> Dossier > Das Präsidium
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Der Ältestenrat soll den Präsidenten bei der Führung der Geschäfte unterstützen, heißt es in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Die fünf Mitglieder des Präsidiums, das sich aus dem Präsidenten und den vier Vizepräsidenten zusammensetzt, nehmen an jeder Sitzung des Ältestenrates teil. Weisungsbefugt sind sie dort aber nicht, auch sie verfügen wie die anderen Abgeordneten über einfaches Stimmrecht. Das Präsidium wird vom Parlament für vier Jahre gewählt. Wer sind die Hausherren des Deutschen Bundestages in der 15. Legislaturperiode?
„Ich habe ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit und Fairness“, charakterisiert sich der nach dem Grundgesetz zweite Mann im Staat selbst. „Und in meinem Kopf hat mehr als eine Meinung Platz.“ Das Amt des Bundestagspräsidenten übt Wolfgang Thierse seit dem Regierungswechsel 1998 aus. Lange sah es in Thierses Leben nicht danach aus, als würde er Politiker werden. 1943 in Breslau geboren, wuchs der engagierte Katholik in der DDR auf. Als Kind aus bürgerlichem Elternhaus absolvierte Thierse nach dem Abitur zunächst eine Lehre zum Schriftsetzer in Weimar. Nach dieser „Bewährung“ stand der Weg zum Studium der Kulturwissenschaften und der Germanistik offen und führte ihn – nach wie vor nicht Mitglied einer Partei – als wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Akademie der Wissenschaften.
„Ich hatte Glück“, sagt Thierse, „und konnte in der DDR fast wie ein Privatgelehrter in einer geräumigen Nische arbeiten.“ Mit der deutschen Einheit fand das „Leben in der Nische“ schlagartig ein Ende: 1989 Unterschrift beim Neuen Forum, Januar 1990 Eintritt in die SPD der DDR, von Juni bis September 1990 deren Vorsitzender, von März bis Oktober 1990 Mitglied der Volkskammer, dort Vize-, später Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion. „In gewisser Weise war 1989 eine Explosion in meinem Leben, eine Vervielfältigung der eigenen Möglichkeiten“, sagt der Bundestagspräsident im Rückblick. Thierse ist Vizevorsitzender der SPD.
„Erwartungen gerecht zu werden, versuche ich in jedem Amt, aber abhängig mache ich mich davon nicht“, sagt Norbert Lammert, der in seiner politischen Laufbahn schon viele Ämter bekleidet hat. Der promovierte Sozialwissenschaftler trat 1966 als 18-Jähriger der CDU bei, wurde 1986 Mitglied des CDU-Landesvorstandes in Nordrhein-Westfalen, ist seit 1980 Bundestagsabgeordneter, fungierte zwischen 1989 und 1998 in drei Ministerien (Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft, Verkehr) als Parlamentarischer Staatssekretär, war Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, dann von 1998 bis 2002 kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und bekleidet seit 2002 das Amt eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages.
Gelegentlich scheut er auch in dieser Funktion einen etwas lockeren Umgangston nicht: Das gefalle „den meisten gut, einigen nicht so sehr. Daraus mache ich keine Theorie. Man sollte die Anforderungen des Amtes erfüllen, aber so, dass die eigene Persönlichkeit erkennbar bleibt.“ Der in Bochum geborene und „passionierte Ruhrgebietler“ wohnt in Bochum und Berlin, ist verheiratet und hat vier Kinder.
„Wenn ich eine Plenardebatte leite, will ich, dass die Menschen auf der Besuchertribüne mich verstehen“, sagt die 1946 geborene Fränkin. Ihre politische Laufbahn nach ihrem Eintritt in die SPD im Jahre 1972 hat sie von der untersten politischen Ebene in das höchste politische Gremium der Bundesrepublik Deutschland geführt: Von 1976 bis 1994 war sie Marktgemeinderätin in ihrem Heimatort Maroldsweisach, von 1984 bis 1999 Mitglied des Kreistages Haßberge. Seit 1989 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 1998 Mitglied im Ältestenrat und seit 2002 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Sie sitzt der Kommission des Ältestenrates für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und -medien vor und hat einen Sitz im Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion. In ihrer Funktion als Vizepräsidentin des Bundestages ist ein Arbeitsschwerpunkt die Arbeit mit Jugendlichen, denen sie Parlamentarismus nahe bringen möchte; deshalb ist auf ihre Initiative seit drei Jahren ein Jugendmedienworkshop eingerichtet worden. Seit 2004 gehört sie auch dem Parteivorstand der SPD an. Susanne Kastner, erst Erzieherin geworden, dann auf dem zweiten Bildungsweg zur Religionspädagogin ausgebildet, wohnt in Maroldsweisach, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder und fünf Enkelkinder.
„Man kann als Vizepräsidentin Neues anfangen, Initiativen unterstützen oder selbst auf den Weg bringen“, sagt Antje Vollmer, deren politische Laufbahn eng mit der Entwicklung der Umwelt- und Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbunden ist. Die 1943 in Lübbecke/Westfalen Geborene, die ihr Privatleben sorgsam gegen jedwede Öffentlichkeit abschirmt, zog 1983 als Parteilose für Die Grünen in den Bundestag ein, dem sie – zeitweise als Fraktionssprecherin und mit einer Unterbrechung zwischen 1985 und 1987 – bis 1990 angehörte.
Der Partei Die Grünen trat sie 1985 bei. Die promovierte Philosophin und examinierte Theologin, die als Pädagogin und Publizistin arbeitete, kehrte 1994 wieder als Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag zurück und bekleidet seitdem das Amt einer Vizepräsidentin des Bundestages. Seit 1998 ist sie zudem ordentliches Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien. Antje Vollmer, die in Bielefeld wohnt, versteht ihr Wirken in Politik und Gesellschaft als einen stetigen Neubeginn. „Anfänge sind die kreativsten Phasen, denn alles ist offen. Macht und Verwaltung entstehen erst später. Und diese Routine ist nicht so meine Sache.“
„Ich bin sozusagen der einzige gelernte Vizepräsident“, kann der FDP-Politiker mit Recht von sich behaupten. Denn er wurde 1973, zwei Jahre nach seinem Beitritt zur FDP, persönlicher Referent der seinerzeitigen Bundestagsvizepräsidentin Lieselotte Funke. Nach Wehrdienst, Banklehre und Studium der Wirtschafts- und Agrarwissenschaften begleitete er sie drei Jahre lang, ehe er – als frisch promovierter Agrarwissenschaftler – ein Unternehmen gründete. „Das war“, sagt er, „eine wichtige Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen, sich alles selbst beizubringen.
Wer einmal so in der Praxis verankert war, verliert später – auch als Politiker – den Bezug zur Realität nicht.“ Im Bundestag hat der 1940 in Liech, Kreis Gießen, Geborene Sitz und Stimme seit 1980. Von 1985 bis 1991 war er stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, von 1991 bis 1998 stand er der Fraktion als Vorsitzender vor. Seit 1998 ist er finanzpolitischer Sprecher der Fraktion und zudem einer der Vizepräsidenten des Bundestages. Hermann Otto Solms, der aus einer Familie stammt, deren Stammbaum sich 900 Jahre zurückverfolgen lässt, wohnt in seinem Geburtsort in Hessen, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 29. Juni 2005