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Dezember 12/1999
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konsensgespräch

Gemeinsamkeit? Ja, aber...

Regelmäßig führt Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch. Zur Jahreswende wollten wir zur Abwechslung einmal wissen, was Abgeordnete verbindet, die politisch fast immer völlig verschiedener Meinung sind. Wir luden zwei von ihnen zu einem "Konsensgespräch" ein.

Der CSU­Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann traf erstmals seinen SPD­Kollegen Michael Roth

"Konsensgespräch" zwischen Wolfgang Zeitlmann (rechts) und Michael Roth.
"Konsensgespräch" zwischen Wolfgang Zeitlmann (rechts) und Michael Roth.

Zwei Abgeordnete ­ zwei unterschiedliche Erlebniswelten. Der eine ­ der SPD­Parlamentarier Michael Roth ­ 29 Jahre jung, Ex­Juso­Vize und damit schon von Berufs wegen aufsässig, gelernter Politologe und seit gut einem Jahr für den nordhessischen Wahlkreis Hersfeld im Bundestag. Dort sitzt er für seine Partei im Kultur­ und Europa­Ausschuss.

Der andere ­ der CSU­Bundestagsabgeordnete Wolfgang Zeitlmann ­ mit 58 Jahren doppelt so alt, gestandener Rechtsanwalt und lange Zeit Bürgermeister in Bernau am Chiemsee. Seit zwölf Jahren ist er für den oberbayerischen Wahlkreis Rosenheim Mitglied des Bundestages, er hat seine Partei in der Regierung wie jetzt in der Opposition erlebt. Zeitlmann ist Mitglied im wichtigen Innenausschuss. Was haben die beiden gemeinsam? Was unterscheidet sie? Wie gehen sie miteinander um?

Blickpunkt Bundestag: Herr Roth, Herr Zeitlmann: Haben Sie schon mal zusammen ein Bier getrunken?

Roth: Beim Bier wird's schwierig, weil ich kein Bier trinke. Das mag den Bayern entsetzen. Kaffee wäre schon möglich, aber es kam weder zum einen noch zum anderen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9912/9912014
Wolfgang Zeitlmann

Zeitlmann: Bedauerlicherweise sitze ich tatsächlich dem Kollegen Roth zum ersten Mal gegenüber. Bewusst habe ich ihn bislang nicht wahrgenommen, weil wir von unseren Ausschuss­Tätigkeiten wenig Berührungspunkte haben. Im heutigen Bundestag gilt das leider für viele. Ich muss gestehen, dass ich viele Abgeordnete, mit denen ich zufällig etwa im Lift zu Sitzungen fahre, nicht persönlich kenne. Bei 669 Abgeordneten dauert das einfach.

Also ist dies hier eine Premiere. Was nun könnte zwei so unterschiedliche Abgeordnete wie Sie verbinden?

Roth: Wir beide haben unseren Wahlkreis direkt gewonnen. Das ist ein durchaus verbindendes Element. Denn direkt gewählte Abgeordnete gehen ein Stück selbstbewusster durch ihre Fraktion, vielleicht sogar durchs Gesamtparlament.

Zeitlmann: Da ist etwas dran. Ich respektiere über mir ­ in Grenzen ­ nur meinen Parteivorsitzenden und sonst nur meine Wahlmänner.

In Weihestunden wird gerne die "Gemeinsamkeit der Demokraten" beschworen. Welche Bedeutung hat diese Erkenntnis für Sie?

Zeitlmann: Ich finde, es gibt eine Reihe von Dingen, wo man sie einfordern sollte, zum Beispiel bei der Darstellung des Parlaments nach außen und seinem Selbstverständnis nach innen. Wie derzeit Politik insgesamt in Frage gestellt und verleumdet wird, sollte uns unabhängig von der jeweiligen Feldpostnummer gemeinsam angehen. Das gilt im Übrigen auch dafür, wie wir mit der Diäten­Frage umgehen.

Roth: Natürlich sollte es einen gemeinsamen Rahmen geben. Dennoch gehört für mich der Streit zum Wesenskern der Demokratie. Wichtiger als ein künstlicher Konsens oder ein harmonisches Einerlei wäre mir die Entwicklung einer gepflegten Streitkultur. Denn beim Streiten werden ja unterschiedliche Politikangebote, Projekte und Wege aufgezeigt. Ich möchte gar nicht in allen Fragen mit der CSU einer Meinung sein und Herr Zeitlmann sicherlich nicht mit mir.

