> Debatte > Streitgespräch Entwicklungspolitik
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Weltweit müssen etwa 1,2 Milliarden Menschen täglich von weniger als einem Dollar leben. Die Vereinten Nationen wollen die weltweite Armut bis 2015 um die Hälfte reduzieren. Im Herbst wird eine kritische Zwischenbilanz gezogen. Da steht auch Deutschland mit seiner Entwicklungspolitik auf dem Prüfstand. Haben wir den Mund zu voll genommen? Folgen den großen Worten nur kleine Taten? Darüber führte BLICKPUNKT BUNDESTAG ein Streitgespräch mit den entwicklungspolitischen Sprechern der SPD- und der FDP-Bundestagsfraktion, Karin Kortmann und Markus Löning.
Blickpunkt Bundestag: Die Bundesregierung will bis 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Entwicklungspolitik ausgeben. Seit Jahren liegen wir aber weit unter dieser Zielmarke, nämlich bei 0,28 Prozent. Der Entwicklungshilfeetat müsste also um mehr als das Dreifache steigen. Ist das nicht angesichts der öffentlichen Finanzen illusionär?
Karin Kortmann: Deutschland hat dem Stufenplan der EU zur Erreichung des 0,7-Prozentziels zugestimmt. Natürlich gibt es einen Haushaltsvorbehalt. Denn wir können ja nur das Geld ausgeben, das wir auch haben. Aber durch Umschichtungen können wir sicherlich noch einiges erreichen. Denn wir müssen uns immer fragen, ob es nicht angesichts der Milliarden Menschen, die Hunger leiden, notwendiger ist, für Prävention, Sicherheit und Wachstum in den Entwicklungsländern Geld auszugeben, als bei uns die nächste Schnellstraße zu bauen. Wenn wir das Ziel einer sozialen Globalisierung wollen, was ja zugleich mehr Sicherheit für die Welt bedeutet, darf die Entwicklungspolitik nicht Schlusslicht bei der Prioritätensetzung sein.
Blickpunkt: Herr Löning, vielleicht muss die Regierung ihr Versprechen ja gar nicht mehr einlösen. Falls es zu einer schwarz-gelben Bundesregierung kommen sollte – welche Zielvorgaben würde die dann machen?
Markus Löning: Ich frage mich, ob das 0,7-Prozentziel zwingend nötig und sinnvoll ist. Vor allem darf es nicht über neue Verschuldung in Deutschland erreicht werden. Entwicklungsländer sind zumeist dann erfolgreich, wenn sie auf die eigene Kraft gesetzt haben. Natürlich bleibt Hilfe notwendig, aber wir sollten nicht so sehr auf das Geld setzen, sondern auf Unterstützung dieser eigenen Kräfte, zumal es ja auch in der Entwicklungspolitik eine Menge Geldverschwendung gibt. Bevor wir über eine Erhöhung reden, sollten wir uns deshalb auf die Mittel konzentrieren, die auch wirklich Effekte bringen.
Blickpunkt: Wenn überall die Kassen leer sind – ist da das Millenniumsziel der Vereinten Nationen auf Halbierung der weltweiten Armut nicht reichlich unrealistisch?
Kortmann: Es mag sein, dass nicht alle Länder die eigenen Zielmarken erreichen. Aber insgesamt werden wir durch den selbst gesetzten Anspruch doch große Fortschritte machen. Und die sind auch bitter nötig. Weniger für die Schwellenländer als etwa für viele Länder Afrikas, die von der Entwicklungshilfe existentiell abhängig sind. Hier ist Armutsbekämpfung eben nicht aus eigener Kraft möglich. Natürlich muss parallel dazu in den Eliten dieser Länder ein Umdenken in Richtung eigener Verantwortung erfolgen.
Blickpunkt: Wird die Glaubwürdigkeit von Politik gefährdet, wenn man ehrenhafte, aber unrealistische Ziele aufstellt und dadurch möglicherweise falsche Hoffnungen weckt?
Löning: Wenn die Entwicklungsministerin nach Brüssel fährt und zusätzliche Ausgaben von 5 bis 6 Milliarden Euro verspricht, ist dies wirklich unrealistisch und nicht zu verantworten. Denn dieses Geld haben wir schlichtweg nicht. Und weil wir Geld nicht drucken können, wird sich jede Regierung, wie immer sie aussehen wird, an die Haushaltslage anpassen müssen. Frau Kortmann hat Recht: Wir müssen die Eliten viel stärker an ihre eigene Verantwortung für ihr eigenes Volk erinnern. Das ist der entscheidende Knackpunkt.
Kortmann: Dennoch: Entwicklungspolitik darf nicht zum Brosamen werden, sondern muss – auch aus eigenem nationalen Interesse heraus – im Mittelpunkt unseres Handelns bleiben. Daran hat sich die rot-grüne Regierung gehalten. Wenn wir die Entschuldung des Iraks hinzurechnen, liegen wir in der Entwicklungshilfe im nächsten Jahr bei 0,31 Prozent des BIP. Das kann sich wirklich sehen lassen. Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit: Sie haben in den Jahren 1982 bis 1998 die ODA-Quote von 0,42 auf 0,27 Prozent abgesenkt.
Blickpunkt: Ist die Fixierung auf bestimmte Hilfsquoten, auf Zahlen, nicht ohnehin falsch? Wäre es nicht sinnvoller, die Industriestaaten würden ihre Märkte für die Produkte aus Entwicklungsländern stärker öffnen und die Subventionen für eigene Agrarprodukte streichen?
