Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 22 / 30.05.2005
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Constanze Hacke

Tausend und ein Sanierungsmodell

Betriebliche Bündnisse für Arbeit
Arbeitszeitverkürzung, Arbeitszeitverlängerung, Arbeitszeitkorridore; mit und ohne Lohnausgleich, weniger (oder manchmal auch mehr) Erfolgsbeteiligung, mehr Qualifizierung, unbezahlter Urlaub, Warengutscheine statt Weihnachtsgeld: Die Variationen betrieblicher Bündnisse sind schier unerschöpflich. Ein Patentrezept, um in schlechten Zeiten auf Unternehmensebene Arbeitsplätze zu sichern, scheint es nicht zu geben.

Gemeinsam ist sämtlichen Modellen lediglich, dass die Beschäftigten auf Rechte, die ihnen aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zustehen, verzichten - um größeres Übel, wie die Verlagerung des Betriebs oder den Abbau von Stellen abzuwenden. Der stotternde Konjunkturmotor und der harte internationale Wettbewerb mit Billigkonkurrenz aus Osteuropa und Fernost führen ebenso wie Managementfehler und falsche Produktpolitik zu einer Situation, in der viele Unternehmen in individuellen Betriebslösungen und nicht im Tarifverbund ihr Heil suchen.

Bei derartigen Firmentarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen geht es meist - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - nicht um akute Krisenbewältigung für das betroffene Unternehmen, sondern darum, Arbeitsplätze zu sichern und den Betrieb für den Wettbewerb fit zu machen: Nach Erkenntnissen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans Böckler-Stiftung (WSI) befindet sich nur selten ein Unternehmen, das mit Gewerkschaft oder Betriebsrat solche Vereinbarungen schließt, in derart immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dass diese die Existenz des Unternehmens bedrohen. Dies schlage sich im Gegenzug aber auch in den getroffenen Vereinbarungen nieder: Oft seien diese langfristig angelegt und sähen auf Arbeitgeberseite nicht nur den kurzfristigen Erhalt bestehender Arbeitsplätze vor, sondern auch Standortinvestitionen oder Neueinstellungen.

Arbeitsplatzerhalt vor Lohnhöhe

In den meisten Fällen, so ergab die Studie des WSI, sind die getroffenen Regelungen äußerst komplex: 42 Prozent der untersuchten Vereinbarungen beinhalteten Fragen der Arbeitszeit sowie der Arbeitsorganisation, knapp 18 Prozent betrafen zusätzlich das Einkommen. Im Wesentlichen sollen durch die Neustrukturierung von Arbeitszeit und Arbeitsorganisation die Arbeitsplätze langfristig wirtschaftlicher gestaltet werden. Was sich in der Theorie gut anhört, ist in der Praxis vor allem ein Tribut der betroffenen Arbeitnehmer, der ihrer eigenen Zwangslage geschuldet ist. Sie haben oft nur die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera - und entscheiden sich dann, wie die zahlreichen Betriebsvereinbarungen hierzu dokumentieren, meist für eine andere Gestaltung der Arbeitszeit. "Es gibt bei Arbeitnehmern eine Präferenzskala, in der der Erhalt des Arbeitsplatzes vor der Lohnhöhe und diese vor der Arbeitszeit rangiert, wenn die Arbeitszeit noch in einem erträglichen Rahmen bleibt. Das hat mit dem Bedürfnis nach Kontinuität des erworbenen Lebensstandards zu tun und damit, dass viele mit geringem oder nur durchschnittlichem Einkommen über keine Vermögensrück-lagen verfügen", erläutert Professor Rudi Schmidt vom Institut für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Hinter dem Etikett "Betriebliches Bündnis für Arbeit" verbergen sich daher die unterschiedlichsten Modelle der Arbeitszeit-Reorganisation: "Vorläufer war hier die Einführung der 4-Tage-Woche bei VW im Jahr 1993", erinnert Heiko Massa-Wirth vom WSI. Mit Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, wie die Gewerkschaften dies noch Ende der 80er Jahre forderten, haben dieses Modell und seine Nachfolger nur wenig zu tun: "Da die Arbeitszeiten nunmehr in wesentlich größerem Umfang gesenkt wurden - bei VW zum Beispiel um 20 Prozent -, wurden auch die Monatseinkommen nicht mehr konstant gehalten, sondern gesenkt. In vielen Fällen wurden so genannte Teillohnausgleiche vereinbart, die Stundenlohnsätze also moderat erhöht, und Komponenten wie Weih-nachts- oder Urlaubsgeld auf die Monatseinkommen umgelegt. Allerdings wird dies nicht als echter Lohnausgleich angesehen, da ja das Jahreseinkommen insgesamt reduziert wird."

