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Debatte
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Wortlaut der Reden

Dr. Gregor Gysi, PDS/Linke Liste Dr. Wolfgang Schäuble, CDU/CSU >>

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier sind schon zahlreiche Argumente für die verschiedenen Städte -- scheinbar für die Städte -- geäußert worden. Ich kann mich in vielem dem anschließen, was Herr Kollege Thierse hier gesagt hat, und will versuchen, das nicht zu wiederholen. Vielmehr möchte ich nur einige Ergänzungen vornehmen und auch einiges zu den Argumenten sagen, die bereits geäußert worden sind.

Zunächst ist der Herr Bundespräsident damit zitiert worden, daß er die Stadt Bonn für liebenswürdig hält -- ich füge hinzu: ich auch --; das Toleranteste, was wir hier erlebt haben, waren die Einwohnerinnen und Einwohner von Bonn -- gleiches kann man von den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag nicht behaupten --, und wir wissen das durchaus zu schätzen.

Aber wer würde sich denn hier hinstellen und sagen, daß es eine Stadt in diesem Land gebe, die man nicht als liebenswürdig bezeichnen und die deshalb ausscheiden würde. Das kann ja nicht das entscheidende Kriterium sein.

Ich befürchte auch, daß die Debatte von heute -- wenn sie denn so geführt wird -- sicherlich nicht zu einer Sternstunde des Parlaments wird, wobei ich ungenügende Erfahrungen aus den Sitzungen dieses Parlaments habe, um einschätzen zu können, wann solche Sternstunden stattfinden.

Mein entscheidendes Argument für Berlin ist eigentlich eine Frage nicht nur der nationalen Glaubwürdigkeit, sondern auch der internationalen Glaubwürdigkeit, wenn man sich die Geschichte dieses Deutschlands in seinen beiden Teilen auch und gerade in den letzten vierzig Jahren ansieht. Man sollte noch einmal die vielen Äußerungen nachlesen, die dazu in den letzten vierzig Jahren, insbesondere natürlich von der westlichen Seite, gekommen sind.

Ein zweites ganz gewichtiges Argument ist -- ich denke, darin ist auch ein Teil des inneren Widerstands begründet --, daß eine Vereinigung, wie sie stattgefunden hat, eigentlich nicht nur zu sichtbaren Veränderungen im Osten Deutschlands führen darf; sie muß doch auch zu sichtbaren Veränderungen im Westen Deutschlands führen. Eigentlich soll hier doch verhindert werden, daß ein solcher erster Schritt der sichtbaren Veränderungen gegangen wird.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

Dann bitte ich Sie, doch auch noch über etwas ganz Spezifisches nachzudenken: Seit der Herstellung der Einheit am 3.Oktober 1990 gibt es nur eine Stadt, in der sich diese Vereinigung tatsächlich unmittelbar vollzieht, weil es nun einmal die einzige geteilte Stadt war. Das heißt, westliche und östliche Probleme stoßen dort direkt aufeinander; dort findet die Vereinigung sozusagen in kompensierter, vielleicht auch zum Teil in verschärfter, vielleicht auch zum Teil in schnellerer Form statt. Ich finde, deshalb ist das Bekenntnis gerade zu dieser Stadt so ungeheuer bedeutungsvoll; denn es ist die einzige Ost-West-Stadt, die wir zu bieten haben. Damit können wir, glaube ich, national und international Signale setzen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Ich wundere mich etwas, daß in dem Bonn-Antrag eine ganz wichtige Passage fehlt, nämlich die, welche Beschlüsse des Deutschen Bundestages eigentlich alle aufzuheben sind, damit dieser Beschluß angenommen werden kann. Das wäre eine Liste von mehreren Seiten.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

-- Wenn es bestritten wird, würde ich Ihnen gerne wenigstens einen Beschluß aus der 14. Sitzung der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages -- also von 1949 bis 1953 -- vorlesen. Der Deutsche Bundestag hat damals folgenden Beschluß gefaßt:

Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind.

So ist der Wortlaut dieses Beschlusses. Das zieht sich wie eine Kette durch die Legislaturperioden des Deutschen Bundestages.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Und am Schluß kommt der Einigungsvertrag!)

Zur Fairneß hätte gehört zu sagen: Wir heben hiermit diese 24 oder 25 Beschlüsse auf.

Übrigens muß der Deutsche Bundestag damals noch einen merkwürdigen Charakter gehabt haben. Der Beschluß, den ich Ihnen gerade vorgelesen habe, ging nämlich auf einen Antrag der KPD-Fraktion zurück, wurde durch einen Antrag der SPD-Fraktion geändert und dann mit der überwiegenden Mehrheit der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Das ist meiner Meinung nach schon ein bemerkenswerter historischer Vorgang,

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wir haben seitdem gelernt!)

über den es sich vielleicht auch lohnt nachzudenken, und zwar in anderer Hinsicht.

