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Thomas Müller und Thorsten Kuhn passen auf. Ihre Arbeit beim Polizei- und Sicherungsdienst des Deutschen Bundestages ist dann erfolgreich, wenn nichts passiert.
Im Film tragen sie meist verspiegelte Sonnenbrillen, einen kleinen Knopf im Ohr, dunkle Anzüge, und unter dem Jackett zeichnet sich deutlich der Umriss einer Waffe ab. Im Film sehen sie unglaublich cool aus, und wenn dann erwartungsgemäß etwas passiert, retten sie die halbe Welt, ohne dass der Anzug Schaden nimmt. Im Film ist alles immer ganz furchtbar. Einfach.
Im wahren Leben wollen sie, dass nichts passiert. Alle sollen in Ruhe arbeiten können und sich dabei sicher fühlen. Dafür sind sie da, die Männer und Frauen der Polizei beim Deutschen Bundestag. Sie sind für den Ernstfall ausgebildet. Ihr Dienst aber ist dann erfolgreich, wenn der Ernstfall nicht eintritt. Dafür muss man gut sein. Richtig gut.
Thomas Müller, 40 Jahre alt, und Thorsten Kuhn, 38, sind schon lange dabei, 18 Jahre der eine, 15 der andere. Beide sind Polizeihauptmeister und haben ihre Ausbildung beim Bundesgrenzschutz gemacht. Beide haben in Bonn beim Bundestag angefangen. Auch da gab es verschiedene Liegenschaften, aber alles war kleiner und somit ruhiger und deshalb anders.
Seit 1999 sind die beiden Männer in Berlin. Hier pulsiert das Leben schneller, die Gebäude des Bundestages sind groß und transparent, täglich kommen Scharen von Besuchern, es gibt mehr Staatsbesuche als früher und mehr Journalisten, die berichten wollen. Es geht wirklich oft zu wie im Bienenstock, und Sicherheit ist ein notwendiges und begehrtes Gut. Die Anforderungen sind gestiegen, auch, weil die Welt sich geändert hat. Nicht nur zum Besseren.
Die Polizei beim Bundestag ist Teil eines Referats, dessen vollständiger Name Polizei- und Sicherungsdienst lautet und in dem rund 300 Menschen arbeiten: zum Beispiel im Pfortendienst, in der Zentralen Ausweisstelle, im Ermittlungsdienst oder in einer der fünf Dienstgruppen, die rund um die Uhr in Wechselschicht arbeiten.
Oberster Dienstherr ist der Bundestagspräsident, wichtigste Aufgabe: Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bundestagsbereich abzuwehren und den Schutz aller anwesenden Personen im Parlamentsbereich zu gewährleisten. Durchsuchungen von Bereichen oder – in besonderen Fällen – von Personen, Aufklärung im Nahbereich des Bundestages, Begleitung von Schutzpersonen, Überprüfungen eingehender Postsendungen – alles dient dazu, diese Aufgaben zu erfüllen. Und alle Beamten müssen alles können, mit einer Ausnahme: Wer im Personenschutz eingesetzt wird, braucht dafür noch eine Zusatzausbildung, aber auch der wird im Dienst nicht nur als Personenschützer, sondern auch als Posten- oder Streifenbeamter eingesetzt, je nach Bedarf.
„Man entwickelt ein Gefühl dafür, was gut ist und was böse sein könnte.“ (Thomas Müller)
Wozu noch Personenschutz beim Bundestag, wenn alle „sehr wichtigen Menschen“, die VIPs also, ihre eigenen Bodyguards haben? Nun, das Hoheitsrecht in den Häusern des Bundestages hat der Bundestagspräsident, der sich wiederum seiner Polizeivollzugsbeamten bedient. Deshalb steht zum Beispiel am Eingang Ost des Reichstagsgebäudes ein Tresor, in den die Waffen der Personenschützer, die nicht zum Polizeidienst des Bundestages gehören, eingeschlossen werden müssen. Von diesem Augenblick an bürgt der Personenschutz des Bundestages für die Sicherheit der hohen Gäste. Thomas Müller und Thorsten Kuhn haben dafür einen Lehrgang absolviert. Inzwischen sind sie oft selbst als Ausbilder tätig. Wenn ihre Dienste es zulassen, machen sie für ihre Kollegen Sportausbildung, Schießtraining und Ausbildung im Personenschutz.
Man kann sich die Arbeit des Polizeidienstes so vorstellen: Alle Gebäude des Bundestages sind in Abschnitte eingeteilt. Niemand muss immer den gleichen Dienst im gleichen Haus versehen. Es gibt Außen- und Innendienste, die Aufgaben sind jeweils klar umrissen, so wie auch immer klar ist, welche Person den größten Schutz braucht. Thomas Müller und Thorsten Kuhn haben alles schon einmal gemacht.
