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von Martin E. Süskind
Vielleicht ist es doch das spannendste Amt, das die deutsche Demokratie alle fünf Jahre zu vergeben hat – das Amt des Bundespräsidenten. Es ist ein Amt ohne exekutive Macht, und doch kann von ihm Macht ausgehen, machtvoll prägender Einfluss auf Gesellschaft und Staat. Geboren wurde es 1949 als Kind der Erfahrung von Verfassungsvätern und -müttern, denen die Weimarer Republik und ihr Untergang vor Augen stand und die deshalb auf keinen Fall den Reichspräsidenten mit all seinen Vollmachten und Sonderrechten auferstehen lassen wollten. Geschaffen wurde vor 55 Jahren in der neu entstandenen Bundesrepublik Deutschland eine Institution, die eigentlich eine demokratische Versuchsanordnung war, ein Experiment. Theodor Heuss, das erste Staatsoberhaupt der Bundesrepublik, sagte über sein Amt: „Die politische Figur eines deutschen Bundespräsidenten konnte nach dem Geschehen der nahen Vergangenheit ... nichts anderes als eine Improvisation werden.“
Aus der Improvisation ist eine Institution geworden, deren Statik zwar immer wieder einer kritischen Revision unterzogen wird, für die aber auch nach fünf Jahrzehnten keine Alternative gefunden wurde. Es hat sich eine Tradition herausgebildet, die mit jeder Neuwahl eines Bundespräsidenten abermals auf dem Prüfstand steht und die sich auf den „Improvisateur“ der ersten Jahre bezieht – eben Theodor Heuss. Als der nach zehn Jahren Amtszeit am 1. September 1959 verabschiedet wurde, sagte der damalige Präsident der Bundesversammlung Eugen Gerstenmaier, der Grundzug der Amtsführung des ersten Bundespräsidenten im Nachkriegsdeutschland sei „die Unterwerfung der Macht unter den Anspruch des Geistes“ gewesen.
Es gibt keine bessere und anspruchsvollere Definition dessen, was ein Bundespräsident erstreben sollte. Und gerade in diesem Anspruch an den jeweiligen Amtsinhaber liegt der Anspruch des Amtes.
Des Wortes besonders mächtige Präsidenten, wie Theodor Heuss und Richard von Weizsäcker, womöglich auch Johannes Rau, sind im Urteil der Zeitgenossen diesem Anspruch besonders gewachsen gewesen; andere, wie Gustav Heinemann oder Roman Herzog, wirkten in Zeiten des politischen Umbruchs in einer besonderen Art der Kombination von Rede und Haltung; wieder andere – Heinrich Lübke, Walter Scheel, Karl Carstens – verliehen dem Amt Profil durch persönliche Eigenheiten und Wertvorstellungen. Dabei galt für alle, was Scheel einmal in die Worte fasste, erste Pflicht des Bundespräsidenten sei es, den hohen Ansprüchen, die das Amt stelle, „durch seine Person zu genügen. Vor dieser Aufgabe wird man sich durchaus seiner eigenen Schwächen bewusst“.
Alle bisherigen Bundespräsidenten waren Politiker, manchmal auch ausgesprochene Parteipolitiker. Aus dieser Laufbahn wuchsen sie in das überparteiliche Amt, begleitet zum Teil von erheblicher Skepsis des Publikums in ihre Fähigkeiten. Solche Skepsis wandelte sich dann im Laufe der Amtszeit – teils zu Bewunderung, teils zu Anerkennung, meistens immerhin zu Respekt. Dieser Respekt hatte nicht in erster Linie zu tun mit der Frage, welche politische Wirksamkeit sie entfalteten, sondern vor allem mit der Frage nach ihrer Haltung: Welche Statur gaben sie ab in ihrer Zeit und gemessen an den Bundesregierungen, über, neben, unter denen sie wirkten durch Wort, Haltung oder (bisweilen auch dies) schlichte Präsenz? Sie konnten die Gesellschaft der Bürger beeinflussen und deren Haltung zur Politik prägen. Einige von ihnen wurden im Verlauf ihrer Präsidentschaft sogar zu einer demokratischen Instanz.
Die „Improvisation“ ist nicht beendet. Horst Köhler, den die Mehrheitsfraktionen der Bundesversammlung für die Wahl am 23. Mai nominiert haben, entstammt – wie auch Gesine Schwan, die Kandidatin der Minderheitsfraktionen ?–zum ersten Mal nicht dem klassischen politischen Netz der Parteien. Die präsidentielle Versuchsanordnung erhält in diesem Jahr mit der Wahl des neunten Bundespräsidenten also einen ganz neuen Akzent. Vielleicht ist das sogar mehr als ein Akzent, ein Akt der Emanzipation nämlich, den sich sowohl die politische Klasse als auch die demokratische Gesellschaft jetzt leisten wollen. Es ist ein riskanter Neuanfang: Ob er die Institution und deren Tradition bereichern wird, liegt einzig und allein in der Person des künftigen Staatsoberhaupts und an seinen Fähigkeiten.
Foto: Berliner Zeitung / Paulus Ponizak
MARTIN E. SÜSKIND, 59, war lange Jahre politischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Bonn, Mitte der Neunzigerjahre Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers und von 1999 bis 2001 Chefredakteur der Berliner Zeitung. Heute lebt er als freier Journalist und Autor in Berlin und in Bayern. |