19. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche uns einen guten und erfolgreichen Tag.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt, dass der Kollege Gert Winkelmeier am 13. Februar aus der Fraktion Die Linke ausgetreten ist und dem Deutschen Bundestag künftig als fraktionsloser Abgeordneter angehören wird.
Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der ehemalige Kollege Eckhardt Barthel sein Amt als stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes aufgibt. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Monika Griefahn vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Monika Griefahn als stellvertretendes Mitglied in den Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes gewählt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat noch ein stellvertretendes Mitglied für den Wahlprüfungsausschuss zu benennen. Hierfür wird die Kollegin Silke Stokar von Neuforn vorgeschlagen. Ich gehe davon aus, dass Sie auch damit einverstanden sind. - Das ist der Fall. Damit ist die Kollegin Silke Stokar von Neuforn als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuss gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Zu den von der Bundesregierung geplanten Kürzungen bei Hartz IV zulasten junger Erwachsener
(siehe 18. Sitzung)
ZP 2 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Aktuelle Situation zur Vogelgrippe
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Übernahme ehemaliger Regierungsmitglieder in Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Energiekonzerne
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Der Informationsfreiheit durch transparente und niedrige Gebühren zum Durchbruch verhelfen
- Drucksache 16/659 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mindestarbeitsbedingungen mit regional und branchenspezifisch differenzierten Mindestlohnregelungen sichern
- Drucksache 16/656 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokratische Entwicklung unterstützen
- Drucksache 16/651 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 22)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Aigner, Michael Kretschmer, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Informatives Berichtswesen als Grundlage einer guten Forschungs- und Technologiepolitik
- Drucksache 16/646 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verwendung der Regionalisierungsmittel offen legen
- Drucksache 16/652 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Resozialisierungsziele des Strafvollzugs bewahren - Sicherheit nicht gefährden
- Drucksache 16/653 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für ein wirksames Umweltrecht im föderalen Deutschland schaffen
- Drucksache 16/674 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Außerdem ist vorgesehen, jeweils die Tagesordnungspunkte 4 und 5, 7 und 8 sowie 9 und 10 zu tauschen.
Der Tagesordnungspunkt 17 - hierbei handelt es sich um die zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung - soll abgesetzt werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung
- Drucksache 16/643 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen
- Drucksache 16/634 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung steuerlicher Missbräuche und Umgehungen
- Drucksache 16/520 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich und damit so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie wissen, dass die Bundesregierung einen finanzpolitischen Zweiklang verfolgt, nämlich einerseits die Wachstumskräfte in Deutschland zu stärken und andererseits die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Aus diesem Zweiklang leiten sich die steuerpolitischen Ziele für diese Legislaturperiode ab.
Wir brauchen erstens dauerhaft sichere Einnahmen. Der Staat muss diese Einnahmen generieren, damit er die Kernaufgaben einschließlich Zukunftsinvestitionen tätigen kann. Ich wiederhole, dass wir auf der Einnahmenseite ein Niveauproblem haben, während wir auf der Ausgabenseite kein Niveauproblem haben; vielmehr stimmt die Zusammensetzung der Ausgaben nicht. Sie sind zu stark auf Vergangenheitsfinanzierung und zu wenig auf Zukunftsfinanzierung orientiert. Aber tatsächlich ist der Bundeshaushalt bezogen auf die Ausgaben, die wir für die Zukunft tätigen wollen, zu 20 Prozent strukturell unterfinanziert.
Wir müssen zweitens Wachstumsimpulse durch Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland geben. Dahinter steht das große Vorhaben einer Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008.
Es geht drittens um eine Verbesserung der Steuergerechtigkeit und auch der Transparenz der Besteuerung. Das wirkt sich dann auch darauf aus, wie wir Steuern erheben und wie wir beispielsweise Karussellgeschäfte oder Steuerhinterziehung insbesondere bei der Umsatzsteuer zukünftig stärker vermeiden können. Das ist ein wichtiges Thema, das wir aktuell auch in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern verfolgen.
Die beiden Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe sind erste wichtige Schritte - keiner behauptet, dass das ein umfassendes Gesamtkonzept ist - in diese Richtung. Sie wissen, dass der Schwerpunkt dieses Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung auf die Belebung der Investitionstätigkeit in Deutschland gerichtet ist.
Ich füge hinzu: auch und gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen. Wir wissen, dass sie das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bilden.
Wir sind zum dritten Mal Exportweltmeister und zeigen inzwischen eine ziemlich starke internationale Wettbewerbsfähigkeit. Viele deutsche Unternehmen, die sich auf den Exportmärkten bewegen, haben ihre Wettbewerbsfähigkeit sehr verbessert. Eine günstige Entwicklung der Lohnstückkosten - und damit auch die Beiträge von Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Lohnpolitik der vergangenen Jahre - hat übrigens maßgeblich dazu beigetragen.
Aber wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage. Die Binnennachfrage ist nicht nur davon abhängig, dass die Menschen mehr konsumieren, also mehr Vertrauen in die Zukunft haben und daher mehr Geld ausgeben, sondern sie hängt auch davon ab, dass es mehr private und - das füge ich ausdrücklich hinzu - öffentliche Investitionen gibt.
Die finanzielle Lage der Kommunen ist nach wie vor angespannt. Viele Kommunen sind aufgrund ihrer finanziellen Beklemmungen gar nicht mehr in der Lage, öffentliche Investitionen vorzunehmen. Dasselbe gilt für die Entwicklung der Investitionsquote des Bundeshaushaltes und der Länder. In vielen Fällen ist die Zinsquote in diesen öffentlichen Haushalten höher als die Investitionsquote.
Wir sprechen hier im Wesentlichen über diverse steuerliche Maßnahmen. Die eine ist die auf zwei Jahre befristete Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter. Sie ist deshalb auf zwei Jahre befristet, weil wir zum 1. Januar 2008 einen fundamentalen Paradigmenwechsel der Besteuerung der deutschen Unternehmen durchführen wollen, sowohl der kleinen Unternehmen - soweit sie Personengesellschaften sind - als auch der größeren Unternehmen, die meistens Kapitalgesellschaften sind.
Sie wissen, dass es inzwischen zwei Vorschläge dazu gibt: von der Stiftung Marktwirtschaft und vom Sachverständigenrat. Ich möchte hier noch einmal deutlich sagen, dass ich dankbar wäre, wenn dem BMF zwei bis drei Monate Zeit gegeben werden könnte, um diese solide zu prüfen.