Kortmann: Richtig. Wenn der Welthandel für die Entwicklungsländer geöffnet würde, hätte dies eine enorme positive Wirkung, die uns auch finanziell entlasten würde. Deshalb ist es ja auch so wichtig, dass wir hier endlich spürbare Fortschritte verzeichnen. Hinzukommen muss aber eine auf europäischer Ebene abgestimmte Entwicklungspolitik. Mit Kleinstaaterei werden wir den Herausforderungen nicht gerecht. Jedes Land muss seine besonderen Kompetenzen in eine gemeinsame Strategie einbringen.
Löning: Leider muss man sagen, dass gerade bei der Öffnung der Märkte die Achse Schröder-Chirac völlig versagt hat. Die Franzosen sind die Hauptblockierer einer solchen Politik. Der Bundeskanzler konnte sich hier nicht durchsetzen. Jetzt der EU mehr Geld für Entwicklungspolitik zu geben, die Märkte aber weiter geschlossen zu halten, ist kontraproduktiv. Wenn wir etwa den Markt für Baumwolle öffnen würden, könnten viele Länder aus eigener Kraft ihre Entwicklung finanzieren. Das wäre viel besser, als ihnen sozusagen Sozialhilfe von Land zu Land zu geben.
Blickpunkt: Müsste man den Entwicklungsländern nicht auch stärker bei der Verarbeitung ihrer Rohstoffe helfen? Denn da passiert ja die eigentliche Wertschöpfung.
Kortmann: Ein absurdes Beispiel dafür ist der Coltan-Abbau im Kongo. Über Jahre sind die Vorkommen von fremden Mächten ausgebeutet worden. Sehr spät wurde die internationale Gemeinschaft darauf aufmerksam. Danach haben die verantwortlichen Unternehmen ihre Bezugsquellen verändert. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der Großteil des illegal abgebauten Coltans bereits in Laptops und Mobiltelefonen verarbeitet. Von einer legalen Vermarktung des Coltans hätte dagegen die gesamte kongolesische Bevölkerung profitiert.
Löning: Richtig ist, dass es nicht weiter angeht, dass unsere Zollbarrieren Rohstoffe relativ gering, verarbeitete Produkte aber hoch belasten. Hier ist vor allem die Europäische Union angesprochen. Damit die Wertschöpfung dort passieren kann, wo die Rohstoffe auch sind.
Blickpunkt: Immer wieder wird die Armutsbekämpfung durch korrupte Systeme und bewaffnete Konflikte erschwert. Wie kann da Entwicklungshilfe funktionieren? Welche Mindeststandards müssen in den Zielländern erfüllt sein?
Kortmann: Wichtige Prüfkriterien sind gute Regierungsführung, Achtung der Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Korruptionsbekämpfung. Hier müssen wir immer wieder an die Verantwortung der Regierungen und Parlamente in den Entwicklungsländern appellieren. Von ihrem Willen zum Abbau von Armut und Aufbau von demokratischen Strukturen hängt es ab, ob Entwicklungszusammenarbeit erfolgreich ist. Sie haben eine große Verantwortung dafür, ob und dass aus den Industrieländern an sie Entwicklungsgelder fließen. So bemühen wir uns in China erfolgreich unter anderem auch um einen gemeinsamen Rechtsstaatsdialog.
Löning: Auch wir sind für den Rechtsstaatsdialog. Aber wo zieht man die Grenze? Müsste man nicht bei Usbekistan sagen: Mit diesem Regime kann man nicht zusammenarbeiten, weil es sein eigenes Land ruiniert? Ich plädiere dafür, hier zwar weiterhin Menschenrechtsorganisationen zu unterstützen, nicht aber allgemeine Entwicklungshilfe zu geben, die doch letztlich nur die Regierung stützt.
Kortmann: Das tun wir ja auch nicht. Wir arbeiten nicht mit korrupten Regierungen zusammen und scheffeln denen unser Geld in den Staatssäckel. Das ist eine üble Unterstellung.
Löning: Doch. Die Bundesregierung hat gerade Nicaragua entschuldet. Nicaragua fällt aber in jene Kategorie, die Sie soeben genannt haben.
Kortmann: Aber Nicaragua ist eines der ärmsten Länder in Mittel- und Südamerika.
Löning: Aber es ist arm, weil sich die Eliten dort nicht verantwortungsvoll verhalten und weil sie korrupt sind.
Kortmann: Das ist richtig. Dennoch müssen wir Sorge tragen, dass den ärmsten Menschen der Welt auch geholfen wird.
Löning: Aber dadurch entlasten Sie das Regime vom Reformdruck!
Kortmann: Der Unterschied zwischen uns ist der: Sie setzen auf die freie Kraft der Märkte. Aber Sie unterschlagen, dass dies zu Lasten der Ärmsten der Welt geht.
Blickpunkt: Ende Juni bilanziert Europa seinen Armutsbekämpfungsbeitrag. Wo ist Deutschland da einzuordnen?
Kortmann: Wenn wir allein die ODA-Quote zugrunde legen, liegt Deutschland im unteren Drittel. Das ist verbesserungsfähig. Aber in Fragen der Kohärenz, des erweiterten Sicherheitsbegriffs, der europäischen Gemeinschaftsaufgaben und der Stärkung der multilateralen Aufgaben sind wir federführend.
Löning: Die Bundesregierung hat auf die falschen Kräfte gesetzt. Nämlich auf Geldtransfer und nicht auf die Kraft des Einzelnen. Dabei waren die Länder am erfolgreichsten, die auf die eigenen Menschen und die eigene Wirtschaftskraft gesetzt haben.
Das Gespräch führte
Sönke Petersen.
Fotos: Photothek
Erschienen am 29. Juni 2005