Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Architektur und Kunst > Bundeshauptstadt Berlin > Berlin-Debatte, Übersicht >
Debatte
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Wortlaut der Reden

Konrad Weiß (Berlin), Bündnis 90/GRÜNE Ingrid Matthäus-Maier, SPD >>

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Deutschen sind ein seltsames Volk: Erst leben wir als ein Volk in zwei Staaten und hegen jahrzehntelang eine maßlose Haßliebe aufeinander. Dann vereinigen wir die beiden Staaten hastig wieder und stellen nach der Hochzeitsnacht erschrocken und ernüchtert fest, daß in dem einen deutschen Land zwei deutsche Völker wohnen, die sich so fremd sind, wie sich nur Verwandte fremd sein können.

(Heiterkeit)

Mit unserer Hauptstadt halten wir es nicht besser. Wie haben Sie alle hier in Westdeutschland dem amputierten Berlin nachgetrauert, und wie widerstrebend haben Sie sich an die Hauptstadtprothese Bonn gewöhnt! Wie haben sie das gequälte, geschundene, zerrissene Berlin umhegt und es 40 Jahre lang für eine bessere Zukunft am Tropf gehalten!

Nun ist das Wunder geschehen: Was Sie im Westen und wir im Osten für die Zukunft erhofft hatten, könnte Gegenwart sein. Doch nun auf einmal fällt es schwer, sich von der Vergangenheit zu trennen.

Ich habe mein halbes Leben lang in Ostberlin gelebt, der anderen Hälfte der Hoffnungsstadt. Überall, wohin ich kam, stieß ich auf Mauern. Meine Kinder sind im Schatten der Mauer großgeworden. Berlin war für mich immer mehr als der Ort, in dem ich wohne. Es war eine offene, schmerzende Wunde. Es war das Symbol der Teilung. Nirgends sonst in Deutschland war die Trennung so augenfällig wie dort, nirgends sonst wurde die Mauer so gehaßt wie in Berlin, wo sie allgegenwärtig war.Berlin ist auch Symbol deutscher Schuld. Der brennende Reichstag steht für die tiefste Niederlage der Menschlichkeit und Demokratie in Deutschland. Die rote Siegesfahne auf seinem Dach erinnert mahnend an die Opfer, die von der Völkergemeinschaft und von wenigen mutigen Deutschen erbracht worden sind, damit Deutschland wieder ein demokratisches und menschliches Land werden konnte.

Nun, seit der Vereinigung, hat der Reichstag seine Würde wieder. Gibt es einen Ort, der geeigneter sein könnte für ein Parlament?

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja, Bonn!)

Berlin ist eine Weltstadt. Für keine andere Stadt hat das Weltgewissen so laut und vernehmlich gesprochen. Für keine andere Stadt wurden mehr Opfer gebracht. Meine Freunde in Warschau, in Paris, in Moskau und in New York, ja selbst in Jerusalem verfolgen fassungslos die deutsche Debatte. Niemand im Ausland versteht auch nur die Fragestellung. Es ist ein gleicherweise romantisches wie komisches Duell, dem wir als Abgeordnete nun sekundieren sollen.

Man stelle sich vor, Ernst Reuter hätte mit Blick auf das nationale Wasserwerk gerufen: Schaut auf diese Stadt! Oder ein amerikanischer Präsident hätte gesagt: Ich bin ein Bonner.

(Heiterkeit)

Ich habe mein halbes Leben in Berlin, der Hoffnungsstadt, gewohnt. Bonn habe ich immer mit Respekt als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland betrachtet, jener Bundesrepublik, mit der ein demokratischer und freiheitlicher deutscher Staat geschaffen worden ist. Diese alte Bundesrepublik aber ist, nicht anders als die DDR, am 3. Oktober 1990 untergegangen. Deutschland, dessen Souverän uns gewählt hat, dieses Deutschland ist ein neues Land. Bonn gehört der alten Bundesrepublik; für uns aus dem Osten ist und bleibt es fremd.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schade!)

Ich gestehe gern ein: Bonn ist eine hübsche, verträumte, gemütliche Stadt. Es ist bequem und sanft und eine gefällige Residenz -- eine Stadt für Leute, die alles hinter sich haben.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Berlin ist Zukunft, ist Leben, ist Spannung und Streß, Unruhe und Bewegung. Berlin ist widerspenstig und widersprüchlich und geht grobschlächtig mit den Mächtigen um.

Bonn ist das Zimmermädchen der Politik; hier dreht sich alles um die Macht. Berlin dreht sich um sich selbst; es kennt keinen Respekt vor Titel und Namen.

In Bonn lebt's sich angenehm und rheinisch leicht; Weinhügel umgeben es, und Paris ist nah.

40 Jahre lang haben wir Ruhe gehabt, beklagte sich gestern ein Bonner. Berlin wird uns nicht in Ruhe lassen. Berlin atmet und stinkt und dröhnt. -- Über die alten Weinberge ist längst Beton gegossen, doch Warschau und Prag sind nah, und Paris ist nicht weit. Berlin ist eine europäische Stadt.

Für Bonn, meine Damen und Herren, spricht viel, aber für Berlin spricht alles. Es gibt keine Alternative für Deutschlands schlagendes Herz.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE -- Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und der PDS/Linke Liste)

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wenn mir die Bemerkung gestattet ist: Auch in Bonn dürften viele noch einiges vor sich haben, z. B. die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, die jetzt das Wort hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_028
Seitenanfang
Druckversion