Ich werde gern Rede und Antwort stehen, wenn es so weit ist. Aber da wir von der Kritik umgeben sind, dass Politik manchmal zu sehr aus der Hüfte schießt,
also unvorbereitet ist, sollten wir uns selbst gelegentlich die Reifezeit geben, um ein so wichtiges Vorhaben so solide vorzuarbeiten, dass wir anschließend nicht mehr korrigieren müssen.
- Ja, Herr Kauder, gelegentlich kann die Kraft in der Ruhe liegen. Ich werde versuchen, keine täglichen Wasserstandsmeldungen zu machen, die durch den Druck einer medialen Neugier ausgelöst werden können und neue Unruhe und Unsicherheit in die Debatte hineinbringen würden.
Es geht zweitens darum, die Liquidität insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern. Das wollen wir durch die Anhebung der Umsatzgrenzen für die Umsatz-Ist-Besteuerung erreichen. Diese wichtige Maßnahme war auch Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. Wir versprechen uns davon, dass in der Tat insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen dadurch sehr viel liquider werden und durch manche Engpässe unter den nach wie vor obwaltenden konjunkturellen Bedingungen kommen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die steuerliche Förderung privater Haushalte, die wir auch als Feld zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten sehen. Ich will jetzt nicht auf alle Bestandteile eingehen. Aber ich möchte noch einmal meinen Standpunkt darstellen. Ich denke, dass der Kompromiss zur verbesserten steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten positive Impulse setzt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Wir versprechen uns einen Beschäftigungseffekt bei den Anbietern von Kinderbetreuungsplätzen und einen Konsumeffekt. Denn besonders die Familien mit geringem Einkommen, die nicht mehr jeden zusätzlichen Cent sparen müssen, sondern dann auch mehr ausgeben können, werden natürlich von einer solchen Regelung begünstigt. Dies ermuntert sie vielleicht, sich mehr zu leisten, was ohne eine solche steuerliche Begünstigung nicht möglich wäre.
Ein weiterer Aspekt sollte nicht untergehen: die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Diese brauchen wir in Deutschland vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung dringend,
weil es eine nach wie vor unzureichende Erwerbstätigkeit von Frauen gibt; das gilt auch im internationalen Vergleich. Die Frauenerwerbstätigkeit in skandinavischen Ländern ist deutlich höher. Inzwischen haben wir es mit schulisch, beruflich und akademisch sehr gut ausgebildeten Frauen zu tun, denen wir es letztlich verweigern, eine eigene Berufsbiografie zu schreiben, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei uns nicht besser wird.
Es geht in diesem Zusammenhang auch darum, für private Haushalte die Möglichkeiten zur steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen zu erweitern. Diesen Aspekt sollte man nicht gering schätzen. Die meisten Vertreter von Handwerkskammern und Handwerksbetrieben begrüßen ihn außerordentlich. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks geht davon aus, dass durch diesen Schritt 40 000 bis 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Das ist nicht ausreichend, aber immerhin ein wichtiger Impuls. Ich könnte mir auch vorstellen, dass dadurch - zwar nicht umfassend, aber teilweise - der Schwarzarbeit entgegengewirkt werden kann.
Meine Damen und Herren, der Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen zielt auf die Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit, die Verwirklichung des Verfassungsprinzips der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und eine Stabilisierung der Steuereinnahmen. Ich halte es für unvertretbar, dass wir es im deutschen Steuerrecht nach wie vor mit vielen Umgehungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu tun haben. Das deutsche Steuerrecht bietet aufgrund der Möglichkeiten zur Gestaltung seiner Bemessungsgrundlage viele Fluchtmöglichkeiten. Diese Fluchtmöglichkeiten stehen nach Lage der Dinge nicht den unteren, sondern den höheren Einkommensetagen zur Verfügung. Deshalb halte ich es auch vor dem Hintergrund der Herstellung einer größeren Steuergerechtigkeit für richtig, dass wir die Abschaffung von Steuerprivilegien ehrgeizig in Angriff genommen haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich - abgesehen von der Debatte über den vorliegenden Gesetzentwurf - betonen, dass ich die gegenwärtige Diskussion über die Kontenabrufmöglichkeiten für ziemlich unsäglich halte. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass das Prinzip der Steuergerechtigkeit höher zu veranschlagen ist als gegebenenfalls auftretende administrative Schwierigkeiten
oder unbegründete datenschutzrechtliche Einwände. Das ist eine Kampagne derjenigen, die die Abfragen von Konteninformationen schlicht und einfach verhindern wollen.
Aber ich sage Ihnen: Diese Kampagne - wenn ich sie einmal so bezeichnen darf - wird nicht verfangen. Es wird bei den bestehenden Abrufmöglichkeiten von Konteninformationen bleiben.
Sie müssen sich einmal vergegenwärtigen, welch aberwitzige Zahlen angeführt werden, um dem deutschen Publikum den Verdacht einzuimpfen, es käme zur Abfrage mehrerer Millionen Konteninformationen. Davon sind wir weit entfernt.
Gelegentlich wird Kritik an unserem Wachstumsprogramm in Höhe von 25 Milliarden Euro geübt: Für die einen ist dieser Betrag zu gering, für die anderen ist das Programm obsolet oder zu stark keynesianisch geprägt.
Ich will auf Folgendes hinweisen: Zu diesen 25 Milliarden Euro kommen weitere 12 Milliarden Euro von Ländern und Kommunen hinzu. Dann haben wir immerhin 37 Milliarden Euro zur Verfügung; das entspricht 70 Milliarden DM. Das ist nicht so wenig, wie manche Leute in dieser Republik vorgeben. Auch der Vorwurf, es handle sich um ein klassisches Konjunkturprogramm, geht an den Tatsachen vorbei.
Das, was wir im Bereich Forschung und Entwicklung machen, hat nichts mit unserer Konjunktur zu tun, sondern mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Bundesrepublik Deutschland.
Wir müssen unser Ziel erreichen, 3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren. Wie Sie wissen, sind in anderen Ländern um uns herum teilweise weit mehr als diese 3 Prozent des Bruttosozialproduktes in diesen Bereich geflossen. Da Reisen bildet, sage ich Ihnen, welche Erfahrungen ich hierzu in Finnland und Schweden gesammelt habe: Diese zwei Länder haben inzwischen Budgetüberschüsse zu verzeichnen und sie weisen sehr gute Wachstumsraten auf. Dort wurde insbesondere in Bildung, Hochschulen sowie Forschung und Entwicklung investiert. Diese zwei Länder sind ziemlich schnell unter Segel gekommen; denn dort wurden sechs bis sieben Jahre früher als bei uns Reformmaßnahmen eingeleitet. Daher sollte man auf die Erfahrungen dieser beiden Länder gelegentlich Obacht geben.
