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Sie heißen
„Sprecherin“, „Obmann“ oder
„Berichterstatterin“. Ihre Spezialgebiete sind die
öffentlichen Finanzen, das Krankenhauswesen oder die
Außenpolitik. Die Themen, die der Bundestag behandelt, sind
komplex. Niemand kann sich in allen Bereichen bis ins Detail
auskennen.
In den Fraktionen herrscht deshalb Arbeitsteilung. Und jede
Fraktion hat ihre Experten, wenn es darauf ankommt, schwierige
Sachverhalte zu beurteilen. Doch Experte ist nicht gleich Experte.
In jedem Gebiet gelten andere Regeln, und jede Fraktion hat eine
andere Strategie, ihre Fachleute wirkungsvoll
einzusetzen.
Das Entwirren solcher Zusammenhänge gehört gewissermaßen zu den Kernaufgaben von Skarpelis-Sperk, die in der SPD-Fraktion Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Globalisierung und Weltwirtschaft“ ist. Seit vier Legislaturperioden gibt es diese „Querschnitts-AG“ bereits, die sich auch um die Auswirkungen von Handelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) oder wie jüngst zwischen der EU und einigen lateinamerikanischen Staaten kümmert.
Ihre Arbeitsgruppe versteht sie als eine Art Frühwarnsystem für die Fraktion, wenn internationale Abkommen die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt beeinflussen. Doch weil die Themen komplex sind und in verschiedene Bereiche hineinspielen, verbringt Skarpelis-Sperk viel Zeit damit, ein Bewusstsein für die Probleme zu schaffen. „Ich muss dann in den unterschiedlichen Ausschüssen Leute finden, die mit mir an diesem Thema arbeiten“, sagt die Abgeordnete.
Ob Querschnittsthemen wie „Globalisierung und Weltwirtschaft“ oder Fachthemen wie Verteidigung, Soziales oder Finanzen, wenn es um die Facharbeit im Parlament geht, dann sind die Arbeitsgruppen und -kreise die zentralen Einrichtungen. So haben die großen Fraktionen ihre Facharbeit analog zur Zahl der Ausschüsse in rund 20 Arbeitsgruppen organisiert, denen die Ausschussmitglieder und deren Stellvertreter angehören.
Bei FDP und Bündnis 90/Die Grünen, wo die Personaldecke etwas dünner ist, sind es fünf beziehungsweise vier Arbeitskreise, die die wichtigen Themen abdecken. Je nach Profil der Fraktion ist der Zuschnitt unterschiedlich. So hat das Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Arbeitskreis Umwelt, während die FDP die Wirtschaftspolitik besonders intensiv beackert. In der Regel treffen sich die Arbeitsgruppen oder -kreise dienstags während einer Sitzungswoche. Immer geht es um die Themen, die in den Ausschüssen, zu denen die jeweiligen Arbeitsgruppen gehören, behandelt werden.
Zu den Arbeitsgruppen gehören meist auch alle Mitglieder einer Fraktion in den entsprechenden Ausschüssen, dort werden die Absprachen getroffen, wie sich die Fraktion zu bestimmten Themen stellen soll, und meist werden diese Empfehlungen auch von der Fraktion übernommen.
Geleitet werden die Arbeitsgruppen von einem Vorsitzenden oder einem Koordinator, der oder die meist auch als Sprecher oder Sprecherin der Fraktion ein bestimmtes Thema nach außen vertritt. So ist der CDU/CSU-Abgeordnete Günter Nooke der kultur- und medienpolitische Sprecher der Fraktion und gleichzeitig Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kultur und Medien. Auf den ersten Blick zeichnet sich Nooke als Physiker nicht als besonderer Fachmann für dieses Thema aus. Er liebt die Kunst und schätzt die Künstler, aber „es ist als Kulturpolitiker nicht meine Aufgabe, Kunst zu beurteilen“, sagt er.
