Innenausschuss
GRUNDLEGENDE REFORMIERUNG DES STASIUNTERLAGENGESETZES BEABSICHTIGT
Berlin: (hib/WOL) Das Ergebnis der Gutachten zur Verwendung von Stasiabhörprotokollen hat am Mittwochvormittag Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Fachausschuss vorgestellt.
Schily, der nach der früheren Kontroverse zwischen Joachim Gauck und dem Bundesdatenschutzbeauftragten Joachim Jacob die Professoren Klaus Marxen und Gerhard Werle von der Humboldt-Universität mit einem abschließenden Gutachten beauftragt hatte, legte den Mitgliedern des Ausschusses eine Synopse aller Stellungnahmen als Arbeitsgrundlage vor.
Danach vertreten Jacob und Professor Philip Kunig von der Freien Universität Berlin grundsätzlich andere Positionen, als Joachim Gauck, Marianne Birthler und Marxen und Werle.
So haben Jacob und Kunig jede Herausgabe von Unterlagen über "öffentliche Personen" aus Abhöraktionen des Staatssicherheitsdienstes an den Untersuchungsausschüsse, Wissenschaftler oder Medien verworfen.
Auch für Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes gelte das Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes.
Jacob und Kunig stehen damit im Widerspruch zu den anderen, die eine Verwendung des Stasimaterials in bestimmten Fällen bejahen oder in eng gefassten Grenzen für zulässig halten.
Die Abgeordneten machten deutlich, dass auch sie überwiegend die Herausgabe von Tonbandmitschnitten abgehörter Gespräche, von Abhörprotokollen im Wortlaut und von zusammenfassenden Vermerken des MFS über die Inhalte abgehörter Gespräche des genannten Personenkreises ablehnen.
Die SPD begrüßte, dass der Innenminister in "dieser außerordentlich schwierigen Frage" das Votum des Parlaments und der Abgeordneten einhole, bevor eine abschließende Reformierung des Stasiunterlagengesetzes angegangen werde.
Es habe sich immer darum gehandelt, die Opfer zu schützen und nicht die Täter. Niemand habe seinerzeit bei der Verabschiedung des Gesetzes daran gedacht, einen ehemaligen Bundeskanzler mit illegalen Tonbandabhörprotokollen zu konfrontieren.
Die CDU/CSU kritisierte, der Innenminister habe zu lange und zu sybillinisch über die schutzwürdigen Interessen geredet, ohne noch ausstehende Fragen mit Gauck zu klären.
Auch von der F.D.P. wurde der Schutz von Politikern gemäß Artikel 10 des Grundgesetzes betont und festgestellt, die rechtlich notwendige Rechtsaufsicht liege beim Innenministerium, wenn eine Kehrtwendung in dieser Frage erfolgen solle.
Die PDS erklärte ebenfalls, der ehemalige Bundeskanzler Kohl sei "eindeutig Opfer der Stasi", daher teile sie auch die Bewertung Kunigs.
Allein Bündnis 90/Die Grünen hielten ihre bisherige Position einer herabgesetzten Informationsschwelle bei öffentlichen Personen unter gleichzeitigem Schutz der Intimsphäre bei und beklagten, mit der Position Kunigs werde eine historische Aufarbeitung auf der Grundlage des bisherigen Stasiunterlagengesetzes unterlaufen.
Gauck-Nachfolgerin Birthler erinnerte daran, dem Gesetzgeber sei von vornherein klar gewesen, dass das Stasiunterlagengesetz ein Fremdkörper im Rechtssystem der Bundesrepublik ist.
Beabsichtigt war nicht nur ein Opferschutz, sondern auch eine Aufarbeitung. Nach den Äußerungen des Ausschusses erklärte Schily, er habe bewusst bei der Vorstellung der Gutachten keine eigene Wertung abgegeben, um der freien Meinungsbildung nicht vorzugreifen.
Anfangs habe auch er die Ansicht von Joachim Gauck geteilt, dem er allergrößten Respekt bezeuge. Inzwischen neige er aber zur Auffassung und Interpretation von Jacob und Kunig.
Er bitte deshalb Frau Birthler, keine Vorentscheidung durch die weitere Herausgabe von Unterlagen zu treffen, bevor man zu einer endgültigen Auffassung gelangt sei.
Diese entgegnete, ein solches Moratorium stelle ihr Amt vor ein praktisches Problem. Die jetzige Grundlage des Stasiunterlagengesetzes erlaube es nicht, die Herausgabe von Daten zu verweigern.
Der Bitte des Ministers zu folgen, hieße "alles zu stoppen", bedeute aber auch eine Ungleichbehandlung, wenn über Wehner, Schmidt oder Strauß die Herausgabe von Unterlagen erfolgt sei und dies bei anderen Fällen nun in Frage gestellt werde.
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