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Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Axel Harneit-Sievers

Der Fluch des schwarzen Goldes

Nigeria, Angola, Kongo: Wie löst man das Ressourcen-Paradoxon?
Nigeria ist ein Land mit großen wirtschaftlichen und humanen Potentialen, aber sie werden schlecht gemanagt. Immer wieder ist diese Feststellung in dem westafrikanischen Erdölstaat zu hören, dem bevölkerungsreichsten und - nach Südafrika - wirtschaftsstärksten Land Schwarzafrikas. Auf dem Höhepunkt des Erdölbooms der 70er-Jahre galt Nigeria bereits als Schwellenland, als das "Brasilien Afrikas". Nach 30 Jahren fast ununterbrochener Militärherrschaft besitzt es seit 1999 zwar wieder eine gewählte Regierung. Aber auch sie hat bisher nicht vermocht, die Entwicklungsprobleme des Landes zu lösen.

Heute leben rund zwei Drittel der Nigerianer unter der Armutsgrenze; die Infrastruktur ist zerfallen. Korruption ist allgegenwärtig, immer wieder brechen gewaltsame Konflikte in verschiedenen Landesteilen auf. Sinnbilder des nigerianischen Paradoxons sind die häufigen Stromausfälle und Krisen in der Benzinversorgung beim größten Ölexporteur Afrikas.

Nigeria steht mit diesen Problemen nicht allein. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg in Angola, Staatszerfall in der Republik Kongo, Massenverarmung in eigentlich reichen Ländern: Warum leiden ausgerechnet diejenigen Staaten des Kontinents, die über große Vorkommen an natürlichen Ressourcen verfügen, besonders drastisch an Unterentwicklung, Korruption und Gewalt?

Die im engeren Sinne volkswirtschaftliche Dimension des Problems ist seit langem als "Dutch Disease" bekannt: Schnelles Wachstum der Rohstoffproduktion - im Holland der 60er war es das Erdgas - führt zu wirtschaftlichem Ungleichgewicht. Als Folge eines solchen Exportbooms wird die Landeswährung überbewertet. Zugleich wachsen die Importe, und Produktion und Exportfähigkeit anderer, etablierter Wirtschaftszweige erodieren. Tatsächlich hat der Ölboom in Nigeria Anfang der 70er eine bis dahin florierende Agrarexportwirtschaft zerstört. Im zentralafrikanischen Ölland Gabun gibt es heute fast keine kommerzielle Nahrungsmittelproduktion mehr. Die so entstehende Abhängigkeit von Ölexporten macht ein Land anfällig für externe Schocks: In Boomphasen schnellen die Staatsausgaben hoch, in Zeiten niedrigerer Preise kommt es zu Rezession und schnell wachsender Auslandsverschuldung.

Doch reichen die Gefahren offenkundig über rein wirtschaftliche Schäden hinaus. Während etwa die Niederlande oder westliche Ölproduzenten wie Norwegen und Alaska ihren natürlichen Reichtum durch kluge Politik langfristig nutzbar gemacht haben, hat die Ölförderung in Schwarzafrika in aller Regel nicht die erhoffte beschleunigte Entwicklung erbracht, sondern oft genug deren genaues Gegenteil. Dieses Paradoxon lenkt den Blick auf die politischen und sozialen Strukturen dieser Länder, die offenbar nicht in der Lage waren und sind, Ölreichtum produktiv zu verarbeiten, sondern durch ihn sogar weiter geschwächt werden.

Der Grund dafür, so der inzwischen breite Konsens unter Entwicklungsökonomen und Sozialwissenschaftlern, liegt im Charakter der Öleinnahmen. Lizenzgebühren, Steuern und andere Einnahmen, die Regierungen aus der Förderung von Rohstoffen beziehen, sind im ökonomischen Sinne "Renten": Einnahmen, die ein Staat aus Besitz oder Kontrolle von Gütern erzielt, ohne dass ihm Kosten für deren Bereitstellung entstehen. Die Erdölförderung in Afrika - kapitalinten-siv durch internationale Konzerne betrieben und mit geringen inländischen Beschäftigungs- und Vernetzungseffekten - hat krasse Beispiele regelrechter "Rentenstaaten" hervorgebracht.