Schon eher muss Nooke etwas von den Problemen und Widrigkeiten der Kulturförderung verstehen. Wer wie und warum Geld vom Staat bekommen soll, das sind Fragen, mit denen Nooke sich sein gesamtes politisches Leben beschäftigt hat. Hinzu kommt, dass der Bundestag zur Lage der Kultur und der Kulturförderung in dieser Legislaturperiode eine Enquete-Kommission eingesetzt hat, die untersuchen soll, wie die Milliarden Euro, die in Deutschland für Kultur ausgegeben werden, besser und effektiver eingesetzt werden können und wie die Kultur besser gefördert werden kann. In dieser Enquete-Kommission ist Nooke Mitglied und beschäftigt sich vor allem mit dem Kulturstandort Deutschland.
Neben den Sprechern, die sich um die inhaltliche Seite kümmern, gehören den Arbeitskreisen auch die Obleute der Fraktionen in den Ausschüssen an. Die Obleute der verschiedenen Fraktionen organisieren gemeinsam mit den Ausschussvorsitzenden die Arbeit im Ausschuss, legen fest, wann welcher Gesetzentwurf behandelt wird oder zu welchem Thema eine öffentliche Anhörung organisiert werden soll.
Rainer Funke von der FDP kann sich mit all diesen Titeln schmücken. Er ist Leiter des Arbeitskreises IV der Fraktion für Innen- und Rechtspolitik, rechtspolitischer Sprecher und Obmann der FDP im Rechtsausschuss. Darüber hinaus ist Funke Justiziar der FDP-Fraktion und damit ihr Vertreter in Rechtsfragen, sei es bei Streitigkeiten über die Fraktionsfinanzierung gegenüber der Bundestagsverwaltung oder wenn Abgeordnete sich für politische Äußerungen verteidigen müssen. Kleinere Fälle löst er selbst, schwierige Rechtsfragen werden von externen Kanzleien bearbeitet.
Auch wenn sich in einer kleinen Fraktion nur wenige mit Rechtspolitik beschäftigen, eine Allzuständigkeit will Funke mit der Ämterhäufung nicht verbunden wissen. „Ich konzentriere mich auf Zivilrecht, für Strafrecht gibt es bei uns größere Experten, als ich es bin“, sagt er. Mag in anderen Arbeitsgruppen die Zusammenarbeit an bestimmten Themen im Vordergrund stehen, so herrscht in der Gruppe von Funke eher Arbeitsteilung.
Funke konzentriert sich auf sein Fachgebiet, und er ist überzeugt, dass man als Abgeordneter nur durch Spezialisierung etwas bewegen kann: „Als Minister hat man ja einen Stab von Fachleuten, die zuarbeiten. Wer ein guter Manager und Kommunikator ist, der kann sich die fachlichen Dinge auch im Amt aneignen. Wer als Abgeordneter seine Sache nicht versteht, der geht in den immer schwierigeren Zusammenhängen einfach unter.“
Ob Rechtsfragen oder globale Ökonomie, die Fraktionen des Bundestages bieten einiges an Fachwissen auf, um für die komplexen Themen, denen sich das Parlament widmen muss, gerüstet zu sein. Freilich haben alle Abgeordneten Zugang zu externer Beratung, etwa durch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, und können sich dort zu bestimmten Themen Dossiers erarbeiten lassen. Auch hat jede Arbeitsgruppe einen oder mehrere Fachreferenten, die den Abgeordneten zuarbeiten. Aber die Möglichkeiten und die Ressourcen sind im Parlament im Vergleich zur Regierung begrenzt. Und in der Regel ist schon für die Beurteilung einzelner Vorschläge eine ganze Portion Fachwissen nötig.
