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1972 Grenzüberschreitung durch unverletzliche Grenzen

Fotografie: Am 7. Dezember 1970 kniet Bundeskanzler Willy Brandt am Mahnmal des Warschauer Ghettos nieder, um die Opfer des Nationalsozialismus zu ehren.
Bundeskanzler Willy Brandt am Mahnmal des Warschauer Ghettos.
© Bundesbildstelle
In den 60er Jahren ist die Deutschlandpolitik aus vielen Gründen sehr statisch. Bewegung kommt erst durch die Bereitschaft der neuen Bonner Regierung zustande, die Nachkriegssituation in Europa anzuerkennen - einschließlich der neu geschaffenen Grenzen. So werden 1970 im Warschauer und Moskauer Vertrag u.a. die Oder-Neiße-Linie und die deutsch-deutsche Grenze als unverletzlich anerkannt.

Die Entspannungspolitik führt zur Verbesserung der deutsch-deutschen Beziehungen. Die Bindung des Westteils von Berlin an die Bundesrepublik wird mit dem Viermächteabkommen 1971 bestätigt. Ein ergänzendes Transit- Abkommen erleichtert seit 1972 den innerdeutschen Reiseverkehr.

Die Bemühungen, über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu finden, gipfeln am 21. Dezember 1972 im deutsch-deutschen Grundlagen-Vertrag.

Darin verpflichten sich beide deutsche Staaten u.a., die Unabhängigkeit und Selbständigkeit in allen inneren und äußeren Angelegenheiten gegenseitig zu respektieren. So wird auch die zwischen ihnen bestehende Grenze als unverletzlich anerkannt. Gleichzeitig bekräftigen beide Seiten, die Prinzipien der UN-Charta anzuerkennen und friedliche Beziehungen insbesondere zu den europäischen Staaten zu fördern. Auch eine gegenseitige Zusammenarbeit und der Austausch von ständigen Vertretungen wird vereinbart.

Im Bundestag ist die Ostpolitik sehr umstritten. CDU und CSU sprechen von einem "Ausverkauf deutscher Interessen": Bedeutet die Hinnahme der bestehenden Grenzen in den Verträgen nicht die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens? Ist nicht zu befürchten, dass mit dem Abschluss des Vertrages mit der DDR der zweite deutsche Staat völkerrechtlich anerkannt wird?

Vor der Ratifizierung der Ostverträge versucht Unionsfraktionsführer Rainer Barzel, Bundeskanzler Brandt am 27. April 1972 über ein konstruktives Mißtrauensvotum zu stürzen. Es scheitert knapp.

Fotografie: Plenarsaal, rechter Flügel
Schlussabstimmung über die Ratifizierung der Ostverträge im Bundestag.
© Bundesbildstelle

Brandt bleibt Kanzler, besitzt jedoch keine Mehrheit mehr. Um diese Patt-Situation aufzulösen, werden die Wahlen zum 7. Deutschen Bundestag nach einer gescheiterten Vertrauensfrage Brandts auf den 19. November 1972 vorgezogen. Dabei wird erstmalig die SPD zur stärksten Fraktion im Bundestag.

Am 13. Dezember 1972 wählen mehr als 80 Prozent der Abgeordneten mit Annemarie Renger (SPD) zum ersten Mal eine Frau an die Spitze des Bundestages. Einen Tag später bestätigt der Bundestag Willy Brandt als Bundeskanzler.

Brandts Kanzlerschaft findet jedoch 1974 ein jähes Ende: Zu Brandts Entsetzen wird sein persönlicher Referent Günter Guillaume als DDR-Spion enttarnt. Doch auch unter dem neuen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) führt der Bundestag die Politik der Entspannung in Europa konsequent weiter.

Dokument: Grundlagenvertrag
ZeitPunkte: Daten und Fakten der 6. und 7. Wahlperiode (1969-1972 und 1972 - 1976)
Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/geschichte/parlhist/streifzug/g1970/g1970_3
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