigungspille, von der Sie glauben, sie wirkt. Aber sie wirkt nicht. Der Bürger durchschaut dieses Spiel. Sie müssen Ihre Politik wieder von Ihren Fachabteilungen machen lassen und nicht von Ihren Pressestellen und von den für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Mitarbeitern.
Drei Punkte:
Erstens. Der Staat muss seiner Verantwortung für die Infrastruktur durch eine auf hohem Niveau bestätigte Finanzierung nachkommen.
Zweitens. Wenn die Haushaltsmittel nicht ausreichen, müssen verstärkt private Partner eingebunden werden. Hier haben Sie den Weg richtig begonnen, sind aber bisher viel zu kurz gesprungen und alles geht viel zu langsam.
Drittens. Wir müssen die innerdeutsche Entwicklung mit der europäischen so verzahnen, dass die Verkehre in Deutschland als Transitland Nummer eins in Europa besser bewältigt werden können. Nach 100 Tagen Maut haben Sie Erfolgslieder gesungen. Die Medien haben es Ihnen abgenommen. Sie haben aber vergessen, auf welch dramatische Weise sich die Verkehre in vielen Regionen von der Autobahn auf die nachgelagerten Straßen verlagert haben.
Dieses Problem gilt es zu lösen. Wir können nicht zulassen, dass die Mautpreller in Deutschland nicht erwischt werden. Der Ehrliche darf in Deutschland nicht der Dumme sein.
Unser politisches Ziel muss es sein, die LKW-Verkehre auf der Autobahn zu halten, denn dieses sind die sichersten Verkehrswege.
Es ist gut, dass wir heute über Mobilität reden. Fast jeder sechste Arbeitsplatz in Deutschland hängt von der Verkehrswirtschaft und der Fahrzeugindustrie ab. Bürger wie Wirtschaft, die für die Nutzung des Verkehrssystems viel Geld zahlen, wollen eine leistungsfähige Infrastruktur. Nehmen Sie von der Regierungskoalition sich doch selbst ernst! Schauen Sie sich an, was Sie im Bundesverkehrswegeplan 2003 selbst festgeschrieben haben! Dort haben Sie nämlich ein jährliches Investitionsvolumen von 10 Milliarden Euro für erforderlich gehalten. Bei Ihrer jährlichen Finanzplanung kommen Sie jedoch nur zu einem durchschnittlichen Mittelansatz von 7,7 Milliarden Euro. Wenn Sie sich einmal das anschauen, was die Regierungskommission unter Ihrem Mitglied, Herrn Pällmann, gesagt hat, dann erkennen Sie, dass Sie bei all dem, was Sie tun, viel zu kurz springen. Auch Ihre Länderverkehrsminister haben Ihnen einen viel größeren Mittelbedarf ins Stammbuch geschrieben.
Sie springen zu kurz und handeln nur, weil der Druck Ihrer Wahlkämpfer immer stärker wird. Hätten Sie die Mauteinnahmen zusätzlich in die Verkehrsinfrastruktur investiert, wie es Ihnen das Autobahnmautgesetz vorgeschrieben hat und was für uns Voraussetzung dafür war, dass wir Ihnen in der Partnerschaft für dieses Mautgesetz die Hand gereicht haben, dann hätten Sie viele Probleme nicht.
Verstärken Sie die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur! Ihr heutiger Plan – verteilt auf vier Jahre, nur Absichtserklärungen, nichts machen zu müssen, nur den Wahltermin im Auge – reicht nicht, um in Deutschland solide Investitionspolitik und Politik insgesamt zu machen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.
Wolfgang Spanier (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bisherigen Reden der Opposition zeichnen sich erstens durch eine beträchtliche, durch eine anerkennenswerte Lautstärke
und zweitens dadurch aus, dass – mit der Ausnahme von Herrn Oswald – zu dem Thema, um das es heute geht, fast nichts gesagt wurde.
Es geht um einen wichtigen Teil des 20-Punkte-Programms, das der Bundeskanzler vor knapp fünf Wochen in diesem Hause vorgestellt hat.
Es geht um eine Verstärkung von Investitionen, um kurzfristig zusätzliche Wachstumsimpulse zu geben und um Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Es geht um 2 Milliarden Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur. Es geht um 27 Millionen Euro zur Fortsetzung des Gebäudesanierungsprogramms. Es geht um die Mobilisierung von privatem Kapital; Stichwort ÖPP. Und es geht um die Beschleunigung von Planungsverfahren. Das ist, Herr Kauder, ein ganz konkretes Maßnahmenpaket, das jetzt und sofort umgesetzt wird.
Es sind die richtigen Instrumente. Sie müssten nur lesen, was die Industriegewerkschaft BAU, was die Bauwirtschaft, was die Wohnungswirtschaft zu diesem Maßnahmenpaket veröffentlicht haben: volle Zustimmung.
Dass mehr Geld gefordert wird, ist, denke ich, üblich. Herr Oswald, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie müssen sich eines einmal überlegen: Heute werden zusätzliche Milliarden gefordert, und morgen werden, was den Maastricht-Pakt und die Dreiprozentgrenze betrifft, die Brandreden gehalten. Sie müssen sich langsam einmal überlegen, was Sie wollen. Immer wenn es Ihnen passt, fordern Sie hier im Hause und in den Fachbereichen mehr Milliarden ein, werfen uns am nächsten Tag aber vor, dass wir die Maastricht-Kriterien nicht einhalten.
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Wolfgang Spanier (SPD):
Weil Sie aus Nordrhein-Westfalen sind, besonders gern.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU):
Herr Kollege Spanier, dass wir dringend weitere umfangreiche Investitionsmittel für unsere Infrastruktur brauchen, steht ja völlig außer Frage. Meine Frage ist: Wie, glauben Sie, ist es um Ihre Glaubwürdigkeit bestellt, wenn wir feststellen müssen, dass der Investitionshaushalt im Bund – prozentual gesehen – so niedrig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist,
wenn wir feststellen müssen, dass überall dort, wo die SPD und die Grünen regieren, die Investitionsquoten in den Ländern am schlechtesten sind, und wenn wir feststellen müssen, dass in den Ländern, in denen Public Private Partnership schon geübt wird, die Quote dort, wo Ihre Freunde die Verantwortung tragen, deutlich schlechter ist als dort, wo CDU und FDP regieren?
Wolfgang Spanier (SPD):
Lieber Herr Schauerte, ich möchte Ihnen Folgendes antworten:
Erstens. Die Investitionshöhe im Bundeshaushalt ist, was den Verkehrsbereich betrifft, auf einem hohen Niveau verstetigt worden und liegt deutlich über dem, was die damalige Bundesregierung unter Kohl zuwege gebracht hat.
Zweitens. Ich bin Ihnen als Nordrhein-Westfale sehr dankbar, dass Sie auf die öffentlich-private Partnerschaft eingehen. Die Bauwirtschaft bestätigt uns, dass der Durchbruch im Bereich des öffentlichen Hochbaus gelungen ist. Ich kann Ihnen sagen: Gerade unser Land Nordrhein-Westfalen hat hier eine Vorbildfunktion.
Dies ist ebenfalls in allen Verlautbarungen der Bauwirtschaft zu lesen.
Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die in diesem Zusammenhang von der deutschen Bauindustrie veröffentlicht worden sind: Im Jahre 2003 betrug das Gesamtvolumen immerhin 1,3 Milliarden Euro.
Da geht es um den Bau von Turnhallen und Schulen. Das sind wichtige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur.
Es befinden sich zudem Maßnahmen in Vorbereitung, die ein Volumen von 1,5 und 2 Milliarden Euro haben. Ich kann an Sie nur appellieren, dass Sie mithelfen, dafür zu sorgen, dass auch in den unionsgeführten Ländern dieser Weg endlich verstärkt beschritten und beschleunigt wird.
Das wäre wichtig. Es reicht nicht aus, die Maßnahmen nur zu begrüßen.
Die Rede von Frau Merkel am 17. März hier im Deutschen Bundestag hat Ihre Haltung zu dieser Frage deutlich gemacht. Was hat sie denn zu Wachstumsimpulsen und zur Infrastruktur gesagt? Man konnte nur ein paar magere Sätze von ihr dazu hören. Sie hat das Gebäudesanierungsprogramm, die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und auch die Beschleunigung von Planungsverfahren nur nebenbei erwähnt. Sinngemäß hat sie gesagt, sie habe irgendwo gehört, dass wir jetzt Bürokratie abbauen und die Planungsverfahren beschleunigen wollen. Das ist ja interessant, dass sie das irgendwo gehört hat. Dann hat sie uns aufgefordert: Machen Sie sich an die Arbeit!
Ich gebe diese Aufforderung gerne an Sie zurück: Machen Sie sich an die Arbeit!
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die beiden Bestandteile unseres Pakets eingehen, die für mich als Bau- und Wohnungspolitiker natürlich besonders interessant sind.
Zum Gebäudesanierungsprogramm. Von 2001 bis 2004 sind 167 000 Wohnungen energetisch saniert worden. Dazu kamen 2 727 Energiesparhäuser. Das Programm läuft Ende 2005 aus. Der Erfolg für den Klimaschutz ist, das 1,3 Millionen Tonnen CO2 vermieden wurden. Ich denke, das ist ein ganz entscheidender Schritt. Das ist eine Erfolgsgeschichte.
Deswegen ist die Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte so wichtig. Sie sagen zwar ebenfalls Ja. Aber mehr als dieses dürftige Ja war von Frau Merkel nicht zu hören.
Dass diese 27 Millionen Euro Investitionen in Höhe von 5 Milliarden Euro auslösen und dass die Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Betrieben des Bauhandwerks, um die es auch Ihnen geht, gesichert werden, ist sehr wichtig.
Ich möchte noch auf die drei neuen Förderprogramme der KfW ab 1. Januar 2005 hinweisen: „Wohnungen Modernisieren“, „Solarstrom Erzeugen“ und „Ökologisch Bauen“. Diese Programme laufen ebenfalls erfolgreich.
Das Gebäudesanierungsprogramm ist Teil einer Gesamtstrategie, die für uns Sozialdemokraten wichtig ist. Dazu gehören die Förderung der energetischen Modernisierung insgesamt, der Einsatz erneuerbarer Energien und die Energieeinsparverordnung; denn auf die Wärmedämmung im Gebäudebereich müssen wir sicherlich ein besonderes Augenmerk richten. Wir sind also mit diesem Bündel von Maßnahmen auf dem richtigen Weg. Dazu gehört auch unsere Initiative: kostengünstig, qualitätsbewusst bauen. Dies ist ebenfalls ein wichtiger Baustein in der Gesamtstrategie.
In der Beratung befinden sich das Energieeinsparungsgesetz und die Verordnung zum Energieausweis.
Ich habe die Reden von Ihrer Seite hier im Bundestag verfolgt. Ich sehe, dass wir in der Zielsetzung übereinstimmen. Ich hoffe, dass Sie wirklich mit uns zusammen diese Gesetze entwickeln und es nicht wie bei Frau Merkel bei einem schlichten, einfachen Ja bleibt. Es ist ja nett, dass sie die Vorschläge des Bundeskanzlers akzeptiert. Aber da muss in den kommenden Wochen von Ihnen schon ein bisschen mehr aktive Mitarbeit und Mitwirkung kommen, damit wir das auf einen vernünftigen Weg bringen.
Das Gebäudesanierungsprogramm als wichtiger Bestandteil dieser Gesamtstrategie hat Bedeutung, weil wir hiermit mehrere Ziele – Herr Loske hat es vorhin angedeutet – gleichzeitig erreichen. Wir tun etwas für den Klimaschutz; unser Land hat sich im Allokationsplan dazu verpflichtet. Wir tun etwas für mehr Energieeffizienz. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, um ein Stück weit weg vom Öl zu kommen. Wir tun etwas, um die Energiekosten zu senken bzw. die Erhöhung der Energiekosten zu vermeiden.
– Herr Pinkwart, auch Sie wissen, dass das von anderen Faktoren abhängt. Bleiben Sie vorsichtig mit dem Vorwurf „Witz“! Wir sollten alles tun, um mit Energiesparmaßnahmen und Energieeffizienzmaßnahmen die Energiekosten im Rahmen zu halten. Das ist im Gebäudebereich von entscheidender Bedeutung. Wie sehr Ihnen die Mieterinnen und Mieter am Herzen liegen, wissen wir von den Diskussionen über das Mietrecht.
Das Gebäudesanierungsprogramm ist für Wohnungseigentümer bzw. für die Wohnungswirtschaft wichtig, weil es um die Substanzerhaltung bestehender Gebäude geht. Nicht zuletzt nehmen wir hier besonders arbeitsplatzintensive Investitionen vor. Das, denke ich, ist von ganz entscheidender Bedeutung.
Wir wissen, dass sich die Bauwirtschaft seit 1995 in einer Talfahrt befindet.
Sie war einmal die Konjunkturlokomotive. Heute geht es teilweise in die entgegengesetzte Richtung. Wir haben hier wichtige Aufgaben und wir tun mit unserem Maßnahmenpaket, über das wir heute diskutieren, eine ganze Menge, um voranzukommen. Diesen Weg werden wir Sozialdemokraten konsequent weitergehen.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. Dass die SPD und die Grünen heute über Investitionen reden wollen, finde ich gut. Allerdings möchte ich nicht mit Ihnen gemeinsam über die fehlende Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen jammern; denn diese Suppe haben Sie sich von Rot-Grün selbst eingebrockt. Die Bundesregierung ist mit Steuersenkungen für die Unternehmen in Vorleistung gegangen und hofft nun auf eine Gegenleistung durch die Unternehmen. Doch da haben Sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Viele Manager haben die Steuersenkungen als Geschenk und nicht als Verpflichtung zur Schaffung von Arbeitsplätzen betrachtet.
Lassen Sie uns über öffentliche Investitionen reden. Die öffentliche Hand ist immer noch der größte Investor in unserem Land, auch wenn die öffentlichen Investitionen von Jahr zu Jahr sinken. In der Europäischen Union ist die Bundesrepublik Deutschland das Schlusslicht, wenn es um öffentliche Investitionen geht. Die öffentliche Investitionsquote beträgt im Durchschnitt der Europäischen Union 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. In Deutschland liegt sie nur bei 1,4 Prozent. Das ist deutlich zu niedrig.
Wer sich in der Politik, insbesondere in Krisenzeiten, nur auf private Investitionen verlässt, ist verlassen. Die geringen öffentlichen Investitionen sind ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit in unserem Land. Bundesminister Stolpe hat gestern erklärt und heute wiederholt, dass er bis zum Jahre 2008 2 Milliarden Euro in den Ausbau der Schienenwege, Fernstraßen und Wasserwege investieren und damit 60 000 Arbeitsplätze sichern will.
– Ja, zusätzlich. Wunderbar, ich lobe ihn doch gerade. Das haben Sie noch gar nicht bemerkt. Das kann ich gerne noch einmal unterstreichen. – Mit Investitionen von rund 33 000 Euro sichern Sie einen Arbeitsplatz. Das ist ein sehr gutes Verhältnis, Herr Stolpe, auf das ich gleich zurückkommen werde.
Der Genosse Müntefering schimpfte in den letzten Tagen viel über skrupellose Manager, die den Staat und die Demokratie gefährden. Den Worten könnte man zwar zustimmen; doch wenn ich mir die konkrete Politik nur in dieser Woche anschaue, kommen Zweifel an der Redlichkeit dieser Worte auf. Gestern hat zum Beispiel der Haushaltsausschuss mit der Mehrheit von SPD und Grünen sowie mit tätiger Unterstützung der CDU/CSU ein neues Luftabwehrsystem für die Bundeswehr beschlossen, Kostenpunkt circa 2,85 Milliarden Euro.
Der Rechnungshof geht davon aus, dass die Kosten auf mehr als 6 Milliarden Euro steigen werden. Noch schlimmer ist, dass dieses Luftabwehrsystem völlig überflüssig ist. Die Bundeswehr hat den Fall der Mauer offenbar noch nicht verinnerlicht. Die Generäle wollen in ein System investieren, das nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes nicht mehr gebraucht wird.
Es ist auch klar, dass diese beachtlichen öffentlichen Investitionen kaum Arbeitsplätze schaffen werden. Mit diesem Luftabwehrsystem sollen 450 Arbeitsplätze gesichert werden. Die Bundesregierung ist also bereit, knapp 3 Milliarden Euro in ein zweifelhaftes militärisches Projekt zu stecken, um 450 Arbeitsplätze zu sichern. Das heißt, Sie geben pro gesicherten Arbeitsplatz rund 7 Millionen Euro aus. Das ist absurd, wenn man die nur 33 000 Euro sieht, die benötigt werden, um einen Arbeitsplatz in der Verkehrsinfrastruktur zu sichern. An der Stelle kann ich nur sagen: mehr Stolpe, weniger Struck!
An der Stelle!
Es ist auch belegt, dass diese öffentlichen Investitionen in die Rüstung keinen Beitrag zur Entwicklung von Spitzentechnologien leisten werden. Bekanntlich wollen sich die amerikanischen Partner nicht in die technologischen Karten schauen lassen; der Vertrag wird nach amerikanischem Recht abgeschlossen. Trotzdem wird die Bundesregierung viel Geld in ein unsinniges Rüstungsprojekt stecken, weil sie sich vom EADS-Konzern hat unter Druck setzen lassen.
Wir als PDS sind dafür, dass der Anteil der öffentlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt steigt, und zwar erstens zur Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere in strukturschwachen Regionen, und zweitens zur Entwicklung moderner ziviler Technologien.
Das Beispiel des Luftabwehrsystems MEADS macht deutlich, dass SPD und Grüne nicht die Kraft aufbringen, sich unsinnigen Projekten zu widersetzen. Sie beklagen lieber mit lauten Worten die Macht des Kapitals. Das ist aber zu wenig. Sie können etwas dagegen tun – Sie sollten es auch!
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
Dr. Michael Bürsch (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Thema heute ist, neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu finden. Offenkundig kann man die Debatte auf zweierlei Weise führen, entweder mit Schlagworten oder mit sachlicher Information. Als Norddeutscher neige ich zu der zweiten Methode. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, über einen Baustein aus dem Gesamtpaket, der heute schon mehrfach angesprochen worden ist, etwas genauer zu informieren, nämlich über die öffentlich-privaten Partnerschaften.