Wie sich das eigene Fachwissen einsetzen lässt, ist bei Gernot Erler zu beobachten, der als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion zuständig ist für Außenpolitik. Acht Jahre hat Erler als Hochschullehrer für Osteuropa gearbeitet und kann auch heute noch als Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft auf ein großes wissenschaftliches Netzwerk zurückgreifen, das ihm viele Informationen liefert. Erler steht in den Ländern, um die er sich hauptsächlich kümmert, in einem engen Austausch mit der Zivilgesellschaft und kann in vielen Fragen mit Informationen aufwarten, die noch darüber hinausgehen, was etwa die Bundesregierung oder das Auswärtige Amt über offizielle Kanäle erfährt. Ein solches Netzwerk lässt sich nicht über Nacht schaffen, das unterscheidet aus seiner Sicht auch Außenpolitik von andern Politikfeldern: „Ich kann in zwei Wochen Experte für Hartz IV werden und dieses Thema dann vertreten, aber um die politische Situation in Zentralasien einzuschätzen, braucht es mehrere Jahre.“
Sein Wissen gilt auch der Bundesregierung als wertvoll. Regelmäßig trifft er sich mit dem Kanzler, seinen Beratern oder hohen Beamten aus den Ministerien, um über die deutsche Außenpolitik zu beraten. Auch in der Öffentlichkeit gehört Erler zu den bedeutendsten Außenpolitikern der Koalition. Dafür hat er sich aus der täglichen Arbeit im Parlament ein wenig zurückgezogen. Im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ist er nur stellvertretendes Mitglied. Für die Fraktionen ist es gut, wenn sie Fachleute für ein bestimmtes Thema haben. In der Regel wollen sie daraus aber auch politisches Kapital schlagen. Christine Scheel, der finanzpolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, ist das zweifellos gelungen. „Meine Vorschläge finden meist eine gute Resonanz in der Fachöffentlichkeit“, sagt sie.
Was ihr aber mindestens genauso wichtig ist, ist der Vorsitz im Finanzausschuss des Bundestages, den sie seit der Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition 1998 inne hat. Eigentlich verträgt sich die Position als Sprecherin für einen Themenbereich, in der man auch den politischen Gegner angreifen muss, nicht besonders gut mit dem Vorsitz in einem Ausschuss, der eher zur Neutralität verpflichtet ist. Aber für ihre Fraktion ist der Vorsitz im Finanzausschuss ein Posten von hoher symbolischer Bedeutung. Denn für mehrere Jahrzehnte war dieser Ausschuss in der Hand der FDP. Und für das Bündnis 90/Die Grünen war es wichtig, nach der Regierungsübernahme zu demonstrieren, dass sie mehr sind, als eine Partei, die sich um einige Sonderthemen kümmert. „Wir wollten in der Öffentlichkeit demonstrieren, dass die Grünen auch jenseits der klassischen Themen Umwelt, Frauen und Frieden etwas zu sagen haben“, sagt Scheel. Mittlerweile schätzen selbst mittelständische Unternehmer die grüne Steuerpolitik.
Auch wenn sich die Fraktionen mit ihren Experten schmücken, nicht immer ist das Verhältnis einfach. Wer sich viel und aus einem bestimmten Blickwinkel mit einem Thema beschäftigt, der kommt häufig zu anderen Ergebnissen und politischen Forderungen als Fraktionskollegen, die nur am Rande damit zu tun haben.
So geht es regelmäßig Katherina Reiche, die als forschungs- und bildungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, gerade wenn es um die Grenzen der Forschung geht, keine leichte Position hat. Zwar kann die junge Chemikerin, wenn es um Fragen wie die Hochschul- oder Forschungsfinanzierung geht, durchaus als Expertin mit ihrer Arbeitsgruppe Vorschläge machen, die von der gesamten Fraktion getragen werden. Bei der Frage aber, ob und inwieweit etwa Stammzellforschung an menschlichen Eizellen möglich sein soll, zeigen sich auch die Grenzen des Expertenrats im Bundestag.
Katherina Reiche wäre hier für eine liberalere und forschungsfreundlichere Lösung. „Diese Position wird von einigen geteilt. Derzeit jedoch nicht von der Mehrheit. Aber es gibt in der Forschungspolitik eben auch ethische Grenzfragen, die jeder nach seiner Überzeugung entscheiden muss.“ Eine Regel, die wohl auch für die meisten anderen Politikbereiche gilt.
Text: Matthias Rumpf
Fotos: Photothek
Erschienen am 08. November 2004