Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Architektur und Kunst > Bundeshauptstadt Berlin > Berlin-Debatte, Übersicht >
Debatte
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Rudolf Dreßler, SPD Dr. Konrad Elmer, SPD >>

Wir brauchen einen Regierungs- und Parlamentssitz, nicht deren zwei. Wir brauchen keine Bonner Dependancen in Berlin und auch keine Berliner Zweigstellen in Bonn. Der moderne Parlamentarismus verträgt sich nicht mit den Ritualen und Gesetzmäßigkeiten eines Wanderzirkus.

Geradezu absurd ist der Vorschlag einer Trennung von Regierung und Parlament, die einen in Bonn, die anderen in Berlin. Für jede parlamentarische Opposition, die sich und ihren Wählerauftrag ernst nimmt, muß dies zudem eine Provokation sein. Diskutieren wir also nicht, ob dies machbar ist -- denn das ist es natürlich --, sondern diskutieren wir lieber, ob dies mit unserem Auftrag und unserem parlamentarischen Selbstverständnis in Einklang stehen kann, und das kann es nicht. Regierung und Parlament gehören an einen Ort, in eine Stadt. Entscheiden wir uns, und seien wir fair in unserer Argumentation!

Die Debatte über Bonn/Berlin hat Kränkendes enthalten. Als kränkend haben viele mit mir zusammen empfunden, daß Bonn mit satt, zufrieden, selbst- und pflichtvergessen gleichgesetzt wurde. Demgegenüber nahmen Berlin-Befürworter für sich in Anspruch, die Geschichte der Deutschen in wesentlichen Abschnitten und die Zukunft der Deutschen sowieso zu repräsentieren. Es wurde suggeriert, nur in Berlin könnten politische Macht und Kultur zusammengeführt werden. Wer sich dagegen sträube, sei ein Banause, lautete die Folgerung.

Wenn etwa die Kollegen Ehmke und Frau Limbach als Bonner für Bonn und die Kollegen Thierse und Lüder als Berliner für Berlin werben, dann kann nicht das Motiv der einen als regionales Eigeninteresse denunziert und das Motiv der anderen als der gemeinsamen deutschen Sache dienend gelobt werden. Regionale Eigeninteressen und die gemeinsame deutsche Sache sind in Bonn wie in Berlin beheimatet. Meine Bitte: Man kann auch für eine Sache werben, ohne Andersdenkenden in ihrer Motivation zu nahe zu treten.

Bei allem, was auch kritisch zu den vergangenen 40 Jahren gesagt werden muß, eines ist gewiß: Das neue Deutschland hat eine politische Identität in Bonn gefunden. Wir sind stolz darauf, daß unser Experiment Bundesrepublik Deutschland gelungen ist. Unsere Einladung gilt den neuen Mitbürgern, am weiteren Aus- und Aufbau dieses bisher gelungenen Versuches mitzuwirken, ihre Gedanken und Ideen, ihre Erfahrungen einzubringen. Dafür war und ist Bonn eine gute Adresse. An einer Entscheidung für Berlin messe sich die Bereitschaft und Ernsthaftigkeit der Westdeutschen, der staatsrechtlichen Einheit nun die tatsächliche Vereinigung folgen zu lassen, sagen einige Vertreter Berlins. Ich will nicht hoffen, daß dieses Argument wirklich ernst gemeint ist. Über die Bereitschaft zur tatsächlichen, zur gesellschaftspolitischen Einheit, entscheidet unser politisches Tun, unsere Bereitschaft zum Teilen, zum Mitwirken am Wiederaufbau und Umbau der ostdeutschen Bundesländer.

Niemand soll mir einreden in Plauen und Stralsund, in Dresden und Wismar würde auch nur ein Licht heller leuchten, weil und wenn Berlin Regierungssitz wird. Wieso denn? Das angeschlagene Selbstbewußtsein stützen, konkrete wirtschaftliche und soziale Hilfe leisten, das kann man von jedem Winkel dieser Republik. Nein, wer so redet, offenbart die alte, typisch deutsche Schwäche, von der wir meinten, sie sei überwunden: Der Griff zur Mystifizierung, wenn die Anwendung der Regeln der Logik nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Kann es nicht sein, daß wir die Bürgerinnen und Bürger mit einem Streit überziehen, den sie für wenig sinnvoll halten, da sie mit anderen Themen und Problemen genug zu tun haben? Erwarten die Menschen von uns nicht viel eher, daß wir uns Zeit nehmen, um darüber zu debattieren, warum große Teile der Bevölkerung, vor allem die Jungen, in ein beliebiges Vor-sich-Hinleben rutschen? Wollen sie nicht von uns hören, wie wir die Kluft zwischen gebotener Friedfertigkeit und zunehmender Gewalt schließen?

Hüten wir uns davor, über die Köpfe der Menschen hinweg eine an bloßer Symbolik orientierte Entscheidung zu treffen. Da werden wirklich merkwürdige Argumente für Berlin ins Feld geführt. Bonn sei eine kleine Provinzstadt, Berlin aber eine Metropole. Und zur Schlußfolgerung, die die Vertreter dieses Argumentes so gerne nahelegen wollen, sage ich: Provinzialität hängt nicht vom Ort ab, wo ein Gedanke gefaßt wird, sondern offenbart sich im Denken selbst. Die Liste der Weltbürger aus Provinzstädten ist so lang, wie die der politisch Provinziellen aus Metropolen. Was soll das Argument also?

Die zweite deutsche Demokratie, über deren Parlamentssitz wir heute entscheiden, ist gelungen. Warum sich also für einen anderen Sitz entscheiden? Gemessen an den Maßstäben, an denen wir unser staatliches Gemeinwesen heute orientieren, waren die 150 Jahre deutscher Geschichte zuvor nur selten eine geeignete demokratische Adresse. Deshalb: Weitergehen auf dem seither eingeschlagenen Weg, mit neuen gemeinsamen Weggefährten, ist meine Devise.

Unser neues Deutschland ordnet sich ein, will nicht der Nabel Europas sein, will statt dessen am gemeinsamen Europa mitwirken. Wir müssen zur Geschichte unseres Volkes stehen, können sie nicht selektieren in Epochen, auf die wir stolz sein können und deren wir uns rühmen, und Epochen, deren wir uns schämen und sie deshalb verschweigen. Wir müssen auf den neuen deutschen Anfang setzen. Der ging von Bonn aus. Auch dafür steht diese Region.

Dr. Konrad Elmer, SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_118
Seitenanfang
Druckversion