Ich sage an dieser Stelle schon einmal ganz deutlich: Ich werbe sehr für den deutschen Begriff und nicht für den englischen/amerikanischen Begriff PPP;
denn dieser ist für viele Bürgermeister, Mandatsträger und andere, die mit diesem Verfahren adressiert werden, eher abschreckend; manche halten das für Beratergeklüngel. Es ist aber ein sehr konkretes und Erfolg versprechendes Verfahren. Deshalb können Sie vielleicht dazu beitragen, dass wir das „öffentlich-private Partnerschaften“ nennen.
Ich möchte dreierlei vermitteln: erstens die Ausgangslage insbesondere bei den kommunalen Investitionen, zweitens, welche Potenziale in diesen öffentlich-privaten Partnerschaften stecken, und drittens – vor allem dies muss einmal deutlich gemacht werden –, was zu diesem Thema bereits im letzten halben Jahr geschehen ist. Das ist auch die Antwort an Herrn Kauder. Die Wahrheit ist konkret, Herr Kauder: Wir haben ein halbes Jahr lang verdammt hart gearbeitet, und zwar nach dem Grundsatz „Gründlichkeit plus Schnelligkeit“. Das ist durchaus vorzeigenswert.
Die Ausgangslage bei den kommunalen Investitionen sieht folgendermaßen aus: Allein der kommunale Investitionsbedarf – wohlgemerkt, das betrifft nicht den Bundeshaushalt – wird für dieses Jahrzehnt von Experten wie dem deutschen Institut für Urbanistik auf rund 700 Milliarden Euro geschätzt. Allein im Schulbaubereich sprechen wir von rund 70 Milliarden Euro. Trotz dieses Befundes sind die kommunalen Investitionen im letzten Jahrzehnt von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Die so genannte Sachinvestitionsquote sank von rund 18 Prozent bzw. 29 Milliarden Euro im Jahr 1995 auf rund 14 Prozent bzw. 21 Milliarden Euro im Jahr 2004. Die Folge dieser Entwicklung: Sanierungsbedarf und Infrastrukturlücke sind in dieser Zeit immer größer geworden sind, und zwar zum Nachteil von Wirtschaft und Gesellschaft.
Andere Länder haben daraus schon Konsequenzen gezogen, unter anderem England: Als Folge der falschen Thatcher-Politik, alles zu privatisieren, haben Wirtschaft und Politik dort gemeinsam einen Weg gefunden, indem sie die Bedeutung von öffentlich-privaten Partnerschaften für die öffentliche Investitionstätigkeit und Konjunkturpolitik entdeckt haben.
Während in Deutschland, wie bereits dargestellt, die Sachinvestitionen enorm zurückgingen, nahmen sie in Großbritannien im selben Zeitraum um 36 Prozent zu. Erfahrungen aus anderen EU-Ländern, die auch den Weg öffentlich-privater Partnerschaften eingeschlagen haben, sind ähnlich eindrucksvoll. In Spanien war ein Anstieg der Sachinvestitionen um 35 Prozent zu verzeichnen, in den Niederlanden um 30 Prozent, in Irland um 41 Prozent, in Italien um 24 Prozent und in Griechenland um 19 Prozent.
Auch in Deutschland wurde in Bezug auf öffentlich-private Partnerschaften im vergangenen Jahr ein erster Durchbruch erzielt. Projekte mit einem Bauvolumen in einer Größenordnung von 0,5 Milliarden Euro und einem Projektvolumen von insgesamt 1,5 Milliarden Euro wurden schon vertraglich vereinbart.
Worin liegen die Chancen für öffentlich-private Partnerschaften? Ich appelliere dringend an Sie, nicht nur an den Hoch- und Tiefbau, nicht nur an Beton zu denken. Es ist ein weites Feld: Sanierung von Schulen und Universitäten, Justizvollzugsanstalten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Ausbau von Telekommunikation, Energie- und Wasserversorgung, Abwasseraufbereitung – es gibt viele Möglichkeiten!
Insbesondere in Deutschland ist es notwendig, den Lebenszyklus-Gedanken zu entdecken: Zurzeit denken wir in diesem Zusammenhang fast ausschließlich daran, eine Investition mit privatem Kapital zu ermöglichen. Wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, geht es aber um viel mehr, nämlich darum, zum Beispiel ein Gefängnis nicht nur mit privatem Kapital bauen zu lassen, sondern auch, es privat zu betreiben. In Deutschland gibt es bereits zwei erste Beispiele, die in diese Richtung weisen. Es bleibt zu hoffen, dass weitere folgen. Wir können dafür die vorhandenen Möglichkeiten nutzen.
Was haben wir in der SPD-Fraktion gemacht, um dieses Thema voranzubringen?
Das Verfahren ist sicherlich eindrucksvoll. Viele werden noch nichts davon gehört haben. Wir haben seit einem halben Jahr über 60 Berater an unserer Seite, die sich freiwillig und unentgeltlich einbringen. Ich behaupte, das ist der geballte Sachverstand, den es in Deutschland und darüber hinaus zu diesem Thema gibt. Das bringt viel mehr, als eine Anhörung leisten kann. Die Berater – aus der Bauindustrie bis zum Juristen – sitzen jede Woche bei uns und bringen ihren Sachverstand ein. Auf der anderen Seite sitzen die Vertreter der Ministerien. Wir diskutieren das Thema in einer Ausführlichkeit und Gründlichkeit, die in dem üblichen Gesetzgebungsverfahren sicherlich nicht möglich sind, und kommen dann zu konkreten Ergebnissen.
Ich will nur einige der 30 Ergebnisse – 30 konkrete gesetzliche Verbesserungsvorschläge! – nennen, die wir im Mai vorlegen können, um zu zeigen, welche Richtung wir verfolgen.
Zum Gebührenrecht: Bisher gibt es, wenn zum Beispiel ein Tunnel mit privatem Kapital gebaut wird, nur die Möglichkeit, dass sich der private Betreiber die Nutzung mit einer öffentlichen Gebühr, einer Maut, vergüten lässt. Wir öffnen den Weg dafür, dass er auch ein privates Entgelt erheben kann,
mit der damit einhergehenden Flexibilität. Diese Öffnung wird von der FDP und der CDU/CSU begrüßt. Ich schließe mich dem an, was Herr Brandner bereits getan hat: Ich lade Sie herzlich ein, in unser Boot zu kommen. Auch für Sie ist da noch Platz. Wir können das gerne zusammen machen.
– Sie können die Ergebnisse bei uns abrufen. Ich nenne Ihnen nur wenige Beispiele, um die Richtung zu zeigen.
Zum Vergaberecht: Wir werden das Verhandlungsverfahren ausgestalten und den so genannten wettbewerblichen Dialog, den uns die EU angedient hat, in deutscher Weise umsetzen.
Wir werden im Haushaltsrecht dafür werben, dass es in der Bundeshaushaltsordnung zu einer Änderung des Veräußerungsverbots kommt. In der Bundeshaushaltsordnung herrscht immer noch der Gedanke vor, dass der Staat Infrastruktureinrichtungen dann am wirtschaftlichsten nutzt, wenn er selbst Eigentümer ist. Wir halten das aber nicht mehr für zeitgemäß und wollen es ändern. Öffentlich-private Partnerschaften stellen nämlich einen Weg dar, um zum Beispiel eine Liegenschaft oder Infrastrukturmaßnahme für den gesamten Lebenszyklus in private Hand zu geben.
Ich könnte noch viele weitere Beispiele anführen. Ich lade Sie ein, diese bei mir abzurufen.
Abschließend stelle ich mit Konfuzius fest: Es ist besser, hier und da ein Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.
Ich lade Sie ein: Zünden Sie die Lichter mit an!
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welches ist der Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte? Was muss man berücksichtigen? Kernpunkt ist, dass wir eine eklatant schlechte wirtschaftliche Situation haben. Ausgangspunkt ist, dass wir selten eine so schlechte Arbeitsmarktsituation hatten, um nicht zu sagen: So miserabel war es noch nie. Wir werden an diesen Punkten prüfen, ob das vorgelegte Progrämmchen den Ansprüchen, die wir an einen wirklichen Impuls für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen müssen, auch nur annähernd gerecht wird.
Der Sachverhalt ist – das gehört zur Analyse –: Wir haben im Moment ein ausgesprochen negatives Investitionsklima. Auch das Ausland investiert bei uns deutlich weniger, als das noch im vergangenen Jahr der Fall war. Alleine die Investitionen aus den USA sind in einem Jahr um 4 Milliarden Euro gesunken. Die Konsumbereitschaft ist völlig am Boden. Was das Schlimmste ist: Sie tun eigentlich alles, um die Position, die erforderlich wäre, noch zu verschlechtern. Die ausländische Wirtschaft achtet auf Flexibilität. Aber Sie antworten mit einem Antidiskriminierungsgesetz. Was das für die Unternehmen bedeutet, überschaut heute noch niemand. Es trägt auf jeden Fall nicht dazu bei, die Investitionsbereitschaft zu heben. Nehmen Sie Abstand von solchen unmöglichen Positionen!
Nachdem Sie noch kürzlich, am 14. April dieses Jahres, im Ausschuss unsere Vorschläge zur Beschleunigung des Planungsrechts abgelehnt haben, habe ich nun mit großer Freude vernommen, dass Sie sich nun doch auf den Weg begeben wollen. Aber ich muss angesichts der heutigen Diskussion feststellen: Der Wein, den Herr Stolpe hinhält, wird von Herrn Loske gleich kräftig mit Wasser verdünnt. Denn Herr Loske sagt: So wie Herr Stolpe das will, geht es nicht. Das heißt, hier wird wie üblich ein Wischiwaschi herauskommen, das uns in keiner Weise weiterhilft. Es wird nicht Stolpe und auch nicht Loske sein. Es wird auch der Wirtschaft nicht helfen; das ist das Entscheidende. Ob es Herrn Stolpe oder Herrn Loske hilft, ist mir völlig egal. Aber der Wirtschaft sollte es helfen. Das tut es im Endeffekt nicht.
Herr Minister, ich will das mit den Worten Ihres ehemaligen Staatssekretärs Hilsberg skizzieren:
Der Vorteil aus dem ostdeutschen Recht für die Realisierung von Straßenbauvorhaben geht zu großen Teilen verloren.
Das heißt also, schon Ihre Umsetzung ist nicht optimal. Das, was ich gerade gesagt habe, setzt noch einen drauf. Die Situation ist also miserabel.
Vor diesem Hintergrund ist der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Investitionskräfte stärken – Neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung“ zu bewerten. Wie sehen die Impulse für Wachstum und Beschäftigung aus? Man muss es noch einmal sehr deutlich sagen: Sie haben das Investitionsniveau drastisch gesenkt. Wenn Sie hinterher wieder etwas draufsatteln, erreichen Sie noch nicht einmal das vorherige Investitionsniveau. Welche Impulse sollen davon ausgehen, Herr Minister Stolpe?
Sie haben sich von Herrn Eichel ohne erkennbaren Widerstand rasieren lassen. Die deutsche Infrastruktur muss dafür büßen; denn zurzeit haben wir noch nicht einmal Bestandserhaltung. Von Aus- und Neubau wollen wir gar nicht reden. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung kann man nur sagen: Das ist ein glattes Versagen der Bundesregierung. Das kann man nicht anders bewerten.
Sie verfahren nun nach bewährter Manier und legen ein 2-Milliarden-Euro-Programm für Verkehrsinvestitionen auf. Das klingt nach Schröder und das ist auch Schröder; denn tatsächlich werden nur 500 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Die Bundesdeutschen sind aber der Meinung – ich habe etliche gefragt; einige kannten den Namen des Programms bereits –, dass nun 2 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt werden. Das ist der entscheidende Punkt: Zuerst senken Sie ab und dann heben Sie an.
Außerdem haben Sie das bislang noch nicht einmal im Haushalt verankert, Herr Stolpe. Ich garantiere Ihnen: Herr Eichel wird, wenn die geringen Steuereinnahmen kommen, die wegen des total in den Keller gefahrenen Wachstums zu erwarten sind, dafür sorgen, dass noch einmal zulasten Ihres Haushalts saniert wird. Also: runter, hoch, runter!
Vor diesem Hintergrund wird sich natürlich keine Investitionssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland einstellen. Herr Schmidt, hier muss man ausnahmsweise sogar einmal Herrn Mehdorn Recht geben; denn angesichts der Tatsache, dass hier laufend andere Zahlen genannt werden, kann es keinen Planungshorizont geben. Über alle anderen Positionen können wir ruhig streiten. Aber in diesem Fall ist das sicherlich so.
Wir haben also eine Situation, in der Investitionen nicht die geringsten Impulse für zusätzliches Wachstum und zusätzliche Beschäftigung geben. Vor dem Hintergrund dessen, was sich in der Bauindustrie abspielt, ist das ein enormes Manko.
Nebenbei bemerkt, Herr Stolpe: Sie behaupten, 500 Millionen Euro sicherten 60 000 Arbeitsplätze. Das ist überzogen. Experten sagen, 500 Millionen Euro sicherten maximal 10 000 Arbeitsplätze. Das heißt, auch hier rechnen Sie schön. Angesichts dessen, dass Sie alles beschönigen und den Ernst der Situation nicht begreifen, muss das Ganze negativ bewertet werden. Auf diese Art und Weise kommen wir nicht nach vorne. Das wird nicht dem gerecht, was wir brauchen.
Was die Gebäudesanierung angeht, werden wir prüfen müssen, ob wir über den KfW-Weg hinaus weitere Förderwege beschreiten müssen. Meine Fraktion berät darüber gerade abschließend. Ich bin der Meinung, dass wir weitere Förderwege brauchen, weil die KfW-Finanzierung nicht ausreicht, um hier die nötigen Impulse zu setzen. Wir werden das Nötige auf den Weg bringen. Wir fordern die Grünen auf, uns dabei zu begleiten. Das Programm der Grünen enthält nämlich die entsprechenden Punkte; in der Regierungsarbeit haben sie sie aber noch nicht umgesetzt. Auch hier gibt es bislang keine Schubkraft.
In Bezug auf die öffentlich-private Partnerschaft werden wir Sie daran messen, ob Ihre dann vorgelegten Entwürfe unseren dann vorgelegten Papieren, die wir als Messlatte nehmen, entsprechen. Ich sichere Ihnen dabei eine konstruktive Zusammenarbeit zu, und zwar ganz einfach deswegen, weil wir nicht alles, was von Ihrer Seite kommt, blindlings ablehnen. Ich wiederhole, was meine Parteichefin gesagt hat: Wir sind zu konstruktiver Mitarbeit jederzeit gern bereit;
aber es muss dann auch in eine wirklich konstruktive Arbeit einmünden.
Deshalb frage ich mich, ob die Bedenken von Herrn Loske, das dürfe aber nicht in eine völlige Privatisierung entarten – sie werden schon jetzt ganz leicht thematisiert –, ein schlechtes Omen für die Arbeit sind, an die wir herangehen wollen.
Wir müssen das vorurteilsfrei sehen. Wir müssen die Vor- und die Nachteile gegeneinander abwägen. Aber im Vorhinein den Teufel an die Wand zu malen ist an und für sich kein gutes Signal.
Lassen Sie mich noch eines freimütig hinzufügen. Wenn ich die Maut und den Transrapid als erste Beispiele für Projekte öffentlich-privater Partnerschaft nehme,
dann muss man sagen: Sie haben das in einer Art und Weise in den Keller gefahren, wie es schlimmer gar nicht geht.
Das Schlimmste ist, dass Sie den Leuten vorgegaukelt haben, Sie investierten die Mehreinnahmen aus der Maut nutzerorientiert, also in Straße und Schiene. Sie haben sich nicht vor einem Gesetzesbruch gescheut und Sie haben sich nicht gescheut, die Bund-Länder-Vereinbarung zu brechen. Die Mauteinnahmen sind im eichelschen Haushaltsloch verschwunden.
Beim Nachdenken über Nutzerfinanzierung werden die Leute sehr wohl fragen, Herr Minister: Wohin verschwinden diese Gelder diesmal? Das heißt, Sie haben Glaubwürdigkeit verspielt. Das ist in dieser Frage viel entscheidender als manches andere. Die Leute werden Ihnen nicht mehr glauben, wenn Sie ihnen Ihre neuen Vorstellungen präsentieren. An diesem Punkt sollten Sie jetzt wirklich einmal etwas tun, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen; sonst kommen wir nicht weiter.
Im Übrigen gebe ich meinem Vorredner Recht: Wir können das eine oder andere auch auf der kommunalen Ebene bewegen. Ich sage das, weil Sie wie wir kommunal engagiert sind. Ich glaube nicht, dass es einen Landkreis gibt, in dem im Rahmen von öffentlich-privater Partnerschaft mehr als im Landkreis Offenbach mit dem Landrat Walter gemacht wird.
Ich lade Sie dorthin gern ein. Sie können sich vor Ort die Praxis anschauen. Außerdem können Sie sich beim Kompetenzzentrum Hessen gern Ratschläge holen, was öffentlichprivate Partnerschaft angeht. Ich bin zu konstruktiver Arbeit jederzeit bereit.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Uwe Beckmeyer, SPD-Fraktion.
Uwe Beckmeyer (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben mittlerweile viele Reden der Opposition gehört. Man fragt sich: Was ist das für eine Opposition? – Sie ist rückwärts gewandt, krämerisch und sie arbeitet mit Methoden, die in ihrer Plumpheit eigentlich kaum noch zu überbieten sind.
– Wie ich schon sagte, sind diese Methoden in ihrer Plumpheit eigentlich kaum noch zu überbieten.
Frau Merkel und ihre Gefolgsleute gehen stets nach folgenden Regeln vor: Erste Regel: Es ist immer zu wenig. Zweite Regel: Es geht nicht weit genug.
Dritte Regel: Es geht nicht schnell genug. Vierte Regel: Es ist zu kurz gesprungen.
Fünfte Regel: Es wird zu wenig Geld ausgegeben – oder zu viel; je nachdem, wer gerade spricht.
Sechste Regel: Es ist die falsche Richtung; denn es ist grundsätzlich falsch, was von Rot-Grün kommt.
