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Januar 1/2004
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Was macht eigentlich die Zukunft?

Der SPD-Abgeordnete Karsten Schönfeld denkt bereits über das Jahr 2040 nach. Hat er nichts Besseres zu tun? Nein.

Das schöne Stück wird den Tag nicht überleben. Karsten Schönfeld wird es am Nachmittag in sechs Teile schneiden und zum Verzehr freigeben. Eine Premiere, denn keiner der Anwesenden weiß, wie so eine Sharonfrucht schmeckt. Sie thront ganz oben auf dem Obstteller im Büro, der, wie man hört, fester Bestandteil eines ganz persönlichen Aufbauprogramms des Abgeordneten ist. Sitzungswochen an sich sind keine gesundheitsfördernde Angelegenheit. Und Vitamine sollen gut gegen Stress sein.

Dieser Tag, an dem im fernen Rheinland um 11.11 Uhr die närrische Zeit beginnt, hat für Karsten Schönfeld um 6.15 Uhr begonnen. Frühstück, Nachrichten hören, ein paar Vorbereitungen für den zu erwartenden Sitzungsmarathon, Fußweg vom Nikolaiviertel in Berlin-Mitte zum Büro im Paul-Löbe-Haus. Kurze Absprache mit dem Mitarbeiter Felix Bruder, der erste Termin beginnt um 9.30 Uhr. Da kann man noch ein paar Minuten über das Jahr 2040 reden. 2040 wird Karsten Schönfeld 80 Jahre alt sein, ein Rentner, das ist anzunehmen. Muss er sich darüber heute Gedanken machen? „Ja“, sagt er, „darüber müssen wir nachdenken. Rentengerechtigkeit und Rentensicherheit herzustellen geht nicht von heute auf morgen. Ich bin in der Arbeitsgruppe Gesundheit und Soziale Sicherung meiner Fraktion Berichterstatter für dieses Thema. Und es interessiert mich, wie man über die nächsten Jahre hinausdenken und Pläne entwickeln kann.“ Diesem Interesse kommt die Arbeit im Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung entgegen. Viele Termine dieses Dienstages werden der Vorbereitung der Ausschussarbeit dienen.

Karsten Schönfeld bindet sich eine Krawatte um. Die passt zum kaffeebraunen Anzug und der Knoten sitzt perfekt.

Was macht eigentlich die Zukunft?
9.30 Uhr: AG Gesundheit und Soziales.
Karsten Schönfeld Karsten Schönfeld in einer Sitzung Karsten Schönfeld

Die Arbeitsgemeinschaft Gesundheit und Soziales der SPD-Fraktion beginnt fast pünktlich mit der mehr als zweistündigen Beratung. Für zwei Tagesordnungspunkte steht Karsten Schönfeld als Berichterstatter auf dem Plan. Das heißt, er muss für die Anwesenden eine möglichst kurze und verständliche Zusammenfassung des Themas und des gegenwärtigen Diskussionsstandes geben und einen Vorschlag unterbreiten, wie mit dem Gesetzentwurf oder Antrag oder Vorhaben weiter verfahren werden sollte. Das tut er, knapp und präzise. Einmal zu einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion, in dem es um grüne Gentechnik geht, und einmal zu einem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur Bereinigung von SED-Unrecht. Ansonsten ist er ein konzentrierter Zuhörer, der sich oft Notizen macht und zu Wort meldet, wenn er etwas zu sagen hat. Und wenn man ihn dabei beobachtet, kommt auf sanften Sohlen der Gedanke, der erste Eindruck vom Abgeordneten Schönfeld könnte etwas getäuscht haben. So zurückhaltend, wie man glaubte, ist er nicht, wenn es zur Sache, also ums Thema geht.

Die AG Gesundheit und Soziale Sicherung arbeitet sich von Thema zu Thema. Zwei Ausschusssitzungen werden vorbereitet, die Plenarsitzung der Woche, Termine verhandelt und verkündet, Berichte angehört, Informationen weitergegeben.

Um kurz nach halb eins betritt Karsten Schönfeld das Reichstagsgebäude und hebt mit dem Fahrstuhl ab auf die Fraktionsebene. Hier trifft sich im Raum S 039 das Netzwerk Berlin, eine Gruppe von überwiegend jüngeren SPD-Abgeordneten, die ihre politischen Vorstellungen in die Debatten der Fraktion und der Partei einbringen wollen, zu einem Koordinierungsgespräch. Quer zu den traditionellen Flügeln „Links und Rechts“ will diese Gruppe die Werte der Sozialdemokratie in einen modernen Kontext stellen.

In Vorbereitung der Faktionssitzung am Nachmittag diskutieren die 13 wirklich jüngeren Abgeordneten über Ausbildungsplätze und Ausbildungsplatzabgabe - ein Thema, das seit Tagen die politischen Gemüter beschäftigt. Die Netzwerker wägen Pro und Contra ab, streiten über die Notwendigkeit gesetzgeberischer Aktivitäten.

