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Oktober 09/1999
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50 Jahre Petitionsausschuss

Frühaufsteher für die Bürgerrechte

Wenn die 29 Mitglieder des Petitionsausschusses in Sitzungswochen mittwochs um 7.30 Uhr zu tagen beginnen, dann frühstücken die meisten ihrer Kollegen noch in aller Ruhe. Denn Ausschusssitzungen beginnen fast alle um 9.00 Uhr. Bis dahin hat der Petitionsausschuss seine meist 30 bis 50 Petitionen beraten, über die entweder im Vorfeld keine Übereinstimmung zwischen Koalitions- und Oppositionsfraktionen erzielt werden konnte oder die z.B. der Bundesregierung zur Berücksichtigung oder Erwägung zugeleitet werden sollen.

Frühaufsteher für die Bürgerrechte

Das Frühaufstehen für die Bürgerrechte macht Sinn. Denn es ist fraktionsübergreifende Ansicht, dass Mitglieder des Petitionsausschusses sich auch in anderen Fachausschüssen engagieren sollten. Das fördert die notwendige Sachkunde bei der Bearbeitung der rund 20.000 jährlich eingehenden Petitionen. Die Mitglieder des Petitionsausschusses wählen deshalb auch ihre (auf die jeweiligen Bundesministerien zugeschnittenen) Fachgebiete aus, für die sie als Berichterstatter tätig werden. Nicht immer ist es wegen der Vielzahl der Petitionen möglich, diesem Wunsch der Abgeordneten zu entsprechen.

Am 14. Oktober wurde der Ausschuss, der schon zehntausenden von Bürgern oft unbürokratisch geholfen hat, 50 Jahre alt. Da parallel eine Tagung der Interparlamentarischen Union (IPU) mit Teilnehmern aus aller Welt lief, wird allerdings erst am 27. Oktober im Reichstagsgebäude auf Einladung des Bundestagspräsidenten gefeiert. Der Petitionsausschuss kann auf viele prominente Mitglieder zurückblicken. Mit dabei waren der frühere Bundespräsident Walter Scheel, die einstigen Bundestagspräsidenten Dr. Philipp Jenninger und Dr. Richard Stücklen, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Ernst Benda und der amtierende Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda. Dazu gehörten auch die ehemaligen Minister Herbert Wehner und Björn Engholm sowie Franz Müntefering, der neue SPD-Generalsekretär.

Ein halbes Jahrhundert lang hat sich die Arbeit des "Kummerkastens der Nation" bewährt - obwohl diese Bezeichnung zu kurz greift. Denn jeder hat das Recht, sich nicht nur über die Arbeit von Bundesbehörden zu beschweren, sondern - auch als Einzelner - Änderungen von Gesetzen oder neue Gesetze vorzuschlagen. Die Vorschläge werden mit einer ablehnenden oder zustimmenden Empfehlung des Petitionsausschusses vom Deutschen Bundestag beraten.

So haben zahlreiche Gesetzesanregungen der Bürger in dieser Zeit aufgrund entsprechender Empfehlungen des Petitionsausschusses Eingang in das deutsche Recht gefunden. Insofern nutzt der Bundestag mit Hilfe des Petitionsausschusses den Sachverstand der Bürger für seine Arbeit. Wer sich an den Petitionsausschuss wendet, kann sich darauf verlassen, dass seine Belange ernsthaft geprüft und behandelt werden, sofern es sich nicht um offensichtlich unsinnige Wünsche handelt. "Aber das betrifft mit 0,2 Prozent nur verschwindend wenige Eingaben", berichtet die Ausschussvorsitzende Heidemarie Lüth (PDS). Selbst die werden aber nicht einfach abgefertigt, sondern die Einsender erhalten Rat und manchmal auch Trost.

Auf Bundesebene ist das Petitionsrecht das einzige plebiszitäre Element in unserer repräsentativen Demokratie. Es ist ein Grundrecht, das im Artikel 17 der Verfassung verankert ist. Danach kann sich jeder mit Beschwerden und Anregungen schriftlich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden. Dasselbe gilt für gemeinsame Eingaben mehrerer Bürger (Massenpetitionen). Natürlich muss es sich dabei um Sachgebiete handeln, die in den Bereich des Bundes oder seiner nachgeordneten Behörden fallen. Ansonsten sind die Petitionsausschüsse der Landesparlamente zuständig.