- Tatsachen müssen ausgesprochen werden. Man darf nicht an den Problemen vorbeireden.
Abschließend möchte ich die Diskussion über unsere Maßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung mit einem deutlichen Appell verbinden, der sich auch an die deutsche Wirtschaft richtet. Die öffentlichen Haushalte haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, diesen Bereich finanziell zu stützen. Man muss auch sagen, dass sich die letzte Bundesregierung mit Nachdruck um die vorhandenen Nachholbedarfe gekümmert hat; denn der Anteil von Forschung und Entwicklung am Bundeshaushalt ist in den vorigen Legislaturperioden deutlich gesunken. Wir haben ihn mühsam auf 2,55 Prozent erhöht. Diese Entwicklung war in den letzten beiden Legislaturperioden mit deutlichen Steigerungen verbunden. Aber das, was wir uns vorgenommen haben, wird nicht gelingen, wenn die deutschen Unternehmen nicht selbst Verantwortung übernehmen und sehr viel mehr als bisher tun, damit wir unser Ziel, 3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren, erreichen.
Da wir nicht billiger werden wollen und können und da wir einen Kostenwettbewerb nach Lage der Dinge nie gewinnen werden - das wird immer ein Hase-und-Igel-Rennen mit anderen Standorten weltweit sein -, müssen wir besser werden. Besser werden wir aber nur, wenn wir in Bildung, Forschung und Entwicklung, Technologietransfer und alles, was damit zu tun hat, investieren.
Wenn die Bundesregierung mit diesem Programm für entsprechenden Schub sorgen kann, hat sie einen erheblichen Teil ihrer Verantwortung und ihrer Aufgaben wahrgenommen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Steinbrück! Auch die FDP ist der Auffassung - das möchte ich hier von vornherein herausstellen -, dass wir mehr Wachstum benötigen, dass wir mehr Beschäftigung benötigen und dass die öffentlichen Haushalte dringend saniert werden müssen. Deshalb werden wir die Koalition aus Union und SPD konstruktiv unterstützen, wenn wir der Auffassung sind, dass auf der Basis eines klaren Konzeptes die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Allerdings sind unsere Unternehmen im internationalen Vergleich viel zu hoch besteuert. Da reicht es nicht, wenn Sie sagen, es gibt zwei Konzepte, um dies zu ändern. Ich darf Sie im Übrigen darauf aufmerksam machen, dass es drei Konzepte sind: Es gibt ein ausformuliertes Konzept der FDP, welches in dieser Woche in den Deutschen Bundestag eingebracht wird und welches wir schon im März hier beschließen können. Warum sollen wir eigentlich warten, bis es in unserem Land bergauf geht, warum können wir Reformen nicht einfach beschließen? Wir bitten Sie von der Regierung, sich mit den Vorschlägen der FDP objektiv auseinander zu setzen und sie, wenn sie gut sind, zu übernehmen.
Zum Bankgeheimnis, Herr Minister. Fakt ist: Praktisch ist das Bankgeheimnis ausgehebelt. Mit welchen Folgen eigentlich? Die Bürokratie wuchert in unserem Land - das Gegenteil von dem, was Sie wollten -, Rechtstaatlichkeit ist in diesem Bereich nicht gewährleistet und viele Bürger treibt die Sorge um, dass der Staat in irgendeiner Form in ihren Konten herumschnüffelt. Die Folge ist Kapitalflucht. Wir brauchen aber Kapital, das in Deutschland investiert wird: damit Gewinne entstehen, die hier in Deutschland versteuert werden.
Was wir im Moment erleben, zeigt, dass die Regierung weder ein klares Konzept noch die notwendige Einsicht hat, dass die öffentlichen Haushalte vorrangig durch Einsparungen und durch die Überprüfung von Leistungsgesetzen saniert werden müssen. Mit ihrem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung will die Koalition durch verschiedene kleine Maßnahmen Investitionen auslösen und so das Wachstum ankurbeln. Wir begrüßen ausdrücklich, dass bei den Kinderbetreuungskosten - wenn auch nach jahrelangen ideologischen Diskussionen, insbesondere bei der SPD; über das so genannte Dienstmädchenprivileg - der Forderung der FDP nachgekommen wird, die privaten Haushalte endlich als Arbeitgeber anzuerkennen.
Denn dies kann dazu führen, dass mehr Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz finden und die Betreuung der Kinder verbessert wird. Allerdings war ursprünglich eine klare Regelung vorgesehen. Jetzt, nach wochenlangem Gezerre, ist eine Regelung entstanden, die in ihrer Komplexität und Kompliziertheit nur schwer zu übertreffen ist: Ein Teil der Familien soll jetzt einen Teil der Kosten für einen Teil der Kinder für einen Teil der Aufwendungen absetzen dürfen. Das soll einer verstehen!
Wer sich damit auseinander setzt, sieht doch sofort, dass eine Überregulierung stattfindet. Das wird den Wunsch, mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in den privaten Haushalten zu schaffen, nicht erfüllen.
Das Gezerre und Gefeilsche innerhalb der Koalition führt auch an dieser Stelle zu einem Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der das Steuerrecht weiter verkompliziert. Deswegen appelliere ich noch einmal ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, unseren Gesetzentwurf zum Vorbild zu nehmen. Wir haben eine klare Regelung, die einfach und gerecht ist und die es ermöglicht, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze innerhalb und außerhalb des Haushaltes zu schaffen: Wenn nachgewiesenermaßen Kosten von 12 000 Euro entstehen, können diese steuerlich berücksichtigt werden.
Zu den Abschreibungen. 2000 wurden die Abschreibungssätze von 30 Prozent auf 20 Prozent reduziert. Jetzt werden sie, für zwei Jahre, wieder auf 30 Prozent erhöht. Das ist eine Politik der Trippelschritte und erinnert an die Echternacher Springprozession. Diese Politik ist nicht verlässlich und wird leider kein stetiges Wachstum in unserem Land auslösen können.
Die beiden anderen Gesetzentwürfe dienen dem Missbrauch im angeblichen Steuerrecht.
