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Dezember 11/1999
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ANHÖRUNG IM RECHTS­ UND FAMILIENAUSSCHUSS

"Eltern sollen auf Gewalt im Sinne körperlicher Züchtigung verzichten"

(re) Auf ein gemischtes Echo ist der Gesetzentwurf der Koalition zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung (14/1247) bei einer gemeinsamen Anhörung des Rechts­ und Familienausschusses am 1. Dezember gestoßen. Die Experten waren sich aber darin einig, dass Eltern generell auf Gewalt im Sinne einer körperlichen Züchtigung verzichten sollten.

Umstritten blieb jedoch, ob dazu ein neues Gesetz notwendig sei und auf welche Definition von Gewalt sich der Gesetzentwurf stützt. So könnte bereits ein "Klaps" als Gewaltanwendung verstanden werden. Einige Experten wandten sich auch gegen eine Ausweitung des Gewaltbegriffs auf "seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen". Offen bliebe ferner, wie der zusätzliche Beratungsbedarf finanziert würde.

Keine Kriminalisierung

Dorothea Barkey von der Staatsanwaltschaft Bielefeld erklärte, die rot­grüne Initiative zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung ziehe keine Änderung in der Strafverfolgung nach sich. Da das so genannte Züchtigungsrecht der Eltern im Rahmen des Erziehungsrechts bereits vor zwei Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geändert worden sei, stütze sich der Gesetzentwurf auf die geltende Rechtslage. Der Tatbestand, dass mit dem reformierten Kindschaftsrecht von 1997 auch körperliche Misshandlungen durch Erziehungsmaßnahmen für unzulässig erklärt worden seien, verhindere bereits, dass der neue Gesetzentwurf "zu einer übermäßigen Kriminalisierung in der Familie" führe, so Barkey weiter. Auch für die Zukunft erwartet die Staatsanwältin kein Ansteigen der Zahl von Ermittlungsverfahren gegen Eltern in Grenzfällen körperlicher Bestrafung.

Dieser Einschätzung schloss sich Klaus Weber, Präsident des Landgerichts Traunstein, nicht an. Er bewertete den Gesetzentwurf insgesamt als "schädlich", weil er verunsichere und die "Familien kriminalisiere". Die undifferenzierte Verwendung des Begriffs "Gewalt" ermögliche es, in so genannte "Normalfamilien" tiefer gehend einzugreifen, auch wenn diese ihrer Erziehungsaufgabe bislang nachgekommen seien. Weber lehnte das Papier ab, weil darin der "Gewaltbegriff", der auch seelische Verletzungen miteinbezieht, zu weit ausgelegt sei. Seelische Verletzungen beeinträchtigten zwar das Persönlichkeitsrecht, hätten aber nichts von der "Zwangseinwirkung", wie sie Gewalt zu eigen sei, so Weber.

Horst Schetelig, Kinder­ und Jugendtherapeut, betonte, dass die bisherigen Gesetze, die körperliche Misshandlungen durch Erziehungsmaßnahmen für unzulässig erklärten, noch nicht hinreichend bekannt seien. Aus seiner Sicht gehe es eher darum, das Bewusstsein von Eltern durch positive Leitbilder zu ändern, als ein neues Gesetz zu schaffen.

Demgegenüber begrüßte Professor Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover die Initiative ausdrücklich und forderte die Regierung auf, mit dem Gesetz eine öffentliche Diskussion über Gewalt in der Erziehung anzustoßen. Dabei wäre es ratsam, sich am Modell Schwedens zu orientieren und auf Kinder in der Schule aktiv zuzugehen.

Rechtliche Klärung

Auch Irene Johns, Vorsitzende des Kinderschutzzentrums Kiel, und Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes in Hannover, lobten die rechtliche Klärung und den Entwurf eines Leitbildes für eine gewaltfreie Erziehung. Peter Güttler forderte, "das Recht des Kindes auf Förderung seiner Entwicklung" in Artikel 6 des Grundgesetzes festzuschreiben und die Krisenberatung für Kinder weiter auszubauen. Er hob die Bedeutung der strukturellen Gewalt in der Entwicklung von Kindern anhand "mangelnder Rückzugsmöglichkeiten" und "Armutsbedingungen" hervor. Die vier Experten waren sich darin einig, daß insbesondere flankierende Maßnahmen vorangebracht werden müssten. Das Gesetz müsse durch eine breit angelegte Kooperation mit den Medien bekannt gemacht werden, so Johns. Dabei sollten auch neue Wege aufgezeigt werden, bevor es zu einer Eskalation der Gewalt in der Familie komme.

Mit Blick auf "flankierende Maßnahmen" kritisierte der Leiter des Bayerischen Landesjugendamtes in München, Robert Sauter, die dabei anfallenden Mehrkosten würden nicht beziffert. Nach seiner Ansicht könne die zusätzliche Beratungspflicht der Jugendämter nicht geleistet werden, weil der dadurch erhöhte Personalbedarf von den Gemeinden alleine nicht geleistet werden könne. Er bezifferte die Mehrkosten auf 75 Millionen DM. Da die notwendige Beratungshilfe dem Sparkurs der Bundesregierung widerspreche, so Sauter, werde es die "in Aussicht gestellte zusätzliche Unterstützung der Eltern nicht geben".

Eltern aufklären

Jörg Diedrich vom Therapiezentrum Schwarzwaldpark in Freudenstadt forderte von der Bundesregierung, den Eltern schon bei der Geburt eines Kindes eine Broschüre zu den unterschiedlichen Erziehungsmöglichkeiten zu schenken. Diedrich bezweifelte, dass "Eltern, die ihre Kinder tatsächlich misshandeln", auf der Grundlage des Gesetzes dazubewegt würden, "ihr Verhalten zu ändern".

Der Pädagoge hielt es auch für bedenklich, auf Gewalt als Erziehungsmaßnahme generell zu verzichten. Aus der Sicht des Pädagogen müsse "ein Kind lernen, mit Demütigungen umzugehen". Auch Sauter bekräftigte, eine gewaltfreie Erziehung sei nicht möglich. Darüber hinaus verweise die Schaffung eines Gesetzes regelmäßig auf die "versagenden Eltern bzw. Familie", und die Verantwortung für Erziehungsaufgaben werde auf öffentliche Institutionen übertragen. Er forderte hingegen, die Pflichten des Kindes gesetzlich festzuschreiben, um damit den Eindruck zu vermeiden, dass es sich bei den Eltern "um wilde Tiere handelt, die man an die Kette legen muss". Solche Pflichten seien beispielsweise "den elterlichen Erziehungsmaßnahmen Folge zu leisten".

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9911/9911045
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