> Parlament > Interview Petitionsausschuss
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Wer sich durch Bürokratie oder Gesetze benachteiligt fühlt, wendet sich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages – demnächst auch einfach und unkompliziert per E-Mail. Das Eingabeverfahren wird zum 1. September modernisiert. Im letzten Jahr ist die Zahl der Petitionen stark gestiegen. Der Ausschussvorsitzende Karlheinz Guttmacher (FDP) berichtet, wo den Bürgern der Schuh drückt, bei welchen Fragen der Ausschuss helfen konnte und wie mit Massenpetitionen künftig mehr direkte Demokratie ermöglicht wird.
Blickpunkt Bundestag: Herr Guttmacher, was war im vergangenen Jahr der größte Erfolg des Petitionsausschusses?
Karlheinz Guttmacher: Für mich war es eine Korrektur bei der Lkw-Maut. Wir haben veranlasst, dass künftig auch Hilfstransporte von Privatpersonen in Krisengebiete auf der Autobahn von der Maut befreit werden. Ursprünglich galt das nur für Hilfsorganisationen. Jetzt müssen auch private Initiativen keine Maut mehr bezahlen. Was mich dabei besonders freut, ist, dass eine einzige Eingabe an den Petitionsausschuss eine Gesetzesänderung ausgelöst hat.
Blickpunkt: Worüber haben Sie sich am meisten geärgert?
Guttmacher: Wir haben im vergangenen Jahr zwei Petitionen an die Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen. Das ist, wenn man so will, das schärfste Instrument des Petitionsausschusses. In einem Fall ging es um eine sechsköpfige Familie, die eine Frist zur Beantragung einer Förderung für eine Solaranlage versäumt hatte und nun deshalb keine Fördermittel bekommen sollte. Wir alle fanden im Ausschuss, dass die Bundesregierung hier hätte kulanter sein und das Geld hätte bewilligen sollen. Leider ist das Umweltministerium unserer Bitte nicht gefolgt.
Blickpunkt: Ihrem Bericht für das Jahr 2004 kann man entnehmen, dass die Zahl der Petitionen gegenüber 2003 um 15 Prozent und gegenüber 2002 gar um 30 Prozent gestiegen ist. Wie erklären Sie sich diese Zunahme?
Guttmacher: In der Tat hatten wir im vergangenen Jahr fast 18.000 Petitionen und damit viel mehr als in den Vorjahren. Das hat vor allem mit der Gesundheitsreform und der Reform des Arbeitslosengeldes zu tun. In dem Bereich haben wir auch die meisten Eingaben. Immer wenn solche grundlegenden Veränderungen anstehen, steigt die Zahl der Petitionen an den Bundestag. Allerdings: Wir liegen noch hinter den Rekorden von Mitte der 90er Jahre, als es als Folge der Wiedervereinigung pro Jahr über 20.000 Petitionen gab.
Blickpunkt: Wer beschwert sich beim Petitionsausschuss?
Guttmacher: Die Petenten und Petentinnen sind vor allem Einzelpersonen, die sich durch eine bestimmte Regelung benachteiligt fühlen. Etwa 45 Prozent der Eingaben wollen eine Gesetzesänderung erreichen. Bei rund 55 Prozent geht es um Einzelfallentscheidungen, die als ungerecht empfunden werden. In mehr als der Hälfte dieser Fälle beschweren sich die Menschen über zu viel Bürokratie.
Blickpunkt: Welche Rolle spielt bei ihrer Arbeit die Parteipolitik?
Guttmacher: Ich glaube im Vergleich zu anderen Ausschüssen ist das nicht so wichtig. Denn bei uns stehen die Anliegen der Bürger im Vordergrund. Und wir treffen wirklich 90 Prozent unserer Entscheidungen einvernehmlich.
Blickpunkt: Sie haben angekündigt, das Petitionsverfahren zu modernisieren. Künftig wird man auch Petitionen per E-Mail einreichen können. Warum ist das nicht schon längst möglich?
Guttmacher: Es ist richtig, ab 1. September können Sie uns Petitionen auch per E-Mail schicken. Auch jetzt schon kann man Formulare für Petitionen im Internet herunterladen, die uns helfen, die Eingaben schneller zu bearbeiten. Das wird auch sehr gut angenommen. Abschicken müssen Sie Ihre Petition derzeit allerdings noch per Post, denn wir dürfen nach dem Gesetz nur Eingaben annehmen, die einen Absender enthalten und unterschrieben sind. In Zukunft werden wir in der Lage sein, durch eine Bestätigungsmail die Unterschrift zu ersetzen.
Blickpunkt: Dann kann man Massenpetitionen auch online mitzeichnen.
Guttmacher: Genau. Allerdings machen wir das zunächst im Rahmen eines Modellversuchs über zwei Jahre. Natürlich wird es das nur geben, wenn der betreffende Petent oder die betreffende Petentin damit einverstanden sind. Aber diese öffentlichen Petitionen sind für mich ein wichtiger Fortschritt für mehr direkte Demokratie.
Blickpunkt: Was ändert es denn, wenn eine Petition von vielen Bürgern unterschrieben wird?
Guttmacher: Für uns ist es natürlich ein Zeichen dafür, wie dringend ein bestimmtes Problem ist. Wir wollen in Zukunft aber noch einen Schritt weiter gehen. Wenn eine Sammelpetition von 50.000 Unterstützern mitgezeichnet ist, dann werden wir im Regelfall eine öffentliche Anhörung zu dem Thema veranstalten.
Blickpunkt: Warum belastet man eigentlich den Petitionsausschuss mit all diesen Beschwerden über Missmanagement in der Verwaltung? Man könnte diese Arbeit ja auch einem Bürgerbeauftragten überlassen. Es gibt ja viele Länder, die mit einer solchen Einrichtung gute Erfahrungen gemacht haben.
Guttmacher: Es ist zwar richtig, dass man damit die Arbeitsbelastung im Petitionsausschuss vermindern könnte. Und es kann Vorteile haben, wenn die Bürger eine Person haben, an die sie sich wenden können. Aus meiner Sicht sind die Petitionen allerdings ein wichtiges Feedback für uns Politiker. Und diese Chance, direkt mitzubekommen, welche Auswirkungen unsere Gesetze haben, die sollten wir uns nicht nehmen lassen. Vor allem aber können wir unmittelbarer im Hinblick auf Bitten zu Gesetzesänderungen reagieren. Wenn wir aufgrund einer Eingabe erkennen, dass ein Gesetz geändert werden muss, können wir Anregungen zum Beispiel direkt in die Arbeit unserer jeweiligen Fraktion einbringen. Hier sind wir gegenüber Bürgerbeauftragten eindeutig im Vorteil.
Interview: Matthias Rumpf
Foto: Deutscher Bundestag
Erschienen am 27. Juli 2005