Parallel zu diesen Gesetzen - auch das muss heute debattiert werden - will die große Koalition schon in der nächsten Woche das größte Steuererhöhungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschließen. Mit diesen Steuererhöhungen wird aber nicht mehr, sondern weniger Wachstum erzeugt und werden wir nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung in unserem Lande erhalten. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte sowie weitere Steuererhöhungen will der Staat pro Jahr mehr als 25 Milliarden Euro von den Bürgern und Unternehmen einnehmen. In drei Jahren werden den Bürgern dadurch 80 Milliarden Euro ihres selbst erwirtschafteten Einkommens entzogen. Diese Steuererhöhungen sind auch der Grund dafür, dass die Steuereinnahmen in den nächsten Jahren um 80 Milliarden Euro steigen. Auf der anderen Seite fehlen sie unserer Bevölkerung aber beim Konsum und bei den Investitionen. Mit dieser Steuererhöhungsorgie legen Sie ein massives Desinvestitionsprogramm gegen die deutsche Bevölkerung vor.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein Konzept aus einem Guss kann ich nun überhaupt nicht erkennen. Alle Welt spricht von der Unternehmensteuerreform. Wir sind international nicht mehr wettbewerbsfähig und insofern können wir auch nicht nur warten, dass sich etwas ändert,
sondern diese Regierung mit ihrer Mehrheit im Deutschen Bundestag von fast zwei Drittel hat die Aufgabe, ihre Verantwortung wahrzunehmen und die Gesetze hier tatsächlich kurzfristig auf den Weg zu bringen.
Die Rezepte liegen seit langem vor. Hier nur zu warten - ab 2008 soll das gelten -, ist verschenkte Zeit. Diese Zeit dürfen wir in unserem Lande nicht verschenken.
Glauben Sie eigentlich wirklich, dass sich die Binnenkonjunktur dauerhaft ankurbeln lässt, indem Sie den Unternehmen und Bürgern heute sagen: Investiert, konsumiert und gönnt euch in diesem Jahr noch etwas, denn im kommenden Jahr stehen Steuererhöhungen an? - Eine solche Logik lässt sich selbst zur Karnevalszeit nur als schlechter Witz bezeichnen. Sie ist nicht wider den tierischen Ernst, dafür aber gegen jede politische Ernsthaftigkeit. So käme - um im Bild zu bleiben - nicht einmal ein Narr auf die Idee, den Menschen zu sagen: Feiert in diesem Jahr doch bitte schön bis Ostern Karneval; denn im kommenden Jahr wird ganzjährig gefastet. - So läuft das nicht und die Menschen werden sich auch nicht so verhalten, sodass ich die Sorge habe, Herr Minister Glos, der Sie nach mir reden werden, dass das ein Strohfeuerprogramm ist, durch das nicht die Weichen dafür gestellt werden, dass wir in unserem Lande den lang anhaltenden Aufschwung bekommen, den wir dringend benötigen.
Noch im Wahlkampf hatte die Union gefordert, die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte zu erhöhen, um mit genau dem daraus resultierenden Betrag die Lohnnebenkosten um ebenfalls 2 Prozentpunkte zu senken. Die SPD hatte die Steuererhöhung abgelehnt und als Merkel-Steuer gebrandmarkt. Und nach der Wahl soll nichts mehr von dem gelten, was vor der Wahl in Deutschland auf diesem zentralen Feld der politischen Auseinandersetzungen diskutiert wurde? Die Wählerinnen und Wähler haben die Politik der ruhigen Hand doch nicht deshalb abgewählt, damit darauf eine Politik der nehmenden Hand folgt. Gerade dies geschieht aber nun durch die geplanten Steuererhöhungen. Der schwarz-rote steuerpolitische Arm greift viel zu kurz und vor allem greift er in die falsche Richtung, nämlich in das Portemonnaie unserer Bürger. Das ist der falsche Weg.
Wenn wir alle mehr Glaubwürdigkeit in der Politik einfordern und wenn wir alle der Auffassung sind, dass nach den Wahlen das durchgesetzt werden soll, was vor den Wahlen gefordert wurde, dann darf diese Steuererhöhungsorgie in der nächsten Woche nicht vom Kabinett beschlossen werden.
Die Arbeitslosenzahl ist auf über 5 Millionen gestiegen. Weitere Millionen Menschen haben Sorge um den Verlust ihrer Arbeitsplätze: bei VW, bei der Deutschen Telekom, bei AEG in Nürnberg und auch bei der Firma Karmann in meiner Heimatstadt. Diese Liste lässt sich leider weiter fortsetzen. Ich verstehe nicht, wie sich die Politik bei dieser Sorge der Menschen einen schlanken Fuß machen und die Sanierung der öffentlichen Haushalte nahezu ausschließlich durch Steuererhöhungen angehen kann. Ich verstehe nicht, dass die Koalition aus Union und SPD den vermeintlich einfachsten Weg geht, nämlich die Sanierung durch Steuererhöhungen anstatt durch Sparmaßnahmen durchzuführen.
In jedem privaten Haushalt, in dem man feststellt, dass man über seine Verhältnisse lebt, dass man mehr ausgibt, als man einnimmt, werden die Ausgaben reduziert. Notgedrungen fängt man an, bescheidener zu werden. Man überlegt sich, ob alles, was man derzeit ausgibt, noch finanzierbar ist. Das ist für viele Bürger in unserem Lande ein ausgesprochen schmerzhafter Prozess.
Warum aber sollte das bei den öffentlichen Haushalten anders sein? Warum fängt die öffentliche Hand nicht an, stärker zu sparen? Warum werden weiter Subventionen und Staatsausgaben erhöht, von denen wir wissen, dass sie auf Pump finanziert sind und die Zukunftschancen unseres Landes weiter einschränken? Warum nehmen Sie nicht endlich zur Kenntnis, dass der Sozialstaat in der heutigen Form nicht mehr finanzierbar ist und hier dringender Handlungsbedarf gegeben ist?
Herr Minister Steinbrück, ich möchte Sie ganz persönlich ansprechen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie müssen sich dabei aber ein bisschen beeilen.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Nachdem die rot-grüne Koalition mit Finanzminister Eichel nicht den Mut hatte, ernsthaft zu sparen und den Haushalt über die Ausgabeseite zu sanieren, haben Sie mit Ministerpräsident Koch ein Konzept vorgelegt. Das war die Koch/Steinbrück-Liste; Sie werden sich vielleicht noch daran erinnern.