Von Anfang an haben die Bundesbürger die Möglichkeit von Petitionen ausgiebig genutzt. Schon in den ersten beiden Legislaturperioden (1949-1957) wurde der Petitionsausschuss 60.000-mal eingeschaltet. Die Zahl schwankte danach um die 10.000 Petitionen jährlich und schnellte dann mit der Deutschen Einheit in die Höhe. Seit 1991 gehen jährlich rund 20.000 Beschwerden und Anregungen ein. Im vergangenen Jahr waren es 16.994 neue Eingaben. Hinzu kamen 13.571 Nachträge der Petenten - meist Erläuterungen oder Klarstellungen -, 8.345 Stellungnahmen der Regierung sowie 3.316 Schreiben von Behörden oder Abgeordneten. Das alles muss bearbeitet und beantwortet werden. Fast 70.000 Briefe verließen deshalb 1998 den Petitionsausschuss.

Diese Flut von oft auch noch komplizierten Sachverhalten kann nur mit System gemeistert werden. Die wichtigsten Vorarbeiten leisten dabei die 80 Mitarbeiter des Ausschussdienstes, dessen Angehörige des höheren Dienstes allesamt die Befähigung zum Richteramt aufweisen. Zuerst werden offensichtlich nicht behandelbare Petitionen aussortiert, die übrigen nach Sachgebieten geordnet. Der Ausschussdienst fordert dann zu jeder Petition eine Stellungnahme des zuständigen Bundesministeriums an. Oft werden diese an den Petenten vollständig und ohne Wertung des Petitionsausschusses mit der Bitte um Rückäußerung weitergeleitet. Die Antworten der Petenten führen nicht selten zu zusätzlichen Auskünften von Ministerien oder Behörden. In diesem Stadium werden etwa zehn Prozent der Petitionen positiv erledigt. In vielen Fällen muss der Ausschussdienst den Petenten aber mitteilen, dass nach sorgfältiger Auswertung der Stellungnahmen der Bundesregierung die Petition keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Bürger kann dann innerhalb von sechs Wochen entscheiden, ob er mit der Antwort zufrieden ist oder eine weitere Behandlung durch den Petitionsausschuss verlangt.

Auch die Petenten müssen oft genug ihre Vorstellungen präzisieren, können auch im Laufe des Verfahrens weitere Vorschläge machen. Erst wenn alle klärbaren offenen Fragen gelöst sind, wird eine Beschlussvorlage für den Ausschuss estellt.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Petition sozusagen ein reiner Verwaltungsvorgang. Erst jetzt wird die Politik in Person der Berichterstatter - je einer von Koalition und Opposition - eingeschaltet. Sie entscheiden dann, ob weitere Fragen geklärt werden müssen, ob ein Ortstermin nötig ist oder ob es Sinn macht, mit dem Petenten persönlichen Kontakt aufzunehmen. Nicht selten werden auch der zuständige Minister oder sein Parlamentarischer Staatssekretär eingeschaltet - etwa, wenn man mit der Behandlung des Falles durch das Ministerium nicht einverstanden ist.

Erst wenn die Berichterstatter zu einem endgültigen Votum gekommen sind, wird der Fall vom gesamten Ausschuss behandelt. Die Mehrzahl der Petitionen erscheint dabei allerdings nur noch auf Sammellisten. Eine umfasst alle Fälle, in denen sich Petent und Ministerium geeinigt haben. Eine zweite Liste enthält jene Petitionen, über deren Behandlung zwischen den Berichterstattern der beiden großen Fraktionen SPD und CDU/CSU Einvernehmen erzielt wurde.

Allerdings kann jedes Ausschussmitglied darauf bestehen, dass Einzelfälle aus den Listen im Petitionsausschuss einzeln beraten werden. Die Petitionen, die zur Einzelberatung auf der Tagesordnung stehen, werden am Dienstag Abend vor den jeweiligen Ausschusssitzungen von den Obleuten besprochen. Über sie wird dann in der Ausschusssitzung sachlich entschieden und dem Plenum des Deutschen Bundestages empfohlen, einen entspechenden Beschluss zu fassen.

