Vor 50 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft
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Deutschland wurde 1945 vom Nationalsozialismus befreit, in Besatzungszonen eingeteilt und von den Alliierten besetzt. Die Städte waren zerstört, es gab nicht genügend Lebensmittel, hinzu kamen Millionen von Flüchtlingen, die in die westlichen Besatzungszonen drängten. Die Not des einzelnen und sein Kampf ums Überleben prägten jene Nachkriegsjahre, als die Alliierten – fast unbemerkt von der Bevölkerung – politische Parteien zuließen, Länder entstehen und in den westlichen Besatzungszonen erste freie Wahlen stattfinden konnten.
Amerikaner und Briten wandten sich frühzeitig von der Rolle des kompromißlosen Siegers ab. Sie stellten auf der Londoner Außenministerkonferenz im Frühjahr 1948 die Weichen für eine neue staatliche Ordnung in Westdeutschland: Am 1. Juli 1948 "autorisierten" die westlichen Alliierten in den sog. Frankfurter Dokumenten die Ministerpräsidenten, eine "Verfassunggebende Versammlung" einzuberufen. Sie sollte "föderalistischen Typs" sein, eine "angemessene Zentralinstanz" schaffen und die "Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten" enthalten. Doch die Ministerpräsidenten wollten sich nicht an der Spaltung Deutschlands beteiligen. Allenfalls waren sie bereit, für ein "Staatsfragment" ein "provisorisches Grundgesetz" durch einen "Parlamentarischen Rat" verfassen zu lassen.
Einen ersten Grundgesetzentwurf erarbeitete der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (August 1948) im Auftrag der Ministerpräsidenten. Der Entwurf ließ – trotz eines föderalistischen Gesamtkonzepts – die strittigen Fragen wie Bundes oder Länderfinanzverwaltung oder Bundesrat oder Senat offen.
Der Parlamentarische Rat
Am 1. September 1948 wurde im zoologischen Museum Alexander Koenig in Bonn der Parlamentarische Rat feierlich eröffnet. CDU/CSU und SPD konnten jeweils 27 Abgeordnete entsenden, während die F.D.P. mit fünf, Zentrum, Deutsche Partei (DP) und KPD jeweils mit zwei Abgeordneten vertreten waren. Hinzu kamen fünf Berliner Vertreter, die angesichts des VierMächteStatus' der Stadt nur als "Gäste" teilnehmen durften. Zu den prominentesten der 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates zählten: Heinrich von Brentano (CDU), Thomas Dehler (F.D.P.), Theodor Heuss (F.D.P.) (später Bundespräsident), Hermann von Mangoldt (CDU), Walter Menzel (SDP), HansChristoph Seebohm (DP) und Georg August Zinn (SPD). Konrad Adenauer (CDU) wurde zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt, Carlo Schmid (SPD) erhielt den Vorsitz im Hauptausschuß.
In Fachausschüssen wurde das Grundgesetz beraten, bevor es im Hauptausschuß und schließlich im Plenum verabschiedet werden sollte. Konträr standen sich CDU/CSU und SPD in den Fragen des Senats oder Bundesratsprinzips, einer Bundes oder Landesfinanzverwaltung, der Kompetenzenabgrenzung zwischen Bund und Ländern und dem Wahlrechtssystem gegenüber.
Eingreifen der Alliierten
Da die Alliierten sich in den Frankfurter Dokumenten die Genehmigung des Grundgesetzentwurfes vorbehielten, war zu erwarten, daß sie in den Entstehungsprozeß eingreifen würden. Doch hatten sie keine einheitliche Vorstellung über das zukünftige Grundgesetz. Die Franzosen wollten ohnehin ursprünglich wegen ihres starken Sicherheitsbedürfnisses keinen deutschen Einheitsstaat. Wenn es um die Durchsetzung föderalistischer Ziele ging, schlugen sich auf die Seite der Franzosen auch die Amerikaner, die nicht zuletzt wegen ihres unermüdlichen Einsatzes während der BerlinBlockade nachhaltig zum Inbegriff einer liberalen Besatzungsherrschaft wurden. Die Briten standen schon aufgrund ihrer eigenen Verfassungstradition dem Föderalismus gleichgültig gegenüber. Nur auf wenige gemeinsame Stellungnahmen konnten sich die Militärgouverneure einigen: Erstmals lehnten sie eine Bundesfinanzverwaltung am 20. Oktober 1948 ab. Am 22. November 1948 forderten sie ferner eine Zweite Kammer zur Wahrung der Länderinteressen sowie eingeschränkte Befugnisse von Exekutive und Bund. Gleichzeitig beteuerten die Alliierten, daß sie auf keinen Fall ein "Diktat" vorgegeben, sondern eine "Generallinie" aufzeigen wollten.