Wer nach dieser Methode Regierungshandeln kritisieren will, der taugt für das Regieren überhaupt nicht.
Wir haben ein Programm aufgestellt, das mit über 2 Milliarden Euro nur für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland bewusst gegensteuert, aktuell gegensteuert.
Ein Programmteil ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das Wolfgang Spanier hier sehr klar erklärt hat. Das ist als zweiter wichtiger Punkt heute auf der Tagesordnung. Wir arbeiten die 20 Vorschläge der Regierung Punkt für Punkt ab. Und was kommt von Ihnen? Mäkelei. Es heißt: Wir machen nicht mit. Das ist uns – wie gesagt – zu wenig. – Das kann doch eigentlich nicht Ihre Antwort sein. Das kann uns in Deutschland nicht voranbringen.
Die Bevölkerung draußen schaut sehr genau hin.
Sie schaut, was da tatsächlich passiert.
Hier passiert etwas. Aktuell werden Projekte mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro angeschoben.
Der Kollege Schmidt hat an diesem Pult vorhin deutlich gemacht – ich tue das für die Sozialdemokraten –: Wir haben mit Koch/Steinbrück einen Weg beschritten, der für die Verkehrspolitik nicht gut war. Wir korrigieren diesen Weg; Sie nicht.
Sie bleiben da sitzen und sagen einfach: Es war so und es geht so weiter. Sie beklagen, dass für die Verkehrspolitik zu wenig ausgegeben wird. Gehen Sie doch mit uns diesen Weg! Unterstützen Sie uns dabei, wenn wir in den vor uns liegenden Jahren in Deutschland 2 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben!
Wie sieht es draußen aus? Die Bauindustrie sagt: Das ist das Richtige. Was sagen Sie? – Die Systemindustrie, Bereich Schiene, sagt: Das ist der richtige Weg. Was sagen Sie? – Die Länder und Gemeinden sagen: Jawohl, das ist die richtige Richtung. Was kommt von Ihnen?
Gar nichts.
Was die Verkehrspolitik der Christlich Demokratischen Union angeht – von der FDP, die Programme aus dem letzten Jahrhundert abschreibt, will ich gar nicht reden –,
bin ich wirklich der Überzeugung: Sie sind nicht in der Lage, hier etwas Ordentliches zu artikulieren. Sie agieren taktisch und sind im Grunde nicht in der Lage, Deutschland positiv zu orientieren in der Frage, was wir für Wachstum und Beschäftigung tatsächlich brauchen.
Wir können Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik am effektivsten betreiben, indem wir jetzt wirklich etwas für unsere Verkehrsinfrastruktur tun. Wir sind, glaube ich, auf dem richtigen Weg.
Weshalb sind wir auf dem richtigen Weg? Weil wir im Herzen Europas, in einem der größten und wichtigsten Staaten dieses Kontinents, für die Verkehrsinfrastruktur jetzt Impulse geben müssen. Das tun wir. Mobilität ist wichtig, nicht nur für die Wirtschaft. Sie ist wichtig für die Menschen. Sie ist wichtig für die Ökonomie. Sie ist wichtig für den Export. Sie ist wichtig für unser Land.
Deshalb muss man jetzt konkret deutlich machen, wo überall etwas passiert.
Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass Sie in Ihren Reden in der heutigen Auseinandersetzung nicht einmal sagen würden: Jawohl, Minister Stolpe, was Sie vorschlagen, ist vernünftig. – Kein einziges Wort von Ihnen dazu! Zu keinem der Projekte, weder zum CO2-Gebäudesanierungsprogramm noch zu den anderen vorgeschlagenen Maßnahmen, ein positives Wort! Sie sitzen dort und sagen: zu wenig, zu viel; hin und her. Es ist reine Mäkelei. Daran erkennt man im Grunde auch Ihre generelle Taktik. Sie haben gar kein Interesse daran, dass es mit Deutschland vorangeht.
Sie möchten Deutschland eigentlich da lassen, wo es ist. Die Leute draußen sagen Ihnen ins Gesicht: Ihr von der CDU/CSU macht eine falsche Politik.
Ich schaue mir das in der Region an. Nachdem ich gestern bei mir zu Hause gesagt habe: „Liebe Freunde, der Stolpe macht das Projekt B 74 jetzt mit“,
sagt die CDU vor Ort: Das haben wir schon immer gewollt. – Richtig. Was passiert im Bundestag? Kein einziges Wort dazu! Sie sagen einfach: zu wenig.
Warum ist das eigentlich so? Gibt es bei Ihnen gar keinen Menschen mehr, der in der Verkehrspolitik einmal konstruktiv mitwirkt,
der sich einbringt, der sich in dieser Frage an unsere Seite stellt und sagt: „Jawohl, wir sind bereit, in der Verantwortung für dieses Land mit den Sozialdemokraten ein solches Infrastrukturprojekt mitzumachen“?
Warum machen Sie das nicht?
Ich habe von Ihnen heute kein Wort hierzu gehört.
Nun habe ich allerdings festgestellt: Herr Kollege Fischer, Ihr verkehrspolitischer Sprecher, ist gar nicht hier. Woran liegt das eigentlich? Haben Sie ihn heute zu Hause gelassen oder durfte er nicht sprechen? Das ist eigentlich schade; ich hätte von ihm gern etwas zu diesem Thema gehört.
Was wir von Herrn Kauder gehört haben, war ja auch nicht gerade das Allerbeste.
Es wird immer gesagt, die Investitionen hätten zwangsläufig zurückgehen müssen, weil Koch/Steinbrück uns einiges genommen hat. Ich glaube, die Zahlen während Ihrer Regierungszeit haben Sie aber völlig ausgeblendet.
Wenn man sich diese noch einmal angeschaut hätte, würde man es gar nicht wagen, solche Reden zu halten; denn was damals nicht passiert ist, haben wir in der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün erst einmal nachholen müssen, um Deutschland überhaupt in die Lage zu versetzen, ausreichend Mobilität zur Verfügung zu stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will zum Schluss kommen. Wenn gestern in der Zeitung stand: „Wir sind Papst“, müsste morgen zumindest in der Zeitung stehen: „Stolpe schafft Arbeit“, nämlich 120 000 Arbeitsplätze.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5340, 15/5322, 15/5325, 15/5338 und 15/5339 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Die NATO auf die neuen Gefahren ausrichten
– Drucksachen 15/44, 15/324 –
Berichterstattung:Abgeordnete Markus MeckelDr. Andreas SchockenhoffDr. Ludger VolmerDr. Werner Hoyer
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
50 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft würdigen, sich zur NATO bekennen und sie stärken
– Drucksache 15/5323 –
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Friedbert Pflüger, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa verdankt der NATO sehr viel. Aber niemand verdankt der NATO mehr als wir Deutschen. Mit dem NATO-Beitritt am 6. Mai 1955 erhielt die Bundesrepublik Deutschland zugleich ihre Freiheit und ihre Souveränität zurück. Nach Weltkrieg und Holocaust waren wir wieder ein geachtetes Mitglied der Völkerfamilie.
Bündnissolidarität, militärische Abschreckung und der amerikanische Nuklearschirm, das alles bewahrte Deutschland und das freie Berlin über Jahrzehnte vor der Expansion des sowjetischen Kommunismus. Die NATO verband militärische Stärke mit Dialogbereitschaft und Entspannungspolitik. Diese politisch-militärische Doppelstrategie trug wesentlich dazu bei, die Teilung Berlins und Deutschlands zu überwinden.
Und schließlich: Sechs Jahrzehnte haben wir Deutschen jetzt Frieden mit unseren Nachbarn – für viele selbstverständlich, aber doch einmalig in der deutschen Geschichte. Wir verdanken den Frieden über 60 Jahre in Europa zu einem großen Teil der atlantischen Allianz.
Eigentlich wäre die 50-jährige Mitgliedschaft ein Anlass zur Feier und zur Würdigung. Stattdessen gibt es weder im Auswärtigen Amt noch im Kanzleramt noch in der Brüsseler NATO-Vertretung irgendeine Art von Veranstaltung, die dieses wichtige Ereignis in unserer Geschichte würdigt. Ich muss sagen, das ist wirklich verwunderlich. Es ist auch verwunderlich, Herr Bundesminister, dass es niemand aus der Reihe der Bundesminister für nötig hält, in dieser Debatte, die CDU und CSU beantragt und durchgesetzt haben, das Wort zu ergreifen.
Sie halten im Auswärtigen Amt Veranstaltungen ab anlässlich des 100. Jahrestages der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Äthiopien.
Sie feiern im Auswärtigen Amt alle möglichen Anlässe, die meisten auch völlig zu Recht. Sie führen Podiumsdiskussionen durch, zum Beispiel vor kurzem zum Thema „Frauen und Gesundheit im heutigen Jordanien“. Aber zum Thema „50 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft“ gibt es nicht einmal eine Ausstellung im Auswärtigen Amt. Das zeigt, wie Sie die Bedeutung des atlantischen Bündnisses für die Bundesrepublik Deutschland einschätzen.
Am 3. Juli dieses Jahres wird im Lichthof des Auswärtigen Amtes eine Ausstellung „50 Jahre Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten“ durchgeführt. Das ist Ihnen eine öffentlichkeitswirksame Aktion wert, 50 Jahre NATO nicht. Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Deshalb haben wir heute diesen Antrag gestellt, um wenigstens im Deutschen Bundestag die NATO zu würdigen.
Vielleicht liegt ja diese Missachtung des historischen Datums daran, dass Sie oder jedenfalls ein großer Teil von Ihnen trotz aller anders lautenden Bekenntnisse mit der NATO doch nicht ganz warm geworden sind.
Westbindung und Wiederbewaffnung hat Konrad Adenauer gegen die Sozialdemokraten durchgesetzt. Herr Adenauer ist dafür von der SPD als Kanzler der Alliierten beschimpft worden. Wir müssen festhalten, dass die NATO in der Tat gegen große Widerstände durchgesetzt werden musste. Es hat bis 1960 gedauert, bis Herbert Wehner hier im Deutschen Bundestag ein Bekenntnis zur Wiederbewaffnung und zur NATO abgelegt hat.
Der NATO-Doppelbeschluss war neben der Ostpolitik von Willy Brandt ganz entscheidend dafür, die Teilung Europas und Deutschlands zu überwinden. Der NATO-Doppelbeschluss ist ebenfalls gegen den Widerstand aus den Reihen von SPD und Grünen sowie großer Teile der Bevölkerung durchgesetzt worden. Ich bin froh und dankbar, dass Helmut Kohl das damals mit der CDU/CSU gemacht hat, denn dieser Doppelbeschluss ist in der Tat das Signal dafür gewesen, dass der Warschauer Pakt und der Sowjetkommunismus keine Chance mehr hatten, im Kalten Krieg ihre Positionen durchzusetzen.
Auch die Öffnung des Bündnisses – das ist heute fast vergessen – nach Osten ist auf erheblichen Widerstand gestoßen. Ich habe vor dieser Debatte eine Bundestagsdebatte aus dem Februar 1998 nachgelesen, wo der Kollege Ludger Volmer, der in diesen Stunden heute an anderer Stelle tätig ist,
gesagt hat, die NATO-Osterweiterung sei die Ostverschiebung der Militärmaschinerie der NATO und stelle eine antirussische Allianz dar. Meine Damen und Herren, auch die Osterweiterung, die Öffnung für die Länder Mittel- und Osteuropas, ist gegen Ihren Widerstand durchgesetzt worden. Auch das gehört zur historischen Wahrheit dazu.
– Es ist in der Tat unrichtig, was Sie angeht, Herr Kollege Meckel. Das ist richtig. Sie waren immer dafür. Aber Sie wissen auch, was viele Kollegen aus Ihrer Fraktion und vor allen Dingen große Teile der Grünen gesagt haben. Deshalb ist mein Vorwurf insgesamt kein Quatsch, sondern die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, vielleicht ist es auch kein Zufall, dass die Rede des Bundeskanzlers auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die Herr Struck vorlesen musste, weil der Bundeskanzler erkrankt war, eigentlich überall im Ausland den Eindruck vermittelt hat, die Deutschen nehmen es mit der NATO nicht mehr ganz so ernst. Die zentrale Bedeutung der Allianz ist jedenfalls in den letzten Jahren nicht gepflegt worden. Wir haben erlebt, dass anlässlich des Außenministertreffens in Vilnius, das derzeit stattfindet, der Generalsekretär der NATO – ich kann mich an einen vergleichbaren Vorfall nicht erinnern – in Zeitungsinterviews rundweg erklärt, die Vorschläge des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers spielten für ihn keine Rolle mehr.
Die „FAZ“ schreibt heute, die Vorschläge des Kanzlers vom Februar sind fast vergessen. Es ist einfach so, dass sich die Bundesrepublik Deutschland unter dieser Bundesregierung mit der atlantischen Allianz schwer tut. Ich glaube, wenn sie jetzt immer wieder erzählt, wir müssten die Krise überwinden, dann gehört zu dieser Wahrheit auch, dass sie selbst zu dieser Krise ganz wesentlich beigetragen hat, in die das atlantische Bündnis in den letzten Jahren gekommen ist.
Jetzt brauchen wir keine Selbstfindungsgruppen. Vielmehr muss eine ganz konkrete weltpolitische Agenda abgearbeitet werden. Unsere Aufgabe ist, nach vorne zu schauen und uns mit der Frage zu beschäftigen: Was wird aus diesem Bündnis? Immerhin gibt es hoffnungsvolle Ansätze. Ich glaube, dass Frau Merkel in ihren Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten, Herr Schäuble in seinem Gespräch mit dem amerikanischen Vizepräsidenten und wir alle im Rahmen unserer Kontakte mit der amerikanischen Seite immer wieder festgestellt haben, dass es jedenfalls die Amerikaner mit einem Neubeginn unserer Beziehungen ernst meinen und das atlantische Verhältnis auf eine neue Stufe stellen wollen.
In den Gesprächen, die ich geführt habe – dem Kollegen Christian Schmidt ist es vor zwei Wochen in Washington genauso ergangen –, habe ich den Ausdruck „Koalition der Willigen“ nicht mehr gehört. Die Art und Weise, wie die Amerikaner in den ersten Jahren der Bush-Regierung vorgegangen sind – sich wie aus einem Werkzeugkasten die jeweils geeigneten Bündnispartner innerhalb der EU herauszupicken –, das alles gehört in Washington, jedenfalls im Moment, der Vergangenheit an.
Im Gegenteil: Der amerikanische Präsident besucht sogar demonstrativ die EU. Amerika will die alte, traditionelle Beziehung zu EU und NATO wieder beleben. Ich glaube, wir tun sehr gut daran, darauf zu reagieren und endgültig mit den Versuchen, gemeinsam mit Frankreich und Russland irgendwelche Achsen gegen die USA zu bilden und Europa als Gegengewicht zu den USA zu profilieren, Schluss zu machen. Wir wollen selbstbewusste Partner sein. Wir wollen, wie immer, innerhalb des Bündnisses unsere Meinung sagen. Wenn es notwendig ist, werden wir den Amerikanern selbstverständlich auch widersprechen;
denn die NATO ist ein Bündnis freier Partner. Wenn es notwendig ist zu widersprechen, dann wird es, wie es auch in der Vergangenheit der Fall war, getan.
Widerspruch wurde bisher allerdings immer in einem Klima der Solidarität und der Freundschaft innerhalb des Bündnisses geäußert. Wir wollen dafür sorgen, dass das so bleibt.
Genau deswegen passt es nicht in die Landschaft, dass sich am 18. März dieses Jahres erneut Putin, Schröder und Chirac, diesmal zusammen mit Zapatero, in Paris getroffen haben. Wenn Sie sich anschauen, wie dieses Treffen kommentiert worden ist, stellen Sie fest, dass es zum Beispiel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hieß: Mit dem Treffen dieser Vier hat zumindest der französische Gastgeber eine europäische Achsenpolitik auszubauen versucht, mit der er einen Machtpol schaffen will gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.
Vielleicht haben Sie auch vernommen, wie die Reaktionen in Polen ausgefallen sind. Herr Rokita, der große Chancen hat, demnächst Ministerpräsident zu werden, sagt dazu: Es genügt, sich die Europakarte anzusehen, um zu merken, dass zumindest ein Land am Tisch fehlt.
Das Problem eines solchen Gipfels sei nicht, wer eingeladen wird, sondern, ob derartige Treffen durch einen europäischen Konsens gedeckt würden.
Es ist unklug, überhaupt eine solche Achse zu bilden und obendrein dabei zum Beispiel Polen außen vor zu lassen, weil dadurch in Mittel- und Osteuropa immer wieder die Angst geschürt wird, Deutschland würde, wie so oft in der Geschichte, gemeinsam mit Russland eine Politik über die Köpfe der Mittel- und Osteuropäer hinweg und auf ihre Kosten betreiben.
– Herr Kollege Schmidt, es geht doch besser. Im Falle der Ukraine zum Beispiel hat es relativ gut funktioniert. Die Ukraine, Polen und Deutschland haben, gemeinsam mit Herrn Solana und den Amerikanern, an einem Strang gezogen. Auch auf dem Balkan klappt die Zusammenarbeit zwischen Europäern und Amerikanern relativ gut. Darüber hinaus haben wir uns auf eine Roadmap für den Nahen Osten geeinigt. Nun besteht erstmals seit langem eine kleine Chance, den Friedensprozess voranzubringen.
– Wir alle im Westen, zusammen mit Russland und den Vereinten Nationen.
Dass das möglich ist, zeigt das Beispiel Iran. Wenn sich die Europäer einig sind und gemeinsam auftreten – nicht nur Deutsche und Franzosen, sondern vielmehr Deutsche, Franzosen, Briten und Herr Solana, der Hohe Repräsentant der Europäischen Union –, dann haben sie die Chance, europäische Politik auch in Washington durchzusetzen. Die Amerikaner haben in den letzten zwei Monaten eingelenkt, weil wir alle in Europa sie gedrängt haben, dem Iran nicht nur zu drohen, sondern auch diplomatische und politische Anreize auf den Tisch zu legen und sich an diesem Verhandlungsprozess konstruktiv zu beteiligen. Das ist das beste Beispiel dafür, dass wir Europa bzw. Teile Europas nicht gegen Amerika in Stellung bringen sollten, sondern dass wir den Versuch unternehmen müssen, das gesamte Gewicht Europas in Washington in die Waagschale zu werfen, um eine bessere Politik und eine konstruktivere Zusammenarbeit zu erreichen.
