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Die Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat hat im Dezember 2004 ihre Arbeit ohne greifbares Ergebnis beendet. Die geplante große Reform des deutschen Staatswesens ist damit erst einmal gescheitert. Blickpunkt Bundestag hat die Bundestagsfraktionen gefragt, wie es weitergehen kann.
Wenn in Deutschland große Reformen auf den Weg gebracht werden, dann geht dem meist ein langwieriges und zähes Tauziehen der Parteien voraus. Ob Hartz-IV, die Gesundheitsreform, Subventionskürzungen oder Veränderungen im Bildungswesen – für fast alles ist der Konsens der großen Parteien in Deutschland notwendig. Der Grund: Den meisten Gesetzesänderungen müssen Bundestag und Bundesrat zustimmen. Die Länder und der Bund haben unterschiedliche Interessen. Und wenn die Mehrheiten in den beiden Häusern unterschiedlich verteilt sind, dann kann die Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit im Bundestag allein nicht viel ausrichten.
Dieser Zwang zum Konsens rührt daher, dass Deutschland, anders als die meisten föderalen Staaten, die Kompetenzen von Bund und Ländern nicht klar abgrenzt. Das fängt bei den Finanzen an: Obwohl die Länder eigene Ausgaben haben, können sie bis auf wenige Ausnahmen weder eigenständig Steuern erheben noch Steuersätze festlegen. Die Höhe ihrer Einnahmen hängt damit wesentlich von den Entscheidungen des Bundes ab. Auch bei der Finanzierung größerer Investitionen haben die Länder wenig Autonomie. Viele große Ausgaben sind stattdessen so genannte Gemeinschaftsaufgaben, die von Bund und Land gemeinsam finanziert werden.
Das Gleiche gilt für die Gesetzgebung. Hier kann der Bund in den meisten Bereichen, die eigentlich in die Kompetenz der Länder fallen, über Rahmengesetze gemeinsame Standards festlegen. Im großen Bereich der so genannten konkurrierenden Gesetzgebung soll der Bund nur Gesetze erlassen, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse dies erforderlich macht. In der Anfangszeit der Bundesrepublik hatten die Landesgesetzgeber insoweit noch einen relativ großen Spielraum. Mittlerweile hat der Bund von diesen Kompetenzregelungen in weitem Umfang Gebrauch gemacht, so dass die Länder kaum noch Spielraum zur Gestaltung haben.
So hat sich in Deutschland mit der Zeit eine besondere Form von Föderalismus herausgebildet. Statt nach Kompetenzbereichen grenzen sich Bund und Länder nach unterschiedlichen Funktionen ab: Der Bund nimmt den größten Teil der Gesetzgebung wahr, während die Länder für den Vollzug zuständig sind. Im Gegenzug wirken die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mit und der Bund finanziert einen Teil der Investitionen, die eigentlich die Länder tragen müssten.
Diese Besonderheit des deutschen Föderalismus hat der Bundesrepublik bislang eine stabile Demokratie beschert. Veränderungen, wenn sie denn nötig waren, mussten immer von einer breiten Mehrheit getragen werden. Der Nachteil dieser Stabilität: Viele notwendige Veränderungen haben sich aufgestaut, weil es für grundlegende Reformen nicht ausreichend breite Mehrheiten gab. Hinzu kommt, dass durch die große Zahl gemeinsamer Zuständigkeiten die Verantwortung für politische Entscheidungen immer mehr verwischten. Wenn Reformen scheiterten oder schlechte Ergebnisse brachten, dann war es für den Bürger nicht mehr klar, wer dafür verantwortlich war.
Im Oktober 2003 haben deshalb der Bundestag und der Bundesrat die „Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ eingesetzt, um die Funktionen im Staat effizienter zu gestalten. Die Kommission bestand aus jeweils 16 Vertretern des Bundestages und des Bundesrates. Geleitet wurde das Gremium vom SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Franz Müntefering, und dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Beratend waren darüber hinaus die Bundesregierung, Vertreter der Landtage, der kommunalen Spitzenverbände sowie Fachleute beteiligt.
Im Wesentlichen hatte die Kommission drei Aufgaben: Sie sollte prüfen, ob die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern anders verteilt werden müssen, wie sich die Beteiligung der Bundesländer an der Gesetzgebung auf Bundesebene ändern muss und ob die gemeinsame Finanzierung von Großprojekten besser gestaltet werden kann.
Für die meisten Bereiche verständigte sich eine breite Mehrheit in der Kommission auf Reformen. In einigen besonders strittigen Punkten konnten sich die Mitglieder allerdings nicht einigen. Da ein „Gesamtpaket“ geschnürt werden musste und von Seiten der Länder keine Teillösungen akzeptiert wurden, blieb die gesamte Arbeit der Kommission formal ohne Ergebnis.