Tarifliche Öffnungsklauseln ebneten bereits zu Beginn der 90er-Jahre den Weg für betriebliche Bündnisse. Neben den in den Medien bekannt gewordenen - nicht immer von langfristigem wirtschaftlichem Erfolg gekrönten - Modellen bei Opel, Siemens oder Karstadt-Quelle gibt es inzwischen viele andere Konzerne, die sich mit Gewerkschaft oder Betriebsrat auf hausinterne Regelungen verständigen. Zum Beispiel im März dieses Jahres der Windkraftanlagen-Hersteller Nordex, der eine nicht alltägliche, gestaffelte Einkommenssenkung in einer Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat verankerte: Die Mitarbeiter verzichten auf zehn Prozent ihres Gehalts, leitende Angestellte auf 15 Prozent und Vorstände auf 20 Prozent. Im Gegenzug bekamen die knapp 700 Beschäftigten an den Standorten in Rostock und Norderstedt die Zusage, dass betriebsbedingte Kündigungen bis mindestens Ende kommenden Jahres ausgeschlossen sind. Die Krones AG, weltweit größter Hersteller von Getränkeabfüllmaschinen, ging für eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2010 einen anderen Weg: Künftig wird es für die rund 7.300 Mitarbeiter keine festgelegte Arbeitszeit mehr geben. Sie arbeiten, wenn Aufträge da sind. Alles, was über 35 Stunden pro Woche hinausgeht, sammeln die Beschäftigten auf einem separaten Arbeitszeitkonto - und bekommen dies auch gesondert bezahlt. Als Gegenleistung sichert das Unternehmen nicht nur die Beschäftigungsgarantie zu, sondern sagte auch zu, mehr Auszubildende einzustellen - und in den nächsten zwei Jahren rund 110 Millionen Euro in die deutschen Werke Neutraubling, Nittenau, Rosenheim, Freising und Flensburg zu investieren.

Auch in mittelständischen Unternehmen finden die Verhandlungspartner kreative Lösungen, die einen Stellenabbau allerdings nicht immer vermeiden: So einigte sich die Firma Wickeder Westfalenstahl Ende 2003 mit der Gewerkschaft auf einen Sozialplan, weil 70 Mitarbeiter letztlich doch entlassen werden muss-ten; zunächst sollte mehr als 100 Beschäftigten gekündigt werden. Die Belegschaft machte im Gegenzug Zugeständnisse bei der Arbeitszeit: 33 Stunden pro Woche wurden zur Regel, das Modell sieht zudem eine um vier Stunden verlängerte Arbeitszeit vor, die auf einem Sonderkonto gutgeschrieben und - so es die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zulässt -, jährlich ausgezahlt wird. Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, eine Möglichkeit von vielen, findet auch Bernhard Schwarzkopf, Tarifexperte der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: "Eine starre Arbeitszeitverlängerung stand für die Arbeitgeber nie zur Diskussion. Vielmehr geht es um betriebliche Möglichkeiten, das Arbeitszeitvolumen flexibel auszugestalten. Das kann im Einzelfall eine Verlängerung, aber auch eine Verkürzung der Arbeitszeit bedeuten." Eine Senkung der Wochenarbeitszeit wird auch in einer Studie des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen als gute Möglichkeit gewertet, Arbeitsplätze zu sichern. Problemlos, so macht die Bremer Studie aber zugleich deutlich, geht es auch hier nicht zu. Ein Allheilmittel sind solche Modelle nicht. Solange sie jedoch Entlassungen verhindern, erscheinen sie den meisten Betroffenen möglicherweise als die bessere Alternative.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.