Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft Herausforderungen und Antworten" des 14. Deutschen Bundestages
AU 14/11, Kurzfassung
"Zur rechtlichen Dimension der
Globalisierung"
Sachverständiges Mitglied Prof. Dr. Dr. Rudolf Dolzer
vorgestellt in der 4. Sitzung am 15. Mai 2000
Er erläutert den Globalisierungsprozess aus rechtlicher
Sicht. Mit Blick auf die Diskussion über den Beginn der
Globalisierung benennt Prof. Dr. Dr. Rudolf Dolzer einleitend das
Ende der 80er Jahre als die aus seiner Sicht entscheidende
Zäsur. Kennzeichnend für die rechtlich-institutionelle
Situation sei heute die Existenz von annähernd 200 Staaten mit
teilweise föderalistischer Untergliederung, im Gegensatz zu
weniger als 50 Staaten in der Zeit nach 1945. Im Zuge der
Dekolonialisierung hätten auch die Staaten der dritten Welt
das nationalstaatliche Modell nicht in Frage gestellt, sondern es
im Gegenteil akzentuiert. Kein Staat sei im übrigen
völkerrechtlich verpflichtet, seine Grenzen zu öffnen und
am internationalen Wirtschaftsverkehr teilzunehmen. Demnach seien
die Möglichkeiten des Staates zur Reaktion auf
Globalisierungsprozesse nach wie vor enorm. Gleichzeitig sei eine
massive Vermehrung internationaler Organisationen zu beobachten.
Die Diskussion um die Bildung dieser Organisationen auch in den
Bereichen Handel und Finanzen sei anfänglich sehr stark unter
dem Gesichtspunkt der Friedenssicherung geführt worden. Dies
sei auch heute noch ein wesentlicher Aspekt.
Nach einem kurzen historischen Abriss werden im folgenden Funktion
und Rolle der Welthandelsorganisation WTO, der überwiegend
bilateralen Abkommen über Auslandsinvestitionen, der
internationalen Finanzordnung und des internationalen Rechts der
Umwelt dargestellt, aufbauend auf den Ausführungen in der
Arbeitsunterlage AU 14/11. Im Finanzsektor sei die Globalisierung
am weitesten fortgeschritten, wobei für die internationale
Finanzordnung eine vergleichsweise geringe Verrechtlichung mit
teilweise unklaren Zuständigkeiten charakteristisch sei. Sie
habe sich in der Vergangenheit oft lediglich als Folge krisenhafter
Entwicklungen herausgebildet. Forderungen nach einer massiven
Straffung oder gar Auflösung des Internationalen
Währungsfonds IWF, wie sie etwa im Meltzer Report zum Ausdruck
kämen, teilt Prof. Dr. Dr. Dolzer nicht, da die
Krisenprävention bzw. -bewältigung von den
Finanzmärkten per se nicht geleistet werden könne. Auch
hinsichtlich der Möglichkeiten des Forums für
Finanzmarktstabilität (FSF) äußert er sich
skeptisch, da dessen Arbeit lediglich empfehlenden Charakter habe.
Der Erfolg der Tätigkeit des FSF müsse abgewartet werden.
Im Sinne vorbeugender Maßnahmen zur Krisenbewältigung
stelle sich die Frage nach der Notwendigkeit einer verbindlichen
Festlegung von Mindeststandards. Wichtige Themen in dieser
Hinsicht, auch für die Arbeit der Enquete-Kommission seien
kurzfristige Kapitalbewegungen, insbesondere bei starker
Verschuldung in Auslandswährungen, die Sinnhaftigkeit der
großen Vielfalt von Institutionen in diesem Bereich, die
Rolle des Privatsektors im Krisenfall, die Gestaltung der
Finanzsysteme in der dritten Welt, und nicht zuletzt das
Verhältnis zwischen IWF und Weltbank.
Das internationale Recht der Umwelt schließlich sei durch
zunehmende Fragmentierung und Segmentierung bei gleichzeitigem
Fehlen von vertraglich vereinbarten Mechanismen zur Durchsetzung
gekennzeichnet. Für die Arbeit der Kommission sei es wichtig,
zwischen nationalen, nur in den jeweiligen Ländern
lösbaren, und globalen Umweltproblemen zu unterscheiden. Die
Ursachen für die bislang fehlenden Erfolge sind nach Ansicht
von Prof. Dr. Dr. Rudolf Dolzer wesentlich im institutionellen
Bereich zu finden. So sei die Umweltorganisation der Vereinten
Nationen UNEP dringend reformbedürftig. Der derzeitige
Exekutivdirektor leiste hervorragende Arbeit, es fehle aber an
Einflussmöglichkeiten und auch an der finanziellen
Ausstattung. Selbst der Generaldirektor der WTO habe vor kurzem die
Frage gestellt, warum die Umwelt keine Stimme mit gleichem Gewicht
wie die WTO in die Entscheidungsprozesse einbringe. Insgesamt habe
die notwendige Verzahnung der wirtschaftlichen und
ökologischen Globalisierung bisher rechtlich wenig Beachtung
gefunden.
Auch im sozialen Bereich sei die Situation der International Labor
Organization (ILO) ähnlich, wenngleich der strukturelle Aspekt
einer Zusammenarbeit zwischen Staaten und
Arbeitnehmerorganisationen interessant sei. Für die
entwicklungspolitische Sicht gelte, dass nach allen bisherigen
Erfahrungen die Entwicklung der ökonomischen Situation
entscheidend von der Funktionsfähigkeit der Institutionen in
den jeweiligen Ländern abhänge. Dementsprechend
müssten Schwerpunkte verlagert werden, z.B. von der
Förderung eines Kohlekraftwerkes zur Frage der
Funktionsfähigkeit und Transparenz staatlicher
Organisation.
Abschließend stellt Prof. Dr. Dr. Rudolf Dolzer eine
Einteilung der unterschiedlichen Ansätze zur Reaktion
demokratischer Staatswesen auf die Globalisierung der Wirtschaft in
fünf idealtypische Denkschulen vor, wie sie wiederum der
Arbeitsunterlage AU 14/11 zu entnehmen sind. Es bleibe aber offen,
ob theoretisch sektorübergreifend Denkansätze allgemein
ausgerichteter Denkschulen die Besonderheiten der jeweiligen
Sektoren bzw. ihrer Vernetzung in operationaler Hinsicht spezifisch
genug erfassen könnten. Aus seiner Sicht sei, unter Beachtung
des Subsidiaritätsprinzips, die sachliche und detaillierte
Auseinandersetzung mit pragmatischen, an empirisch erkennbaren
Bedürfnissen orientierten Fragestellungen von besonderer
Bedeutung.