Meine Damen und Herren, die Frage ist, wie es jetzt mit China weitergeht. Denn China war bei allem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, gegenüber unseren Bündnispartnern und auch gegenüber den Ländern im Fernen Osten das große Problem. Die Aufhebung des Waffenembargos, die der Bundeskanzler angesprochen hat, droht diesen neuen Konsens, dieses zarte Pflänzchen neuer Zusammenarbeit zu zerstören. Deswegen ist es ganz wichtig, dass die Europäische Union sagt: Ja, wir wollen gute Beziehungen zu China – natürlich, wer wollte das nicht: Wir brauchen China als Partner in der Weltgemeinschaft –, aber die Aufhebung des Waffenembargos ohne Abstimmung in den Gremien der NATO, ohne Abstimmung mit unseren amerikanischen Bündnispartnern, obwohl die mit ihrer Pazifikflotte dort sind und viel direkter als wir betroffen sind, ist ein großer Fehler. Wenn wir das nicht lassen, dann bestehen wir den ersten Testfall dieser neuen Zusammenarbeit nicht.
Deswegen werden wir nach der Debatte, die wir in der letzten Woche geführt haben, sehr genau beobachten, wohin sich die Koalitionspolitik entwickelt. Sie haben gestern im Auswärtigen Ausschuss unseren Antrag zur Fortführung des Waffenembargos abgelehnt. Sie haben für die nächsten Wochen eigene Anträge angekündigt. Wir werden genau beobachten, wer sich durchsetzt: der Kanzler mit seiner Position „Aufhebung des Embargos“ oder die Grünen, die klar sagen, sie lehnen die Aufhebung des Embargos ab, oder Außenminister Fischer mit seiner Politik des Irgendwo-so-in-der-Mitte-Herum-
redens.
Diese Doppelstrategie – dass der Kanzler die konkrete Politik macht, die Geschäftsinteressen voranbringt, und die Grünen dann vor Wahlen eine Beruhigungspille an ihre eigene Klientel geben –, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Die NATO bleibt auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil wir eine zentrale neue Herausforderung auf der Welt haben, nämlich die des global agierenden islamistischen Terrorismus. Ich glaube, dass viele der Friktionen zwischen Amerika und Europa damit zu tun haben, dass es völlig unterschiedliche Analysen der Bedrohungen gibt. Bei uns werden Warnungen wie die, die Kofi Annan vor kurzem ausgesprochen hat, nicht ernst genommen. Kofi Annan sprach in einem Beitrag im Berliner „Tagesspiegel“ davon, dass der Atomterrorismus keine Science-Fiction mehr sei, und er warnte vor biologischem Terrorismus und seinen schrecklichen Folgen. Al-Baradei, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, hat im Januar gesagt, die Gefahr des nuklearen Terrorismus sei real und gegenwärtig; es sei eine aktuelle Gefahr, dass al-Qaida eine schmutzige Atomwaffe einsetzte. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir diese enorme Herausforderung aus der Verbindung von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen zum Kern unserer sicherheitspolitischen Überlegungen machen – auf beiden Seiten des Atlantiks. Dabei kann Russland ein wichtiger Partner sein – und muss es sein –, aber die europäische Einigung und die Freundschaft mit Amerika sind für unsere Sicherheit langfristig wichtiger und zentraler; sie können jedenfalls durch ein Bündnis mit Russland nicht ersetzt werden.
In diesem Sinne hoffen wir, dass angesichts der enormen neuen Herausforderungen für die Stabilität und die Sicherheit unserer Bürger dieses entscheidende Gut nicht aus der Hand gegeben wird. Wir sollten uns an das erinnern, was Willy Brandt an der Harvard-Universität im Juli 1972 gesagt hat. Willy Brandt sagte wörtlich:
Sie, die Jüngeren, dürfen nicht vergessen, dass die Interdependenz, die John F. Kennedy für die Staaten diesseits und jenseits des Atlantiks proklamiert hat, eine moralische, eine kulturelle, eine wirtschaftliche und politische Realität bleiben muss.
In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass sich das Koordinatensystem unserer Außenpolitik etwas verschoben hat: etwas zu viel Russland und zu wenig Amerika. Das muss korrigiert werden und dafür ist diese Debatte hoffentlich ein guter Anfang.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Markus Meckel von der SPD-Fraktion.
Markus Meckel (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir diese Debatte zum 50. Jahrestag der deutschen Mitgliedschaft in der NATO führen, weil – das ist ganz klar – die NATO ein zentraler Eckpfeiler deutscher Außenpolitik in diesen 50 Jahren war. Das galt damals und das gilt auch heute.
Genauso richtig ist – ich glaube, das ist unbestreitbar –: Damals ist die NATO-Mitgliedschaft gegen die SPD und gegen große Teile der deutschen Gesellschaft von Bundeskanzler Adenauer durchgesetzt worden. Es war damals ein schwerer Kampf, eine schwere Auseinandersetzung. Der Grund dafür ist hier aber nicht genannt worden. Das war nämlich die Sorge in der deutschen Gesellschaft und bei der Sozialdemokratie, dass diese militärische Dimension der Westbindung die deutsche Einheit verhindern würde bzw. dass man dadurch diese Perspektive verlieren würde.
Aber genau das war damals die große Sorge sehr vieler Deutscher. Das war der Hintergrund. Wie sich zeigte, war das eine Fehleinschätzung. Das weiß man aber oft erst im Nachhinein.
Daneben gab es eine andere zentrale Entscheidung der deutschen Außenpolitik, nämlich die Willy Brandts – und damit sind wir bei Ihrer zentralen Fehlentscheidung –: Als es um die Ostpolitik ging, dem anderen wesentlichen Pfeiler der deutschen Politik, gab es genauso scharfe und kämpferische Auseinandersetzungen. Dort lagen Sie total falsch, wie man heute weiß und wie es große Teile Ihrer Partei heute auch akzeptieren. Klar ist: Beides waren strittige Entscheidungen und beides waren und sind zentrale Grundlagen der deutschen Politik. Dies sollten wir nicht vergessen.
Friedbert Pflüger hat deutlich gemacht: Die NATO war ein zentraler Schutzschild der alten Bundesrepublik in den Zeiten des Kalten Krieges. Als jemand, der im Osten Deutschlands aufgewachsen ist, gestehe ich, dass dieses Bild bei uns nicht ganz so positiv war; denn wir waren uns immer sehr wohl bewusst, dass, wenn es zu einer militärischen Konfrontation zwischen den beiden Blöcken gekommen wäre, diese sich konkret auf deutschem Boden abgespielt hätte. Wir waren uns dieser unmittelbaren Bedrohung bewusst. Der Teil der deutschen Bevölkerung in der DDR, dem ich angehörte, liebte die Sowjetunion nicht, aber wir waren durchaus auch sehr skeptisch gegenüber der NATO-Politik, weil wir wussten, dass das bei uns ausgetragen würde und dass von uns, egal wie es ausgeht, nichts übrig bleiben würde. Das war damals unsere Wahrnehmung.
Es hat jetzt aber keinen Sinn, über die Historie zu reden. Klar ist – ich denke, das ist eine ganz zentrale Dimension –, dass die NATO nach dem Ende des Kalten Krieges eine ganz zentrale Rolle dafür spielte, dass Sicherheit eben nicht nur national, sondern durch Integration organisiert wird. Ich glaube, dass dies die wichtigere Dimension der NATO in ihrer Geschichte geworden ist. Dadurch bin ich zu einem wirklich überzeugten Atlantiker geworden bin.
Nach 1990 ging es um Integration und Kooperation. Übrigens ging die NATO hier sehr viel schleppender vor und war langsamer bei der Umsetzung des Konzepts, als es etwa die Europäische Union war, die sehr früh begriffen hatte, dass es um eine Erweiterung ging. Die Partnerschaft für den Frieden von 1993 wurde ja anfangs als eine Alternative zur Erweiterung konzipiert. Erst nach und nach hat man begriffen, dass es der erste Schritt zu einer größeren Allianz sein könnte. Insofern blicken wir hier auf eine schwierige Diskussion und aufgrund der Erweiterungs- und Partnerschaftspolitik in den letzten 15 Jahren auch auf eine ganz zentrale Sicherheitspolitik zurück, die uns alle in Europa gerade auch angesichts der neuen Bedrohungen sicherer gemacht hat.
Heute ist die NATO weithin anerkannt und nicht umstritten. Gleichzeitig muss man aber klar sagen, dass die Frage nach ihrer Bedeutung durchaus umstritten ist. Auch innerhalb der NATO wird ihre Zukunft durchaus offen diskutiert. Ich glaube, wir sollten das Gespräch über die neuen Herausforderungen für diese Institution, darüber, wofür wir sie brauchen, stärker als bisher miteinander führen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die NATO als Instrument weiter brauchen: zum einen als eine zentrale Dimension, als Konsultationsgremium und als politisches Forum im transatlantischen Verhältnis und zum anderen natürlich als eine wirklich handlungsfähige militärische Organisation.
Man muss auch sagen: Neben den USA als Nationalstaat ist die NATO die einzige Institution dieser Welt, die auch militärisch global agieren kann. Wir alle wissen, dass es ohne sie nicht geht, dass wir diese Dimension der Außenpolitik brauchen, wie gerade der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und Bemühungen der Friedensmissionen und Konfliktbeilegung zeigen.
Wir stehen in der NATO vor vielen offenen Fragen. Ich begrüße sehr die Initiative des Kanzlers. Lieber Kollege Pflüger, ich muss Ihnen deutlich widersprechen. Das, was heute in Vilnius passiert, ist die Folge dessen, was der Kanzler ausgesprochen hat und was im NATO-Rat deutlich begrüßt worden ist. Ich finde es völlig verständlich, dass der Generalsekretär sagt: Wir wollen in dieser Frage keine Expertengruppe bilden, sondern wir wollen das erst einmal selbst in die Hand nehmen. – Wir werden sehen, was dabei herauskommt und ob es ausreicht! Wenn es ausreicht, dann werden wir alle froh darüber sein, dass wir kein anderes Gremium brauchen. Es geht hier nicht um Gremien, sondern um klare Ergebnisse und eine handlungsfähige NATO. Das ist unser Ziel!
Ich glaube aber, dass wir uns mit unseren Polemiken nur an der Oberfläche befinden. Letztlich stehen wir in der NATO vor einer sehr grundlegenden Entscheidung für die Zukunft. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns als Europäer Sicherheit ohne die USA nicht vorstellen sollten und auch nicht können, weil unsere Kapazitäten nicht ausreichen. Von daher ist es ganz zentral, zu sagen: Wir wollen die NATO als eine verbindliche Organisation, in der wir gemeinsam die Situation analysieren, in der wir in einem offenen Diskurs versuchen wollen, uns über unsere Handlungsperspektiven klar zu werden, und in der wir gemeinsam handeln. Diese drei Punkte beschreiben die NATO, die wir wollen. Wir versuchen, die NATO so zu verändern, damit sie wieder so wird.
Ich bin leider nicht sicher, dass alle NATO-Mitglieder – ich nenne hier auch ganz konkret die USA – ein ebenso starkes Interesse an einer solchen NATO, wie ich sie eben beschrieben habe, haben. Das ist kein Vorwurf; vielmehr ist die globale Situation so. Die Weltmacht USA hat nach dem Kalten Krieg global ganz andere Schwerpunkte gesetzt, bei denen der euro-atlantische Raum und die NATO nur eine Teildimension darstellen. Die USA sagen – das wird manchmal offen ausgesprochen –: Für unser globales Handeln suchen wir Verbündete, ohne uns in einen Prozess der Entscheidungsfindung und in gemeinsames Handeln einbinden zu lassen, wobei eine gemeinsame Analyse und Diskussion vielleicht noch denkbar wären.
Diese Frage ist für die Zukunft der NATO zentral. Hier sollten wir sehr deutlich machen: Wir wollen eine NATO mit Verbindlichkeiten auf allen drei Ebenen. Wir sehen die NATO nicht als einen Werkzeugkasten, aus dem man bestimmte Elemente herausnimmt, wenn man für einen Einsatz eine „coalition of the willing“, einen Pool von Partnern, sucht, die man sich, entsprechend dem jeweiligen Bedarf, zusammenstellt. Diese NATO wäre eine in unserem europäischen Sinne schlechte NATO. Wir sollten alles dafür tun, damit wir miteinander diese Verbindlichkeit erreichen.
Klar ist, dass die NATO für uns Europäer eine ganz besondere Herausforderung darstellt. Dies ist nicht nur eine Frage der Kapazitäten; es geht weit darüber hinaus. Es ist auch eine Frage der Fähigkeit, gemeinsam politisch zu handeln, das heißt mit einer Stimme zu sprechen. Hier bin ich bei einem Problem, von dem ich glaube, dass es für die Zukunft der NATO von zentraler Bedeutung ist. Ich meine die Gespaltenheit, die die Europäer in gewisser Weise zeigen, wenn es um die NATO und die Europäische Union geht. Manche hohe Repräsentanten unserer Länder in Brüssel berichten immer wieder von der schwierigen Erfahrung, dass auf der Ebene der Europäischen Union in den letzten fünf Jahren eine ganze Menge getan wurde, um eine gemeinsame sicherheitspolitische Identität zu entwickeln. Sobald man aber die Pforte zur NATO betritt, spielt das bzw. darf das keine Rolle mehr spielen. Es wird so getan, als hätte man vorher über diese Fragen nie miteinander geredet.
Diese Bewusstseinsspaltung stellt zuallererst für uns selbst ein großes Problem dar. Wir müssen lernen, nicht nur außerhalb der NATO mit einer Stimme zu sprechen, sondern wir müssen in der Lage sein, auch im NATO-Rat unsere gemeinsame Position, soweit vorhanden, zur Sprache zu bringen. Es ist manchmal schon so, dass die Weisungen aus demselben Ministerium kommen und in der jeweiligen Organisation nicht unbedingt in jeder Frage miteinander kompatibel sind. Das gilt für verschiedene Länder. Das ist immer wieder eine Erfahrung der Akteure vor Ort.
Ich glaube, dass das auch eine Erfahrung der Parlamente ist. Ich habe hier in diesem Raum vor vier Jahren eine Debatte in der Parlamentarischen Versammlung der NATO erlebt. Damals wurde eine Resolution verabschiedet, in der wir als Parlamentarische Versammlung der NATO die EU kritisiert haben. Ich habe heftig gegen diese Resolution gekämpft. Sie kam mit den Stimmen vieler europäischer Parlamentarier zustande – wie könnte es anders sein; ohne Europa kommt keine Resolution zustande –, die sich selbst kritisiert haben, und das noch in einem Punkt, der falsch war. Das heißt, wir haben diese Bewusstseinsspaltung tief in uns. Wir müssen an dieser Stelle gerade als Europäer stärker miteinander unseren Standpunkt bestimmen.
Man nennt das den europäischen „caucus“ in der NATO – ein Schreckgespenst, insbesondere für die Amerikaner. Zuallererst ist das eine europäische Herausforderung. Erst dann ist es eine Herausforderung für die Amerikaner, zu akzeptieren, dass die Europäer mit gemeinsamer Stimme sprechen. Ich bin sicher, wenn wir fähig dazu sind, dann werden sie es auch akzeptieren; wenn wir es nur theoretisch behaupten, dann wohl nicht.
Ich komme zur Frage der Erweiterung. Die große Erweiterung haben wir geschafft. Es sind jetzt zehn neue Staaten Mitglied. Ich sagte schon, dass das ein Riesenerfolg für Europa ist. Es gibt eine Reihe anderer Staaten, die hinein wollen. Ich glaube, dass wir sehr genau überlegen sollten, wie wir damit umgehen. Man muss – insofern habe ich selbst ein gespaltenes Herz in meiner Brust – klar sagen: Je verbindlicher die NATO in Bezug auf unser europäisches Interesse ist, das ich eben beschrieben habe, umso schwerer ist es, neue Mitglieder aufzunehmen, die noch nicht so weit sind, weil die Kriterien dann schärfer sein müssen. Wenn aber die NATO – ich befürchte, dass der Trend dahin geht; deshalb ist das eine so große Sorge – nur noch zu einem lockeren Forum und im Endeffekt zu einem Werkzeugkasten für militärische Instrumente und Partner wird, dann besteht die Gefahr, dass sich das Interesse bestimmter Kräfte in den USA durchsetzt, die sagen, es müssten möglichst viele in die NATO. Das hat übrigens den guten Nebeneffekt, dass sich das positiv auf die Demokratisierung und Stabilisierung der betreffenden Länder auswirkt. Aber wir sollten uns über den Zusammenhang zwischen der Verbindlichkeit der NATO und neuen Erweiterungen Gedanken machen und versuchen, abzuwägen, welche Schritte wir gehen sollten. Auf jeden Fall brauchen wir klare und starke Partnerschaftsbeziehungen und einen Ausbau dieser Partnerschaften.
Ich komme zu zwei Punkten, die ich am Schluss noch ansprechen möchte. Das eine ist der, dass die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO essenziell ist. Die ist inzwischen nach manchen Anfangsschwierigkeiten von allen anerkannt, aber die Praxis – ich sage es ganz offen – ist eine Katastrophe, weil wir im Augenblick nicht fähig sind, alles das, was wir uns in beiden Institutionen vorgenommen haben, wirklich umzusetzen. Sie haben – ich fand das gut – in Ihrem Antrag ausgesprochen, dass im Augenblick das wichtigste Hindernis dafür die Blockade der Türken ist, die nicht bereit sind, zu akzeptieren, dass alle EU-Mitgliedsländer am Tisch sitzen sollten. Dieses Hindernis muss weg. Dies sollten alle Partner in deutlichen Gesprächen mit der Türkei auf allen Ebenen klarstellen. Anders kommen wir nicht weiter. Wir dürfen uns nicht blockieren lassen.