Weiter wird argumentiert -- auch Herr Bundesminister Blüm hat es so gesagt --, daß sich z. B. die USA bewußt entschieden hätten, den Regierungs- und Parlamentssitz in Washington -- im Vergleich mit New York die wesentlich kleinere Stadt -- zu installieren. Die USA waren dann aber auch so ehrlich zu sagen, daß ihre Hauptstadt Washington und nicht New York ist.

Wenn Sie sagen, daß Parlament und Regierung in Bonn bleiben sollen, müßten Sie auch die Konsequenz besitzen zu sagen: Wir fordern, daß Bonn die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland wird. Das wäre dann in sich konsequent und logisch.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Aber zu sagen, wir sind für die Hauptstadt Berlin, die entscheidenden Gremien wie Bundestag und Bundesregierung bleiben jedoch in einer anderen Stadt, heißt, eine Hauptstadt zu deklarieren, wobei Sie letztlich nicht wollen, daß sie eine ist oder zumindest eine ganz andere wird.

Gestatten Sie mir noch einen Hinweis, den ich für wichtig halte. Es wurde in der Presse immer wieder darauf hingewiesen, daß Berlin eine Stadt mit großen Problemen ist. Das stimmt. Die Probleme in Bonn sind natürlich, was das äußere Erscheinungsbild, auch was die innere Zerissenheit und vieles andere betrifft, wesentlich geringer. Aber nun frage ich: Soll ein Parlament, soll eine Regierung wirklich dorthin gehen, wo es problemlos ist, oder sollen Parlament und Regierung nicht genau dorthin gehen, wo die meisten Probleme eines Landes kulminieren, um sich ihnen direkt zu stellen und nicht den Eindruck zu hinterlassen, daß man mit diesen Problemen eigentlich nichts zu tun haben will.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Sie wissen, daß die Menschen in den neuen Bundesländern auf ein Zeichen warten. Ich finde, sie haben dieses Zeichen und dieses Signal verdient.

Ich weiß auch, daß es Argumente aus der Geschichte der Stadt gibt, die gegen die Stadt Berlin herangezogen werden. Ich finde, daß das nicht geht. Erstens hat sich deutsche Geschichte nie in einer Stadt allein abgespielt. Zweitens finde ich, Geschichte muß man annehmen. Man löst sie nicht dadurch, daß man Städte meidet. Das scheint mir überhaupt keine Lösung zu sein. Deshalb kann ich dieses Argument nicht akzeptieren.

Unser Antrag weicht deshalb von dem anderen Berlin-Antrag ab, weil er am klarsten die Sitzregelung enthält und weil er nicht Zeiten benennt, bei denen ich ganz unsicher bin, wie die Verfasser des anderen Antrages darauf gekommen sind. Ich halte das für bloße Schätzungen. Vielleicht dauert es länger, vielleicht geht es schneller. Das ist dann in erster Linie eine technisch-organisatorische Frage. Wir haben heute aber eigentlich nur eine politische Entscheidung zu treffen. Deshalb dieser Antrag mit den klaren Aussagen. Natürlich kann die Verlegung erst stattfinden, wenn die entsprechenden Probleme auch in jeder Hinsicht gelöst sind. Das ist eine andere Frage als die Feststellung, wo der Sitz ist.

Dann möchte ich gerne etwas zu Bonn sagen. Es kann doch niemand leugnen, daß das für Bonn große Probleme mit sich bringt; das ist wahr. Aber wenn die Bundesregierung und auch der Bundestag immer wieder erklären, daß sie in der Lage sein werden, die wesentlich größeren Probleme der neuen Bundesländer binnen kürzester Frist zu lösen, wieso soll dann eigentlich dieses Land nicht in der Lage sein, Infrastrukturprobleme und Arbeitsplatzprobleme der Stadt Bonn mit einem entsprechenden Förderprogramm zu lösen, das es ganz selbstverständlich geben muß?

Wenn Sie sagen, daß man dazu nicht in der Lage ist, wer soll Ihnen denn dann in den neuen Bundesländern noch glauben, daß Sie bei einer wesentlich größeren Fläche und bei wesentlich mehr Bürgerinnen und Bürgern in den nächsten Jahren dazu in der Lage sein wollen, wenn Sie sich für die Stadt Bonn für außerstande erklären, solche Probleme zu lösen, obwohl sie wesentlich geringer sind?

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wenn man Probleme hat, muß man sich nicht noch weitere machen!)

Ich fasse zusammen und bitte Sie um eine Entscheidung für Berlin. Ich glaube, das ist ein Akt der Glaubwürdigkeit, ein Signal für die neuen Bundesländer, ein Bekenntnis, Probleme wirklich anzugehen und auch Unbequemlichkeiten dafür in Kauf zu nehmen, und die Bereitschaft, deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit und nicht nur in einzelnen Zügen anzunehmen. Sie würden damit bestätigen, was gerade in diesem Hause 40 Jahre lang gesagt worden ist, und es nicht plötzlich ad absurdum führen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die ersparte Zeit hebe ich mir für ein anderes Mal auf.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei Abgeordneten der SPD)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Schäuble.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_006
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