Serie
Vorbereitung einer
Sondersitzung
Präzise wie ein Uhrwerk
Manche Entwicklungen halten sich nicht an
die parlamentarischen Tagungsplanungen. Politik macht keine Ferien.
Weltpolitik schon gar nicht. Deswegen sind auch die
Bundestagsabgeordneten grundsätzlich auf Flexibilität
eingestellt. Trotzdem sind Rückrufe aus dem Urlaub seltene
Ereignisse – so wie jetzt bei der Sondersitzung zur
Unterstützung des Bündnisses im Kampf gegen den
Terrorismus. Schon drei Wochen davor war der Bundestag zu einer
Sondersitzung zusammengekommen, um über die Erteilung des
Marschbefehls an 300 Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung des
Friedensprozesses in Mazedonien zu entscheiden. Wie funktioniert
das, wenn Parlamentarier aus allen Winkeln der Welt zu einer
Sondersitzungswoche zurückgerufen werden? Ein Blick hinter die
Kulissen am Beispiel der Sondersitzung zu Mazedonien.
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Schreiben des Kanzlers mit der
Bitte auf Einberufung der Sondersitzung. |
Es gehört zur Routine, dass die Abgeordneten sich nicht mit
einem einfachen "Tschüss" in den Urlaub verabschieden. Sie
hinterlassen gewöhnlich in jedem Jahr bei ihren Fraktionen und
im Tagungsbüro des Bundestages Adressen, unter denen sie im
Falle eines Falles erreichbar sind. "Der Fall" kam diesmal nicht
aus heiterem Himmel – ein möglicher Einsatz der Nato zum
Einsammeln von Waffen in Mazedonien hatte sich bereits in den
letzten Wochen vor der parlamentarischen Sommerpause abgezeichnet.
Die Fraktionsführungen hatten deshalb ihre Mitglieder zu
verstärkter Aufmerksamkeit aufgerufen.
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Rede des Kanzlers in der
Sondersitzung. |
Dennoch blieb wochenlang ungewiss, wann denn nun das Parlament
über die Beteiligung Deutschlands an der internationalen
Militäraktion beraten und entscheiden sollte. Die Zeit nutzten
die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, um die
"Rückrufaktion" minutiös vorauszuplanen: Wie kommt der
Antrag der Bundesregierung schnellstmöglich zur Druckerei? Wie
lange braucht die zur Herstellung der Drucksache? Wer bringt die
Unterlagen in die Fächer? Wie kommen die Einladungen zum
Versand?
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Eintüten der
Mitteilungen. |
Deshalb lief alles wie ein Uhrwerk ab, als am Donnerstag, dem
23. August, um 14 Uhr das Bundeskabinett zusammentrat und
entschied, dass die Voraussetzungen für eine deutsche
Beteiligung vorliegen. Da dies aber nicht allein Sache der
Regierung ist, sondern der Bundestag dem Einsatz der Soldaten
zustimmen muss, folgt das Kabinett dem vorgeschriebenen Weg: Um
kurz nach 15 Uhr beantragt der Bundeskanzler nach Artikel 39 Abs. 3
des Grundgesetzes beim Bundestagspräsidenten die Einberufung
einer Sondersitzung. Dieser legt daraufhin nach Rücksprache
mit den Fraktionen den Sitzungstermin fest und lädt mit einer
"Amtlichen Mitteilung" zur Sondersitzung am folgenden Mittwoch ein.
Um 16.07 Uhr erreicht die Mitteilung bereits das Tagungsbüro,
wo riesige Berge schon beschrifteter Briefumschläge bereit
liegen. Die Mitarbeiter haben den Vorlauf seit Beginn der Woche gut
genutzt. Sie empfinden die Absehbarkeit dieser Sondersitzung als
durchaus komfortabel. 666 "Mitteilungen" werden in Windeseile
eingetütet – auch ein Blatt mit Hinweisen auf den
vorläufigen Tagungsplan und die voraussichtlichen Termine der
einzelnen Fraktionssitzungen kommt mit hinein. Und ab geht die
Post.
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Transport der Briefe zum
Postausgang. |
53 Minuten nach dem Eingang der "Mitteilung" sind alle Sendungen
auf dem Weg. Und zwar als "express ident". Express wie schnell. Und
ident wie identifizierbare Ablieferung. 22 Stunden später, es
ist inzwischen Freitag Nachmittag, hat die Bundestagsverwaltung die
positive Rückmeldung von 604 Abgeordneten, die den Erhalt der
Einladung quittiert haben. Die Auslieferer unternehmen am Freitag
einen weiteren Anlauf. Als Ergebnis schmilzt die Zahl der
Unerreichten bis Samstag Morgen von 62 auf elf. Und pünktlich
zum Wochenbeginn stehen die Lichter 666 Mal auf Grün.