Der zweite zentrale Punkt ist, dass wir deutlich machen müssen, dass die europäische Integration und die Entwicklung der ESVP nicht gegen die NATO gerichtet sind, wenn man offen sagt, dass das transatlantische Verhältnis breiter und vielfältiger als das ist, was nur die NATO abdecken kann. Es gibt die Handelsbeziehungen, die Finanzströme und eine gemeinsame politische Rolle in dieser Welt. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir unabhängig davon, dass wir die NATO als sicherheitspolitisches Forum und als militärische Organisation stärken müssen, neben der NATO den Ausbau der transatlantischen Beziehungen zwischen der EU und den USA brauchen. Wir sollten gemeinsam dafür arbeiten. Dies ist kein Widerspruch, sondern das ist komplementär und in unser aller Interesse.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer von der FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für angemessen, dass wir uns heute hier mit dem Gedenktag anlässlich der 50-jährigen deutschen Mitgliedschaft in der NATO befassen. Ich finde es schon befremdlich, dass die Bundesregierung diesen Jahrestag offensichtlich ignoriert.
Wir Deutschen verdanken dem nordatlantischen Bündnis die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes während des Kalten Krieges, aber auch das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Die NATO ist und bleibt für uns aber auch heute, anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges, der wichtigste sicherheitspolitische Handlungs- und Identifikationsrahmen.
Mehr als das: Die NATO ist und bleibt eine Wertegemeinschaft, die die Staaten Nordamerikas und Europas verbindet und der immer mehr Staaten Ost- und Südosteuropas beitreten wollen. Wir sollten uns da nicht irritieren lassen durch Verwerfungen, die es natürlich gibt, durch Missverständnisse und Fehlentwicklungen, die der eine oder andere hier oder da sehen mag. Wenn das so ist, müssen wir innerhalb dieser Wertegemeinschaft darüber diskutieren; aber wir dürfen sie selber nicht aufs Spiel setzen.
Die Anziehungskraft dieser nordatlantischen Allianz ist ungebrochen. Der Freiheitswille der Menschen in Osteuropa, der sich zunächst in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten vor 15 Jahren und jetzt erneut in den Revolutionen in Georgien und in der Ukraine manifestiert hat, geht doch mit der Sehnsucht der Menschen dieser Länder einher, zum westlichen Bündnis dazuzugehören. Das erklärt sich natürlich aus ganz deutlich erkennbaren Sicherheitsüberlegungen dieser Länder; es erklärt sich aber eben auch aus dem Wunsch, der westlichen Wertegemeinschaft anzugehören. Beides ist ein Vertrauensbeweis in Bezug auf die NATO, dem diese wiederum gerecht werden muss.
Beides ist aber auch eine Chance. Die Aufgaben der NATO sind nicht erledigt. Sie haben sich verändert. Die NATO hat eine zentral wichtige Stabilisierungsfunktion auf dem europäischen Kontinent. Sie kann und muss die ehemaligen Gegner nicht mehr eindämmen oder abschrecken, sondern sie ein- oder zumindest möglichst eng anbinden, um so Stabilität und Sicherheit in Europa zu gewährleisten. Der NATO-Russland-Rat war ein ganz wichtiges Beispiel dafür, wie aus Gegnern über eine immer enger werdende Kooperation und Verknüpfung Partner werden können.
Die NATO hat auch längst ihren eurozentrischen Charakter verloren. So wie die Bedrohungen für unsere Sicherheit out of area gegangen sind, so ist auch die NATO schon seit langem out of area zu einem wichtigen und vor allem erfolgreichen sicherheitspolitischen Instrument geworden. Die ISAF in Afghanistan ist ein wichtiges Beispiel dafür. Aber der internationale Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen oder die destabilisierenden Wirkungen von Failing States lassen sich eben nicht im Vertragsgebiet bekämpfen.
Die NATO hat gezeigt, dass sie sich diesen Herausforderungen schnell und wirkungsvoll anpassen kann; das ist gesagt worden. Sie ist auch mehr und mehr in der Lage, mit anderen internationalen Organisationen zusammenzuwirken. Als ich 1995 oder 1996 bei einem informellen Treffen des Allgemeinen Rates der Europäischen Union erstmals die Anregung gegeben habe, ob der damals gerade zur NATO gewechselte frühere Ratspräsident der Europäischen Union, Javier Solana, uns im Allgemeinen Rat der Europäischen Union nicht einmal über seine neuen Erfahrungen bei der NATO berichten könne, da war das ein absoluter Skandal; sowohl in Paris als auch in Washington haben die Alarmglocken gebimmelt, weil man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass man diese beiden Organisationen und ihre wichtigsten Gremien einmal zusammenführen könnte. Heute ist das selbstverständlich geworden. Das zeigt, welchen großen Fortschritt wir auf beiden Seiten gemacht haben.
Klar ist auch, dass die Anforderungen an die NATO in den nächsten Jahren nicht geringer werden. Da werden wir sicherlich auch noch in Konflikte geraten. Markus Meckel hat es eben deutlich gemacht: Die Verbindlichkeit ist ganz wichtig. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich gerade angesichts der Debatten, die wir führen, wie morgen die Debatte über den Einsatz im Sudan, deutlich machen, dass wir unseren Parlamentsvorbehalt ernst nehmen.
Da ist natürlich ein Konflikt vorprogrammiert; das muss man sehen.
Wir dürfen nicht in die Situation geraten – ich sage das einmal ganz persönlich, weil ich persönlich da Sorgen habe –, dass Bundeswehreinsätze durch unsere Behandlung dieses Themas zunehmend zur Routine werden. Das darf es nicht geben.
Jeder einzelne Einsatz bedarf einer ganz präzisen Durchleuchtung. Ein humanitäres Argument mag noch so stark sein, wir haben trotzdem eine ganz genaue Abwägung hier vorzunehmen. Dann ist es auch legitim, zu fragen, welche Interessen wir in einer konkreten Situation haben, wie die Interessen der anderen aussehen und wie man diese Interessen zusammenführen kann. Wir dürfen uns hier nicht auf eine schiefe Ebene begeben. Ich behaupte nicht, dass das jemand tut; aber ich mahne das immer wieder an.
Wir müssen, nachdem wir inzwischen – das hätte man sich vor 15 Jahren nicht vorstellen können – erstaunlich viele Erfahrungen mit Einsätzen unserer Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebietes gemacht haben, auch die Frage stellen: Wann ist was erfolgreich zu Ende gebracht worden? Wir müssen auch darauf drängen, einmal den Erfolg einer Mission erkennen und sie beenden zu können, anstatt ewig im Schwebezustand zu bleiben und immer neue Aufgaben draufzupacken.
Das muss angefordert werden können. Das ist kein Defätismus, sondern eine konsequente Anwendung der Ideen von von Clausewitz. Es ist doch die Frage zu stellen: Wo ist das politische Ziel, das wir mit einer Mission erreichen wollen? Welches militärische Ziel müssen wir erreichen, um dem politischen Ziel näher zu kommen? Wann holen wir unsere Leute wieder heraus?
Ich denke, das wird bisweilen übersehen.
Meine Damen und Herren, man sollte nichts schönreden. Wir haben große Probleme. Das haben wir in den letzten Wochen und Monaten gemerkt. Bei dem Sicherheitstreffen in München wurde das ganz evident. Wir müssen wieder von der Fehlentwicklung wegkommen, die dazu führte, dass wir in Konzepten von Gegengewichten zwischen EU und NATO, also zwischen den beiden Seiten des Atlantiks, gedacht haben. Das ist eine Fehlentwicklung gewesen. Europa fehlt es nicht an Gegengewicht zu den USA. Europa fehlt es an Gewicht.
Daran müssen wir arbeiten, konzeptionell, aber dann auch materiell. Deswegen ist die Frage der materiellen Ausstattung unserer Bundeswehr nicht ausdiskutiert. Wir werden nicht darum herumkommen nachzulegen.
Wir müssen nicht alles können, was die Amerikaner können, aber wir müssen mit ihnen kooperieren können und wir müssen fähig sein, mit ihnen in einer Verteidigungsinstitution zusammenzuwirken, die tiefer integriert ist, als das vorher in irgendeiner Organisation der Fall war. Neben der politischen Bedeutung der NATO ist das ja der große Vorzug: Es gab auf der Welt noch nie ein Militärbündnis, das militärisch so tief integriert ist wie die nordatlantische Allianz. Markus Meckel, die Kolleginnen und Kollegen aus der früheren DDR konnten sich Anfang der 90er-Jahre ja gar nicht vorstellen, welche Form, welchen Charakter die Zusammenarbeit innerhalb der NATO angenommen hatte. Das hat es im Warschauer Pakt nicht einmal im Ansatz gegeben. Das gilt es zu bewahren.
Es ist natürlich richtig, dass die Bundesregierung, dass Deutschland Wert drauf legt, dass die NATO politischer wird. Es gab neulich – einige Kollegen waren dabei – eine bedenkliche Zusammenkunft in Brüssel. Eine Gruppe von Kollegen aus dem Bundestag und amerikanische Kollegen haben NATO-Gespräche geführt. Ich habe mir erlaubt, die Frage zu stellen, in welcher Weise man sich im NATO-Rat mit der Frage des Waffenembargos gegen China befasst hat. Da wurde man direkt ganz nervös und sagte: Gar nicht. Das sei erstens sehr politisch, und zweitens mache das die Europäische Union im Rat; man mache keine Doppelarbeit. Aber, meine Damen und Herren, das sind doch entscheidende Fragen der Zusammenarbeit im Bündnis, bei denen die Wertegemeinschaft, in der diese sicherheitspolitischen Interessen zusammenfließen, politischer werden muss.
Ich habe mir allerdings dann noch die Frage gestellt, welche Weisung denn die Bundesregierung dem NATO-Botschafter in der Frage des Waffenembargos gegeben hätte. Ich frage mich – nachdem der Bundesaußenminister gesagt hat, das werde auf die lange Bank geschoben und das werde sich schon im Rahmen der Europäischen Union im Rat regeln – übrigens noch immer: Welche Weisung hat eigentlich der deutsche Botschafter bei der Europäischen Union, wie er sich in der Frage verhält? Soll er nun dafür sorgen, dass das in absehbarer Zeit vom Tisch kommt? Oder hat er die Weisung, den Willen des Bundeskanzlers durchzusetzen, möglichst bald zu einem Ergebnis zu kommen? Was ist denn die Position der Bundesregierung, die sie den dort für uns verantwortlich Handelnden, nämlich in erster Linie dem Botschafter, mit auf den Weg gibt?
Wir werden die NATO auch in Zukunft dringend brauchen. Sie muss politischer werden. Es ist in München einiges falsch kommuniziert worden. Aber die Grundfrage ist schon richtig: Ist die NATO noch der zentrale Ort der sicherheitspolitischen Debatte? Wenn man diese Frage aufwirft und vorab schon durch Zeitungen kommuniziert, darf man aber nicht die Unsicherheit bezüglich der eigenen Position, ob man denn selber will, dass sie der zentrale Ort der sicherheitspolitischen Debatte ist, aufkommen lassen. Ich bin der Meinung, die NATO sollte stärker dieser Ort der strategischen Debatte werden.
Wir brauchen die NATO auch in den nächsten Jahren. Wir sollten sie nicht kaputtmachen und nicht kaputtreden, sondern weiter gestalten und an die neuen Herausforderungen anpassen. Wir brauchen die Fähigkeit Deutschlands, in dieser einzigartig tief integrierten Organisation mitzuwirken. Das ist einer der wesentlichen Imperative deutscher Außenpolitik nach 1945. Bündnisfähigkeit ist und bleibt für Deutschland Staatsraison.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen werden viele Erinnerungen an die Zeit vor genau 60 Jahren immer wacher: an das Gemetzel der letzten Kriegswochen auf den Seelower Höhen und im Ruhrkessel. Vor fast genau 60 Jahren verbluteten und verreckten in den Straßen um den Reichstag und auch in diesem Gebäude selbst sehr viele junge Soldaten aus der Ukraine, aus Russland, Weißrussland und aus Deutschland. Niemand hätte damals zu hoffen gewagt, dass schon zehn Jahre später, am 6. Mai 1955, das westliche Deutschland der NATO beitreten würde.
Damals gab es vor dem Hintergrund dieser fürchterlichen Kriegserfahrungen legitime Einwände gegen den Beitritt; denn er war mit der Wiederbewaffnung und einer Verfestigung der deutschen Spaltung verbunden. Rückblickend gesehen war diese Entscheidung zum NATO-Beitritt und damit zur Westintegration aber eine weitsichtige und weise Entscheidung.
Wir können feststellen: Ganz im Unterschied zu 1918, als der Versailler Vertrag geschlossen wurde, setzten nach dem Zweiten Weltkrieg die Siegermächte gegenüber einem ganz anderen Verlierer auf eine ganz andere Politik, nämlich auf die Politik der Integration, der Unterstützung und auch der konstruktiven Einbindung. Das werden wir nie vergessen. Dafür gibt es keinen Schlussstrich.
Es entstand ein historisch neuartiges Militärbündnis. Basierend auf gemeinsamen Interessen, aber auch auf gemeinsamen demokratischen Werten war der Auftrag an die Armeen tatsächlich neu: Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Diese Art der Kriegsverhütung war bis dahin im militärischen Bereich kaum bekannt.
Diese insgesamt positive Entwicklung ist aber kein Grund, die alte NATO rundum heilig zu sprechen. Sie war trotz alledem über die Jahrzehnte ein aktiver Teil eines gigantischen Wettrüstens. Die Nuklearstrategie folgte der Logik, dass gegebenenfalls das vernichtet worden wäre – vor allem mit taktischen Atomwaffen –, was verteidigt, also doch eigentlich erhalten werden sollte. Dagegen richtete sich der völlig legitime und weiterhin richtige Protest des blockunabhängigen Teils der Friedensbewegung in den 80er-Jahren, dem sich die Grünen verpflichtet fühlten und zu dem gerade auch die Friedensbewegung der DDR unter der Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ gehörte.
Wenn im Unionsantrag behauptet wird, der NATO-Doppelbeschluss habe das Ende des Warschauer Paktes und der Sowjetunion eingeleitet, dann muss ich sagen, dass das typisch Siegergeschichte ist. Diese Haltung ignoriert die historischen Verdienste gerade der Friedens- und der Bürgerbewegung in der DDR.
Mit Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes verlor die NATO ihren Gegner und damit ihren großen Auftrag und ihre Klammer. In der Umbruchphase war sie angesichts der damals auftretenden zentrifugalen Kräfte aber keineswegs sinnlos. Im Kernbereich der Nationalstaaten, der militärischen Sicherheitspolitik wirkte sie tatsächlich enorm integrierend und stabilisierend. Sie wirkte faktisch einer drohenden Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegen. Dialog und Kooperationsprozesse ab 1994, Programme wie Partnership for Peace, Öffnung und Erweiterung waren nach meiner Meinung die stille Hauptleistung der NATO.
Inzwischen bewährte sich die NATO bei Krisen- und Stabilisierungseinsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan. Zusammengefasst bin ich tatsächlich froh, dass sich viele unserer Warnungen nicht erfüllt haben. Allerdings besteht auch hier kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Noch im März letzten Jahres zeigte sich im Kosovo, dass auch die starke NATO-KFOR größte Mühen hatte, ihren Auftrag zu erfüllen, und dass ihr viel zu lange kosovo-albanische Gewalttäter auf der Nase herumtanzten. Die gute Leistung der NATO im Rahmen von ISAF in Afghanistan wird von der mangelhaften Bereitschaft vieler Mitgliedstaaten überschattet, ihren großen Worten zur PRT-Ausweitung entsprechende Taten folgen zu lassen. – So weit dieser Rückblick.
Nun zur NATO-Krise. Während und nach dem Irakkrieg wurde offenkundig: Die Mitgliedstaaten der NATO waren in der Kernfrage von Krieg und Frieden tief gespalten und die NATO damit tatsächlich in einer massiven Krise. Im Unionsantrag vom April dieses Jahres wird dafür maßgeblich die Bundesregierung verantwortlich gemacht. Wie absurd dieser Vorwurf ist, zeigt der Blick in den Unionsantrag vom 12. November 2002, der im Vorfeld des Irakkrieges an die Bundesregierung adressiert wurde und der heute auch abschließend zur Abstimmung steht. Dort steht nämlich:
Der Vorwurf einer kriegerischen Abenteuerpolitik … entbehrt … jeder Grundlage.
Aha, kann ich dazu nur sagen.
War der Irakkrieg etwa – so muss ich daraus schließen – ein Musterbeispiel für Friedenspolitik und Abrüstungspolitik?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Nachtwei, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein, vom Kollegen Nolting nicht.
Sie von der Union wissen selbst, dass der Irakkrieg das Musterbeispiel eines illegitimen Krieges war. Da Sie dies wissen, sollten Sie dies auch einmal sagen, damit man dann in der Tat zu den jetzigen und künftigen Herausforderungen übergehen kann.
Die tatsächlichen Gründe der NATO-Krise liegen tiefer. Ein erster Grund: Die NATO ist seit Jahren zugleich unter- und überfordert. Sie ist unterfordert, weil es jetzt nicht mehr die große existenzielle und sichtbare Bedrohung gibt. Sie ist zugleich überfordert, weil der Großteil der Risiken und Bedrohungen aus dem nicht militärischen Bereich kommt.
Ein zweiter Grund: Seit dem Kosovokrieg stand im Vordergrund der NATO-Diskussionen und -Überlegungen die Diskussion über Fähigkeiten. Deutlich vernachlässigt wurde der strategische Dialog, die strategische Klärung – und das besonders auffällig nach dem 11. September, als zwar der Bündnisfall ausgerufen wurde, aber die NATO bei der Umsetzung von ISAF dann de facto ausgesperrt war, obwohl sie dazu sicherlich besonders geeignet gewesen wäre.
Ein dritter Aspekt: Der amerikanische Verteidigungsminister vertrat ganz deutlich und knallhart die Devise: Die Mission bestimmt die Koalition. Beim Irakkrieg kam es schließlich – man muss dies so nüchtern sagen – zu einem Bruch der transatlantischen Wertegemeinschaft, nämlich zu einem Bruch im Hinblick auf die schriftlich niedergelegte Achtung vor der UN-Charta. Es kam gerade bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu einem Bruch der Interessengemeinschaft und der Partnerschaft, weil in diesem Zusammenhang schlichtweg mit Lüge und unerträglichem Druck gearbeitet wurde.
