|
|
Markus A. Weingardt
Ein vielfältiges Beziehungsgeflecht
Israel im Kontext deutscher
Außenpolitik
Die deutsch-israelischen Beziehungen werden oft
als \‚besonders' bezeichnet - besonders eng, besonders
überschattet, besonders schwierig oder, wie zuletzt von
Bundespräsident Horst Köhler formuliert, "besonders
freundschaftlich". Ursache dieser Besonderheit ist in erster Linie
die nationalsozialistische Judenvernichtung. Dadurch entsteht
leicht der Eindruck, die deutsche Israelpolitik an sich stünde
einzig unter dem unentrinnbaren Einfluss von Schuld und
Vergangenheit.
Über die immer unverhohleneren
Vorwürfe von der "Instrumentalisierung des Holocausts", der
"Auschwitz-Keule" oder dem "Kult mit der Schuld" ist es dann nur
noch ein kleiner Schritt zu der Behauptung, die deutsche
Außenpolitik als ganzes sei einem Diktat fremder Mächte
unterworfen, Deutschland sei nicht frei in der Verfolgung seiner
eigenen Interessen. Ein genauer Blick auf die Realität
deutscher Israel- und Außenpolitik seit den Anfängen
zeigt ein anderes Bild: Israelpolitik war stets nur ein Teil
deutscher Außenpolitik, war immer den allgemeinen
außenpolitischen Zielen untergeordnet und hatte ihnen zu
dienen - nicht etwa umgekehrt.
In den 50er-Jahren bemühte sich
Bundeskanzler Adenauer um Westintegration, das heißt um
Wiederherstellung deutscher Reputation und Wiederaufnahme in die
westliche Völkerfamilie. Diesem Anliegen war alle
Außenpolitik untergeordnet, sowohl die Wiedervereinigung als
auch das Verhältnis zu Israel. Die Amerikaner machten keinen
Hehl daraus, dass das Verhalten gegenüber den Juden ein
entscheidender Indikator für den angeblich "gewandelten
Charakter" der Bundesrepublik war, übten aber keinen Druck
aus. Als Israel Entschädigungsforderungen gegenüber
Deutschland an die Adresse der Siegermächte richtete, lehnten
diese (die Sowjetunion reagierte überhaupt nicht) jede
Unterstützung mit dem Hinweis ab, Israel müsse seine
Ansprüche direkt an die Bundesregierung richten. Auch als 1951
Verhandlungen zum Luxemburg-Vertrag (beziehungsweise dem
"Wiedergutmachungs"-Abkommen) aufgenommen wurden, nahmen die
Alliierten keinerlei Einfluss auf den Inhalt und Verlauf der
Gespräche, erwarteten aber einen glaubwürdigen Nachweis
für Adenauers Beteuerungen vom "anderen Deutschland". Ob
Adenauer wollte oder nicht, er musste seinem Schuldbekenntnis Taten
folgen lassen - nicht auf israelischen oder amerikanischen Druck,
sondern in Deutschlands ureigenem außenpolitischen (und
innenpolitischen) Interesse. Während der
"Wiedergutmachungs"-Verhandlungen mussten die deutschen
Unterhändler auf Geheiß des Bundeskanzlers allerdings so
lange die Entschädigungssumme nach unten handeln, bis sie es
vor ihrem Gewissen nicht mehr verantworten konnten und
zurücktraten. Ein Scheitern der Verhandlungen hätte
jedoch Adenauers Ansehen geschadet und sein "Projekt Westbindung"
stark gefährdet. Darum lenkte er jetzt ein und akzeptierte die
zuletzt ausgehandelte Entschädigungssumme von 3,45 Milliarden
D-Mark, abzugelten über zwölf Jahre in Form von Waren und
Dienstleistungen vorzugsweise deutscher Unternehmen. Es sind die
einzigen Reparationen, die der Staat Israel jemals von deutscher
Seite erhalten hat; alle anderen Leistungen sind individuelle
Entschädigungen für Opfer des NS-Regimes. Keine
exorbitante Summe, wenn man bedenkt, dass für die
innerdeutsche Flüchtlingshilfe allein im Jahr 1952 knapp drei
Milliarden D-Mark veranschlagt waren. Aber Adenauer wusste, dass
Israel aufgrund seiner existenziell bedrohten Lage nicht hoch
pokern konnte. Und ihm war klar, dass die Alliierten auch ein
gewisses Eigeninteresse an der Integration Westdeutschlands hatten.