Die wichtigste und umfassendste Neuerung war eine Beschränkung der Mitbestimmung des Bundesrates in der Gesetzgebung auf Bundesebene. Nach den Vorschlägen der Kommission hätte der Bundestag die Möglichkeit haben sollen, 65 bis 70 Prozent der Gesetze ohne Zustimmung des Bundesrates zu beschließen. Derzeit sind es nur rund 40 Prozent. Im Gegenzug sollten die Länder die Möglichkeit bekommen, den Vollzug von Bundesgesetzen in eigenem Ermessen zu regeln und dafür von Vorgaben des Bundes abzuweichen.
Außerdem wollte die Kommission für einige Bereiche die Gesetzgebungskompetenz voll auf die Länder übertragen. So sollten künftig die Länder allein für den Ladenschluss, das Versammlungsrecht sowie das Gaststätten- und Spielhallenrecht zuständig sein. In die alleinige Kompetenz des Bundes wäre dagegen das Waffen- und Sprengstoffrecht, die Nutzung der Kernenergie und die Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen gefallen.
Mehr Freiheiten hätten die Länder auch bei den Regeln für ihre Staatsdiener bekommen. So hätten sie nach dem Kompromissvorschlag der Kommissionsvorsitzenden Stoiber und Müntefering die Besoldung und die Versorgung ihrer Beamten eigenständig regeln können. Lediglich der rechtliche Status von Staatsbeamten wäre auf Bundesebene geregelt worden.
Auch für die Finanzierung von Investitionen, die so genannten Gemeinschaftsaufgaben, einigte sich die Kommission auf eine Entflechtung. So sollte der Hochschulbau, auf den ein Großteil der gemeinsam verwalteten Investitionsmittel entfällt, künftig allein von den Ländern getragen werden. Für die zusätzlichen finanziellen Lasten hätten diese dann eine Kompensation bekommen. Die Mischfinanzierung durch Bund und Länder von Forschungsförderung, Agrarstruktur und Küstenschutz sollte allerdings erhalten bleiben.
Am Ende blieben allerdings vier Bereiche offen, über die sich die Kommission nicht einigen konnte. Die unterschiedlichen Interessen von Bund und Ländern konnten dort nicht überbrückt werden.
Den größten Dissens gab es in der Bildungspolitik. Dort beharrte der Bund auf der Zuständigkeit für die Zulassung zum Hochschulstudium sowie darauf, die Kriterien für Studienabschlüsse festzulegen. Auch die Länder wollten bei der höheren Bildung bundeseinheitliche Regeln. Diese wollten sie aber selbst bestimmen, wie es jetzt schon für die Schulen die Kultusministerkonferenz macht. Außerdem wollte ein Großteil der Länder, dass der Bund zukünftig nicht mehr Einfluss auf den schulischen Bildungsbereich – insbesondere über Finanzprogramme – ausüben kann. In der Terrorismusbekämpfung forderte der Bund mehr Kompetenzen für das Bundeskriminalamt (BKA). Das BKA sollte danach selbständig auf einen Tatverdacht hin ermitteln können und nicht erst, wenn es von den Polizeibehörden der Länder eingeschaltet wird. Die Länder sperrten sich gegen diese Regelung, weil sie fürchteten, dass es dadurch zum Aufbau einer Bundespolizei kommen könnte, was die Polizeihoheit der Länder untergraben würde. Im Gespräch war zuletzt ein Modell, wonach das BKA dann zuständig sein sollte, wenn eine Gefahr über ein Bundesland hinausgeht.
Das Umweltrecht sollte künftig möglichst einheitlich sein. Allerdings wollten die Länder die Möglichkeit, in bestimmten Fällen von den Regeln des Bundes abzuweichen. Gegen solche Zugriffsregeln der Länder hatte vor allem das Bündnis 90/Die Grünen Bedenken. Befürchtet wurde, dass die Länder versuchen könnten, hohe Umweltstandards, die auf Bundesebene gesetzt wurden, zu unterlaufen.
Der letzte große Streitpunkt war die Europapolitik. Vor allem die Bundesregierung wollte, dass sie künftig wieder weitgehend unabhängig von den Ländern Deutschland in Brüssel vertreten solle. Die Anfang der 90er Jahre im Grundgesetz festgeschriebenen Einflussmöglichkeiten der Länder sollten stark beschnitten werden. Doch die Länder beharrten auf den jetzt geltenden Bestimmungen des Artikels 23 des Grundgesetzes, der ihre Kompetenzen in der Europapolitik sichert.
Einigen konnten sich Bund und Länder allerdings darauf, wie mögliche Strafgelder durch Verletzung des EU-Stabilitätspakts verteilt werden sollen. Danach würde der Bund für zwei Drittel einer Strafe aufkommen. Das restliche Drittel müssten die Länder übernehmen.
Wie es mit der Föderalismusreform weitergeht, ist unklar. Mittlerweile hat sich der Bundespräsident in die Gespräche eingeschaltet und Mitte Januar versucht, mit den Vorsitzenden der Kommission die Möglichkeiten für einen neuen Anlauf auszuloten.
Text: Matthias Rumpf
Fotos: picture-alliance
Erschienen am 14. Februar 2005
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