Wir haben Sie auf diesem Weg der Sparsamkeit konstruktiv begleitet. Dies werden wir auch weiterhin tun. Wenn aber der Haushalt Ausgaben in Höhe von über 250 Milliarden Euro aufweist, wenn in dem Subventionsbericht aus Kiel von über 150 Milliarden Euro an Subventionen gesprochen wird, wenn laut des Subventionsberichts der Bundesregierung 60 Milliarden Euro für Subventionen aufgewendet werden, dann frage ich Sie: Warum werden die Steuern erhöht, anstatt beim Staat wirksam zu sparen?
Mit einem solchen Weg könnten wir vernünftige Rahmenbedingungen setzen, um zu mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Lande zu kommen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer in diesen Tagen die Wirtschaftsmeldungen aufmerksam verfolgt, der stellt fest: Die lange vermisste Zuversicht ist nach Deutschland zurückgekehrt.
Herr Kollege Thiele, wir sollten unser Land im wirtschaftlichen Bereich weder schöner reden, als es ist, noch sollten wir es schlecht machen, sondern wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, dass es wieder aufwärts geht.
Ich habe vorhin den Protest zumindest der Grünen vermisst, als Sie von einem Strohfeuer sprachen; denn das ist immerhin Energie aus nachwachsenden Rohstoffen.
Aber Spaß beiseite. Lassen Sie mich stellvertretend für den Optimismus in der Wirtschaft eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages unter 25 000 Unternehmen anführen. Die Konjunktur hat zu Jahresbeginn 2006 einen großen Satz nach vorne gemacht. Die Unternehmen bewerten die Geschäftslage so gut wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die Konjunktur dreht auf. Der Ausfuhrboom geht weiter. Das Volumen der Inlandsinvestitionen wird in diesem Jahr deutlich zulegen; das ist ganz besonders wichtig. Zu Jahresbeginn 2006 erreichen die Investitionspläne der Unternehmen per saldo den besten Wert seit elf Jahren. Die Beschäftigung geht mit der Konjunktur langsam auf Tuchfühlung. - All das waren Zitate aus dem Bericht des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.
Mir liegt ebenfalls eine Konjunkturbewertung der KfW vor. Ich will es Ihnen ersparen, sie vorzulesen. Ich will nur sagen, dass sie „Stimmungsfeuerwerk zu Jahresbeginn!“ heißt. Ich habe ein Gespräch mit der Spitze der KfW geführt. Dort hieß es: In den ersten zwei Monaten dieses Jahres wurden, wie man feststellen kann, doppelt so viele Investitionskredite bewilligt wie im Jahr davor. Also, man spürt: Der Aufschwung kommt ganz massiv. Darüber freuen wir uns. Von dem Aufschwung profitieren nicht nur die Exporteure, die optimistisch in die Zukunft schauen können. Es wird in Deutschland auch wieder investiert. Sowohl deutsche als auch ausländische Unternehmen werden wieder in den Standort Deutschland investieren. Das ist wichtig.
Viele Branchen haben inzwischen ihre Hausaufgaben gemacht. Insbesondere die großen exportorientierten Unternehmen stehen gegenwärtig zum Teil glänzend da. Sie haben allerdings auch viele Arbeitsplätze abgebaut oder verlagert. Insofern ist uns bewusst, dass ein dauerhafter Aufschwung nur über den Mittelstand erfolgen kann.
Ich möchte nun auf die Steuern zu sprechen kommen. Wir müssen eine Unternehmensteuerreform durchführen, durch die Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften gleichbehandelt werden. Das ist deshalb besonders wichtig, weil es bekanntlich diese Unternehmen sind, die dauerhaft in Deutschland bleiben.
Ich habe in letzter Zeit sehr viele Gespräche mit Vertretern verschiedener Branchen geführt. Wenn ich alle Branchen aufzählen würde, müsste ich einen Teil meiner Redezeit leichtsinnig verbrauchen. In den Gesprächen wurde deutlich, dass es durchweg aufwärts geht. Nur die Baubranche bietet noch Anlass zur Sorge. Ich hoffe aber, dass der Konjunkturfunke auch langsam auf den Bau überspringt.
Die großen Unternehmen haben die vergangenen Jahre genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu erhöhen. Das ist erfreulich.
- Mit guten Gewinnen kann man Eigenkapital bilden - vielen Dank für den Zwischenruf, Herr Kollege Ramsauer - und dann kann man auch wieder investieren.
In bestimmten Branchen wird aber deutlich, dass es möglich ist, auch ohne Arbeitskampf zu sinnvollen Lösungen zu kommen. Das soll nicht heißen, dass der Wirtschaftsminister für irgendeine Seite Partei ergreift. Ich möchte nur feststellen, dass die Tarifpartner eine gewaltige Verantwortung dafür haben, wie es bei uns im Land weitergeht.
Darin sehe ich eines der größten Risiken. Ich wünsche mir dabei eine sehr genaue Differenzierung und die Fähigkeit, Zugeständnisse zu machen, wenn es darum geht, Unternehmen hier zu halten.
Mich erreichen immer mehr Zuschriften, Gesprächswünsche und Einladungen. Erst kürzlich hat eine der führenden deutschen Landmaschinenfabriken, die im Allgäu zu Hause und inzwischen in Händen amerikanischer Eigentümer ist, schriftlich bei mir angefragt, ob ich ihnen helfen könne. Sie wollten hier 500 Arbeitsplätze schaffen. Mit der IG Metall ist zwar über bestimmte Zugeständnisse verhandelt worden, sie sehen sich aber gezwungen, die Arbeitsplätze woanders zu schaffen. Das ist kein Einzelfall; Ähnliches findet immer wieder statt.
Man muss aber berücksichtigen, dass auch in anderen Ländern die Kosten steigen. Das wird bei den Investitionsplanungen sicherlich berücksichtigt. Wenn man im Einzelfall für das gleiche Geld mehr arbeitet, um die Investitionen hier zu halten, dann ist das meiner Ansicht nach das Allerbeste, was man in diesem Land für Beschäftigung tun kann.
Im Koalitionsvertrag ist bereits das vorweggenommen, was später in Genshagen verfeinert worden ist - darüber diskutieren wir heute - und jetzt zur Beschlussfassung ansteht. Ich will noch einmal festhalten - vorhin ist der Finanzminister stark kritisiert worden -: Wir finanzieren die Konsolidierung zur einen Hälfte durch die Beseitigung von steuerlichen Ausnahmetatbeständen, die von Ihnen übrigens immer wieder heftig kritisiert wurden. Dass wir Transferleistungen des Staates weiter zurückschrauben, wird zwar im Einzelfall auch wieder hart kritisiert werden - ich nenne nur die Stichworte „Gemeinschaftsaufgabe“ und „Regionalisierungsmittel im Verkehrsbereich“; das wird alles sehr schwer durchzusetzen sein -, ist aber unumgänglich.