So waren schließlich alle Seiten mit dem 1953 ratifizierten
Abkommen einigermaßen zufrieden, und Adenauer hatte nicht
allein, aber auch dadurch das ersehnte Entreebillet in die
Völkerfamilie gelöst: Zwei Jahre später erhielt
Westdeutschland seine volle außenpolitische
Souveränität zurück und wurde in die NATO
aufgenommen. Wiederum ein Jahr später konnte es sich die
Bundesregierung bereits erlauben, die Aufforderung der USA, die
Israel damals noch keineswegs so nahe standen wie heute, folgenlos
zu ignorieren, Deutschland möge seine
"Wiedergutmachungs"-Lieferungen während des Suez-Feldzuges
einstellen.
Die späteren 50er- und frühen
60er-Jahre standen stärker im Zeichen des Ost-West-Konfliktes.
Auch hier hatte sich die Israelpolitik den allgemeinen
außenpolitischen Prämissen anzupassen. Adenauer
fürchtete nichts mehr, als dass andere Staaten die DDR
diplomatisch anerkennen und damit den Anspruch Westdeutschlands
unterminieren könnten, alleinige legitime Rechtsnachfolgerin
des Deutschen Reiches zu sein. Um diesen wunden Punkt wissend,
hatten arabische Staaten immer wieder gezielt mit der Anerkennung
der DDR gedroht, falls die Bundesrepublik offizielle Kontakte zu
Israel aufnehmen würde. Letztere hatte Adenauer bereits im
Rahmen des Luxemburg-Abkommens angestrebt, was in Israel so kurz
nach Kriegsende jedoch völlig undenkbar gewesen war. Doch
schon wenig später, ab 1956, signalisierte die Regierung
Ben-Gurion ihrerseits eindeutiges Interesse. Nun aber verwehrte
Adenauer aus Furcht vor den arabischen Drohungen dem jüdischen
Staat diplomatische Beziehungen. Erst 1965 erfolgte endlich -
wenngleich ungeplant - die de-jure-Anerkennung und der Austausch
von Botschaftern.
1973 wurde Israel an Jom Kippur, dem
höchsten jüdischen Feiertag, von seinen arabischen
Nachbarstaaten angegriffen und stand am Rand einer Niederlage. Die
Bundesregierung unter Willy Brandt verurteilte die Aggression,
achtete dabei aber auf eine neutrale Position, um nicht Opfer des
Ölembargos der arabischen Staaten zu werden. 1974
übernahm Bundeskanzler Schmidt die Regierung und trieb die
Bemühungen um eine gemeinsame europäische
Außenpolitik voran. Zum Testfeld für diese gemeinsame
Außenpolitik wurde ausgerechnet der hoch komplexe
Nahostkonflikt auserkoren. Um hier zu einem Konsens zu kommen,
musste sich die Bundesregierung zwangsläufig der deutlich
proarabischen Position Frankreichs und anderer annähern, was
freilich nicht im Interesse Israels sein konnte. Die
Bundesregierung nahm auf internationaler Ebene eine
distanziert-formale Haltung zu Israel ein, das damit in der
europäischen Öffentlichkeit ohne starke Unterstützer
dastand. Die jährlichen EG-Resolutionen zum Nahostkonflikt
riefen denn auch regelmäßig israelischen Protest hervor.
Deutschland wurde vorgeworfen, es würde sich von Frankreich
dominieren lassen und unter den "Deckmantel EG" flüchten, um
seiner historischen Verantwortung gegenüber Israel, zu der
sich jede Bundesregierung ausdrücklich bekannte, zu entgehen.
Das traf insofern zu, als Schmidt in der Tat die historisch
bedingte nahostpolitische Sonderrolle der Bundesrepublik
abschütteln wollte, indem er sich demonstrativ unter das
europäische Dach stellte und mit Verweis auf das
EG-Konsensgebot israelische Einwände zurückwies oder
ignorierte. Der Vorwurf Israels war jedoch nur teilweise richtig,
weil die Bundesregierung hinter den Kulissen in den EG-Gremien
damals wie heute israelische Interessen einbrachte und
vertrat.
