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Die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung in Deutschland ist eine allseits anerkannte Form der Konfliktbewältigung. Dennoch wird derzeit über die Form der Mitbestimmung diskutiert. Blickpunkt Bundestag hat die Fraktionen gefragt, ob die derzeitige Praxis die Wirtschaft blockiert.
Wenn in diesen Tagen über die Zukunft „der“ Mitbestimmung diskutiert wird, dann geht es nicht um ein Alles oder Nichts. Denn auch die Verbände von Arbeitgebern und Industrie, die mit einem gemeinsamen Kommissionsbericht die jüngste Debatte angestoßen haben, sehen die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung als festen Bestandteil der Unternehmens- und Betriebskultur in Deutschland.
Als geregelte Form der Konfliktbewältigung könne sie einen Beitrag zum sozialen Frieden leisten und habe dies in der Vergangenheit auch häufig getan. Es gebe „viele Beispiele dafür, wie durch den Strukturwandel bedingte Unternehmensentscheidungen unterstützt durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und die Betriebsräte sinnvoll umgesetzt werden konnten, ohne dass dies zu übermäßigen Spannungen und unvertretbaren Belastungen geführt“ habe. Aber Arbeitgeber und Industrie halten die Zeit für gekommen, über das Ausmaß der Mitbestimmung in Deutschland neu zu entscheiden.
Die Mitbestimmung in Deutschland hat einen langen Vorlauf. „Der Arbeiter ist nicht der gleichberechtigte Teilhaber des Arbeitgebers ... er ist dessen Untergebener, dem er Gehorsam schuldig ist“, hieß es noch 1887 in einer Denkschrift des Centralverbands deutscher Industrieller. Dennoch erfolgte bereits 1891 die erste gesetzliche Grundlage für freiwillig gebildete Arbeiterausschüsse. Ein Jahrzehnt später machten Gesetze in Bayern und Preußen in Bergbaubetrieben ab bestimmten Größen die Bildung von Arbeiterausschüssen zur Pflicht. Deren Befugnisse hatten mit den heutigen Mitwirkungsmöglichkeiten nichts zu tun. Aber sie mussten informiert und in sozialen wie personellen Fragen angehört werden.
Zum Meilenstein der Mitbestimmung wurde das Betriebsrätegesetz von 1920 mit ersten Regelungen über betriebliche Entscheidungen, die ohne Zustimmung der Betriebsräte nicht mehr getroffen werden konnten. Alle Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten mussten zudem Betriebsräte haben. 1922 folgte auch die gesetzlich vorgeschriebene Entsendung von Betriebsräten in die Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften – und zwar mit vollem Stimmrecht. Das „Führerprinzip“ setzte im Nationalsozialismus alle Arbeitnehmerbeteiligungen außer Kraft. Ein neuer Anfang war erst 1946 durch ein Kontrollratsgesetz möglich, das sich am Betriebsrätegesetz orientierte.
Die Mitbestimmung in Unternehmen der Montanindustrie, also im Bereich von Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie, hängt auch damit zusammen, dass sich in den Jahren der Besatzungszeit die Interessen von Gewerkschaften und Unternehmen berührten: Es ging darum, die Betriebsleitung aus ausländischer Kontrolle in eigene Hände zu bekommen. Anfang 1947 gab es die erste Vereinbarung über paritätische, also gleichgewichtige Unternehmensmitbestimmung. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik bildete die gesetzliche Absicherung dieser Vereinbarungen ein Hauptstreitthema, das 1951 im Montan-Mitbestimmungsgesetz seinen Niederschlag fand. 1952 folgte das Betriebsverfassungsgesetz und 1955 das Personalvertretungsgesetz und 1976 das Mitbestimmungsgesetz.
Nach weiteren Novellen, die die Arbeitnehmerrechte ausbauten und in den siebziger Jahren die Parität auch auf Betriebe außerhalb der Montanindustrie ausweiteten, ergibt sich aktuell folgendes Bild: In allen Betrieben ab fünf Arbeitnehmern kann ein Betriebsrat gewählt werden, der bei allen Fragen der betrieblichen Organisation Beteiligungsmöglichkeiten hat. Unterschieden wird nach Informations-, Vorschlags-, Anhörungs-, Beratungs-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten. Das reicht von der betrieblichen Bildung über die Arbeitszeit bis zur Gleichstellung und ist bei Kündigungen und Sozialplänen besonders stark entwickelt. Ohne Anhörung des Betriebsrates sind sie schlicht unwirksam.
Aber auch bei Einstellungen und Versetzungen kann der Arbeitgeber gezwungen sein, vor das Arbeitsgericht zu ziehen, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert. Die Größe des Betriebsrates hängt von der Zahl der Beschäftigten ab. Für fünf bis 20 Arbeitnehmer gibt es ein Betriebsratsmitglied, ab 21 sind es drei, ab 51 sind es fünf, ab 101 sieben und so weiter. Bei Betrieben ab 200 Arbeitnehmern wird ein Betriebsratsmitglied vollständig von seiner Arbeit freigestellt, bei 5.000 sind es sieben.
