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Lagebesprechung

Streiten – die Glasklar-Diskussion

Christian Falk und Daniel Girl
Christian Falk (li.) und Daniel Girl.

Daniel Girl
Daniel Girl.

Christian Falk
Christian Falk.

Christian (28) ist Musiker und Drummer der Berliner Band Sedoussa, Daniel (24) ist Unternehmer und Geschäftsführer der DGMK GmbH, die sich mit multimedialer Kundenbindung befasst. Für Glasklar zur Bundestagswahl haben sie sich an einen Tisch gesetzt, über Politik gesprochen und über sich selbst.

Glasklar: Bei der Bundestagswahl entscheiden die Wähler, von welchen Abgeordneten sie sich künftig im Parlament vertreten lassen. Wie empfindet ihr die Beziehung zwischen Bürgern und Politik?

Christian: Ob Politiker noch den Kontakt zur Basis haben, die Frage stellt sich für mich immer wieder. Letzten Endes sind das ja Menschen, die ich mal gewählt habe. Mir geht da schon der Kontakt verloren. Der Job des Politikers scheint mir losgelöst vom Alltag. Ich finde es wichtig, über Möglichkeiten nachzudenken, das wieder anzunähern.

Glasklar: Müssen sich die Politiker besser in die Probleme der Menschen einfühlen?

Daniel: Ich glaube, das geht gar nicht. Man kann nicht nachempfinden, was 80 Millionen Wahlberechtigte wollen. Vor allem, weil jeder etwas anderes will. Die Frage ist: Was dient der Allgemeinheit? Ich glaube, dieser Frage müssen sich die Politiker stellen.

Glasklar: Zum Beispiel der Umbau des Sozialstaates: Demontieren wir unser soziales Netz oder sind das notwendige Reformen, mit denen es uns langfristig besser geht?

Daniel: Ich bin noch relativ jung. Das soziale System ist durch eine lange Entwicklung entstanden. Es war eine Konsequenz aus dem wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik. Ich glaube nicht, dass wir es demontieren, sondern wir passen es der Situation an. Und wenn wir das nicht tun, wird es sich selbst sprengen.

Christian: Letzten Endes ist es ja eine Demontage, das kann man schon so sagen. Ich denke auch, dass das Sozialsystem reformiert werden muss. Und ich glaube, dass die Leute reformbereit sind. Aber es wird halt hier und da ein bisschen rumgedreht und dann kommt Hartz IV, wo es heißt: Nun sparen wir in der Bürokratie. Einen Monat später hört man, dass die Kosten explodieren und dass der bürokratische Aufwand immens gestiegen ist.

Glasklar: Wer Arbeit hat, arbeitet wieder mehr. Der Krankenstand sinkt und die Arbeitszeiten steigen. Wie steht es eigentlich mit dem Recht auf Muße und Faulheit?

Daniel: Ich glaube auf jeden Fall, dass man ein Recht auf Faulheit hat. Aber ich glaube nicht, dass man gleichzeitig das Recht hat, andere durch diese Faulheit zu bestrafen. Ich bin jemand, der nicht unbedingt faul ist – trotzdem benötigt jeder mal Phasen, um zu pausieren oder zu entspannen. So war ich gestern zum Beispiel im Tiergarten und habe gegrillt.

Glasklar: Christian, wie arbeitest du?

Christian: Ich stehe um halb acht oder acht Uhr auf und gehe zum Sport oder ins Studio. Ich bin jeden Tag im Studio und arbeite lang. Ich habe bestimmte Projekte, da weiß ich genau, was zu tun ist. Dann gibt es meine eigene Band, wo ich schreibe und komponiere, da weiß man nie was passiert. Aber ich spiele auch live und bin auf Tour, dann ist wieder alles anders.

Daniel: Ich bin jemand, der morgens gar nicht rauskommt. Aber ich bin dafür sehr oft bis um eins oder zwei im Büro, zwei bis dreimal die Woche. Ich meine, dass wir viel zu wenig arbeiten. Wobei ich das sowieso anders sehe: Arbeit ist für mich eine Art Selbstverwirklichung. Die Entwicklung von Ideen, die Kommunikation, im Besonderen die Realisierung von Projekten gehören klar dazu.

Glasklar: Ist das ein Modell für alle, so selbstverantwortlich zu arbeiten?

