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November 11/2000
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essay

Technikfolgenabschätzung

Letztlich müssen die Politiker entscheiden

Von Herbert Paschen

Die Wissenschaft ist heute in vielen Fragen zerstritten: Gleichgültig, ob es dabei um große Themen der Zeit, wie den Ausstieg aus der Kernenergie, die Nutzung alternativer Energien, die Gentechnik und die Entwicklung umwelt- und sozialverträglicher Verkehrskonzepte, geht oder um weniger weitreichende Fragen, wie zum Beispiel den Einsatz von Wasserstoff-Brennstoffzellen in Kraftfahrzeugen statt des herkömmlichen Diesel- oder Benzinmotors. Oft steht Gutachten gegen Gutachten, Expertenmeinung gegen Expertenmeinung. Die eine wie die andere Interessengruppe ist dabei versucht, unter Berufung auf die Wissenschaft jeweils für ihre Position zu werben, öffentlichen Druck zu machen – nicht selten auch mit Sensationshascherei.

Weltanschauung.
Weltanschauung.

Der Bürger hätte aber gern klare Antworten. Von den Politikern erwartet er, dass sie die von der Wissenschaft angebotenen alternativen Lösungen zu den genannten und vielen anderen Fragen zwar sorgfältig abwägen, schließlich aber eindeutige Entscheidungen treffen, die auch in Zukunft Bestand haben werden. Dazu benötigen die Politiker geeignete Informationen; sie müssen vor allem auch wissen, was im Konflikt der Interessen hinter den jeweiligen Positionen steht. Mit diesen Informationen kann im Parlament natürlich auch erbitterter um den richtigen Weg gestritten und um die beste Lösung gerungen werden.

Dabei will das vor zehn Jahren beim Deutschen Bundestag eingerichtete Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) den Parlamentariern helfen und Beiträge zur Verbesserung der Informationsgrundlagen in forschungs- wie technologiebezogenen Beratungs- und Entscheidungsprozessen leisten. Es geht darum, in kontroversen Fragen die unterschiedlichen wissenschaftlichen Lösungsvorschläge und Positionen sowie die sie stützenden Argumente zu beschreiben, Rahmenbedingungen darzustellen, abzuwägen ohne zu richten und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Denn letztlich müssen die Politiker entscheiden – auch auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber in Kenntnis der unterschiedlichen Positionen in der Wissenschaft. Das TAB ist dabei bemüht, langfristige Trends in der wissenschaftlichen wie der gesellschaftlichen Debatte zu verfolgen. Mit diesem Wissen lassen sich dann auch tagespolitische Fragen besser einordnen und beantworten.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des TAB sind bei dieser verantwortungsvollen Arbeit dem Prinzip der Neutralität verpflichtet. Dies gilt selbstverständlich gegenüber dem Parlament, es gilt aber auch gegenüber dem Bereich der Wissenschaft. Dort bedeutet dieses Prinzip vor allem, dass bei jeder größeren Untersuchung des TAB ein breites Spektrum von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Instituten unterschiedlicher Ausrichtung als Gutachter herangezogen werden.

Moderne Instrumente für die Augenchirurgie.
Moderne Instrumente für die Augenchirurgie.

Ohne neue Techniken wäre gesellschaftlicher Wohlstand auch in Europa auf Dauer nicht zu garantieren. Das TAB hat durch seine Arbeiten für den Bundestag in den vergangenen zehn Jahren mit dazu beigetragen, dass in der parlamentarischen und auch der breiten öffentlichen Diskussion nicht nur auf die negativen Folgen des technischen Fortschritts abgehoben wird, sondern auch auf die damit verbundenen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Chancen. Vorausschauendes Abwägen von Chancen und Risiken, die Berücksichtigung ethischer Fragen, die sorgfältige Analyse rechtlicher Rahmenbedingungen und gesellschaftlicher Bedürfnisse, das Verfügbarmachen geeigneter Informationen für Entscheidungsträger wie für die betroffenen Bürger – das alles schafft Vertrauen, Glaubwürdigkeit und mehr Akzeptanz und ermöglicht die bewusste Gestaltung neuer technischer Entwicklungen und ihrer Rahmenbedingungen.

Problem Müllbeseitigung.
Problem Müllbeseitigung.

Auch die Wirtschaft hat dies längst erkannt. Anstelle der beredten Klagen aus den 70er Jahren über mangelnde Technikakzeptanz in der Bevölkerung oder gar Zukunftsängste bei der Jugend ist ein offenes Werben für neue Techniken und ihre Chancen getreten. Kritische Positionen werden dabei einbezogen. Viele Großunternehmen unterhalten heute eigene Forscherstäbe, die sich unabhängig von der aktuellen Tagespolitik mit den Zukunftsfragen der Gesellschaft beschäftigen. Für die Industrie ist das lebenswichtig geworden. Man denke nur an die komplizierten Haftungsfragen beim Einsatz neuer Techniken.

Über das Lob und die Gratulationen zum zehnjährigen Bestehen, die das Büro für Technikfolgenabschätzung aus allen Bundestagsfraktionen erfahren hat, freuen wir uns natürlich sehr. Unser Wunsch zum Geburtstag ist – das mag viele überraschen – nicht unbedingt mehr Geld. Wir können mit unserem Etat nützliche Beratung für das Parlament machen und den Abgeordneten helfen, ihre parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Regierung besser wahrnehmen zu können. Wir wünschen uns vielmehr zum Geburtstag, dass es in Zukunft noch besser gelingt, die Ergebnisse unserer Arbeit den Abgeordneten zu vermitteln und dass noch mehr Ausschüsse als bisher Untersuchungsvorschläge an den für uns zuständigen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung richten.



Prof. Dr. Herbert Paschen.
Prof. Dr. Herbert Paschen.

Prof. Dr. Herbert Paschen, Jahrgang '33, geb. in Hamm/Westfalen. Nach dem Studium (Sprachen, Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften) promovierte Paschen im Bereich Statistik/Ökonometrie. Berufliche Tätigkeit: Geschäftsführer der Studiengruppe für Systemforschung in Heidelberg, Stellvertretender Leiter des CESD, Paris, Direktor des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums Karlsruhe, Honorarprofessor an der Gesamthochschule Kassel, seit 1990 Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag. Fachgebiete: Forschungsplanung und -statistik, Technikbewertung, Umweltpolitik, Forschung zur Nachhaltigen Entwicklung. Zahlreiche Veröffentlichungen und vielfache Beratertätigkeit für OECD, UNESCO und Europäische Union. Drei erwachsene Kinder.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0011/0011005
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