In Kapitalgesellschaften ab 500 Arbeitnehmern ist der Aufsichtsrat, also das Gremium, das den Vorstand bei seiner Geschäftsführung kontrolliert und über dessen personelle Besetzung entscheidet, zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen. Aktiengesellschaften, die vor dem 10. August 1994 gegründet wurden und keine Familienunternehmen waren, müssen die Drittelbeteiligung auch bei geringerer Beschäftigtenzahl einhalten. Sie ist die verbreitetste Form der Mitbestimmung in Aufsichtsräten.
Haben Kapitalgesellschaften mehr als 2.000 Beschäftigte, muss ihr Aufsichtsrat zu gleichen Teilen mit Arbeitnehmern und Anteilseignern besetzt sein. Können sich beide Seiten nicht auf einen Vorsitzenden einigen, wird er von den Anteilseignern bestimmt. Seine Funktion ist besonders wichtig bei Pattsituationen – dann bekommt er im Entscheidungsverfahren eine zweite Stimme. Bei bis zu 10.000 Arbeitnehmern hat der Aufsichtsrat zwölf Mitglieder, bei bis zu 20.000 sind es 16, und noch größere Unternehmen haben einen 20-köpfigen Aufsichtsrat. Gewerkschaften sind in 12er- und 16er-Aufsichtsräten mit zwei Sitzen vertreten, im 20er-Gremium mit drei. Die übrigen Sitze der Arbeitnehmerseite sind Beschäftigten des Unternehmens vorbehalten.
Eine andere Parität kennen Betriebe der Montanindustrie mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern: Hier bestehen die Aufsichtsräte aus elf, 15 oder 21 Mitgliedern. Bei einem 21-köpfigen Kontrollgremium etwa werden je acht Sitze von Anteilseignern und Beschäftigten besetzt, auf beiden Seiten kommen dann noch zwei weitere Mitglieder hinzu, die aber weder Gewerkschafts- noch Arbeitgebervertreter und auch nicht Arbeitnehmer oder Großaktionäre sein dürfen.
Von den Arbeitnehmern müssen vier im Unternehmen tätig sein. Beide Seiten müssen sich dann auf ein weiteres neutrales Mitglied einigen. Dieses wird immer dann zum Schiedsrichter, wenn im Aufsichtsrat eine Pattsituation eintritt. Hinzu kommt, dass im Vorstand ein Arbeitsdirektor installiert werden muss, der gegen die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat weder bestellt noch abberufen werden kann.
Problematisch ist nach Einschätzung von Arbeitgeber- und Industrieverbänden die Vermischung von Mitbestimmung in Aufsichtsräten und Mitbestimmung durch Betriebsräte. Die Personenidentität an diesen Stellen, die bei größeren Unternehmen üblich sei, habe in der Praxis die eine zum verlängerten Arm der anderen werden lassen: Mitglieder des Betriebsrates könnten ihre Stellung als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nutzen, um ihre Position als Betriebsrat zu verbessern. „Sie verhandeln als Betriebsrat mit der Geschäftsleitung, die sie gleichzeitig kontrollieren.“ Die Folge seien „sachwidrige Kopplungsgeschäfte“. Schließlich wolle das Vorstandsmitglied seinen eigenen Anschlussvertrag nicht gefährden und komme dem Betriebsrat vielleicht über das gebotene Maß hinaus entgegen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält diese Darstellung jedoch für empirisch nicht belegt.
Unter Druck geraten die deutschen Mitbestimmungsmodelle durch das Zusammenwachsen der Wirtschaft im Prozess der europäischen Einigung. Die Niederlassungsfreiheit macht es möglich, dass in anderen Ländern nach deren Rechtsgrundsätzen gegründete Firmen auch in Deutschland in vollem Umfang tätig werden können. Doch eine paritätische Mitbestimmung ist in den anderen europäischen Staaten unbekannt, außerhalb von Staatsunternehmen haben zwölf von 25 Mitgliedsländern der Europäischen Union überhaupt keine gesetzlich vorgeschriebene Unternehmensmitbestimmung, darunter Großbritannien, Italien und Spanien. In den übrigen Staaten gibt es zwar Mitbestimmungsmodelle. Diese jedoch weisen zumeist nur eine Drittelbeteiligung in den Kontrollgremien auf. Eine Größe, die auch Arbeitgeber- und Industrieverbände anstreben.
Deshalb erkennen auch die Gewerkschaften in Deutschland an, „dass das Gesellschafts- und Mitbestimmungsrecht gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung weiter entwickelt werden muss“. Gleichzeitig widersprechen sie jedoch der Auffassung, die Mitbestimmung sei ein Standortnachteil. Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young bei ausländischen, international engagierten Konzernen stehe Deutschland hinter China und den USA auf Platz drei der weltweit attraktivsten Standorte. Und in einer Studie der Boston Consulting Group mit hundert der umsatzstärksten US-Unternehmen in Deutschland habe sich Deutschland als attraktivster europäischer Standort für Holdings erwiesen. Rund ein Drittel der von paritätischer Mitbestimmung betroffenen Firmen gehöre mittelbar oder unmittelbar ausländischen Investoren.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: picture-alliance, Deutscher Bundestag
Grafik: Marc Mendelson
Erschienen am 15. Dezember 2004
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