Christian: Es geht darum, dass man glücklich ist, bei dem was man macht. Wenn mein Auto kaputt ist, suche ich mir eine Werkstatt mit einem Automechaniker, der das für sein Leben gerne tut. Weil ich weiß, die Qualität stimmt, mein Auto ist schnell repariert und ich zahle nur, was ich zahlen muss. Wo Menschen sich zu etwas zwingen oder in eine Situation gestoßen werden, läuft es natürlich nicht so.

Glasklar: Keine Generation war so gut versorgt? mit multimedialen Lebenshilfen und Spaßbringern wie die heutige. Daniel, du hast eine multimediale Party-Community aufgebaut.

Daniel: Es ist ein Bereich, der sehr stark wächst. Die Nachfrage ist groß. Aber natürlich ist es ein Bestandteil dieser multimedialen Schillerwelt, man kriegt alles per SMS oder per E-Mail auf den Tisch serviert. Ich habe neulich einen langen Artikel über das Handy gelesen. Dabei wurde mir klar, wie differenziert das Handy gesehen werden kann, insbesondere, wenn wir uns die evolutionären Verhaltensänderungen der Menschen betrachten.

Christian: Also, ich stehe auch total dadrauf. Es hängt davon ab, was man damit macht. Ich kann ja nicht das Handy oder Multimedia verteufeln. Man muss die Leute stark genug machen, um damit klarzukommen. Wenn ich mein Leben komplett aufs Handy ausrichte, dann habe ich ein ganz anderes Problem, das Problem ist nicht mein Handy.

Glasklar: Werden langfristige Beziehungen unwichtiger?

Daniel: Da sind natürlich die Medienmöglichkeiten eine Riesenverführung. Früher hat die Familie auf dem Bauernhof gelebt und man war auf sich angewiesen. Heute streitet man sich, geht zum Computer, klickt eine Flirt-Website an und könnte mit 500.000 Frauen kommunizieren. Das ist ein Riesenangebot an Ausweichmöglichkeiten, das sicher die Kontinuität von Beziehungen behindert.

Glasklar: Wie sieht es aus mit der Verantwortung zwischen den Generationen? Das Rentensystem gerät zusehends in Schieflage. Wie sollte man das regeln?

Daniel: Muss man alles regeln? Ich bin ein frei denkender Mensch und wenn ich immer höre, dass alles bestimmt sein muss... Ich glaube für meinen Fall in der Gesellschaft Verantwortung zu tragen. Das muss mir keiner vorschreiben. Ich kann nur sagen, dass ich froh bin, dass ich nicht ins Rentensystem einzahle. Ich sorge für mich selber. Das ist natürlich für die älteren Menschen, die auf die Rente angewiesen sind, keine Hilfe.

Christian: Würdest du dann sagen, die Leute, die jetzt Rente bekommen, die dort angekommen sind, dass man denen das dann auch wegstreichen sollte? Oder sagst du, das soll so bleiben, wie es ist?

Daniel: Wegstreichen?

Christian: Du sagst, du hast dich da ausgeklinkt und dass du für dich selber Verantwortung übernimmst. Was ist aber mit denen, die jetzt gerade Rente kriegen?

Daniel: Gut, die sind abgesichert, noch jedenfalls. Vor einigen Jahren oder Jahrzehnten wurde etwas vereinbart, an das sich auch gehalten werden sollte. Aber damit habe ich nichts zu tun.

Christian: Ich trage auch selbst die Verantwortung. Aber ich finde eben: Es gibt Leute, die haben vor etlichen Jahren einen Deal gemacht mit dem Leben und dem Staat. Und denen jetzt, wo sie drauf angewiesen sind, zu sagen, das gilt nicht mehr – das ist hart.

Daniel: Das ist zwar richtig, doch habe nicht ich diesen „Deal“ gemacht, sondern andere. So sollten doch bitte diese sich auch verantwortungsbewusst darum kümmern und das Zugesagte einhalten.

Glasklar: Es gibt noch andere Risiken im Leben, mit denen wir konfrontiert sind. Zum Beispiel die Bedrohung durch Kriminalität und terroristische Gewalt.