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Verpacken von
Sitzungsunterlagen. |
Die Anreise organisiert jeder Abgeordnete selbst. Wer zu Hause
war, hatte schon Gelegenheit, sich über den Computeranschluss
im Wahlkreisbüro in die Materie einzulesen. Andere finden die
Unterlagen in ihrem Berliner Abgeordnetenbüro. Sowohl
elektronisch als auch auf Papier ist das Material in der
Zwischenzeit an die Abgeordneten versandt worden. Die beraten zu
Beginn der Woche zunächst fraktionsintern, wie sie mit dieser
nicht ungefährlichen Mission umgehen sollen. Letzte
Gespräche laufen in den Nächten auch noch zwischen
Oppositionsvertretern und der Bundesregierung. Schließlich
soll eine größtmögliche Mehrheit des Parlamentes
hinter dem Entsendebeschluss stehen.
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Sitzung des Auswärtigen
Ausschusses. |
Dann kommt es am Mittwoch noch einmal auf eine funktionierende
Organisation an: Morgens um neun wird der Antrag der
Bundesregierung im Bundestag beraten. Am Ende dieser ersten Lesung
steht die übliche Überweisung zur detaillierten Beratung
einzelner Aspekte in die jeweiligen Fachausschüsse. In diesem
Fall sind dies der federführende Auswärtige Ausschuss,
der Verteidigungsausschuss, der Rechtsausschuss, der Ausschuss
für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe, der
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, der
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
und der Haushaltsausschuss. Sieben auf einen Streich. Und sie alle
tagen am späten Vormittag parallel zueinander – teils
mit prominenten Sachkundigen. Der Außenminister informiert den
Auswärtigen Ausschuss über den letzten Stand der Dinge,
der Verteidigungsminister den Verteidigungsausschuss. Und im
Europaausschuss kann der mazedonische Verteidigungsminister Vlado
Buckovski als Gast zusätzliche Informationen über die
Hintergründe der vertrauensbildenden Maßnahmen im
gesamten Friedensprozess für den Balkan geben.
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Sitzung des Auswärtigen
Ausschusses. |
Zustimmungen, Anregungen und Bedenken der anderen
Fachausschüsse – zum Beispiel zum Schutz der
Bevölkerung in der vorgesehenen Einsatzregion – sammelt
der federführende Ausschuss, der über das Ergebnis aller
Fachberatungen wiederum dem gesamten Parlament Bericht erstattet.
Was sonst eine Sache von Wochen ist, muss nun binnen Stunden
geschehen. Am Schluss geht es um Minuten. Haarscharf können
die mitberatenden Ausschüsse die Fristen einhalten, bis zu
denen der Auswärtige Ausschuss die Mitberatungsergebnisse
haben will, um seine Beschlussempfehlung zu formulieren.
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Sitzung des Auswärtigen
Ausschusses. |
Nicht nur die mit Mazedonien befassten Parlamentarier kommen
zwischen den beiden Plenarsitzungen zusammen. Einige Abgeordnete
nutzen die unverhoffte Gelegenheit von zusätzlichen
Sitzungstagen zur Besprechung anderer Angelegenheiten. Der
Landwirtschaftsausschuss organisiert sogar eine offizielle Sitzung,
um sich mit dem Kampf gegen die Maul-und-Klauen-Seuche zu
beschäftigen.
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Wartende
Fotografen. |
Während die Fraktionen noch einmal zusammentreten, um die
eigene politische Marschrichtung zu besprechen, laufen die
Druckmaschinen. Schließlich sollen zu Beginn der
entscheidenden Sitzung an diesem Mittwoch Nachmittag die
Beschlussempfehlung des Ausschusses sowie zusätzliche
Entschließungsanträge der einzelnen Fraktionen auf den
Pulten im Plenarsaal liegen. Vorsichtshalber hat das
Tagungsbüro den parlamentseigenen Polizei- und
Sicherungsdienst eingeschaltet, damit die Unterlagen auch bei
unvorhergesehenen Verkehrsbehinderungen das Hohe Haus rechtzeitig
erreichen. Ein Stau in Berlin soll nicht den Ablauf durcheinander
bringen, letztlich die Soldaten verunsichern, die ebenfalls schon
auf gepackten Seesäcken sitzen und auf das "Go!" des
Parlamentes warten. Aber der Weg von der Lehrter Straße zum
Reichstagsgebäude ist an diesem Mittag frei. Das Blaulicht
bleibt aus, der Fahrer der Druckerei kommt zügig durch.
Erleichterung in der Bundestagsverwaltung: "Es war knapp, aber es
hat geklappt."
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Namentliche
Abstimmung. |
Gregor Mayntz