Was die andere Hälfte hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung angeht, kommen wir um die Mehrwertsteuererhöhung nicht herum. Ich bekenne mich zur mittel- und längerfristigen Konsolidierung der öffentlichen Finanzen. Wenn wir längerfristig einen Aufschwung wollen, dann kommen wir um diese Maßnahme nicht herum.
Vor allen Dingen ist es notwendig, eine dauerhafte Senkung der Lohnzusatzkosten unter die 40-Prozent-Grenze zu erreichen. Das ist für die Beschäftigung in Deutschland eminent wichtig. Ich bin auch der Meinung, dass das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung den Aufschwung auf ein breiteres Fundament stellt.
Durch den gelegentlich vermittelten Eindruck, nach dem Gasgeben 2006 folge 2007 eine Vollbremsung - Sie haben das eben angesprochen, Herr Thiele -, wird, wie ich meine, ein völlig falsches Bild gezeichnet. Zutreffend scheint mir zu sein, im Zusammenhang mit 2006 von einer Tempobeschleunigung zu sprechen. Wenn der Zug auf der Schiene sehr rasch fährt, dann kann er 2007 nicht ohne weiteres abgebremst werden. Ich meine, dass der Zug 2007 weiterhin in Richtung Aufschwung rollen muss. Darauf sind unsere Maßnahmen auch angelegt.
Ich möchte noch ein paar Maßnahmen ansprechen, die ebenfalls 2007 greifen werden. Die Anhebung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter von 20 auf 30 Prozent ist eine solche Maßnahme. Das wird 2007 erhebliche Investitionen veranlassen, vielleicht sogar mehr, als dem Finanzminister aus rein haushälterischer Sicht - denn damit ist ein Steuereinnahmeverzicht verbunden - erst einmal lieb sein kann. Aber ich bin überzeugt, dass diese Maßnahme ein Mittel zur Ankurbelung der Konjunktur wird. Das Ganze wird dann von einer Unternehmensteuerreform abgelöst, die die Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung weitertragen soll. Diese Steuerreform muss dazu führen, dass die Besteuerung unabhängig von der Rechtsform der Unternehmungen erfolgt. Dabei werden wir selbstverständlich auch über Ihre Vorschläge diskutieren. Es macht ja keinen Sinn, nur Professoren und Vertreter von Stiftungen zu Wort kommen zu lassen und andere vernünftige Vorschläge beiseite zu legen. Wir werden das alles bewerten und diskutieren. Am schönsten wäre, wenn wir zu gemeinsamen Lösungen in Sachen Unternehmensteuerreform kämen.
Das Stichwort „Stärkung der privaten Haushalte als Arbeitgeber“ ist schon gefallen. Ich halte das für ein wichtiges Anliegen, genauso wie die Tatsache, dass wir die zunehmend um sich greifende Schwarzarbeit dadurch bekämpfen, dass wir Handwerkerrechnungen steuerlich absetzbar machen. Die genauen Zahlen sind bekannt. Bis zu 600 Euro der Lohnkosten kann man von der Steuerschuld abziehen, wenn man dem Handwerk Arbeit gibt. Dem dient insbesondere das Programm zur energetischen Gebäudesanierung. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei den Handwerksbetrieben und selbstverständlich bei vielen anderen Firmen zu bedanken, die die Initiative zur Schaffung von Ausbildungsplätzen mitgetragen haben und weiterhin mittragen. Auch in diesem Jahr wird eine der wichtigsten Aufgaben sein, dafür zu sorgen, dass junge Menschen, die aus der Schule kommen, Ausbildungsplätze finden.
Beim Stichwort „Dienstleistungen für den Haushalt“ fällt mir natürlich ein, dass heute im Europäischen Parlament über die Dienstleistungsrichtlinie abgestimmt wird. Nun wird der der Abstimmung zugrunde liegende Kompromiss sicherlich nicht allen Wünschen gerecht. Die einen haben Angst vor gewaltigem Sozialdumping - gerade in einem Land wie Deutschland -, während andere ihre Hoffnung, die qualifizierten deutschen Dienstleistungen in stärkerem Maße außerhalb Deutschlands anbieten zu können, ohne über zu große bürokratische Hürden springen zu müssen, nicht in dem Maße erfüllt sehen, wie sie es sich wünschen. Deswegen müssen wir im Rat - hier sind wir noch einmal gefragt - helfen, dass weder die Befürchtungen zum Tragen kommen noch dass die Hoffnungen zerstört werden. Ich weiß, dass ein gemeinsamer europäischer Dienstleistungsmarkt per saldo Deutschland als Gewinner sieht; denn wir können qualifizierte, bessere und nachhaltig nachgefragte Dienstleistungen der Zukunft anbieten. Darüber werden wir sprechen. Wir sind in der Koalition kurz davor, eine gemeinsame Sprachregelung zu finden.
Ich halte das im Hinblick auf Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit für notwendig.
Wir müssen alles tun, damit es zu einem nachhaltigen, dauerhaften Aufschwung und zu mehr Beschäftigung in Deutschland kommt und unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa gestärkt wird. Dann können wir im Sinne der Lissabonstrategie dazu beitragen, dass Europa wieder zur Lokomotive der Weltwirtschaft wird. Dazu gehört der Motor Deutschland. Darum kümmern wir uns.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeswirtschaftsminister hat uns aufgefordert, Deutschland nicht schlecht zu reden, und er hat, wie es seine Pflicht ist, auch Silberstreifen am Horizont ausgemacht und festgestellt, dass die Konjunktur jetzt doch in Gang gekommen ist.