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Das Grundgesetz wird am 23. Mai 1949 in der Schlußsitzung des Parlamentarischen Rates offiziell verkündet. |
Am 16./17. Dezember 1948 trafen sich eine Delegation des Parlamentarischen Rates und die Militärgouverneure in Frankfurt. Adenauer hatte dabei auf die hinlänglich bekannten Meinungsunterschiede zwischen SPD und CDU/CSU in den Bereichen kulturelle Fragen, Länderkammer (Bundesrat/Senat) und Finanzverwaltung hingewiesen. Aufgrund einer Pressemeldung, der zufolge Adenauer die Militärgouverneure zu den strittigen Punkten um eine Entscheidung gebeten hätte, warfen SPD, F.D.P. und DP dem Präsidenten vor, er habe die Militärgouverneure zu "Schiedsrichtern" anrufen und die Positionen der CDU/CSU bestätigen lassen wollen.
Auf der Suche nach Kompromissen
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Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 in der Pädagogischen Hochschule in Bonn. |
Seit Dezember 1948 suchten die Parteien einen Kompromiß in den genannten Fragen. Erst mit dem auf Vorschlag von Adenauer einberufenen interfraktionellen Fünferausschußes war es gelungen, die längst überfällige Einigung herbeizuführen und darin u.a. eine Bundesfinanzverwaltung und einen Bundesrat vorzusehen.
Doch am 2. März 1949 verweigerten die Militärgouverneure ihre Zustimmung zum Grundgesetzentwurf, weil der von ihnen geforderte Föderalismus zu wenig Berücksichtigung fand. Auch schien ihnen die Zuständigkeit des Bundes im Bereich der Gesetzgebung, der Sicherung des Landes (Polizeizuständigkeit) und der Finanzverwaltung zu umfangreich. Am 3. März 1949 wurde nun der interfraktionelle Siebenerausschuß einberufen, der trotz intensiver Gespräche mit alliierten Verbindungsoffizieren und Finanzexperten keine Annäherung in den umstrittenen Fragen brachte.
Der Abschluß der Grundgesetzarbeit
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Konstituierende Sitzung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948. |
Erst Anfang April 1949 verständigten sich die Außenminister von Frankreich, Großbritannien und den USA während ihrer Konferenz in Washington auf eine Mitteilung an den Parlamentarischen Rat, in der sie ihr "Vertrauen" zum Ausdruck brachten, daß der Parlamentarische Rat den Empfehlungen der Militärgouverneure die nötige Beachtung schenken würde. Ein zweites, erst am 22. April 1949 veröffentlichtes Memorandum gab den Weg zum Grundgesetz schließlich frei: die Alliierten gaben ihre unnachgiebigen föderalistischen Positionen auf.
Nun konnte am 8. Mai 1949, dem vierten Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, das Grundgesetz verabschiedet werden. Nur sechs Abgeordnete der CSU und die Abgeordneten von DP, Zentrum und KPD lehnten das Grundgesetz ab. Am 12. Mai 1949 genehmigten die Militärgouverneure den Grundgesetzentwurf und am gleichen Tag endete auch die BerlinBlockade, so daß der Tag der Grundgesetzgenehmigung kaum sinnfälliger gewählt werden konnte. Am Nachmittag des 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in Bonn ausgefertigt und verkündet. Es trat um Mitternacht des 23./24. Mai 1949 in Kraft und gilt seitdem als die freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte.
Die Bundesrepublik Deutschland aber wuchs schon in den ersten Jahren ihres Bestehens über das ursprünglich vorgesehene "Provisorium" hinaus. Das Grundgesetz erhielt mit der Wiedervereinigung von 1990 und seiner weitestgehenden Bestätigung durch die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat geradezu Verfassungscharakter. Unter dem Vorsitz von Henning Voscherau (SPD) ubd Rupert Scholz (CDU) erörterten die 64 Mitglieder der Verfassungskommission die durch die Vereinigung notwendig gewordenen Grundgesetzänderungen. Die dortige Diskussion wurde auch dazu genutzt, die Grundrechte etwa durch die Aufnahme von sog. Staatszielen wie z.B. dem Umweltschutz und den Ausbau der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu erweitern und zu überprüfen, ob einzelne Artikel nicht aufgrund der fortschreitenden europäischen Integration neu formuliert werden müßten oder gar entfallen müßten.