Was sind die Perspektiven für die NATO in der Krise? Im Mittelpunkt der Diskussion der letzten Jahre stand immer wieder der Aufbau der NATO-Response-Force. Diese neue Fähigkeit ist unzweifelhaft wichtig. Aber Vorsicht vor einer Überbewertung! Denn eine NATO-Response-Force kann einerseits schlichtes Placebo sein, indem dadurch die Illusion von eigener Kraft und Stärke gefördert wird. Andererseits aber könnten konkrete Einsätze der NATO-Response-Force Knackpunkt einer nächsten NATO-Krise werden. Deshalb sind – hier schließe ich an das an, was die meisten Vorredner schon sagten; man kann es nicht deutlich genug betonen – der strategische Dialog und die strategische Verständigung im Bündnis wie auch transatlantisch dringend geboten und vordringlich.
Wenn der NATO-Generalsekretär in diesen Tagen feststellt: „Wir müssen einfach anfangen, miteinander zu reden“, dann ist das ein kollektives Armutszeugnis, dann ist das zu wenig. Im Hinblick auf die Normen des Bündnisses müssen Dialog und neuer Konsens notwendigerweise hergestellt werden. Unzweifelhaft muss sein, dass das Bündnis nur im Rahmen des Völkerrechts, der UN-Charta, agiert. Die hochrangige Gruppe zur UN-Reform hat in ihrem Bericht sehr gute Präzisierungsvorschläge gemacht, die zum Verständnis der UN-Charta beitragen sollen. Sie hat auch Vorschläge zu Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt gemacht.
Dieser Bericht ist auch auf einer zweiten Ebene sehr hilfreich, nämlich auf der Ebene – sie wurde auch immer wieder angesprochen – einer deutlichen, klaren Bedrohungsanalyse. Diese Bedrohungsanalyse des Bündnisses darf nicht bei den Bedrohungen für die reichen Länder des Nordens stehen bleiben; vielmehr muss sie die Bedrohungen für internationale Sicherheit und Weltfrieden insgesamt in den Blick nehmen.
Eine weitere Ebene sind der Auftrag und die Aufgaben der NATO. Es ist unverkennbar, dass der NATO-Zuständigkeitsbereich inzwischen weit über den euroatlantischen Raum hinausreicht. Kann das jetzt im Umkehrschluss heißen: Wenn die NATO über diesen Raum hinaus zuständig ist, dann ist sie auch weltweit zuständig? Ich glaube, da ist Vorsicht geboten; denn eine schlichtweg weltweite Rollenzuschreibung würde meiner Meinung nach sehr schnell zu Überforderungen, zu Überdehnungen führen.
Zu den Fähigkeiten der NATO. Die NATO-Response-Force ist schon angesprochen worden. Es reicht nicht, nur ihre Fähigkeiten und ihre Aufgaben zu beschreiben. Hier ist vielmehr etwas notwendig, was im Unionsantrag richtigerweise benannt ist, nämlich die genauere Beschreibung von Einsatzszenarien. Klar sein muss aber auch: Die Masse der künftigen NATO-Einsätze wird höchstwahrscheinlich im Bereich der Stabilisierung und Friedensunterstützung stattfinden. Hier müssen wir feststellen, dass die Vorstellungen und die Einsatzkonzepte vieler Mitgliedstaaten zurzeit noch sehr weit auseinander gehen. Ich nenne als Beispiel die Provincial Reconstruction Teams in Afghanistan. Hier ist angesichts der Hauptaufgabe der Stabilisierung zweierlei notwendig: erstens die Förderung der inneren Kohärenz in der NATO bei diesen Aufgaben und zweitens die zunehmende Öffnung und das Einüben des Zusammenwirkens mit politischen, polizeilichen und wirtschaftlichen Instrumenten von staatlichen und nicht staatlichen Akteuren.
Schließlich nenne ich noch die Ebene des Zusammenwirkens der NATO mit anderen internationalen Zusammenschlüssen. Im Zusammenwirken mit der Europäischen Union ist der Weg insgesamt richtig. Er bewährt sich unter anderem schon in Bosnien-Herzegowina. Sie werden aber verstehen, dass ich hier nicht dem Außenminister vorgreifen kann, der dazu gestern Abend an anderer Stelle gesprochen hat.
– Er ist in Vilnius.
Zum Schluss noch ein anderer Aspekt, und zwar die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Hier besteht ein ganz besonderer Bedarf und hier bestehen besondere Möglichkeiten für die NATO. Zurzeit führen die Vereinten Nationen weltweit 18 Missionen mit über 60 000 Soldaten durch. Diese Missionen sind aber ausnehmend schwach. Zu dieser Schwäche trägt auch bei, dass die reicheren Industrienationen mit ihren viel effektiveren Militärs unterproportional und sogar abnehmend daran beteiligt sind. Im Jahre 1997 wurden noch 58 Prozent der UN-geführten Missionen von NATO-Mitgliedern gestellt, im letzten Jahr nur noch 12 Prozent.
Ein gutes Zeichen ist, dass in Kürze der NATO-Generalsekretär zum ersten Mal vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen auftritt. In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen, ob nicht vonseiten der NATO in Richtung Vereinte Nationen eine Regelung im Sinne von „Berlin Plus“ anzustreben ist, mit der die Unterstützung der NATO für die Vereinten Nationen gefestigt werden kann.
Der von uns allen geforderte strategische Dialog ist – dabei dürfen wir uns nichts vormachen – äußerst schwierig, weil die verschiedenen Mitgliedstaaten völlig unterschiedliche historische Erfahrungen und Vorstellungen von Militär und den Vereinten Nationen und auch ein unterschiedliches Verhältnis zum Völkerrecht haben. Damit der strategische Dialog Erfolg haben kann, ist es erstens von entscheidender Bedeutung, dass die Bindung an das Völkerrecht bzw. an die UN-Charta zweifelsfrei ist, und zweitens, dass eine Orientierung vor allem an den konkreten Erfahrungen der Friedenssicherung und Friedensunterstützung erfolgt. Ich habe als grüner Politiker und Abgeordneter in dieser Hinsicht selber sehr gute Erfahrungen mit amerikanischen Politikern und Offizieren in Sachen Afghanistan gemacht.
Ich meine, dies alles bedeutet eine enorme Herausforderung für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden, die nur gemeinsam zu bewältigen ist oder gar nicht.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Nolting das Wort.
Günther Friedrich Nolting (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nachtwei, ich habe den Zuruf gemacht: Wo ist der Außenminister? Er ist in Berlin und hat angeblich interne Termine, welche auch immer.
Wir sprechen heute aber über 50 Jahre deutscher NATO-Mitgliedschaft. Ich denke, dass dieses Thema auch dem Herrn Außenminister wichtig sein sollte. Denn die NATO hat immerhin dazu beigetragen, dass wir 50 Jahre des Friedens und – westlich der Elbe – auch der Freiheit erleben durften. Ich denke, das ist Anlass genug, dass der Außenminister an dieser Debatte teilnimmt.
Die NATO hat ehemalige Staaten des Warschauer Paktes und der Sowjetunion aufgenommen. Es ist eine Friedensregion der Zukunft entstanden, wie wir sie ebenfalls noch nie erlebt haben. Ich denke, auch das ist Anlass genug für die Anwesenheit des Außenministers.
Herr Kollege Nachtwei, Sie haben lang und breit vorgetragen,
wie Sie sich einige Punkte, auch die Zukunft betreffend, vorstellen. Ich würde mir wünschen, dass Sie dies auch auf einem grünen Parteitag vortragen, damit Ihre Partei auch in diesen Fragen zu einer Änderung ihrer Position kommt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Kollege Nolting, erstens bin ich, wie Sie wissen, kein Sprecher der Regierung. Ich bin ein loyales Mitglied der Koalition. Da ich kein Regierungssprecher bin, kann ich auch nicht zur derzeitigen Abwesenheit des Ministers Stellung nehmen.
Zweitens. Was Ihre Unterstellung angeht, ich würde hier – in diesem offensichtlich sehr privaten Raum – positiv über NATO-Leistungen reden, aber im Zusammenhang mit den Grünen nicht, täuschen Sie sich. Genau das, was ich hier ausführe, stelle ich selbstverständlich auch gegenüber den Grünen fest. Ich glaube, es macht unsere Stärke aus, dass wir auch mit unserer eigenen Geschichte so umgehen, dass wir sie nicht umschminken, dass wir zu dem, was wir für richtig halten, auch weiterhin stehen und dass wir auch das benennen, mit dem wir – ich habe das selbst gesagt – glücklicherweise mit unseren Warnungen nicht Recht behalten haben. Gibt es etwas Besseres?
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion.
Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn der Tower von Vilnius meldet, „Fischer ist abgehoben“, dann wäre es ganz gut, wenn er sich nicht vor den Fernsehschirm setzte, um seinen früheren Staatsminister, Herrn Volmer, bei dessen Verrenkungen vor dem Untersuchungsausschuss zu sehen. Vielmehr sollte er hier seiner Pflicht als deutscher Außenminister nachkommen und anlässlich der heutigen Debatte über 50 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft die Position der Bundesregierung darlegen.
Was die Rede des Kollegen Nachtwei, die, wie ich an den Gesichtern der Abgeordneten der Koalition gesehen habe, bestenfalls für eine neue Nachdenklichkeit – hoffentlich für keine neue Schläfrigkeit – gesorgt hat, betrifft, muss ich sagen: In der Tat kann man mit Winfried Nachtwei über manches trefflich streiten. Seine Rede
enthielt manche Punkte, über die man diskutieren kann. Aber sie entsprach nicht dem, was grüne Politik ausmacht.
Wer macht denn eigentlich Außenpolitik bei den Grünen in Abwesenheit von Joschka? Das scheint die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn übernommen zu haben.
Denn sie äußert sich nun – das ist überliefert – zu Rüstungsfragen und zu der Notwendigkeit der Entwicklung des Luftabwehrsystems MEADS. Sie versucht, die Entwicklung dieses Systems zu verhindern, obwohl nachweislich keine Feldhamster davon betroffen sind. Dieses Engagement soll wohl die Niederlage der Grünen vertuschen, die sie bei dem Versuch erlitten haben, mit der Verhinderung eines notwendigen militärischen Systems eine Niederlage bei der kommenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu verhindern.
Wenn der von Frau Höhn ausgehende geistige Tiefflug weitergeht, dann werden wir nie zu einer Debatte mit den verantwortlichen Persönlichkeiten der Bundesregierung über die Außen- und Sicherheitspolitik sowie 50 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft kommen.
Schwerer als die Feldhamsterei von Frau Höhn wiegt allerdings die lange Liste sicherheitspolitischer Versäumnisse. Eine Linie der Verständnislosigkeit für die NATO und die Bundeswehr zieht sich von der SPD der 50er-Jahre über die NATO-Austrittsfantasien eines Oskar Lafontaine bis hin zu den „Seitensprüngen und Hasardeurspielen“ der Bundesregierung Gerhard Schröder – wie am vergangenen Samstag die „Neue Zürcher Zeitung“ dessen Außen- und Sicherheitspolitik beschrieben hat –, die sie gleichwohl vor dem Hintergrund innen- und wirtschaftspolitischen Versagens – so die „Neue Zürcher Zeitung“ – als „strategische Neuausrüstung“ und „deutschen Weg“ zu vermarkten versucht.
Tatsächlich hat die Bundesregierung bis heute die NATO in keinen politischen Bezugsrahmen gestellt. Es bleibt im Dunkeln, welche Rolle Gerhard Schröder und Joschka Fischer der NATO als politisches und militärisches Bündnis in der Wahrnehmung der Interessen der Sicherheit unseres Landes eigentlich geben wollen. Seit dem furiosen Einstieg des frühen Fischer 1998, als er zur Verblüffung seiner damaligen Kollegen im NATO-Rat gegen die Doktrin der flexiblen Antwort im Bedrohungsfalle kämpfte und in einer Zweitauflage des Nachrüstungsstreits der 80er-Jahre die Nuklearoption, die zu diesem Zeitpunkt schon deutlich an Bedeutung verloren hatte, angriff, ist das Interesse an der NATO abhanden gekommen.
Irgendwie hat man den Eindruck, dass im politischen Kanon der Bundesregierung die NATO noch heute als ideologische Kopfgeburt des Kalten Krieges angesehen wird und dass die Chancen, die dieses Bündnis auch und gerade unter den veränderten Bedingungen der Welt nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes bietet, völlig ignoriert werden.
Hinzu kommen müsste die Erkenntnis, dass Verlässlichkeit nicht Untertanentum bedeutet, sondern das Gegenteil von Sprunghaftigkeit ist.
Deswegen kann man nicht so einfach nebenbei ein eigenes europäisches militärisches Hauptquartier von vier besonders befreundeten Ländern planen, wie dies Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg vor zwei Jahren auf dem zu trauriger Berühmtheit gelangten „Pralinengipfel“ von Tervuren taten. Dieser Gipfel ist inzwischen in das Lehrbuch der Fehlschläge deutscher Diplomatie aufgenommen worden. Dieses Buch muss ständig fortgeschrieben und neu aufgelegt werden, weil es dauernd neue Kapitel gibt.
Bestehende europäische Strukturen wie das Eurokorps spielten übrigens in der damaligen Diskussion überhaupt keine Rolle. Man kann auch nicht im gleichen Jahr die so genannten BerlinPlusVereinbarungen, die das Zusammenspiel von NATO und EU im militärischen Bereich gut regeln, aus europäischer Abgrenzungssucht faktisch aushebeln wollen. Man kann nicht der NATO auf der Sicherheitskonferenz in München vorwerfen, sie sei nicht mehr das primäre Feld politischer Entscheidungsfindung, es aber gleichzeitig den Militärs überlassen, in ihrer Verantwortung eine letztendlich gemeinsame NATOStrategie für die Zeit nach dem 11. September 2001 zu suchen. Sie haben politisch nichts dazu beigetragen, diese beiden Strategien, also die der USA und die der Europäer – Stichwort Solana-Papier –, zu verknüpfen. Diese Verknüpfung ist die Arbeit, die geleistet werden muss. Herr Schröder kann sie an keine Expertenkommission delegieren.
Es bestehen natürlich Zweifel, ob er selbst zu einer solchen Expertenkommission dazugehören könnte.
Die militärische Struktur der NATO der Zukunft muss und wird anders aussehen als die von 1990. Selbstverständlich folgt die Struktur dem Auftrag, der aber einer politischen Präzision bedarf. Was ist dieser Auftrag? Auftrag kann man nicht durch Transformation ersetzen. Transformation ist der Weg, aber nicht das Ziel. Ich befürchte, dass das Wort Transformation unterschiedlich buchstabiert wird und dass zu wenig politische Führung geleistet wird. Die NATO muss sich nämlich gleichzeitig militärisch auf die neuen Bedrohungslagen einstellen und – erfreulicherweise – eine große Zahl neuer Mitglieder integrieren. Das heißt auch, dass man sich über die grundsätzlichen Aufgaben im Klaren sein muss.
Auf dem Gebiet der Afrikapolitik erleben wir gegenwärtig – ich teile die Befürchtung des Kollegen Hoyer –, dass schleichend ein bestimmter Weg beschritten wird: Man diskutiert nie wirklich über das, was unsere Interessen und Ziele auch auf europäischer und auf NATOEbene sein könnten und sein sollten. Es kann nicht richtig sein, dass wir uns hier und da in Afrika engagieren, ohne vorher eigentlich so recht zu wissen, wohin es gehen soll. Deswegen muss mit dem Bekenntnis zur grundsätzlichen Bereitschaft, sich zu engagieren, eine klare Trennung zwischen dem, was gegenwärtig möglich und machbar ist, und dem, was gegenwärtig nicht möglich und machbar ist, einhergehen.
Auch die NATO verlangt nach Investitionen. Das verträgt sich nicht mit der Herabstufung der Sicherheitspolitik im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland. Im internationalen Vergleich ist diese Herabstufung besonders drastisch. Neue Ausrüstungen für neue Einsatzformen gibt es nicht zum Nulltarif. Die Rüstungsplanung in unserem Land, aber auch anderswo leidet darunter, dass das Zusammenspiel zwischen NATO und Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik politisch nicht geklärt ist. Man kann den Amerikanern nicht vorhalten, sie missbrauchten die NATO nur noch als Werkzeugkasten und nähmen sich denjenigen Schraubenschlüssel in Form einer militärischen Spezialfähigkeit eines Mitgliedstaates heraus, den sie gerade für ihre Zwecke brauchten, aber in der Konstruktionsabteilung des Betriebs nicht mitarbeiten.
Wir müssen einerseits die in den so genannten Prager Fähigkeitszusagen enthaltenen Verpflichtungen erfüllen und andererseits unsere Vorstellungen von der Rolle der NATO als erstem Podium zur Abstimmung und Durchsetzung unserer deutschen und europäischen Interessen darlegen. Dazu bedarf es der verlässlichen Zusage aller NATOStaaten, die Schnelle Eingreiftruppe, NRF, einsatzfähig zu machen, europäische Projekte wie das so genannte BattleGroupKonzept und HelsinkiVerpflichtungen – EUMilitärstab; 60 000 EUKräfte schnell verfügbar – so zu realisieren, dass sie eine Ergänzung und keine Schwächung der NATOFähigkeiten sind, und den politischen Prozess der Abstimmung in der NATO früh zu suchen.
Die außen- und sicherheitspolitischen Bemühungen Europas müssen auf ein ergänzendes Vorgehen von NATO und EU ausgerichtet werden.
Der wachsenden Bedeutung globaler Risiken, die den Frieden der Völkergemeinschaft gefährden, muss die EU zusammen mit der NATO mit der gemeinsam konzipierten Fähigkeit begegnen, Krisen zu entschärfen, Konflikte zu verhindern oder zu ihrer Beilegung beizutragen.
Das bekommt man nicht allein an Verhandlungstischen; das muss auch durch militärische Fähigkeiten umgesetzt werden können.
