Kontroverse um Sparpläne bei der Kinder- und Jugendhilfe
Berlin: (hib/KOS) Auf entschiedene Ablehnung vor allem bei Praktikern wie Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und auf Zustimmung bei kommunalen Repräsentanten stößt ein Gesetzentwurf zur Änderung des Achten Sozialgesetzbuchs (15/1114), mit dem die CDU/CSU-Fraktion jährliche Einsparungen von 150 bis 250 Millionen Euro in diesem Bereich durchsetzen will. Bei einer Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwochmittag äußerten Kritiker wie das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands die Befürchtung, dass Leistungseinschränkungen die inzwischen erreichten Fortschritte besonders bei der Betreuung seelisch behinderter Kinder, Jugendlicher und junger Volljähriger wieder rückgängig machen würden. Uneingeschränkt begrüßt wurde der Vorstoß der Union hingegen vom Deutschen Landkreistag: Die geplanten Änderungen seien ein erster wichtiger Schritt.
Der CDU/CSU-Gesetzentwurf zielt darauf ab, angesichts einer Ausgabensteigerung in der Kinder- und Jugendhilfe von 14,3 auf 19,2 Milliarden Euro zwischen 1992 und 2001 beispielsweise durch eine engere Definition der aus Sicht der Union "ausgedehnten und unbestimmten Reichweite der Rechtsansprüche" die Hilfe für Betroffene ziel- und zweckgerichteter einzusetzen und so Einsparungen zu erreichen. Unter anderem sollen die Leistungen für Volljährige auf jene Fälle beschränkt werden, bei denen bereits vor der Volljährigkeit Unterstützung gewährt wurde. Zudem plädiert die Union für Organisationsreformen und mehr Zuständigkeiten auf Seiten der Bundesländer.
Für die Diakonie erklärte Sprecher Karl Späth, Kostendämpfungen ließen sich in erster Linie durch eine "professionelle Umsetzung des ausgezeichneten Gesetzes" erzielen. Der Gesetzentwurf der Union bewirke lediglich Kostenverlagerungen von der Jugend- zur Sozialhilfe. Der Erziehungswissenschaftler Matthias Schilling von der Universität Dortmund rechnete vor, dass von einer Kostenexplosion in der Kinder- und Jugendhilfe keine Rede sein könne: Ziehe man die Inflationsrate von den Ausgabensteigerungen ab, ergebe sich innerhalb von zehn Jahren lediglich ein Plus von 13,5 Prozent: "Das sind Investitionen in die Zukunft, die spätere Folgekosten vermeiden." Norbert Struck von der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (Berlin) erklärte, dass die psychosozialen Belastungen bei jungen Menschen immer mehr zunähmen. Eine Begrenzung der Hilfen für junge Erwachsene träfe vor allem Frauen in diesem Alter, die erfahrungsgemäß erst recht spät mit ihren Problemen zu den Ämtern kämen. Die Einführung einer Beratungsgebühr für Eltern würde notwendige Hilfeleistungen erschweren. Professor Joachim Merchel von der Fachhochschule für Sozialwesen in Münster sagte, eine Zuweisung hilfsbedürftiger junger Erwachsener von der Jugend- in die Sozialhilfe wäre mit starken persönlichen Belastungen für die Betroffenen verbunden. Im Übrigen würden die Jugendämter schon heute die Zuerkennung von Hilfen restriktiv handhaben. Vor Leistungseinschränkungen warnte auch Markus Schnapka von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter: "Junge Leute dürfen nicht durch den Rost fallen."
Hingegen betonte für den Landkreistag Irene Vorholz: "Wer von der Jugend- in die Sozialhilfe wechselt, fällt nicht in ein Loch." Es sei richtig, im Gesetz "klare Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zu formulieren". Fraglich sei doch, ob ein 27-Jähriger noch eine Unterstützung als junger Erwachsener im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe bekommen solle. Hinter den Vorstoß der Union stellte sich auch Günter Tischler, Leiter des Regensburger Jugendamts: "Es muss sich etwas ändern, damit das Kinder- und Jugendhilfegesetz seine Handlungsfähigkeit bewahren kann." Man müsse künftig verstärkt die Erziehung in den Familien fördern. Wichtig seien besonders präzise Altersgrenzen für die Zuerkennung von Hilfeleistungen. Robert Sauter, Leiter des Bayerischen Landesjugendamts, setzte sich ebenfalls für eine Kostendeckelung ein: "Wir sind an der Grenze der Finanzierbarkeit angelangt." Eine solche Debatte stelle "keinen Angriff auf das Wohl des Kindes" dar. Sauter wandte sich auch dagegen, finanzielle Eigenbeteiligungen von Hilfeempfängern oder deren Eltern grundsätzlich auszuschließen. Tischler beklagte, dass die Jugendämter mittlerweile weithin nur noch als Kostenträger fungierten und kaum noch zu fachlicher Arbeit kämen.