Das Vorhandensein von Rohstoffrenten stellt eine Einladung zur wirtschaftspolitischen Verantwortungslosigkeit dar. Statt eine nachhaltige Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zu verfolgen, die Preisschwankungen und Begrenztheit der Ressourcen berücksichtigt, investieren Regierungen in unrealistische Großprojekte. Sie bauen langfristig nicht zu unterhaltende Infrastrukturen auf und erweitern die Staatsapparate - und sei es nur zur Ruhigstellung der Bevölkerung. Politik im Rentenstaat rotiert um die Verteilung des neuen Reichtums.

Weil Regierungen einen bequemen zentralen Zugriff auf Rohstoffrenten besitzen, stärken Öleinnahmen autoritäre Regimes - ein Zusammenhang, den Ökonomen inzwischen empirisch nachgewiesen haben. Zugleich fördern Rohstoffrenten die Korruption innerhalb der Staatsapparate selbst, stellen sie doch die einzige Quelle von Wohlstand im Rentenstaat dar. Öleinnahmen in Afrika, so das Fazit, korrodieren staatliche Institutionen und gefährden die Demokratie.

Nigeria belegt seit Jahren Spitzenplätze in der von Transparency International erstellten Liste der korruptesten Länder der Welt, und dies trotz der erklärten Antikorruptionspolitik der Zivilregierung. Wie die Wahlen im Frühjahr 2003 erneut zeigten, bedeutet Politik in Nigeria vor allem Wettbewerb um die Aufteilung des zu 80 Prozent aus Öleinnahmen gespeisten "nationalen Kuchens". In diesem Verteilungskampf investieren "politische Unternehmer" hohe Einsätze; im Erfolgsfall refinanzieren sie sich und ihre Unterstützer aus Staatsgeldern. Korruption, obwohl vielfach beklagt, gilt als unvermeidbarer Bestandteil des Lebens - als "nigerianischer Faktor". Es fällt schwer, den korrupten kleinen Beamten zu kritisieren, wenn hohe Beamte und Politiker Millionenbeträge stehlen und allenfalls in Ausnahmefällen dafür bestraft werden. Das Herzstück des Rentenstaats, die mehrheitlich im Regierungsbesitz befindliche Nigerian National Petroleum Corporation, ist ein undurchdringlicher Dschungel aus Korruption und Ineffizienz. Ihr soll 2004 durch Teilprivatisierung und externes Management zumindest die Kontrolle über Nigerias verrottete Raffinerien entrissen werden.

Das vielleicht drastischste Beispiel für Intranspa-renz und private Aneignung von Ölrenten findet sich in Angola. Wie aus einem jüngst publizierten, teilweise auf unveröffentlichten Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) beruhenden Bericht von Human Rights Watch hervorgeht, kann die angolanische Regierung für die Jahre 1997 bis 2002 für durchschnittlich 700 Millionen US-Dollar jährlich keine Rechenschaft ablegen. Die Mittel "verschwanden" auf dem Weg zwischen Ölfirmen und Zentralbank, trotz der seit Mitte der 90er laufenden Überwachungsprogramme des IWF. Der Fehlbetrag macht über neun Prozent des angolanischen Nationaleinkommens aus und entspricht etwa der Höhe aller Sozial-, Gesundheits- und Bildungsausgaben, die Regierung und Nichtregierungsorganisationen in Angola im selben Zeitraum aufwandten.

Doch das Ölrenten-Syndrom ist nicht nur für die Erosion staatlicher Strukturen verantwortlich, sondern auch für Gewalt und Bürgerkriege. In Angola wurden Ölrenten zur Finanzierung und Fortsetzung eines jahrelangen Bürgerkriegs verwendet, vor allem mit Hilfe von Krediten, die durch zukünftige Öleinnahmen abgesichert wurden.