Wir wollen dazu keine europäische Gegenmacht, sondern eine gemeinsame strategische Ausrichtung Europas und Amerikas im Rahmen der NATO. Nur dann kann man ohne Schaden für das Bündnis für die eigenen Interessen politischen Spielraum gewinnen und dort, wo sich amerikanische und europäische Interessen nicht treffen, Entscheidungsfreiheit behalten.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zu den US-Truppen in Europa. Ich bedauere, dass die Amerikaner zwei Divisionen aus Deutschland abziehen.
Ich kann nachvollziehen, dass die Kollegen im amerikanischen Kongress um den Erhalt ihrer Armeestandorte in den USA kämpfen – das tun wir entsprechend bei uns –, aber wir müssen schon eines sagen: NATO heißt, US-Streitkräfte auch in Europa zu wollen und ihre Präsenz für politisch und strategisch richtig zu halten.
Ein notwendiges Element gemeinsamer Verteidigungs- und Aktionsfähigkeit ist gerade die Präsenz amerikanischer Kräfte in Europa. Deswegen appellieren wir an die amerikanischen Entscheidungsträger, auch dies zu berücksichtigen. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, diese Position nachhaltig darzustellen.
Wie viele Telefonverbindungen da zur Verfügung stehen, weiß ich nicht. Angeblich hat der Bundeskanzler nun wieder Kontakt mit Washington. Er sollte ihn nutzen.
Europa muss erhebliche Anstrengungen unternehmen, um seine militärischen Fähigkeiten, von denen ich geredet habe, signifikant zu steigern und vor allem die immer größer werdende Technologielücke zu den USA zu verkleinern. Insofern will ich auch ausdrücklich ein Bekenntnis zum MEADS-Projekt abgeben. Für das Projekt haben wir gestern im Haushaltsausschuss mit großer Mehrheit und im Verteidigungsausschuss ebenfalls grünes Licht gegeben.
Das Pentagon gibt für Forschung und Entwicklung rund viermal so viel Geld aus wie alle europäischen Staaten zusammen.
Das ist ein Problem. Wen das nicht interessiert, der hat nicht erkannt, dass uns dies angesichts der technologischen Fortschritte und der Technologiesprünge im globalen Wettbewerb belasten wird. Deswegen müssen wir auch daran arbeiten. Das ist nicht einfach. Das ist teuer. Aber es sind Investitionen in die Zukunft. Ich hoffe, dass der Bundeskanzler, wenn er die zweite Auflage seines Investitionsgipfels macht, auch einmal an diese Frage denkt und sie mit Herrn Chirac und den anderen Europäern bespricht.
Für uns gehört auch die Zusage dazu, strategische Lufttransportmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, den permanenten Mangel an Hubschraubern, vor allem für Transportaufgaben, abzustellen und die Ausbildung der Soldaten auf neue Aufgaben auszurichten.
US-Senator Lugar hat 1993 in seiner berühmten Budapester Rede gesagt: “NATO will go out of area or go out of business.” Die NATO muss sich also um ihrer politischen Bedeutung willen als Ordnungs- und Stabilitätsbündnis jenseits der Grenzlinien des Kalten Krieges verstehen. Heute müssen wir begreifen, dass Europa mit der NATO ein zukunftsfähiges Bündnis in Händen hält, das daran zerbrechen kann, dass insbesondere Deutschland aus Langeweile oder wegen politischer Nabelschau politisch nicht mehr investiert. Dass da investiert wird, wäre aber für das Ziel unseres Landes, in Sicherheit zu leben, wichtiger als manche der eigenartigen Verrenkungen, die der Vorturner Schröder gegenwärtig vollführt, um den begehrten Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bekommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Staatsminister Hans Martin Bury.
Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 8. Mai dieses Jahres feiern wir den 60. Jahrestag der Befreiung Deutschlands, den 60. Jahrestag des Zusammenbruchs der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Zwei Tage zuvor, am 6. Mai 2005, begehen wir den 50. Jahrestag des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur NATO.
Was in den 50er-Jahren politisch noch heftig umkämpft war – Wiederbewaffnung und Westbindung –, erwies sich als außen- und sicherheitspolitische Basis für eine beispiellose Entwicklung.
Den Bundesregierungen von Konrad Adenauer bis Helmut Schmidt gebührt in der Tat Dank und Anerkennung für strategische Weitsicht.
Dass 1989 die Mauer fiel, war auch ein Verdienst der transatlantischen Partnerschaft, aber zugleich der Tatsache geschuldet, dass mutige Politik die Spielräume zu nutzen wagte, die dank militärischer Sicherheit durch die NATO außenpolitisch erwuchsen. Die Ostpolitik Willy Brandts hat zur Annäherung der gegnerischen Blöcke und der beiden deutschen Staaten entscheidend beigetragen und damit das Fundament für die spätere Wiedervereinigung gelegt, die wir den Menschen in Polen, Ungarn und Tschechien und vor allem in der damaligen DDR verdanken.
Die Rolle der NATO hat sich mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes fundamental gewandelt. Ihre Bedeutung ist jedoch nicht geringer geworden. Denn die NATO ist mehr als ein Militärbündnis und mehr als eine Verteidigungsallianz. Sie ist eine Gemeinschaft, die für Freiheit und Demokratie einsteht, getragen von gemeinsamen Werten und weitgehend übereinstimmenden Interessen.
Deutschland und Europa haben von der nordatlantischen Partnerschaft in besonderer Weise profitiert und wir engagieren uns in besonderem Maße für die und in der NATO und der Europäischen Union.
Die Entscheidung im Herbst 1998 war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum ersten Mal zogen wir aus unserer leidvollen Geschichte nicht die Konsequenz besonderer militärischer Zurückhaltung, sondern die Konsequenz besonderer Verantwortung für die Sicherung von Menschen- und Minderheitenrechten auch mit militärischen Mitteln, wo andere Mittel nicht ausreichen oder nicht zur Verfügung stehen. Was Europa nicht schaffte, gelang mit Hilfe der NATO: das Morden auf dem Balkan zu stoppen und die Bedingungen für die Entwicklung von Freiheit und Demokratie zu schaffen.
Heute ist es die Annäherung an NATO und EU, die der Entwicklung der Länder des westlichen Balkans Ziel und Perspektive und damit den Menschen Hoffnung gibt. In den mittel- und osteuropäischen Staaten war die Kombination aus der Softpower der Europäischen Union und dem Schutzversprechen der NATO so stark und so attraktiv, dass sich Zivilgesellschaften und Staaten auf den Weg der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit begeben haben. Das Maß an Vertrauen und der Grad der Zusammenarbeit, die heute zwischen Staaten erreicht wurden, die sich noch vor wenigen Jahren bis an die Zähne bewaffnet feindlich und ängstlich gegenüberstanden, ist unglaublich. Die Europäische Union ist das größte und erfolgreichste Friedensprojekt aller Zeiten.
Doch machen wir uns nichts vor: Erst in Verbindung mit der NATO entstand die magnetische Anziehungskraft für die ehemaligen Mitglieder des Warschauer Paktes und frühere Teile der Sowjetunion.
Gestern haben die NATO-Außenminister in Wilna über die Weiterentwicklung des Bündnisses beraten. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat diese notwendige Debatte über die strategische Ausrichtung des Bündnisses und seine Funktionsfähigkeit entscheidend angestoßen. Entgegen einigen aufgeregten Reaktionen gespielter Empörung ist schnell deutlich geworden: Nur wer bereit ist, die NATO weiterzuentwickeln, wird ihre zentrale Rolle für den Frieden in der Welt und den transatlantischen Dialog bewahren, meine Damen und Herren.
So bedrohlich die Blockkonfrontation des Kalten Krieges war, das „Gleichgewicht des Schreckens“ war in gewissem Maße berechenbar. Heute sind wir mit ganz neuen, oft asymmetrischen Bedrohungen konfrontiert. An der Peripherie Europas und in weiter entfernten Regionen führen der zunehmende Verfall von staatlichen Strukturen, Bürgerkriege und das Auseinanderbrechen von Staaten dazu, dass bewaffnete Gruppen und nicht staatliche Akteure immer weiter an Einfluss gewinnen. Die Folgen sind Terrorismus, organisierte Kriminalität, Korruption sowie Menschen- und Drogenhandel.
In unserer globalisierten Welt sind dies nicht mehr regional begrenzte Phänomene; sie gefährden in vielfältiger Weise auch die Sicherheit der internationalen Gemeinschaft. Die Antwort darauf kann wie in Afghanistan zum Teil in militärischen Mitteln bestehen. Sie kann sich jedoch darauf in keinem Fall beschränken und sie muss nicht nur weit umfassender, sondern auch viel früher ansetzen. Wir haben eine moralische Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen. Gleichzeitig tragen wir damit zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bei.
Sicherheitspolitik muss nachhaltig sein und sie muss umfassend sein. Nur so können wir gewaltsame Konflikte verhindern oder eindämmen und gesellschaftliche Strukturen nach einer Krise nachhaltig stabilisieren. Deutschland engagiert sich in diesem Sinne in vielfältiger Weise und weit über das Bündnisgebiet hinaus. Wir unterstützen weltweit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Achtung von Menschenrechten, sozialen Ausgleich und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
Eine Energiepolitik, die erneuerbare Energien fördert und die Energieeffizienz steigert und damit die Abhängigkeit von Öl und Kernbrennstoffen verringert, ist zugleich ein Beitrag zum Frieden in der Welt. Der Kampf gegen Hunger und Armut, gegen Rechtlosigkeit und Ausgrenzung ist auch ein Beitrag, der Entstehung von Hass und Gewalt den Boden zu entziehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die große Anteilnahme und Solidarität der Menschen in Deutschland hervorheben. Sie haben etwa der verheerenden Flutkatastrophe eine Woge der Solidarität entgegengesetzt. Wir können stolz sein auf eine Gesellschaft, die in vielfältigen Beiträgen, Projekten und Aktionen Tag für Tag beweist, dass Verantwortung keine nationalen Grenzen kennt.
Deutsche Soldaten leisten auf dem Balkan oder in Afghanistan in vorbildlicher Weise ihren Beitrag zum Aufbau und zur Entstehung aktiver Zivilgesellschaften. Kein Land ist bei NATO-, aber auch bei EU-Operationen in diesem Maße international mit Truppen präsent wie Deutschland.
All diese Facetten, die heute Bestandteil einer sicherheitspolitischen Debatte sind und sein müssen, unterstreichen die Notwendigkeit einer Intensivierung und Verbreiterung des transatlantischen Dialogs. Es ist bedauerlich, aber wahr, dass die NATO heute nicht immer in ausreichendem Maße der Ort für die notwendigen politischen Verständigungen ist. Es ist erfreulich, aber nicht ohne Konsequenz, dass die EU ihrerseits den Weg der Zusammenarbeit auch und gerade im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik nach den Schwierigkeiten der vergangenen Jahre mit umso größerer Entschlossenheit begeht.
Die gleichen Kritiker, die eine Debatte über eine Reform der NATO für falsch oder gar gefährlich hielten, spotteten 2003 über die von Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland entwickelte Idee einer verstärkten Zusammenarbeit in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Kollege Schmidt hat wieder das Wort vom „Pralinengipfel“ gebraucht. Ausgerechnet diejenigen, die sonst stets eine Abstimmung mit großen und kleineren Partnern in der EU fordern, machen diese nun zum Ansatzpunkt für billige Kritik – eine Kritik allerdings, um die es insgesamt recht still geworden ist, denn die EU hat unsere Idee aufgegriffen
und die Grundlagen für eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geschaffen, die es uns ermöglichen soll, auch selbstständig militärische Verantwortung wahrzunehmen, wenn andere Partner sich nicht beteiligen wollen oder können. Diese Option ist auch und gerade dann von Bedeutung, wenn man bereit und in der Lage ist, eine Beteiligung abzulehnen, weil man im Einzelfall von der Richtigkeit militärischen Vorgehens nicht überzeugt ist.
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist jedoch keine Alternative zur NATO, erst recht kein Ersatz. Wir stärken damit den europäischen Pfeiler der Brücke über den Atlantik, militärisch und politisch.
Die strategische Partnerschaft mit Russland, unser Bemühen um eine Einbindung Chinas oder das Wahrnehmen europäischer Verantwortung in Afrika und im Nahen Osten sind wichtige Beiträge zu einer Weltinnenpolitik.
Ich begrüße, dass der amerikanische Präsident nach seiner Wiederwahl EU und NATO in Brüssel besucht und sein Interesse und seine Bereitschaft zur Intensivierung der Zusammenarbeit unterstrichen hat. Unser Zusammenwirken etwa bei den Bemühungen, iranische Nuklearkapazitäten zu verhindern, belegt, dass unterschiedliche Ansätze, wenn sie einander ergänzen, durchaus geeignet sind, ein gemeinsames Ziel zu befördern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mancher Beitrag in der heutigen Debatte schien mir ein wenig geprägt von der neokonservativen Vorstellung, die Amerikaner lebten auf dem Mars und die Europäer auf der Venus. Fast ist man geneigt, zu ergänzen: und die Union hinter dem Mond.
Denn der Antrag der CDU/CSU beschränkt sich im allgemeinen Teil auf Pathos und Polemik und im Detail weitgehend auf Maßnahmen, die unter maßgeblicher Mitwirkung der Bundesregierung bereits beschlossen wurden oder umgesetzt werden. Ich muss auch sagen, Herr Kollege Pflüger: Ihr Einstieg in diese Debatte war keine Festrede zum 50. Jahrestag des NATO-Beitritts,
sondern hat eher verraten, dass Sie und die Union noch im Weltbild der 50er-Jahre gefangen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre NATO sind für uns Anlass zu Dankbarkeit und Selbstbewusstsein und Auftrag, die Zukunft in einer handlungsfähigen Europäischen Union und einer vertrauensvollen transatlantischen Partnerschaft aktiv zu gestalten.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz von der CDU/CSU-Fraktion.
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser engagierten Festrede vonseiten der Bundesregierung, Herr Staatsminister,
möchte ich an einen Ausspruch erinnern, der nach dem Ende des Kalten Krieges oft zu hören war: Wir seien jetzt nur noch von Freunden umzingelt,
wozu dann noch die NATO? Diese Kurzschlussformel war nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa und dem Ende des Kalten Krieges oft zu hören.
Als damals der Warschauer Pakt aufgelöst wurde, wurde auch von Ihrer Seite die Frage gestellt, warum man nicht auch die NATO auflöst.
Das hat zu Beginn der 90er-Jahre nicht nur die PDS gefordert, sondern auch mancher aus den Reihen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
– So ist es; Herr Ströbele erinnert sich. – Aber die Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken wollten partout Mitglied in dem von vielen von Ihnen für überflüssig gehaltenen Verteidigungsbündnis werden. Damit hatten Sie nicht gerechnet.
Im Grunde hat Sie erst der dringende Wunsch der Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken nach einer Mitgliedschaft in der NATO dazu gebracht, deutsche und europäische Sicherheit künftig nicht, wie Sie es zunächst vorhatten, der OSZE zu überantworten. Heute wissen auch Sie, wie gut es ist, dass wir die NATO haben und dass wir sie auch im 21. Jahrhundert als Garanten unserer äußeren Sicherheit brauchen.
Wenn man von den Verrenkungen, die Winfried Nachtwei im Hinblick auf die Zeit der Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss pflichtgemäß machen musste
– denn er möchte sich auf dem nächsten Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen Gehör verschaffen –, absieht, hat seine Rede gezeigt: Im Grunde weiß heute jeder in diesem Hause, dass wir die NATO als Garanten unserer äußeren Sicherheit brauchen.
Deshalb muss sich die NATO den neuen Bedrohungen unserer Sicherheit und den sich daraus ergebenden Herausforderungen stellen.
Die Region des Persischen Golfs, Herr Kollege Weisskirchen, wird für die euroatlantische Sicherheit immer wichtiger. Die wahrscheinlichsten Bedrohungen durch Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen haben ihren Ursprung in dieser Zone der Instabilität. Deshalb ist die NATO in Afghanistan und im Irak engagiert. Deshalb dehnt sie ihre Präsenz über ihre traditionellen Einsatzgebiete aus. Und deshalb brauchen wir dringend eine aktivere Politik der NATO in der Golfregion. Lassen Sie mich gleich an dieser Stelle sagen: Es geht vor allem um eine aktive politische Rolle der NATO, nicht so sehr um ein zusätzliches militärisches Engagement.
Auf dem Gipfel in Istanbul hat die NATO im Jahr 2004 die so genannte Istanbul Cooperation Initiative beschlossen. Das vorrangige Ziel dieser Initiative ist es, interessierten Staaten der Region in Sicherheitsfragen die Zusammenarbeit mit der NATO anzubieten, um auf diese Weise Sicherheit und regionale Stabilität zu stärken. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass die Aktivitäten der NATO von den Staaten der Region gewünscht und akzeptiert werden. Bisher beteiligen sich Kuwait, Bahrain und Quatar an dieser Initiative. Die NATO sollte in dem Bemühen, auch die anderen Staaten der Golfregion einzubeziehen, nicht nachlassen.
Die Istanbuler Kooperationsinitiative bietet ein breit gefächertes Instrumentarium an, um interessierten Ländern dabei zu helfen, ihren Sicherheitsbedürfnissen auf eine Weise zu entsprechen, die weiteres Wettrüsten in der Region verhindert. Deshalb ist zu überlegen, die Istanbuler Initiative durch eine Klausel ähnlich der in dem Programm „Partnerschaft für den Frieden“ zu ergänzen, nach der Konsultationen mit der NATO für den Fall vorgesehen werden, dass sich ein ICI-Partner in seiner Sicherheit bedroht fühlt. Das würde zusätzliche Sicherheit gewährleisten.