1949-1959: Luise Albertz, SPD
1949-1959: Luise Albertz, SPD
1965-1972: Maria Jacobi, CDU
1965-1972: Maria Jacobi, CDU

1987-1994: Gero Pfennig, CDU
1987-1994: Gero Pfennig, CDU

Das für den Beschwerdeführer günstigste Votum lautet, die Petition der Bundesregierung "zur Berücksichtigung" zu überweisen, da das Anliegen begründet und Abhilfe nötig ist. Oder die Petition wird "zur Erwägung" überwiesen. Dann muss die Bundesregierung das Anliegen noch einmal überprüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe suchen. Soll die Bundesregierung die Petition z.B. in die Vorbereitung von Gesetzesentwürfen einbeziehen, lautet das Votum "Überweisung als Material". Schließlich ist es möglich, die Bundesregierung mit einer einfachen "Überweisung" auf die Begründung des Beschlusses besonders hinzuweisen, damit sie bei künftigen Entscheidungen erkannte Missstände beseitigen kann. Aber auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages können eingeschaltet werden - weil z.B. eine Petition Anregung für eine parlamentarische Initiative sein kann. Natürlich kann die Beschlussempfehlung auch lauten, "das Petitionsverfahren abzuschließen, weil der Bitte oder Beschwerde nicht entsprochen werden kann".

Oft lässt sich aber manches besser und schneller auf dem "kleinen Dienstweg" erledigen. Da werden zum Beispiel die Wahlkreisabgeordneten eingeschaltet, um zu vermitteln. Oder man greift auch schon einmal zum Telefon, um in Ermessensfragen die zuständige Behörde zu einer großzügigeren Auslegung zugunsten der Petenten zu bewegen, ohne gleich ein offizielles Verfahren in Gang zu setzen.

Das Spektrum der Eingaben umfasst praktisch alle gesellschaftlichen, politischen und persönlichen Bereiche: Von der Atombewaffnung über Tiertransporte und Autobahnraststätten, die gesamte Sozialversicherung, das Asylrecht, den Straßenbau oder die Telekom bis hin zur Fragen der Sicherheit von EC-Karten.

Oft muss der Petitionsausschuss jahrelang drängen, bis Regierung und Parlament auch in sinnvollen Fällen reagieren - wie beim Lärmschutz an Eisenbahnstrecken oder an bestehenden Autobahnen. Ein Fall ließ sich dagegen für alle Beteiligten im vergangenen Jahr zu aller Zufriedenheit ganz schnell lösen: Ein Eisenbahner sollte vier Wochen vor seinem 50-jährigen Dienstjubiläum mit Erreichen der Altersgrenze ausscheiden. Sein Wunsch, dieses seltene Dienstjubiläum als Aktiver erleben zu können und erst dann in Pension zu gehen, wurde auf Bitten des Petitionsausschusses erfüllt.

Infos

Der Deutsche Bundestag und sein Petitionsausschuss behandeln nur Eingaben, die schriftlich eingereicht werden und unterschrieben sind. Diese Voraussetzung ist beim Internet nicht gegeben. Schriftliche Eingaben können an folgende Adresse gerichtet werden:

Deutscher Bundestag, Petitionsausschuss, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel.: 0228/16-22767 oder 030/227-35257, Fax: 0228/16-26812 oder 030/227-76053

Die Bundesbürger können sich mit Eingaben auch an den Petitionsausschuss ihres Landesparlaments oder an die entsprechenden europäischen Institutionen wenden:

Europäisches Parlament, Petitionsausschuss, Rue Belliard 99-103, B-1047 Brüssel

Europäischer Bürgerbeauftragter 1, Avenue du Président Robert Schuman, B.P. 403, F-67001 Straßburg CEDEX

Weitere Informationen über den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages:

E-Mail: vorzimmer@peta.bundestag.de

Internet: www.bundestag.de/gremien/a2/index.html

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9909/9909012
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