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Eine „Renaissance der Familie“ prophezeite Bundespräsident Horst Köhler in seiner Antrittsrede. Große Worte, die noch Größeres bewirken wollten: Die Wiederbelebung der Institution Familie. Blickpunkt Bundestag fragte die Fraktionen, welche Wege sie in der Familienpolitik beschreiten wollen.
Bei Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) klingt das so: „Familie stabilisiert Gesellschaft, gerade in Zeiten großer Veränderungen. Auf gleicher Höhe mit Arbeit und Bildung zählt Familie zu den Zukunftsfaktoren, denen von der Bevölkerung der mit Abstand höchste Stellenwert zugemessen wird.“
Familie wird als zentraler Kern der Gesellschaft begriffen. Doch wie findet Familie derzeit statt? Wo ist Familie? „Familie ist, wo Kinder sind“, stand in den Koalitionsvereinbarungen der Bundesregierung von 1998 und 2002. Doch Familien mit Kindern sind eine bedrohte Spezies, denn Deutschland hat europa- und weltweit eine der niedrigsten Geburtenraten. Etwa jede fünfte 1955 geborene, westdeutsche Frau blieb kinderlos, von den zehn Jahre später Geborenen sogar fast jede Dritte. Dass die Kinderlosigkeit „das eigentliche demografische Problem“ ist, hat die Bundesregierung inzwischen auch schriftlich: ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSF) in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigte die Besorgnis erregenden Geburtenrückgänge schwarz auf weiß. Familienpolitik heißt also in erster Linie Politik für mehr Kinder. Investieren kann die Politik einerseits in Geldleistungen, wie zum Beispiel Kindergeld oder Steuervergünstigungen für Familien, und andererseits in Dienstleistungen, wie Kindertagesstätten.
Deutschland hat bislang insbesondere auf Geldleistungen gesetzt. Die wichtigsten Transferleistungen des Staates beginnen da, wo Kinder in eine Familie hineingeboren werden.
Die bekannteste Leistung des Staates an junge Familien ist das Kindergeld. Es wird unabhängig vom Einkommen der Eltern für alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Es ist nach der Zahl der Kinder gestaffelt und beträgt für das erste, zweite und dritte Kind monatlich 154 Euro, für das vierte und alle weiteren Kinder monatlich 179 Euro. Damit sich Eltern um ihren Nachwuchs kümmern können, steht ihnen die so genannte Elternzeit (früher Erziehungsurlaub) zu. Der Anspruch gilt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. Mit Zustimmung des Arbeitgebers lässt sich eine Elternzeit von bis zu einem Jahr auf den Zeitraum zwischen dem dritten und achten Geburtstag des Kindes übertragen. Die Eltern können ihre Elternzeit ganz oder zeitweise auch gemeinsam nehmen, die sich dadurch weder verlängert noch verkürzt.
Um Verdiensteinbußen während dieser Zeit auszugleichen, gibt es das Erziehungsgeld. Mütter oder Väter, die ihr Baby selbst betreuen, erhalten bis zum 24. Lebensmonat des Kindes ein Erziehungsgeld abhängig von ihrem Einkommen von bis zu 300 Euro monatlich. Anfang September stellte Ministerin Schmidt ihre Pläne vor, wie aus dem Erziehungsgeld das Elterngeld werden soll. Mütter oder Väter, die sich um ihr Kind kümmern, könnten demnach etwa zwei Drittel des letzten Nettogehaltes erhalten. Damit soll vor allem für Haushalte, in denen beide Elternteile berufstätig sind, Verbesserungen geschaffen werden.
Im Rahmen von Hartz IV wird zum 1. Januar 2005 ein Kinderzuschlag eingeführt. Er ist für Eltern vorgesehen, die zwar mit ihrem Einkommen ihren eigenen Bedarf abdecken können, jedoch nicht den ihrer Kinder. Der Kinderzuschlag beträgt maximal 140 Euro monatlich je Kind. So soll verhindert werden, dass Familien allein wegen ihrer Kinder auf Sozialhilfe angewiesen sind. Der Anspruch auf den Kinderzuschlag entfällt schrittweise, wenn das Elterneinkommen den gesamten Familienbedarf deckt.
Müssen Eltern für ihre Kinder unter 14 Jahren eine Betreuung organisieren, die im Jahr mehr als 1.548 Euro kostet, können die Eltern davon bis zu 1.500 Euro steuerlich absetzen, Alleinerziehende können bis zu 750 Euro geltend machen. Alleinerziehende, die mit ihren Kindern einen Haushalt führen, erhalten seit 2004 einen steuerlichen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308 Euro jährlich.