Zunächst einmal, Herr Bundeswirtschaftsminister: Deutschland ist schön und es kann auch niemand bestreiten, dass es hier oder dort Daten gibt, die man so interpretieren kann, wie Sie sie interpretiert haben. Aber schon bei der Aussage, Deutschland sei schön, möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff Deutschland zu allgemein gefasst ist. Es gibt viele Deutsche. Darunter gibt es Deutsche, denen es gut geht, und es gibt Deutsche, denen es weniger gut geht. Es gibt Deutsche, die arbeitslos sind, und es gibt Deutsche, die unterhalb des Existenzminimums leben. Auch über die müssen wir reden. Das ist kein Schlechtreden Deutschlands, sondern schlicht und einfach ein Sich-Auseinander-Setzen mit der Realität, eine Aufgabe, die wir in diesem Hause nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Nun hat der Bundesfinanzminister in der ihm eigenen Klarheit seine Argumente vorgetragen. Das ist erfrischend. Deshalb kann man sehr gut darauf eingehen. Er hat zwei Ziele für die Regierung angegeben, nämlich die Wachstumskräfte zu stärken und den Haushalt zu konsolidieren. Wer wollte gegen diese zwei Ziele etwas haben? Die Frage ist aber, wie diese beiden Ziele zueinander in Bezug gesetzt werden; das ist die entscheidende Frage der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wenn man die Wachstumskräfte tatsächlich enorm stärken kann, dann hat man in dem Maße der Stärkung Mehreinnahmen und Minderausgaben. So zeigt sich überall in den Industriestaaten, dass auf diesem Weg die Haushaltskonsolidierung tatsächlich gelingt.
Wenn der Akzent zu stark auf der Haushaltskonsolidierung liegt, dann gelingt es eben nicht, die Wachstumskräfte zu stärken, und es gelingt auch nicht, den Haushalt zu konsolidieren. Man muss doch fairerweise zugeben, dass Ihr Vorgänger im Amt enorme Anstrengungen unternommen hat, den Haushalt zu konsolidieren. Er hat aber zwei Fehler gemacht: Es gelang ihm nicht ausreichend, die Wachstumskräfte zu stärken, und er hat darüber hinaus die Einnahmen deutlich geschwächt. So landete er bei einer immer höheren Verschuldung. Die Frage ist, ob die jetzige Handlungsweise der Regierung sinnvoller und in sich stimmiger ist.
Zunächst einmal zur Frage der Haushaltskonsolidierung. Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder von der Nettoneuverschuldung gesprochen. Man muss darauf hinweisen, dass diese zunächst einmal nichts über die Frage aussagt, die ich aufgeworfen habe. Die einzige Aussage, die man heranziehen kann, betrifft die Ausgabenseite. Da stellen wir fest, dass Sie angeben, in diesem Jahr genauso viel ausgeben zu wollen wie im letzten Jahr. Wenn Sie die Preiseffekte abziehen, dann haben Sie eine leicht restriktive Haushaltspolitik. Insofern kommen auch die Beobachter der Wirtschaft zu dem Ergebnis, dass die Haushaltspolitik in diesem Jahr keinen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung leistet. Damit muss man sich rational auseinander setzen. Solange man die Ausgaben nicht steigert, kommt kein positiver Impuls - so ist nun einmal die Logik - von der Haushaltsseite zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung.
Nun haben Sie dankenswerterweise - das möchte ich ausdrücklich anerkennen, weil das gewissermaßen eine Zäsur hier im Hause darstellt - gesagt, dass Sie auf der Einnahmeseite ein Niveauproblem haben. Ich bin dankbar, dass seit Monaten jetzt zum ersten Mal hier im Plenum die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland realistisch dargestellt wird. Wir haben nun einmal im OECD-Vergleich mit 34 Prozent eine einmalig niedrige Steuer- und Abgabenquote. Wir liegen um 6 Prozentpunkte unter dem europäischen Durchschnitt. Ich möchte Ihre Unterhaltung mit der Kanzlerin nicht stören, will aber auf einen wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, müssen sich entscheiden, welche Steuer- und Abgabenquote Sie anstreben; sonst ist alles, was hier vorgetragen wird, leeres Gesums. Man muss das in aller Klarheit sagen.
Die Frage, die Sie beantworten müssen, ist folgende: Wollen Sie auf das europäische Niveau? Es wäre ja vorstellbar, dass jemand in Deutschland den Mut hat, das europäische Niveau der Steuer- und Abgabenquote zu erreichen. Oder wollen Sie das nicht? Wollen Sie weiterhin 6 Prozentpunkte unter dem europäischen Niveau bleiben? Das heißt: Wollen Sie weiterhin 130 Milliarden Euro Mindereinnahmen im Vergleich zu den europäischen Nachbarn haben? Das ist für die Konsolidierung und für die Haushaltspolitik nun wirklich keine irrelevante Frage.
In diesem Zusammenhang haben Sie beispielsweise auch auf die Überschüsse Finnlands und Schwedens hingewiesen. Herr Bundesfinanzminister, die Angaben sind ja richtig; ich will Ihnen aber einen Hinweis geben: Hätte Deutschland die Steuer- und Abgabenquote dieser Länder, dann würden Sie im Geld schwimmen. Sie brauchen das nur umzurechnen.
Wenn man schon diese Beispiele anführt, dann muss man auch die Zahlen nennen und die daraus resultierenden Konsequenzen ziehen. Sie hätten dann keine Probleme, Forschung, Bildung, öffentliche Investitionen usw. zu finanzieren. Diese Länder stellen nun einmal eine Widerlegung des neoliberalen Glaubens dar, dass man bei einer möglichst niedrigen Steuer- und Abgabenquote viel Wachstum und Beschäftigung hat, tolle Bildungseinrichtungen vorhalten kann, Forschungsausgaben finanzieren kann usw. Was in diesen Ländern geschehen ist, steht im Gegensatz zu der lange Jahre herrschenden Ideologie und ist ein Beweis dafür, dass eine hohe Steuer- und Abgabenquote sehr wohl mit einem hohen Beschäftigtenstand, einem dichten sozialen Netz und einem hervorragenden Bildungswesen einhergeht. Wir sollten in Deutschland genau die Schritte, die dort gegangen worden sind, anstreben.
Sie haben wieder auf die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit hingewiesen. Auch der Kollege von der FDP hat darauf hingewiesen, dass dies ein Problem sei. Ich möchte deutlich sagen, dass dies in Deutschland überhaupt kein Problem ist. Herr Kollege von der FDP, Sie sagen, wir seien international nicht wettbewerbsfähig. Das ist, da wir Exportweltmeister sind, einfach nicht mehr nachvollziehbar.
Aber wenn Sie es einfach steuerlich gemeint haben, dann ist das schlicht falsch.
Sie müssen sich von den nominalen Steuersätzen lösen - aus propagandistischen Gründen werden sie ununterbrochen angeführt - und sich der Realität stellen.