Zeitlmann: Da haben Sie Recht.

Wo verlaufen für Sie die Grenzen des Streites? Entlang der Fraktionslinien?

Roth: Keineswegs. Auch innerhalb der Fraktion streiten wir uns häufig wie die Kesselflicker. Das ist auch in Ordnung so, denn man sollte nicht einheitlicher und konformer auftreten, als man in Wahrheit ist. Dies ist ja auch ein Angebot an die Bürger. Aber in großen Fragen muss zum Schluss natürlich eine klare Linie erkennbar sein. Dies gilt besonders für eine Regierungspartei.

Wir streiten uns häufig wie die Kesselflicker

Zeitlmann: Ich wäre falsch verstanden, wenn ich nur auf Gemeinsamkeit machen wollte. Schon berufsbedingt streite ich oft um die beste Lösung. Streit, auch scharfer, gehört zur Demokratie. Beim Thema Staatsangehörigkeit etwa haben wir ja scharf in der Sache gefochten, bis hin zur Mobilisierung der Massen. Also: Der Kampf um Mehrheiten ist erlaubt und notwendig, aber es gibt eben auch ein Stück Verrohung, sprich weniger Gemeinsamkeit nach außen.

Wo haben sich Veränderungen ergeben?

Zeitlmann: Der Grundkonsens im Parlament, dass man Dinge nicht einfach durchpaukt, dass man sich Zeit lässt zur angemessenen Beratung, ist aufgekündigt. Die Mehrheit setzt sich heute ruppiger durch als früher.

Roth: Ich gehöre dem Bundestag ja erst seit einem Jahr an, aber ich habe eine ganz andere Wahrnehmung. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass es nach 16 Jahren Regierungsverantwortung offenbar gar nicht so einfach ist, vom hohen Ross in die Opposition herunterzukommen.

Zeitlmann: Im Gegenteil: Ich kann heute viel frecher drauflosreden. In der Opposition kann man unbefangener seine Meinung sagen als in der Regierung. Mein Thema ist: Ich finde, es wird beim parlamentarischen Prozedere zu wenig Rücksicht genommen auf die Opposition. Das erschwert die Konsensbildung.

Roth: Einspruch. Von älteren Kollegen höre ich jedenfalls: Das war unter Ihrer Regierung nicht anders. Vielleicht haben Sie nur deshalb Ihren Eindruck, weil die rotgrüne Reformkoalition einen Berg von Veränderungen in relativ kurzer Zeit angepackt hat.

Wie schwer ist es, der Meinung des anderen zuzuhören, gar den Versuch zu machen, sie zu verstehen? Lässt man sich im Plenum noch durch Gegenargumente überzeugen?

Michael Roth

Roth: War das Plenum jemals der Ort, wo man Kolleginnen und Kollegen noch überzeugen konnte, nachdem doch Monate zuvor in den Fraktionen und Ausschüssen um eine Entscheidung gerungen wurde? Man sollte das Plenum nicht zu hoch hängen. Es ist eher der Ort, an dem die unterschiedlichen Auffassungen möglichst klug, interessant und zugespitzt präsentiert werden. Das jedenfalls ist meine Erwartung an das Plenum. Und unter diesem Aspekt finde ich viele Debatten furchtbar langweilig und hölzern.

Die freie Rede beherrschen nur noch wenige

Zeitlmann: Ich halte das Plenum für inzwischen völlig missraten. Das geht schon los beim Vortrag, der zumeist abgelesen wird. Die freie Rede beherrschen nur noch wenige. Zudem beschäftigt sich das Plenum mit viel zu viel Detailregelungen. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß und entwertet das Parlament. Die Parlamentsspitze sollte endlich die Kraft finden, Detailgesetze von den Ausschüssen beschließen zu lassen.

Wie lange wirken Entscheidungen nach? Hakt man das schön demokratisch als Mehrheitsvotum ab oder bleiben Äußerlichkeiten oder gar Verletzungen zurück?