Mittel- und längerfristig sollte die NATO den Staaten der Golfregion dabei helfen, neue Mechanismen kollektiver Sicherheit zu etablieren. Solche vertrauensbildenden Maßnahmen können zu neuen Sicherheitsstrukturen in der Region des Persischen Golfs führen, in die dann auch andere Staaten der Region einbezogen werden könnten. Diese politischen Anstrengungen der NATO sollten eine Politik der EU flankieren, mit der wir innere Reformprozesse und wirtschaftlichen und demokratischen Wandel in den Ländern der Region behutsam und beharrlich unterstützen. Auch wenn Übereinkommen kollektiver Sicherheit nur schrittweise und nur über einen längeren Zeitraum hin erreicht werden können, ist es trotzdem notwendig, alles daranzusetzen, in dieser spannungsgeladenen Region, die für Europa, für die USA und für die ganze Welt so wichtig ist, dorthin zu kommen. Übrigens haben Staaten der Region auch umgekehrt bereits zur euroatlantischen Sicherheit beigetragen, etwa im gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Meine Damen und Herren, es muss die NATO auch kümmern, was im Iran geschieht; ich kann dieser Feststellung des NATO-Generalsekretärs, zu lesen in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, nur zustimmen.
Der NATO-Rat sollte Iran auf seine Tagesordnung setzen. Die NATO könnte die Plattform abgeben, auf der eine in erster Linie diplomatische Strategie abgestimmt wird: Erstens. Wie kann man Iran überzeugen, Kernenergie nur zu friedlichen Zwecken zu nutzen? Wie kann dies objektiv, dauerhaft und kontrolliert garantiert werden? Zweitens. Wie kann man die politische Isolation Irans beenden? Drittens. Wie kann man das Land in einen regionalen Sicherheitsdialog einbeziehen? Diese Punkte gehören auf die Tagesordnung des NATO-Rates.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass es gelingen wird, Iran dauerhaft zur Befolgung der Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag anzuhalten, wenn die Europäer und die USA dieses Ziel im Rahmen einer gemeinsamen Strategie verfolgen. Und wo sollten Europäer und Amerikaner über solche für unsere transatlantische Sicherheit so entscheidenden Fragen sprechen, wenn nicht in der NATO?
Die NATO ist und bleibt das Verteidigungsbündnis, dem wir aus guten Gründen auch im 21. Jahrhundert unsere Sicherheit, den Frieden und die Freiheit anvertrauen können. Weil die NATO ein Bündnis auf Gegenseitigkeit ist, muss Deutschland auch zum Bündnis beitragen – nach seiner Größe und Leistungsfähigkeit und nach der Bedeutung, die wir wahrnehmen wollen. Dafür braucht die Politik nicht zuletzt angesichts knapper Kassen auch die Unterstützung der Öffentlichkeit. Dafür arbeitet, mit tatkräftiger Unterstützung aus allen Fraktionen sowie der Bundesregierung, auch die Deutsche Atlantische Gesellschaft. Ich möchte diese Debatte zu 50 Jahren deutscher NATO-Mitgliedschaft deshalb auch zum Anlass nehmen, mich dafür bei der Bundesregierung, bei meinen Kolleginnen und Kollegen und vor allem bei den über 3500 Mitgliedern der Deutschen Atlantischen Gesellschaft zu bedanken, die in 29 Arbeitskreisen überall in Deutschland vertreten sind, die sich beständig und immer wieder an der sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland beteiligen und für die Aufgaben und Ziele der NATO im 21. Jahrhundert einsetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Arnold von der SPD-Fraktion.
Rainer Arnold (SPD):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Die Bundeswehr war und ist fest integriert in die militärischen Strukturen der NATO. Sie wurde nach dem Beitritt Deutschlands zur NATO fest in ein Bündnis demokratischer Staaten eingebettet. Diese feste Einbettung ist auch ein Teil unserer geschichtlichen Erfahrungen und Konsequenzen.
50 Jahre NATO-Mitgliedschaft haben die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik geprägt, ebenso das innere Gefüge der Bundeswehr: Sie war und ist von vornherein nur darauf ausgerichtet, zusammen mit anderen Bündnispartnern – und nicht alleine – die äußere Sicherheit unseres Landes zu wahren. Natürlich sind die 50 Jahre auch Anlass zum Feiern.
Der Antrag der Union ist eine Gelegenheit zur Debatte. Wenn Sie dann allerdings statt Festreden Reden halten, die eher rückwärts gerichtet sind,
habe ich meine Bedenken. Das Zweite – die Kollegen des Verteidigungsausschusses wissen das –: Es wird auch einen offiziellen Anlass zum Feiern geben: Das 50-jährige Jubiläum der Bundeswehr wird im Herbst mit vielen Veranstaltungen – unter anderem einer großen hier – begangen. Auch durch die Personen, die dort auftreten, wird sehr deutlich sichtbar werden, dass das Jubiläum der Bundeswehr und das Jubiläum der NATO nicht getrennt voneinander gefeiert werden, sondern unmittelbar miteinander verknüpft sind. Hier besteht also kein Anlass zu Kritik.
In all diesen 50 Jahren hat sich die NATO als fähig erwiesen, den sicherheitspolitischen Herausforderungen während des Kalten Krieges wirkungsvoll zu begegnen. Sie hat sich nach 1989 dieser veränderten Welt angepasst. Die NATO befindet sich mitten in ihrer eigenen Transformation. Sie ist dabei, sich auch politisch neu zu justieren. Das zeigt, dass sich manche, die Zweifel daran hatten, dass die NATO diesen Wandel schafft, irren. Die NATO bleibt ein sehr lebendiges Bündnis. Eines fand ich immer ganz spannend: Bei allem Dissens mit den Vereinigten Staaten in der Frage des Irakkrieges – Sie haben das heute wieder angesprochen; es war nicht anders zu erwarten – hatte der politische Streit nie Auswirkungen auf das innere, funktionale Gefüge der NATO. Operativ hat alles nach wie vor ohne Probleme sehr gut zusammengearbeitet und gepasst.
Wer sich Ihren Antrag anschaut, dem wird sehr schnell klar, dass es Ihnen letztlich nicht um die Würdigung der NATO, sondern sicherlich ein Stück weit vordergründig darum geht, mit dem Finger auf diese Koalition zu zeigen. Ihre Argumente sind allerdings sehr dünn.
Lassen Sie mich das deshalb noch einmal in Erinnerung rufen.
Deutschland gehört bei NATO-Missionen zu den größten Truppenstellern innerhalb des Bündnisses. Das betrifft den Balkan, Afghanistan und auch manche andere kleine Aufgaben, die die NATO in ihrer Geschichte erfüllt hat. Sie vergessen dabei auch: Der Wandel der NATO, den wir mit der Bundeswehr in einem parallelen Prozess mitmachen, wird von einem sozialdemokratischen Minister mitgestaltet. Dieser Wandel bedeutet gleichzeitig ein Stück weit die Auflösung eines Reformstaus, den wir 1998 vorgefunden haben. Wir haben damit begonnen, die Bundeswehr diesen neuen Aufgaben anzupassen. Wann werden Sie endlich verstehen, dass sich die Bundeswehr und die Bundesregierung bei ihren NATO-Engagements nicht verstecken müssen?
Gestern war eine ganze Reihe Kolleginnen und Kollegen Verteidigungspolitiker bei den großen Manövern, die an verschiedenen Stellen in Deutschland stattgefunden haben. 25 Partner waren daran beteiligt. Jeder konnte dort sehen, dass die Bundeswehr von der Ausbildung der Soldaten über die Motivation der Soldaten bis hin zum Gerät, das dort in aller Breite vorgeführt wurde, hervorragend auf diese zukünftigen Aufgaben vorbereitet ist. Jeder von Ihnen, der in den Einsatzgebieten mit Soldaten und Politikern der NATO-Partner redet, merkt doch auch, dass die deutschen Soldaten dort einen außerordentlich großen Respekt für ihren Einsatz erhalten. Ich sage ausdrücklich: Unsere ganze Gesellschaft und auch wir Parlamentarier können stolz auf die Arbeit der deutschen Soldaten in den Einsatzgebieten sein.
Nein, in Ihrem Antrag fehlt wirklich eine kontinuierliche, konsistente Linie. Sie schreiben zum Beispiel:
Die Mitgliedschaft beruht auf der Freiwilligkeit und der Unabhängigkeit ihrer Mitglieder.
Ein paar Zeilen später, wo Sie über den Irakkrieg reden, hört sich das bei Ihnen bereits ganz anders an. Mit Ihrer Eingangsformulierung haben Sie aber in der Tat Recht. Vielleicht haben Ihre Arbeitsgruppen, die den Antrag formuliert haben, nicht ausreichend kooperiert. Diesen Eindruck gewinnt man an verschiedenen Stellen in Ihrem Papier.
Es ist in der Tat so: In der NATO herrschen nicht Befehl und Gehorsam. Gerade als politisches Bündnis hat die NATO ihre Entscheidungen im Konsens zu treffen. Die Mitgliedstaaten bringen ihre Interessen und ihre Positionen selbstständig ein. Vielleicht musste der eine oder andere NATO-Partner hier auch ein wenig dazulernen, dass Deutschland, das in vielen Jahren NATO-Partnerschaft aufgrund seiner besonderen historischen Verantwortung und seiner Position als Nahtstelle während des Kalten Krieges – die Grenze ging quer durch Deutschland – eine ein Stück weit besondere Rolle hatte, jetzt plötzlich begonnen hat, seine Pflichten in der NATO wie alle anderen NATO-Partner auch entsprechend seinem ökonomischen Gewicht und seiner Größe zu erfüllen. Der eine oder andere NATO-Partner musste allerdings auch lernen, dass mit der Erfüllung dieser Pflichten durch Deutschland natürlich auch das Einfordern der selbstverständlich partnerschaftlichen Rechte auf Augenhöhe verbunden ist. Dies hat die Bundesregierung in den letzten Jahren notwendigerweise sichtbar gemacht.
In Ihrem Antrag gehen Sie in einem anderen Zusammenhang auf die Rede des Bundeskanzlers in München ein. Es ist interessant, sich das genauer anzusehen. An der einen Stelle heißt es, dass man sich mit dem Bericht des Rates Hoher Experten zur Reform der Vereinten Nationen vom Dezember 2004 eingehend auseinander setzen sollte und daraus Konsequenzen für das Handeln der NATO gezogen werden sollten. Gleichzeitig kritisieren Sie den Bundeskanzler, der genau das tut, was Sie in Ihrem Antrag formulieren. Ich denke, er hat mit seiner Rede in München, in der er ausführte, dass dieser politische Prozess und dieser Diskurs in der NATO geführt werden muss und dass es hier Defizite gibt, ins Schwarze getroffen.
Wir sollten selbstkritisch sagen: Wenn in der NATO nur über Fähigkeiten, Fähigkeiten und noch einmal Fähigkeiten – wie der alte Sekretär sagte – geredet wird, nicht aber die politischen Veränderungen und die Neujustierung der NATO berücksichtigt werden, und wenn wir Europäer nicht in der Lage sind, dieses inhaltliche Defizit mit einer gemeinsamen europäischen Position ausreichend zu füllen, dann gehöre ich nicht zu denen, die sich darüber beklagen, dass die Vereinigten Staaten dieses Defizit ausfüllen. Deshalb hatte der Bundeskanzler in vielerlei Hinsicht Recht: Wir müssen diese politische, inhaltliche und strukturelle Debatte über die Zukunft, die Aufgaben und Fähigkeiten der NATO miteinander führen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den von Herrn Schmidt angesprochenen Fähigkeiten sagen. Herr Schmidt, alle europäischen Partner in der NATO haben erkannt – es gibt dazu auch eine Reihe von Beschlüssen –, dass wir mehr tun müssen, um unsere Lücken aufzufüllen. Aber alle Staaten leiden unter knappen Haushalten. Deshalb kann es nur eine Antwort geben – eine Erhöhung der Etats ist nicht realistisch –: Den Europäern muss es gelingen, die knappen Mittel einfach besser zu bündeln. Das knappe Geld muss intelligenter ausgegeben werden. Es darf nicht sein, dass jedes Land selbst Entwicklungsarbeit leistet, obwohl es nicht ausreichend Forschungsgelder bereitstellen kann, und später nur kleine Stückzahlen beschafft. Auch hier ist der Transformationsprozess der NATO und, daraus resultierend, der Europäischen Union mit der Einrichtung der Agentur für Fähigkeiten – die Deutschen waren an der Ausarbeitung dieser Idee maßgeblich beteiligt – auf einem richtigen Weg. Das ist notwendig; denn es wird die einzige Chance sein, technologisch so zu arbeiten, dass die Europäer den Beitrag, den sie leisten wollen und müssen, auch tatsächlich leisten. Das wird nur gemeinsam gehen.
Ich möchte am Schluss noch einen Gedanken von Herrn Polenz aufnehmen, weil ich finde, dass er im Gegensatz zu den Vorrednern aus der Union ein Stück weit nach vorne gedacht hat. Die Überlegung, welche Verantwortung die NATO am Golf, also im Nahen und Mittleren Osten, hat, ist sehr spannend. Eines müssen wir aber ehrlicherweise hinzufügen: Die NATO kann hier nur wirksam werden, wenn sie gegenüber neuen Partnern offen ist. Letztlich wird ihr Erfolg davon abhängen, ob sie in dieser Region bei den schwierigen Konflikten als fairer Mittler wahrgenommen wird.
Dieser faire Mittler zu sein wird möglicherweise durch die Position des NATO-Partners Vereinigte Staaten nicht unbedingt ganz einfach sein. Diesen Konflikt müssen wir miteinander auflösen und diesen Diskurs mit den Vereinigten Staaten führen. Nur dann wird dies ein erfolgreiches Projekt werden können.
Alles in allem war die NATO für unsere Gesellschaft und unser Land wirklich der Garant dafür, dass meine Generation – das war für meinen Vater und meinen Großvater eben nicht selbstverständlich – in Frieden aufwachsen konnte. Deutschland wird auch in Zukunft mit der gewachsenen Verantwortung seinen Beitrag für Sicherheit, Stabilität und Frieden in vielen Teilen der Welt, in denen Menschen nicht das Glück haben, so groß zu werden, wie dies heute hier möglich ist, leisten.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/324 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Die NATO auf die neuen Gefahren ausrichten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/44 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Stimmenthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/5323 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 g sowie die Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf:
24. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
– Drucksache 15/5316 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kontrolle hochradioaktiver Strahlenquellen
– Drucksache 15/5284 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Eberhard Otto (Godern), Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weitere Monopolisierung im Schienengüterverkehr stoppen
– Drucksache 15/4947 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Birgit Homburger, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ausbau der Schienenmagistrale
Paris – Karlsruhe – Stuttgart – München – Budapest
– Drucksache 15/5041 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Eberhard Otto (Godern), Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Logistikstandort Deutschland stärken
– Drucksache 15/5044 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Einwilligung gemäß § 12 Abs. 3 des Hochschulbauförderungsgesetzes in die Verwendung von Bundesmitteln für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau für die gemeinsame Forschungsförderung nach Art. 91 b des Grundgesetzes
– Drucksache 15/5170 –
Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
g) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung abschließen
– Drucksache 15/5342 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit VerteidigungsausschussAusschuss für Tourismus Haushaltsausschuss
ZP 6 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 15/5315 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
– Drucksache 15/5314 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Günter Baumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5319 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 25 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem OCCAR-Geheimschutzübereinkommen vom 24. September 2004
– Drucksache 15/4979 –
(Erste Beratung 166. Sitzung)
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)
– Drucksache 15/5311 –
Berichterstattung:Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5311, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei
– Drucksache 15/5217 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)
– Drucksache 15/5365 –
Berichterstattung:Abgeordnete Frank Hofmann (Volkach)Ralf Göbel Silke Stokar von Neuforn Dr. Max Stadler
Hierzu liegt eine gemeinsame Erklärung der beiden Abgeordneten Pau und Dr. Lötzsch vor, die wir zu Protokoll nehmen.
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5365, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Kollegin Pau angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes sowie des Hochschulstatistikgesetzes
– Drucksache 15/5215 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
– Drucksache 15/5366 –
Berichterstattung:Abgeordnete Jörg-Otto Spiller Elke Wülfing
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5366, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU, der FDP und der Kollegin Pau angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Jochen Borchert, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Zukunft sichern – Globale Armut bekämpfen
– Drucksachen 15/923, 15/1190 –
Berichterstattung:Abgeordnete Karin KortmannDr. Christian RuckThilo HoppeMarkus Löning
Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 15/923 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Menschen mit Behinderung in Entwicklungszusammenarbeit einbeziehen
– Drucksachen 15/2968, 15/4994 –
Berichterstattung:Abgeordnete Karin Kortmann Peter Weiß (Emmendingen)Thilo Hoppe Markus Löning
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2968 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Kollegin Pau angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: § 96 a (Verfahren nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz)
– Drucksache 15/5245 –
Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Dieter Wiefelspütz Peter Altmaier Volker Beck (Köln)Jörg van Essen
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimme der Kollegin Pau angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 25 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 197 zu Petitionen
– Drucksache 15/5260 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 197 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 198 zu Petitionen
– Drucksache 15/5261 –
Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 198 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 199 zu Petitionen
– Drucksache 15/5262 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 199 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 200 zu Petitionen
– Drucksache 15/5263 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 200 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung von drei Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses erweitert werden. Diese Punkte sollen jetzt gleich als Zusatzpunkte 13 a bis 13 c aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Zusatzpunkt 13 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze
– Drucksachen 15/4638, 15/4744, 15/4923, 15/5344 –
Berichterstatter im Bundestag:Abgeordneter Ludwig Stiegler
Berichterstatter im Bundesrat:Minister Jochen Dieckmann
Mir ist mitgeteilt worden, dass das Wort zur Berichterstattung und zur Erklärung nicht gewünscht wird. Der Herr Kollege Stiegler hat allerdings eine Erklärung zu Protokoll gegeben.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Dies gilt auch für die nachfolgende Beschlussempfehlung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 15/5344? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 13 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Apothekengesetzes
– Drucksachen 15/4293, 15/4643, 15/4749, 15/4916, 15/4920, 15/5345 –
Berichterstatter im Bundestag:Abgeordneter Wolfgang Meckelburg
Berichterstatter im Bundesrat:Minister Rudolf Köberle
Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 15/5345? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 13 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Regelung bestimmter Altforderungen (Altforderungsregelungsgesetz – AFRG)
– Drucksachen 15/4640. 15/4963, 15/5177, 15/5346 –
Berichterstatter im Bundestag:Abgeordneter Werner Kuhn (Zingst)
Berichterstatter im Bundesrat:Staatsminister Geert Mackenroth
Wir kommen wiederum gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 15/5346? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 172. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 22. April 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]