Was macht eigentlich die Zukunft?
13.00 Uhr: Netzwerk Berlin.
Karsten Schönfeld in einer Sitzung Karsten Schönfeld Karsten Schönfeld

Der für Karsten Schönfeld wichtigste Termin des Tages beginnt um 13.30 Uhr im Jakob-Kaiser-Haus, ein Gespräch zum Thema Rentenbesteuerung mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks. Hier wird also über die Zeit bis 2040 geredet und der Raum ist überfüllt. Der Beginn verzögert sich, weil Stühle hergeholt werden müssen, damit alle einen Platz haben. Karsten Schönfeld hat im Vorfeld Fragen formuliert, die nun der Reihe nach diskutiert und beantwortet werden. Es geht um nachgelagerte Besteuerung, Stufenpläne, jährliche Entlastungen, volle Abzugsfähigkeit, Schätzwerte, sichere Zahlen, demographische Entwicklungen, Prognosen.

Glastür

Immer wieder öffnet sich die Tür, hört man ob des nun schon überfüllten Raumes Rufe des Erstaunens oder gespielten Entsetzens. Aber alle, die kommen, finden noch irgendwo einen Platz. Säulen-, Koordinaten- und Tortendiagramme werden betrachtet, Tabellen gelesen, eine Menge Fragen gestellt und Argumente ausgetauscht. Irgendjemand öffnet das Fenster, weil die Luft knapp wird und schließt es nach drei Minuten wieder, weil es zu kalt ist. Keine einfache Sache, die Zukunft – auch wenn sich offensichtlich viele Gedanken über sie machen.

Um 15 Uhr fängt die Fraktionssitzung an. Vor dem Sitzungsraum der CDU/CSU-Fraktion warten die Journalisten, denn hier wird über den möglichen Ausschluss ihres Abgeordneten Martin Hohmann beraten. Vor dem Saal der SPD stehen die Medienvertreter, weil es da um die Ausbildungsplatzabgabe gehen wird. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP bleiben recht ungeschoren an diesem Tag.

2004 will die Koalition einen Gesetzentwurf einbringen, um ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen zu schaffen. Gegenwärtig bilden nur 30 Prozent aller Unternehmen in Deutschland aus – daran soll sich etwas ändern. Am Ende der Fraktionssitzung, gegen 18 Uhr, votiert die Mehrheit der SPD-Abgeordneten für das Konzept.

Karsten Schönfeld geht vor seinen Abendterminen noch einmal ins Büro. Er stimmt Termine ab, sichtet Einladungen, telefoniert und schneidet die orange Sharonfrucht in sechs Teile.

Karsten Schönfeld
15.00 Uhr: Fraktionssitzung.

Um 18.30 Uhr läuft er ins BMW-Konzernbüro Unter den Linden 42. Eine halbe Stunde fast Entspannung, denn der Abgeordnete schaut gern Formel 1, und oben im Veranstaltungsraum rasen die schnellen Wagen einem auf der Leinwand entgegen. Ein Herr Waldeck begrüßt jeden neuen Gast mit Handschlag und freundlichen Worten. Drinnen gibt es, wie so oft bei solchen Veranstaltungen, die Möglichkeit, kurz mit Leuten zu reden, mit denen man sich sonst nur mühevoll terminlich vereinbaren kann, und wenn man will, auch ein Glas Sekt zu trinken. Beim Anblick der Werbespots, in denen tolle Autos von tollen Männern um die Kurven gefahren werden, kann man darüber nachdenken, ob Michael Schumacher 2040 noch die Poleposition haben oder doch von einer langfristigen Rentenpolitik profitieren wird. Wahrscheinlich wird er das eine nicht haben und auch nicht des anderen bedürfen. Aber Schumacher ist ein Einzelfall.

Was macht eigentlich die Zukunft?
18.30 Uhr: BMW-Veranstaltung.
Karsten Schönfeld Glas Wein BMW Veranstaltung

Karsten Schönfeld wird in durchschnittlicher und angemessener Geschwindigkeit zum letzten Termin des Tages in die Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom in der Französischen Straße gefahren. Thema des Abends: „Was gibt Deutschland Europa und der Welt?“ Joschka Fischer diskutiert auf Einladung des Humboldt-Forums Zeitfragen mit dem stellvertretenden Chefredakteur des Magazins „Stern“, Hans-Ulrich Jörges, und Professor Heinrich August Winkler von der Humboldt-Universität in Berlin. Es geht gut zur Sache, also wieder um die Zukunft, diesmal um die Europas und die künftiger Beitrittsländer. Herr Fischer und Herr Jörges sind nur selten einer Meinung, und das Publikum honoriert, dass hier ernsthaft gestritten wird, und auch, dass dies in bester Rhetorik und Streitkultur geschieht.

Karsten Schönfeld kann noch kleine Gespräche am Rande führen, um dann – mit einer Laugenbrezel und einem Glas Wein – das Ende des Tages zu beschließen. Um halb zehn geht er zu Fuß in seine Wohnung im Nikolaiviertel. Am nächsten Tag beraten die Ausschüsse und beginnen die Plenardebatten.

Ist noch zu sagen, dass die Sharonfrucht wirklich gut geschmeckt, und dass Karsten Schönfeld sie in sechs wirklich gleich große Stücke geschnitten hat. Zu viel Symbolik ist ja auch nicht gut. Aber gerecht teilen kann er, der Abgeordnete.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2004/bp0401/0401010
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