Zeitlmann: Es gehört zum demokratischen Grundstrickmuster, Beschlüsse zu ertragen, bisweilen sogar mitzutragen, die nicht die eigene Auffassung widerspiegeln. Das habe ich in meinem gesamten politischen Leben ­ ob nun als Kommunal­ oder Bundespolitiker ­ so gehalten. Wer damit ein Problem hat und jedes Mal innerlich damit hadert, dass man unterlegen ist, sollte die Finger von der Politik lassen. Es muss möglich sein, sich zu einem Sachverhalt streitig zu unterhalten, ohne sich persönlich ans Leder zu gehen. Etwas anders sieht es bei wirklichen Gewissensentscheidungen aus, zum Beispiel bei der Frage der Abtreibung. Da kann man nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Aber von denen gibt es in der Legislaturperiode meistens nur eine oder zwei.

Roth: Ich bin ein eher emotionaler Mensch und muss offenbar noch lernen, meine Emotionen im Zaum zu halten und nicht alles persönlich zu nehmen. Das ist ein durchaus mühsamer und schwieriger Lernprozess. Aber es gibt nun einmal Entscheidungen, die einen furchtbar wurmen. Dann kribbelt es einen, gerade wenn man an dem Projekt selbst über lange Zeit mitgewirkt hat. Als Beispiel nenne ich die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Dass die Union in meinem Heimatland Hessen mit der Emotionalisierung dieses Themas eine Wahl gewonnen hat, hat mich furchtbar geärgert und aufgeregt. Da muss man dann aufpassen, sich nicht zu sehr in den Frust hineinziehen zu lassen.

Nicht zu sehr in den Frust hineinziehen lassen

Die Öffentlichkeit reagiert auf Politiker­Streit bisweilen mit dem hässlichen Bild "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich"; soll heißen: dass sich Abgeordnete erst im Parlament streiten, um abends friedlich in der Kneipe zusammenzusitzen. Stimmt das mit der Wirklichkeit überein?

Zeitlmann: Also, den Begriff "Pack" finde ich schon ziemlich deplatziert. Politiker sind kein "Pack", auch wenn wir sicherlich keine besseren Menschen sind als die Normalbürger und von der moralisch­ethischen Seite vielleicht auch nur Durchschnitt. Es ist in der Politik wie im richtigen Leben oder in der Familie: Man streitet sich, aber man muss auch die Kraft finden, Gemeinsames herauszustellen, den Streit beiseite zu legen und zusammen auch mal ein Bier zu trinken. Wer das nicht kann, der würde wahnsinnig werden und wäre nach zehn Jahren Parlamentszugehörigkeit mit jedem über Kreuz. So kann und darf es nicht sein.

Roth: Ich finde, in Berlin hat sich da manches relativiert, was das gemeinsame Biertrinken am Abend anbelangt. Die Stadt lädt aufgrund ihrer Größe und ihres vielfältigen Angebots eher dazu ein, sich einmal einen Abend ohne Politik und ohne die Kolleginnen und Kollegen, mit denen man schon den ganzen Tag über zu tun hatte, zu bereiten. Ich jedenfalls bemühe mich, dieses in Anspruch zu nehmen, um so ein wenig Distanz zu haben. Sonst läuft man Gefahr, in einem zu abgeschlossenen und abgeschotteten Zirkel zu leben. Sich nur vom Büro zum Plenum und von dort wieder zurück zum Büro oder zur Parlamentarischen Gesellschaft zu bewegen, wäre mir zu wenig.

Die politische Arbeit im Bundestag steht zumeist unter hohem Zeitdruck. Bleiben da überhaupt noch Lust und Gelegenheit zum Gespräch über Fraktionsgrenzen hinweg?

Zeitlmann: Ich finde schon. Sicher schnürt der Zeitdruck einen in ein enges Korsett, aber es gibt ja auch noch die sitzungsfreien Wochen, in denen man etwa mit dem politischen Gegenüber im Wahlkreis nach Gemeinsamkeiten sucht. Und wenn in Berlin keine Zeit ist, findet sich vielleicht mal eine Auslandsreise, auf der man sich mit Kollegen austauschen kann.

Der Zeitdruck schnürt einen in ein enges Korsett

Roth: Machen wir uns nichts vor: Die Lust zum wirklichen Gedankenaustausch ist schon personen­ und themenabhängig. Unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit gibt's Kolleginnen und Kollegen, die man nett und interessant findet und mit denen man sich gerne abends trifft, aber es gibt ­ wie im Leben ­ eben auch andere. Was ich bedaure, ist, dass es aus Zeitgründen zu wenig Gelegenheiten für ein lockeres Gespräch und einen guten Meinungsaustausch gibt. Aber warum soll es uns Politikern besser gehen als vielen anderen Berufsgruppen?