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von Edda Müller
Deutschland steckt in der Innovationsdebatte. In dieser Debatte wird die so genannte grüne Gentechnik, die sich auf Lebensmittel bezieht, zum Testfall erkoren, nach dem Motto: Wer Gentechnik bei Lebensmitteln ablehnt, ist gegen Innovation und technischen Fortschritt. Typisch deutsch sei es, erst nach den Risiken und dann nach den Chancen zu fragen. Tatsächlich sei die grüne Gentechnik sicher, bisherige Untersuchungen hätten keine Gefahren für den Menschen aufgezeigt.
Dieser Befund kann nicht erstaunen – wo keine Langzeituntersuchungen vorliegen, können auch keine Langzeitfolgen erkannt werden. Tatsächlich wird die Forschung überwiegend von Biotech-Unternehmen betrieben, die selbst das größte Interesse daran haben, die Gentechnik auf den Markt zu bringen.
Als Argument für die Unbedenklichkeit der Gennahrung wird immer wieder angeführt, dass in den USA oder Kanada entsprechende Lebensmittel längst zugelassen seien. Zahlreiche Veröffentlichungen deuten allerdings darauf hin, dass Interessenverquickungen zwischen Herstellern und den Zulassungsbehörden die Unvoreingenommenheit der Behörden erheblich beeinflusst haben. In Kanada waren diese Fälle auch Gegenstand parlamentarischer Untersuchungsausschüsse.
Es ist sicher notwendig, dass Unternehmen anwendungsorientierte Forschung betreiben. Eine unabhängige Forschung über die möglichen Auswirkungen der Gentechnik auf die menschliche Gesundheit ist dadurch aber nicht zu ersetzen. Und genau diese Forschung steckt überall in den Kinderschuhen. Deshalb hat beispielsweise die British Medical Association die britische Regierung im November 2002 aufgefordert, Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen nicht zuzulassen.
Wer die Chancen von Genfood mit den potenziellen Kosten vergleicht, wird ernüchtert sein. Die Nachfrage der Verbraucher ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa praktisch nicht vorhanden. Auch die Begeisterung in der deutschen Landwirtschaft hält sich in Grenzen, denn die Absatzchancen für Genprodukte sind gering. Der flächendeckende Einsatz gentechnisch veränderten Saatguts würde zudem die Abhängigkeit der Landwirte von den Großunternehmen der agro-chemischen Industrie noch weiter erhöhen. Und schließlich sind auch die ökologischen Folgen eines großflächigen Anbaus unklar.
Die grüne Gentechnik ist das falsche Feld, um zu beweisen, wie innovationsfreundlich Deutschland ist. Es ist ein Irrglauben, eine Regierung könnte beschließen, was die Wachstumsmärkte von morgen sind – die Beispiele der Atomwirtschaft oder der LKW-Maut zeigen, dass die besten Technologieangebote ohne Akzeptanz und Nachfrage zum Scheitern verurteilt sind. Statt bestimmte Technologien in den Markt zu drücken, muss eine nachfrageorientierte Innovationspolitik Vorrang bekommen.
Nach der BSE-Krise war aus allen politischen Lagern zu hören: Das Vorsorgeprinzip muss zum Leitmotiv des politischen Handelns werden. Selbst wenn die Risiken der Übertragung der BSE-Erkrankung auf den Menschen „minimal“ sind, selbst wenn ein Risiko bisher nicht wissenschaftlich nachweisbar ist, so war BSE doch Anlass für den Aufbau eines nahezu lückenlosen Kontrollsystems.
Die Sorgen von Ärzten über die gesundheitlichen Folgen sollten Anlass genug sein, dem Vorsorgeprinzip auch bei der Gentechnik Vorrang zu verschaffen. Wer Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Organismen in die Supermärkte bringen will, sollte den Verbrauchern zumindest die Wahlfreiheit geben, sich bewusst dafür oder dagegen zu entscheiden. Diese Wahlfreiheit ist derzeit nur höchst lückenhaft, denn bei Produkten tierischen Ursprungs wird es keine Kennzeichnung geben, selbst wenn bei den Futtermitteln Gentechnik im Einsatz war. Wenn Genfood tatsächlich so unbedenklich ist, wie immer wieder versichert wird, dann gibt es keinen Grund, diese Lücken nicht schnell zu schließen.
Foto: picture-alliance
Prof. Dr. Edda Müller ist Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands e. V. 1942 in Sorau in der Niederlausitz geboren, studierte sie Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in München und Berlin und absolvierte ein Studium an der Ecole Nationale d’Administration in Paris. Sie arbeitete in Bundesinnenministerien und im Kanzleramt. Von 1994 bis 1996 war sie Ministerin für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein. Weitere Stationen waren das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und die Europäische Umweltagentur in Kopenhagen. Seit Dezember 2002 ist Edda Müller Mitglied der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission). |