Daniel: Ich habe keine Angst vor Terror! Natürlich war ich für Konsequenzen. Jedoch sollten diese im Verhältnis stehen. Das Nehmen von Fingerabdrücken am Flughafen halte ich für übertrieben, so dass mein Interesse an Reisen in die USA derzeit relativ gering ist. Wenn aber an Bahnhöfen Kameras sind, stört mich das nicht. Warum auch? Wenn es dazu dient, Kriminalität zu vermeiden, dann habe ich kein Problem damit, wenn da eine Kamera ist. Glasklar: Was geht für dich zu weit, Christian?

Christian: Ich fühle mich in einem Umfeld, das an einen Überwachungsstaat erinnert, extrem unwohl. Ich hab zwar nichts zu verbergen, aber ich habe immer wieder das Gefühl, dass das eigentlich nicht die Lösung ist. Ich habe keine Angst vor Terror, aber ich bin mir der Tatsache bewusst, dass es passieren könnte. Wenn ich an großen Veranstaltungen teilnehme, dann geht mir manchmal durch den Kopf, dass das ein gutes Ziel wäre. Aber ich glaube, ich habe viel mehr Angst vor jemandem wie George W. Bush.

Glasklar: Die USA sind der mächtigste Staat der Welt. Wie siehst du ihre Rolle und wie siehst du unsere Beziehung zu Amerika, Daniel?

Daniel: Ich bin jemand, der sich der Geschichte relativ bewusst ist. Ich stimme zum großen Teil auch nicht mit Bush überein. Aber es wird doch teilweise sehr unfair geurteilt. Zum Beispiel, wenn gesagt wird, er fördere den Terrorismus, er sei derjenige der diesen Krieg der Kulturen angezettelt hat. Das sehe ich überhaupt nicht so.

Christian: Ich finde diese Personalisierung auch schlimm, da will ich nicht hin. Für mich ist einfach die Frage, inwiefern darf ich anderen meinen Willen aufzwingen? Inwieweit ist es korrekt, wenn ich die Weltöffentlichkeit anlüge? Wie stellen sich andere Staaten dagegen, akzeptiert man das, redet man auf dem Niveau überhaupt miteinander?

Daniel: Die Frage ist: Wie bedeutend ist ein Staat? Es ist klar, dass Amerika sehr bedeutend ist, deswegen schießt man sich leicht darauf ein. Ich glaube, dass die Amerikaner viel Verantwortung tragen. Das hat man auch nach dem Zweiten Weltkrieg gesehen. Ich finde es in Ordnung, wenn es ein Land gibt, dass über seine Grenzen hinaus Verantwortung übernimmt.

Glasklar: Wir reden über Politik und über euch. Hat das nun was miteinander zu tun?

Christian: Es hat natürlich viel mit meinem Leben zu tun. Dort werden ja die Regeln aufgestellt. Ich versuche, da, wo es mir nicht passt, auch nicht mitzuspielen. Streckenweise fühle ich mich auch sehr entfremdet von der Politik. Trotzdem: Ich würde mich zwar nicht als hochgradig politisch bezeichnen, aber ich bin schon sehr interessiert, was da läuft.

Daniel: Wenn man sich für sein eigenes Leben interessiert, interessiert man sich auch für das, was um einen herum passiert, und dann ist man automatisch bei dem Thema: Was machen die da? Vielleicht ist immer auch Hoffnung dabei, dass man etwas verändern kann oder dass sich etwas von selbst verändert.

Glasklar: Was ist mit denen, die nicht wählen gehen?

Christian: Auch wenn es keine Partei gibt, die für mich alles richtig macht, kann ich nicht einfach sagen, ich gehe gar nicht hin.

Daniel: Das ist auf jeden Fall katastrophal. So wie es uns momentan geht, gründet sich darauf, dass wir eine funktionierende Demokratie haben. Wer nicht wählen geht, ist im Endeffekt dagegen.

Fotos: Photothek, Mad Musik Management
Erschienen am 31.08.2005


Über die Gesprächspartner

Daniel Girl, Jahrgang 1980, ist geschäftsführender Gesellschafter der DGMK mbH, die unter anderem die Berliner party­card erfunden hat. Direkt nach seiner kaufmännischen Ausbildung hat er den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt.

Christian Falk, Jahrgang 1976, ist Musiker und Komponist. Er ist unter anderem Schlagzeuger der Berliner Soul-Band Sedoussa. Außer auf Musik steht er auf Freeclimbing, Canyoning und Motorradfahren.

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