Ausgaben für die Versorgung und die Ausbildung von Kindern werden durch den Kinderfreibetrag ausgeglichen. Für jedes im Haushalt lebende Kind unter 18 Jahren kann derzeit ein Freibetrag von 3.648 Euro in der Steuererklärung geltend gemacht werden. Um diesen Betrag verringert sich pro Kind das anrechenbare Einkommen, und damit reduzieren sich auch die maximal zu leistenden Zuzahlungen. Die Förderung durch Kindergeld und Kinderfreibetrag muss sich immer wieder mit der Kritik auseinander setzen, sie bevorzuge vor allem einkommensstarke Haushalte.
Um Ehepaare und Ledige im Vergleich gerecht zu besteuern, wurde das Ehegattensplitting eingeführt. Ehegatten können zwischen getrennter Besteuerung ihrer Einkommen und einer Zusammenveranlagung wählen. Lassen sich Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagen, kommen sie im Normalfall zu einem günstigeren Ergebnis, als wenn sie sich für eine getrennte Veranlagung entscheiden.
Doch mehr Geld im Portemonnaie steigert allein noch nicht die Lust auf Kinder. Vielmehr kommt es darauf an, insgesamt für Familien bessere Bedingungen zu schaffen. Hier zählen die Investitionen des Staates in Dienstleistungen. Im europäischen Vergleich steht Deutschland dabei nicht gut da. Schweden investierte 1998 laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Familie. Davon je etwa die Hälfte in Geld- oder Dienstleistungen. In Frankreich sieht die Aufteilung ähnlich aus. In Deutschland wird dagegen weniger als ein Drittel in Dienstleistungen gesteckt. Außerdem: Während die Geldleistungen wie das Kindergeld in der Vergangenheit anstiegen, stagnieren die Ausgaben für die Kinderbetreuung.
Vor diesem Hintergrund wundern Zahlen wie diese kaum noch: Statistisch gesehen wünscht sich jede Frau 2,2 Kinder, bekommt aber nur 1,4. Viele Frauen sehen sich vor die Entscheidung zwischen Familie oder Karriere gestellt. Junge Paare entscheiden sich nicht zuletzt deshalb oft gegen Kinder, weil die Betreuung für ihren Nachwuchs nicht sicher ist. Die Zeiten, in denen die Oma als Ersatzmutter einsprang, sind vielerorts vorbei.
Deshalb hat Bundesfamilienministerin Schmidt den Entwurf des so genannten Tagesbetreuungsausbaugesetzes vorgelegt. Es sieht vor, dass Länder und Kommunen ihre Angebote an Krippenplätzen insbesondere für Kinder unter drei Jahren und in der Tagespflege ab 2005 so erweitern, dass sie den Bedarf decken. Die Sicherung des Angebots an Tagesbetreuung im Osten sowie der Betreuungsausbau im Westen sind angesichts einer notwendigen frühen Förderung von Kindern auch im Interesse der Vereinbarkeit von Familienleben und Arbeitswelt wichtige Bestandteile einer nachhaltigen Familienpolitik. Alle internationalen Vergleiche zeigen, dass ein Ausbau der Infrastruktur ein erfolgreicher Weg ist, um die Entscheidung für die Erfüllung von Kinderwünschen zu erleichtern, um Familien und der Gesellschaft insgesamt bessere Entwicklungschancen zu geben sowie für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen.
Bis 2010 soll das Niveau vergleichbarer westeuropäischer Länder erreicht werden. Das Gesetz soll Anfang 2005 in Kraft treten und dadurch die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige in Westdeutschland von derzeit rund 60.000 auf 120.000 im Jahr 2006 und auf rund 230.000 neue Plätze im Jahr 2010 steigen lassen. Der Haken an den Plänen der Ministerin: Für Krippen und Kindergärten sind die Kommunen zuständig. Über gesetzliche Regelungen kann der Bund hierauf nur in begrenztem Maße Einfluss nehmen.
Natürlich darf erwachsenen Menschen nicht vorgeschrieben werden, ob und wenn ja wie viele Kinder sie zu bekommen haben. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen demnächst allerdings Kinderlose verstärkt zur Kasse gebeten werden. Mit dem so genannten Kinderlosenzuschlag in der Pflegeversicherung sollen Kinderlose im Alter zwischen 23 und 64 Jahren vom 1. Januar an einen um 0,25 Prozent erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. Bei Arbeitslosen soll der Betrag vom Arbeitslosengeld abgezogen werden. Die Regierung setzt damit ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Besserstellung von Familien in der Pflegeversicherung um.
Die Entwicklung zu einer „Renaissance der Familie“ müsse „gestärkt und gefördert“ werden, sagte Bundespräsident Horst Köhler, Eltern müssten Vorbild für ihre Kinder sein. Auf vorbildliches Verhalten der Eltern hofft auch Bundesministerin Schmidt. Sie setzt in Sachen Kinderbetreuung nun auf den Druck der Eltern, der die Kommunen zum Handeln zwingen soll. Damit es für alle einfacher und selbstverständlicher wird, das zu sein und da zu sein wo Kinder sind.
Text: Birte Betzendahl
Fotos: picture-alliance, Deutscher Bundestag
Grafik: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 18. Oktober 2004