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April 03/1999
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Portrait

Rationalität und Präzision

PORTRAIT DES ARCHITEKTEN SIR NORMAN FOSTER VON GERWIN ZOHLEN

Norman Foster

Eisgrau und elegant erinnern Sir Norman Fosters Erscheinung und Habitus in nichts an den viel gerühmten Handwerker, der dem Vernehmen nach noch in jedem Architekten stecken soll. Mit Planrolle unterm Arm und Breitcordhose über kräftigem Schuhwerk, das gar noch von Kalkspuren einer Baustelle gezeichnet ist, vermag man sich ihn nicht vorzustellen. Im Gegenteil, viel leichter ist er mit dem Chef einer multinationalen Autofirma, eines Flugzeugherstellers oder einer Bank zu verwechseln. Allenthalben kann er als prototypische Inkarnation des Sir, des Gentleman gelten, zu dem die Queen of the British Empire ihn 1990 geschlagen hat, eine souveräne Mischung aus Distanz und Aufmerksamkeit, Disziplin und Umgänglichkeit. Ungestraft darf man Sir Norman Foster als den derzeit führenden Architekten der Welt bezeichnen, und das nicht nur, weil er eine Architekturfirma von rund 450 Mitarbeitern führt - der Londoner Stammsitz "Riverside three" hat unter jungen Architekten magischen Klang. Man braucht lange, um ihm einen in Dimension und Bedeutung ähnlichen Architekten an die Seite zu stellen. Sein alter Kollege und enger Freund Sir Richard Rogers, mit dem er in den frühen sechziger Jahren den Karrierebeginn teilte? Oder Renzo Piano aus Genua und Paris? Frank O. Gehry aus Kalifornien oder die Hamburger Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg von gmp? Gewiß gehören sie mit einer kleinen Handvoll weiterer zur globalen architektonischen Elite, doch ebenso sicher nimmt Sir Norman Foster auch unter ihnen die Position des Klassenprimus ein - in einer Splendid Isolation, deren Aura auf Methodik, technischem Faible und kühler Perfektion beruht.

Norman Foster wurde 1935 in Manche-ster in sehr einfachen Verhältnissen geboren. Bereitwillig berichtet er, daß in seiner Familie weder Studium noch gar der Architektenberuf irgend zur Diskussion standen, wenn es um die berufliche Ausbildung ging. Nicht gerade Tellerwäscher, aber Behördenbote, Lastwagenfahrer, Eisverkäufer und Türwächter vor Diskotheken gehörten zu den Jobs, mit denen er sich das Studium verdiente. Es begann an der Universität von Manchester und wurde mittels eines Begabtenstipendiums in Yale, USA abgeschlossen. Dort lernte er als Ko-Stipendiaten auch Richard Rogers kennen, mit dem zusammen er 1964-1966 seinen ersten Auftrag, das Creek Vean House in Cornwall, ausführte; gleich ein in der Fachzunft mit Staunen registrierter Erfolg. Die Villa nutzte und verpflichtete sich einer ökologischen Architektur, lange bevor der Begriff zum Parameter öffentlicher Debatten wurde. 1968 gründete er sein eigenes Büro Foster Associates, und fortan purzelten die Erfolge wie die Zahl seiner Aufträge, vom IBM-Gebäude in Ipswich über das Fährterminal der Fred Olson-Line zum Sainsbury Centre for Visual Arts, vom mittlerweile schon legendär gewordenen Hochhaus der Hongkong und Shanghai Bank über das Carré d'Art in Nîmes zum British Museum in London und dem Commerzbank Tower in Frankfurt - schick und trendy, aber nicht ganz wahrheitsgemäß wird es als "ökologisches Hochhaus" angepriesen -, dazu die Flughäfen Stanstead in London und Chek Lap Kok in Hongkong, für den eigens eine Insel im Meer gegründet werden mußte.

Sicher könnte allein die Zahl und Größenordnung der Aufträge schon ehrfürchtiges Staunen hervorrufen. Verblüffender jedoch ist, daß die Vielzahl der Arbeiten eigentlich nichts erkennen läßt, was als persönlicher "Stil Norman Foster" bezeichnet werden könnte. Foster wird als High-Tech-Architekt bezeichnet, doch ist das Etikett zu schnell und oberflächlich. Er bedient sich zwar aller neuen Technologien und Materialien, derer er habhaft werden kann, aber nur soweit, wie sie brauchbar sind. Und keinesfalls gereichen sie ihm zur Dogmatik. Weder ist eine Form festgelegt, die überall wieder auftauchte, noch das Material. Glas, Stein, Stahl oder Aluminium sind überall zuhanden, ohne ideologische Dimension. Alle Arbeiten Fosters unterscheiden sich so gründlich voneinander wie etwa der Torre de Collserola in Santiago de Compostela von 1994 vom Commerzbank-Turm in Frankfurt oder vom berühmten Entwurf der vertikalen Stadt, dem Millenium Tower, der in der Tokyo-Bucht 840 m hoch in die Wolken schießen soll.

Wenn auch kein Stil, so ist doch eine Handschrift offensichtlich, nämlich daß Sir Norman Foster äußerst methodisch mit großer Rationalität und Präzision auf die gestellte Aufgabe eingeht. Das setzt neben einer enormen Abstraktions- und Organisationsfähigkeit auch Lernbereitschaft voraus. Und eben diese mußte er bei seiner bisher politischsten Aufgabe, beim Umbau des Reichstags in Berlin zum Parlament des wiedervereinigten Deutschland beweisen. Hatte er das Gebäude 1993 beim ersten Wettbewerb noch als Institut gesehen, das "die Kräfte nährte, die die Demokratie zerstörten", und es deswegen als Geschichtsruine und Invalidendom unter ein Tankstellendach gesetzt, so lernte er in der Arbeit seine wirkliche, Demokratie und Parlamentarismus gerade stiftende Bedeutung kennen - wie übrigens viele deutsche Parlamentarier auch, die den Reichstag lange für den Spielplatz von Hitlers Marionetten hielten, anstatt in ihm das Symbol einer zeitweilig verschütteten parlamentarischen Tradition zu achten. Dieser Lernprozeß begleitete und lag den Umplanungen zugrunde, durch die Foster den Reichstag nun mit einer Kuppel überwölbte. Dadurch machte er ihn zum Zeugnis zweier Architekturepochen, des Historismus seiner Bauzeit und der Technologie-Moderne seiner heutigen Überformung. Sir Norman Foster gebührt dabei die Ehre, offensichtlich über die von Nietzsche gerühmte "plastische Kraft" zu verfügen, aus dem Vergangenen eine "kräftige Nahrung" für die Gegenwart und Zukunft zu gewinnen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9903/9903072
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