Dieses Verhältnis verschlechterte sich
allerdings wieder durch die politische und persönliche
Abneigung zwischen Israels Ministerpräsident Begin und
Bundeskanzler Schmidt. Auch die ersten Regierungsjahre von
Bundeskanzler Kohl ließen zunächst keine Entspannung der
zwischenstaatlichen Beziehungen erwarten: Seine Formulierung von
der "Gnade der späten Geburt", die Gedenkfeier mit
US-Präsident Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg, auf dem
auch SS-Angehörige begraben liegen, ein missglückter
Besuch in Israel, Gerüchte um Waffenlieferungen an
Saudi-Arabien erweckten den Eindruck, als wolle sich Kohl
demonstrativ von der Vergangenheit distanzieren, gar einen
Schlussstrich unter die Geschichte ziehen. Doch nach den
anfänglichen Turbulenzen agierte Kohl behutsamer, und das
deutsch-israelische Verhältnis erlebte einen beachtlichen
Aufschwung. Um die "Schatten der Vergangenheit" möglichst von
der allgemeinen Außen- wie der Nahostpolitik fern zu halten
und dadurch Handlungsfreiheit zu gewinnen, vertiefte Kohl die
bereits angedeutete Politik der "Zwei Ebenen": "besondere",
intensive, freundschaftliche Beziehungen im rein bilateralen
Kontakt - "normale", formale, neutrale Beziehungen in der
internationalen Arena, bei allerdings fortgesetztem punktuellem
Einsatz für Israel abseits der Medienöffentlichkeit. Im
Bewusstsein der historischen Verantwortung und des besonderen
deutsch-jüdischen Verhältnisses förderte Kohl die
halb- und nichtstaatlichen Beziehungen zu Israel - nicht einzelne
Politiker, sondern die breite Bevölkerung beider Staaten
sollte das bilaterale Verhältnis gestalten und beleben.
Zugleich trieb er aus wirtschafts- und machtpolitischen Interessen
der Bundesrepublik die europäische Einheit einschließlich
einer gemeinsamen Nahostpolitik voran. Bald erkannte die
israelische Regierung, dass die EG/EU nicht nur ein
unumstößliches Faktum war, sondern auch erhebliche
ökonomische und politische Chancen für Israel barg - und
dass man darauf bedacht sein sollte, seinen einflussreichsten
Fürsprecher, die Bundesrepublik, nicht zu verprellen. Die
israelpolitische Verlässlichkeit Kohls minderte Vorbehalte
gegenüber der deutschen Wiedervereinigung. Die rot-grüne
Bundesregierung setzte diese Politik ohne substanzielle
Veränderungen fort, und engagiert sich im Nahen Osten
flankierend zur EU-Politik.
In den Augen der Weltöffentlichkeit hat
Deutschland seine Feuertaufe als Demokratie, fern von NS-Ideologie
und -Großmachtambitionen, längst bestanden. Schon 1955,
mit der außenpolitischen Souveränität, hatten sich
die Vorzeichen geändert: Deutschland dominierte jetzt das
zwischenstaatliche Verhältnis zu Israel, verweigerte die
offizielle Anerkennung oder erlaubte (geheime)
Waffengeschäfte, je nach den eigenen außenpolitischen
Zielen und Interessen. Die Europäisierung der
Außenpolitik verstärkte diese Unterordnung der
Israelpolitik unter das Primat der allgemeinen Regierungspolitik -
es war nun an Israel, gute Beziehungen zur Bundesregierung als
wichtigstem Partner in Europa zu pflegen.
Indem die deutsche Israelpolitik in den
größeren, nicht vom Holocaust überschatteten Rahmen
der EG/EU-Außenpolitik verlagert wurde, konnten auch die
bilateralen Regierungsbeziehungen in ruhigere Gewässer
gelangen. Dies förderte natürlich die Entfaltung
zwischengesellschaftlicher Kontakte - ungestört von israel-
oder nahostpolitischen Turbulenzen. So entstand im Lauf der Jahre
ein vielfältiges und engmaschiges Beziehungsgeflecht, das
wiederum wesentlich zur politischen Stabilität des
deutsch-israelischen Verhältnisses auf einem hohen Niveau
beiträgt.
Markus A. Weingardt ist Wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Stiftung Weltethos und lehrt an der
Universität Tübingen Politikwissenschaft.
Zurück zur Übersicht
|