Notwendigkeit eines absoluten Stoffschutzes im Biopatentrecht ist umstritten
Berlin: (hib/ALK) Ob ein absoluter Stoffschutz im deutschen Biopatentrecht, wie dies eine EU-Richtlinie fordert, notwendig und sinnvoll ist, wird von Patentrechtlern und Hochschulprofessoren sowie von Sachverständigen aus den Bereichen Pharmazie, Landwirtschaft und Pflanzenzucht unterschiedlich beantwortet. In den Stellungnahmen zur Öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses, die am Mittwochmittag begonnen hat, bestand jedoch weitgehende Einigkeit darüber, schnellstmöglich für mehr Rechtssicherheit auf dem Gebiet der biotechnologischen Erfindungen zu sorgen. Die Umsetzungsfrist der Richtlinie ist in Deutschland - ebenso wie in anderen EU-Mitgliedstaaten - bereits zum 30. Juli 2000 abgelaufen.
Grundlage der Diskussion waren ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ( 15/1709) sowie Anträge zur Biopatentrichtlinie der CDU/CSU ( 15/1024-neu), der FDP ( 15/1219) und der Koalition ( 15/2657).
Der Regierungsentwurf etwa will den im Patentrecht üblichen Stoffschutz unter bestimmten Voraussetzungen auch auf natürliche Gensequenzen gewähren. Kritiker wie beispielsweise Greenpeace bemängelten, dass den dahinter stehenden ethischen Fragen kaum Rechnung getragen wird. Unter Berufung auf Stellungnahmen des Petitionsausschusses und der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" forderte die Organisation, keinerlei Patente auf DNA-Sequenzen zu erteilen.
Patentanwalt Christoph Keussen sprach sich im Hinblick auf die Frage eines absoluten Stoffschutzes für eine differenzierte Betrachtungsweise aus. Zwischen synthetisierten und natürlichen Gensequenzen bestünden Unterschiede insofern, dass letztere nur eine "begrenzt zur Verfügung stehende Ressource" seien. Für natürliche menschliche Gene sei deshalb ein begrenzter Stoffschutz durchaus angemessen. Dies würde bedeuten, dass das Patent lediglich auf die entdeckte Funktion einer Gensequenz, nicht jedoch auf mögliche, noch nicht entdeckte Funktionen des Gens erteilt würde. Dieser zweckgebundene Stoffschutz sei in der Praxis jedoch schwer umsetzbar und könne problemlos unterlaufen werden, so Keussen. Professor Martin Lohse von der Universität Würzburg hingegen glaubt, eine solche Lösung sei sinnvoller als eine "starre gesetzliche Festlegung". Otmar Kloiber von der Bundesärztekammer sieht durch den begrenzten Patentschutz besonders kleine und mittelständische Unternehmen im Vorteil, deren Marktchancen durch eine erschwerte Monopolisierung einzelner Gene deutlich verbessert würden.
Hingegen forderte Thomas Seuß von der Schering AG einen absoluten Stoffschutz bei natürlichen DNA-Sequenzen, solange deren gewerbliche Anwendbarkeit konkret formuliert ist. Dadurch können rein spekulative Forschungen vom Patentschutz ausgeschlossen werden, heißt es weiter. Für Unternehmen, so Seuß, sei der umfassende Stoffschutz von "essentieller Bedeutung", ohne den mit einem Forschungsstillstand am Standort Deutschland zu rechnen sei. Auch den Befürchtungen, der gleiche und gerechte Zugang zum medizinischen Fortschritt würde für die Allgemeinheit stark behindert werden, wie sie etwa die gesetzlichen Krankenkassen vortrugen, konnte er begegnen: Die Möglichkeit der Zwangslizenzen böten genügend Schutz vor einem Missbrauch der Patentrechte. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Bernd Wegener, vertrat die Auffassung, eine gesetzliche Beschränkung des Stoffschutzes habe eine "demotivierende Wirkung" auf Forschung und Wirtschaft. Die gesetzlichen Instrumente seien außerdem in der Lage, eine "Überbelohnung" des Patentinhabers zu vermeiden, sagte Peter Meier-Beck, Richter am Bundesgerichtshof. Auch Professor Claus Ahrens von der Universität Wuppertal hielt es für sinnvoller, von einer ausdrücklichen Regelung der Reichweite eines Genpatents Abstand zu nehmen. Die künftige Entwicklung in diesem Bereich könne man "durchaus als noch offen" bezeichnen.
Ein weiterer Streitpunkt ergab sich aus möglichen Konsequenzen für die Landwirtschaft. Dietrich Klein vom Deutschen Bauernverband befürchtete, die Umsetzung der Richtlinie führe dazu, dass das Patentrecht den Sortenschutz verdränge und somit den "züchterischen Fortschritt" einschränke. Christoph Herrlinger vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter sah diesen Konflikt nicht. Die sogenannte "Züchtungsausnahme" des Gesetzentwurfes gäbe das patentrechtlich geschützte Material zu benannten Zwecken frei, hieß es in seiner Stellungnahme.