Sie wirken beide wie die Ruhe selbst, und nur wer genau hinschaut, sieht, wie aufmerksam und auch anders sie sich bewegen, wenn sie ihre Rundgänge beispielsweise durch das Paul-Löbe-Haus machen. Sie schlendern nicht, sie gehen, sie flanieren nicht mit den Augen, sie prüfen und beobachten, sie haben, wenn sich viele Menschen an einem Ort oder in einem Raum befinden, eine gespannte, nicht angespannte Körperhaltung. Und sie schauen oft dahin, wohin es andere Blicke nicht zieht: unter Tische und Stühle, in Ecken und Nischen, in leere Räume und auf unübersichtliche Situationen.
Beide sagen, man entwickle eine andere Art Gespür, einen „polizeilichen Blick“, nennt Thomas Müller es, „ein Gefühl dafür, was gut ist und was böse sein könnte“. Ein Mensch, der sich schnell und sehr zielgerichtet auf eine Schutzperson zu bewegt, macht aus beobachtenden Polizisten eingreifende Beamte. Die sind freundlich, aber bestimmt, und sollte jemand wirklich Grenzen überschreiten, sind sie sogar sehr bestimmt. Schutz und Sicherheit haben Priorität und es gilt, dass nur die Unterlassung wirklich schlimme Folgen haben könnte.
Wer mit Menschen wie Thomas Müller und Thorsten Kuhn zusammenkommt, will meist wissen, wann denn mal so etwas richtig Spektakuläres passiert ist. So eine Geschichte eben, in der gerettet wird, gejagt und festgenommen. Die Sache mit den verspiegelten Sonnenbrillen und wilden Schusswechseln hat sich doch ordentlich festgesetzt. Wahrscheinlich sind Harrison Ford und Kevin Costner daran schuld.
Mit solchen Geschichten können die beiden Männer nicht aufwarten. Zum Glück, sagen sie. Ihnen gefiele es besser, wenn mögliche Gefahren oder Schwachstellen im Vorfeld erkannt und beseitigt werden. Dafür seien sie da, und auch das sei ausreichend psychische Anspannung, diese nie nachlassende Aufmerksamkeit, auch in ganz und gar ruhigen Situationen. Das allerdings sieht man den beiden nicht an. Soll man ja auch nicht.
Sie machen eine gute Figur in ihren dunklen Anzügen mit dem kleinen Hoheitszeichen der Polizei am Revers, sie sehen trainiert aus und sind – kann man ja mal sagen – charmant und humorvoll. Beide erzählen, dass sie schon als Jungen zur Polizei wollten. Und beide sagen, was sie hier täten, mache ihnen Spaß. Also nichts mit spektakulären Geschichten? Nein, alle Geschichten drehen sich um Sorgfalt und Aufmerksamkeit und beherztes Verhalten, wenn es nötig ist.
„Wir sind dafür da, dass alle in Ruhe arbeiten können und sich sicher fühlen.“ (Thorsten Kuhn)
Nur mal angenommen, in einem noch leeren Ausschusssaal steht ein herrenloser Aktenkoffer. Eine Nachfrage beim Plenarassistenzdienst ergibt, dass kein Abgeordneter seine Tasche schon abgestellt hat und noch mal telefonieren gegangen ist. Im Büro für Fundsachen hat auch niemand einen Aktenkoffer als vermisst gemeldet. Dann muss der Aktenkoffer geprüft und im Extremfall gesprengt werden. Ist das jetzt eine Geschichte? Noch nicht passiert, zumindest die Sprengung, nur trainiert für den Ernstfall.
Wenn im Paul-Löbe-Haus in einer normalen Sitzungswoche alle Ausschüsse tagen, zwei von ihnen Minister zur Anhörung erwarten, sich deswegen hunderte Journalisten im Haus aufhalten und gleichzeitig hoher Staatsbesuch in Berlin und im Bundestag weilt, dann sind die Arbeitstage für die Polizeibeamten besonders anspruchsvoll und besonders anstrengend. Dann kommen eine Menge Kilometer zusammen, die gelaufen werden, und dann spürt man erst nach Dienstschluss, wie angespannt die Stunden waren. Geschützt werden alle Sitzungen der Bundestagsgremien: öffentliche Plenarsitzungen, öffentliche Sitzungen von Ausschüssen und Untersuchungsausschüssen, Fraktionssitzungen, Beratungen des Ältestenrates. Hinzu kommen Einsätze bei Staatsbesuchen, internationalen Konferenzen und Tagungen. So kommt man rum, und das gefällt Thomas Müller und Thorsten Kuhn.
Natürlich gibt es Dienste, die sind beliebter als andere. Im Winter auf der Dachterrasse bei Minusgraden den Sicherheitsdienst machen, ist nicht unbedingt ein Traumjob. Thomas Müller mag da schon mehr die motorisierte Streife, die alle Liegenschaften des Bundestages abfährt, Thorsten Kuhn ist gern im Paul-Löbe-Haus. Aber am Ende hat jeder Dienst Vor- und Nachteile – Streife, Posten, draußen, drinnen, Personenschutz, Objektschutz, Tag, Nacht. Und am Ende ist jeder Einsatz nicht einmalig, aber besonders und alltäglich zugleich. So geht es zu im Leben. Im Film ist alles viel einfacher.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 15. Dezember 2004