Solche Kredite haben auch in der von mehreren Wellen eines Bürgerkriegs betroffenen Republik Kongo (Brazzaville) zur enormen Auslandsverschuldung beigetragen. Die Kriege in Angola und der Republik Kongo rühren zumindest teilweise aus der Konkurrenz rivalisierender Gruppen um die Kontrolle der Öleinnahmen. In anderen Fällen richten Regierungen Gewalt direkt gegen die Bevölkerung in den Ölförderregionen, um ihre Einnahmequellen zu sichern. Die Ölproduktion im nigerianischen Niger Delta erfolgt seit Jahren nur mehr unter massivem Einsatz von Sicherheitskräften. Sie schützen die Förderanlagen vor Protesten der lokalen Bevölkerung, die gegen ihre politische Ausgrenzung und die mit der Ölproduktion einhergehenden Umweltschäden und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen aufbegehrt - auch mit Sabotage oder Entführung von Mitarbeitern der Ölfirmen. Die Firmen ihrerseits errichten neue Förderanlagen inzwischen vorrangig vor der Küste, wo die Produktionskosten zwar höher, die Sicherheitsprobleme aber geringer sind.

Die Erdölförderung in Afrika wächst, vor allem entlang der west- und zentralafrikanischen Küste. Der "Fluch der Ressourcen" hat bereits weitere Länder wie Sâo Tomé und Äquatorial-Guinea erfasst. Immerhin haben lokale und internationale Akteure die Problematik erkannt. Inzwischen gibt es eine Reihe von Initiativen, sie auch anzugehen. Zwei Gruppen von Ansätzen lassen sich unterscheiden. Die erste will die Transparenz und Rechenschaftslegung von Öleinnahmen verbessern. Die durch die "Open Society Initiative" des Mäzens George Soros initiierte "Publish What You Pay"-Kampagne und die von der britischen Regierung initiierte "Extractive Industries Transparency Initiative" zielen auf die Offenlegung der Finanzströme zwischen Ölgesellschaften und Regierungen. Die Initiativen beruhen im Wesentlichen auf Selbstverpflichtung der Beteiligten. Druckpotenzial besteht insofern, als unkooperative Firmen und Regierungen mit negativen Reaktionen der internationalen Kapitalmärkte rechnen müssen. Eine Reihe von Ölfirmen und afrikanischen Regierungen haben ihre Mitarbeit zugesagt.

Die zweite Gruppe von Konzepten zielt auf Veränderungen bei der Verwendung und Verteilung der Öleinnahmen selbst. Dazu gehören Vorschläge zur Einrichtung sogenannter "Zukunftsfonds", die einen Teil der Ölleinnahmen zur Verwendung späterer Generationen "einfrieren", wie es sie etwa in Alaska gibt. In Botswana, einem Land mit großen Einnahmen aus dem Diamantenexport, wurde ein solcher Fond eingerichtet, doch ist das Land aufgrund seiner stabilen demokratischen Verhältnisse ein Ausnahmefall in Afrika. Es bleibt fraglich, ob Fonds dieser Art angesichts aktueller Massenarmut und mangelndem öffentlichen Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Regierungen in anderen Ländern Afrikas politisch realisierbar sind. Andere Vorschläge wollen Teile der Öleinnahmen direkt an die Bevölkerungen der Förderländer umverteilen, um damit schwachen Staaten einen Teil der Kontrolle über die Ressourcen zu entwinden. Sie setzen darauf, dass die Betroffenen selbst am besten wissen, ihre Anteile am nationalen Erbe produktiv zu nutzen.

Beide Ansätze zur Lösung des Ressourcen-Paradoxons - Verbesserung der Transparenz beziehungsweise Umverteilung - können nicht allein auf Regierungsebene realisiert werden. Die Erfahrungen des IWF in Angola zeigen, dass der Druck internationaler Finanzinstitutionen - so mächtig sie auch oft erscheinen - zwar eine begrenzte Offenlegung, aber keine wirkliche Verbesserung der Regierungspolitik erzwingen kann. Es bedarf der Zusammenarbeit von Regierungen, internationaler Firmen und afrikanischer zivilgesellschaftlicher Gruppen, um Fortschritte zu erzielen. Ein Experiment dieser Art läuft derzeit im Tschad, wo die Weltbank die Finanzierung der 2003 eröffneten Pipeline nach Kamerun mit Auflagen verbunden hat, die verschiedene Elemente der skizzierten Lösungsvorschläge verbindet.

Dr. Axel Harneit-Sievers ist Historiker und leitet das Länderbüro Nigeria der Heinrich-Böll-Stiftung.

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