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Februar 1/2003
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Tagesläufe

Die neugierigste Besuchergruppe aller Zeiten

Die CSU-Abgeordnete Ilse Aigner mag Tage, die aus dem Rahmen fallen. Am 6. Dezember war die Gelegenheit günstig.

Um zehn nach acht betritt sie das Jakob-Kaiser-Haus. Raymond Chandler hätte über diesen ganz unspektakulären Moment geschrieben: Man konnte die Temperatur steigen hören. Das klingt nach einem guten Einstieg. Die CSU-Abgeordnete Ilse Aigner hat das, was manch andere in Seminaren zu lernen hoffen: Präsenz gepaart mit einer Herzlichkeit, die Gutes für den Tag verspricht.
Freitag, der 6. Dezember. Die Radiosender durften bereits am Morgen straffrei Weihnachtslieder spielen. Davon hat Ilse Aigner nicht so viel mitbekommen, sie informiert sich beim Frühstücksfernsehen, obwohl auch das manchmal außerirdisch sei, wie sie sagt.

Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Jakob-Kaiser-Haus
s14_Die neugierigste Besuchergruppe aller Zeiten

9.20 Uhr: die Schüler betreten das Jakob-Kaiser-Haus.

Ihr Plan für diesen Tag fällt ein wenig aus dem Rahmen. Andererseits passt er – zum Tag, zu ihr und – wie man später feststellen wird – zu den Gästen, die sie erwartet. Die Abgeordnete hat vor, die Zeit von 9 bis 13 Uhr mit Kindern zu verbringen. 18 Schülerinnen und Schüler der Berlin International School, acht bis zehn Jahre alt, Klasse 3 MS, wobei MS für den Klassenlehrer Michael Sander steht.

Das kann im wahrsten Sinne des Wortes heiter werden. Und so ist es dann auch. Ilse Aigner, an diesem Tag noch 37 Jahre alt, hat das Programm ganz auf ihre Gäste zugeschnitten. Die werden Zeit brauchen, das weiß die Abgeordnete. Für ihre Neugier, ihre Fragen, fürs Durcheinanderreden und Zuhören, für das Staunen.

Zwanzig nach neun sind sie da, ein bisschen später als erwartet. Ilse Aigner holt die Kinder und ihre Begleiterinnen und Begleiter am Eingang ab. Im Foyer ist es laut wie beim Sechstagerennen. Rucksäcke, Taschen und Jacken werden durchleuchtet und ihre Inhalte auf einem Monitor abgebildet. Das ist spannend. Außerdem tragen die Sicherheitsleute Uniform und sehen ziemlich interessant aus. Es wird englisch und deutsch gesprochen, die Kinder kommen aus den USA, der Türkei, aus Thailand, Pakistan, Neuseeland, Deutschland, ihr Unterricht findet in Englisch statt. Also gut. Ilse Aigner sagt auf Englisch, dass sie sich auf diesen Tag freut und wird von diesem Moment an kaum noch zum Schweigen kommen. All ihre Erwartungen werden bis zum Mittag übertroffen sein. Das erste Freundschaftsangebot kommt von einem Mädchen, das die Abgeordnete fragt, ob sie ihr mal die Zahnspange zeigen soll. „Nicht rausnehmen“, ruft die, „ich seh’s auch so.“

Zuerst einmal geht es hoch ins Büro, das sind Räume, die schon mal viel über die Frau verraten, die an diesem Tag ein Dirndl trägt und Schmuck, der sehr sehr alt aussieht. Es weihnachtet in den Arbeitsräumen ein bisschen, es hängen viele Bilder an der Wand und da, wo noch keine hängen, kleben gelbe Post-its, auf denen steht, was hier noch angebracht werden soll. Es gibt eine Unmenge Aktenordner und einen Laptop. Ein Junge besetzt den Stuhl der Abgeordneten und schaltet den Laptop an. Er ist der King in diesem Moment.

Ilse Aigner mit Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Blick in den Plenarsaal
s14_Die neugierigste Besuchergruppe aller Zeiten

10.30 Uhr: Blick in den Plenarsaal.

Erste Fragerunde: Was machen Sie hier im Büro? Warum stehen da so viele Aktenordner? Müssen Sie das alles auswendig lernen? Wann dürfen Sie nach Hause gehen? Macht das Spaß? Nicht immer, sagt die Abgeordnete, manchmal sei es wie Schule. Schule mache doch nur Spaß, sagt der Lehrer und erntet ein kollektives „Nein“. Und dann fragt ein Mädchen: „Wie kriegt man so eine Arbeit?“ Ilse Aigner müht sich, Wahlen zu erklären und Wahlkreise und Parteien. „Wisst Ihr eigentlich, in welcher Partei ich bin?“ In which party? Klar. „Weißwurschtparty“, sagt ein Junge und wundert sich, dass alle lachen. Für ihn ist die Sache klar: Die Abgeordnete hat versprochen, dass es mittags Weißwurst und Fanta geben wird. Was ist das anderes als eine Party?

Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Besuch der Kuppel
s14_Die neugierigste Besuchergruppe aller Zeiten

11.15 Uhr Besuch der Kuppel.

Vorher kommt aber erst einmal der Rundgang durchs Haus und das Reichstagsgebäude. Er dauert länger als geplant. Denn an jeder Ecke gibt es Dinge, die an Wunder grenzen und der Erklärung bedürfen: die auf und ab schwebenden Ruderbote in der Eingangshalle des Jakob-Kaiser-Hauses, das Laufband auf dem Weg zum Reichstagsgebäude, das „Archiv der Deutschen Abgeordneten“ – Kästen aus Metall, je mit einem Namen und Jahreszahlen beschriftet –, der Tisch mit dem schwarzen Kasten drauf und den beiden Kugeln. Was ist das? Kunst von Joseph Beuys. Wow. Das ist Kunst? Und die Zeichen an den Wänden? Sind das Buchstaben?
Zweite Fragerunde: Warum hat Deutschland einen Adler als Wappen? Der da im Plenarsaal ist wirklich größer als das Berliner Appartment der Abgeordneten? Manchmal bilden Englisch und Deutsch in einem Satz eine lustige Allianz. Which Wappentier has Bayern?

Der Rundgang dauert bis kurz nach elf, dann geht es ins Restaurant. Hier sind alle auf die sehr jungen Gäste eingerichtet, ein großes buntes Willkommen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorbereitet. Der Koch sieht super echt aus, und selbst der Chef ist gekommen. Es gibt wirklich eine Weißwurstparty, Leberkäs dazu, große Brezeln, frische Radieschen, süßen Senf, Fanta, Orangensaft.

s14_Die neugierigste Besuchergruppe aller Zeiten
Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Ilse Aigner und Kinder Im Restaurant des Reichstagsgebäudes

11.55 Uhr: im Restaurant des Reichstagsgebäudes.

Dritte Fragerunde: Was muss ein Kanzler alles wissen? Welche anderen Jobs gibt es hier im Bundestag? Diese Runde gerät ganz wunderbar außer Kontrolle. Es gibt den Security Man, den Fensterputzer, den Undercover Security Man, den Cook, die Köchin, zwei Köchinnen ... Das sei nun wirklich kein Beruf, sagt der Lehrer, zwei Köchinnen.

Der Fantasie sind keine Grenzen mehr gesetzt. Zwischendurch singen die Kinder das Lied von Rudi, dem rotnasigen Rentier und gleich noch einen Rock’nRoll hinterher, weil es so toll schallte. Und ganz zum Schluss bringen die Mitarbeiterinnen der Abgeordneten für jedes Kind eine große Geschenktüte. Da ist ein Schokoladenweihnachtsmann drin, ein Basecap, Lutschbonbons, ein bayerisches Kartenspiel und – das Größte überhaupt – ein blauer Leuchtstab. Fast wie die Schwerter in „Star Wars“. Absolut spacig, cool, abgefahren.

Auf dem Weg zurück ins Büro kommen genauso viele Fragen wie beim ersten Gang durchs Haus. Ein Ende kann nur vorläufig sein. Um eins sind die Kinder auf dem Weg nach Hause, und die Abgeordnete kann ein wenig darüber nachdenken, ob diese Stunden einem Vergleich mit einem Nichten- und Neffennachmittag standhalten. Sind immerhin auch sieben an der Zahl. An Fragen und Neugier also kein Mangel.

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Ilse Aigner und Fritz Johannes Ilse Aigner und Fritz Johannes Ilse Aigner und Fritz Johannes Ilse Aigner und Fritz Johannes Weihnachtsmann

14.30 Uhr: Treffen mit einem Vertreter des Verbraucherschutzministeriums.

Eine halbe Stunde Zeit ist für die Pause, dann kommt Ministerialdirigent Fritz Johannes vom Verbraucherschutzministerium. Ilse Aigner, seit kurzem im Haushaltsausschuss und dort Berichterstatterin ihrer Fraktion für die Bereiche Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, möchte mit ihm über den Haushaltsentwurf 2003 reden. Sie will umfassend informiert sein, die Problematik aus verschiedenen Sichten kennen, Antworten auf Fragen haben. Gut eine Stunde Zeit hat sie für dieses Gespräch, dann wird sie sich auf den Weg zum Flughafen machen. Ab nach München und von dort mit dem Auto weiter nach Feldkirchen-Westerham. Für den Abend steht eine Veranstaltung im Radsportverein auf dem Programm. Wenn sie es schafft, wird sie hingehen, schließlich ist sie selbst lange Rad gefahren.

Nachts um zwölf wird wahrscheinlich ihr Telefon klingeln. Dann hat Ilse Aigner Geburtstag und ist 38. Das spricht für einen freien Samstag, bevor am Sonntag wieder gearbeitet werden muss. Es spricht sogar sehr dafür.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0301/0301008a
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