Hans Mundorf, der Chefredakteur des „Handelsblatts“, hat schon vor der Steuerreform 2000 im „Handelsblatt“, geschrieben, dass die angeblich so hohe Belastung der deutschen Unternehmen mit Steuern ein reiner Phantomschmerz sei. Nach all dem, was in den letzten Jahren geschehen ist, ist das immer noch ein reiner Phantomschmerz.
Wenn Sie angesichts der exorbitanten Gewinne, die die Unternehmen mittlerweile ausweisen, immer noch meinen, die Lösung der Probleme bestehe darin, die Steuerlast der Unternehmen zu senken, dann liegen Sie völlig falsch. Ich möchte das hier in aller Klarheit sagen.
Richtig liegen Sie natürlich, wenn Sie auf die Probleme der kleinen und mittleren Unternehmen hinweisen. Die 2,9 Millionen Unternehmen, die weniger als zehn Beschäftigte haben, profitieren von den ganzen Steuergesetzen der letzten Jahre, von der Freistellung von Veräußerungsgewinnen, von der Änderung der Körperschaftsteuersätze usw. usw., nicht. Herr Kollege Steinbrück, Sie haben hier die Einkommensteuer angesprochen. Dem ist zu entgegnen, dass 73 Prozent dieser Unternehmen den Spitzensteuersatz niemals erreichen. Insofern war dies eine Fehlentscheidung.
Aus unserer Sicht ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit des Volkes dasselbe Interesse wie die kleinen und mittleren Unternehmen hat. Dieses Interesse lässt sich ganz einfach formulieren: Die 2,9 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten sind in erster Linie darauf angewiesen, dass Löhne und Renten in Deutschland endlich wieder steigen; sonst gibt es keine Erholung der Binnennachfrage. Alles andere ist schlicht kalter Kaffee.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben behauptet - auch im Dialog mit Ihren Kollegen auf europäischer Ebene -, unsere Lohnstückkosten hätten sich günstig entwickelt. Dies ist an dieser Stelle noch einmal zu hinterfragen. Deutschland betreibt mittlerweile ein solches Lohndumping, dass die Europäische Währungsunion gefährdet ist. Ich weiß, dass es im Moment noch wenig Sinn hat, das hier anzusprechen; darum spreche ich es nur für das Protokoll an. Mit einem solchen Lohndumping ist die Europäische Währungsunion auf Dauer nicht zu halten. Wir haben mittlerweile Wettbewerbsvorteile von bis zu 20 Prozent gegenüber Portugal. Gegenüber Spanien und Italien ist unser Wettbewerbsvorteil etwas geringer. Wenn wir dieses Lohndumping fortsetzen, dann gefährden wir die Europäische Währungsunion und damit die europäische Einigung.
Herr Kollege Steinbrück, Sie haben die öffentlichen Investitionen angesprochen. Geboten ist hier einfach der Blick auf das europäische Durchschnittsniveau. Das deutsche Niveau fällt immer weiter zurück. Wenn wir nur das europäische Durchschnittsniveau erreichen wollten - das hat natürlich etwas mit der Einnahmeseite zu tun -, dann brauchten wir pro Jahr zusätzliche öffentliche Ausgaben in Höhe von 25 Milliarden Euro. Ohne ein solches Verstetigen der öffentlichen Investitionen kommt es bei uns auch nicht zu einem Wachstum und einer Beschäftigung wie in unseren Nachbarstaaten. Dies ist ein weiterer Hinweis von unserer Seite zu Ihren Ausführungen.
Da die Zeit knapp wird, möchte ich noch etwas zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sagen. Alles, was Sie da tun, ist zu unterstützen. Aber es gibt eben viele Familien, die keine Steuern zahlen. Wenn Sie bei der steuerlichen Förderung ansetzen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, dann klammern Sie gut 20 Prozent der Bevölkerung aus. Das ist nicht gerechtfertigt.
Auch die Menschen, die ein geringes Einkommen haben, müssen Familie und Beruf vereinbaren können. Insofern setzen Sie hier wiederum an der völlig falschen Stelle an.
Nachträglich unterstützen möchte ich Ihre Aussagen zu Kontoabfragen. Es ist gut, dass ein Bundesfinanzminister dies hier einmal in aller Klarheit sagt. Das so genannte Bankgeheimnis ist nichts anderes als ein Scheinrecht, das denjenigen, die davon profitieren und die sich darauf immer wieder berufen, Steuerhinterziehung ermöglicht.
Wenn Sie darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass damit zu viel Bürokratie verbunden ist, dann möchte ich Ihnen sagen: Vergleichen Sie einmal die Bürokratie an dieser Stelle, an der es darum geht, höhere Vermögen und Einkommen zu besteuern, mit der Bürokratie gegenüber Hartz-IV-Empfängern!
Wenn Sie das tun, dann werden Sie sehr schnell einräumen müssen, dass hier einiges im Ungleichgewicht ist.
Zusammenfassung: Ich glaube, dass Sie die entscheidende Frage nicht beantwortet haben, nämlich: Mit welchem Steuer- und Abgabensystem wollen Sie auf Dauer öffentliche Investitionen sicherstellen, bei Bildung und Forschung sowie dann auch notwendigen antizyklischen Maßnahmen mit anderen Industriestaaten konkurrieren? Was Sie bisher beschlossen haben, ist überhaupt keine Antwort darauf. Die Mehrwertsteuererhöhung - ich muss es am Schluss noch einmal sagen - ist nicht nur ein Wahlbetrug, sondern sie ist auch konjunkturell ein Schlag ins Gesicht. Die jetzt sichtbaren Wachstumskräfte reichen nicht aus, den Einbruch zu kompensieren, der im nächsten Jahr zu erwarten ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube nicht, dass es für die Konjunktur und für die Zukunft dieses Landes hilfreich ist, wenn man heute ein Gute-Laune-Programm für Teile der Wirtschaft verkündet, kurz darauf den roten Teppich, der gerade ausgerollt wurde, wieder einrollt und die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes weitaus mehr belastet, als man sie vorher zu entlasten geglaubt hat.
Wir haben hier die Situation, dass auf der einen Seite ein paar kleine Änderungen gemacht werden, die teilweise okay sind, über die man teilweise aber noch reden muss, dass aber auf der anderen Seite eine Mehrwertsteuererhöhung kommt, der Sparerfreibetrag halbiert wird, obwohl man den Leuten sagt: „Sorgt mehr fürs Alter vor, spart mehr für das Alter!“, und die Versicherungsteuer erhöht wird, obwohl bestimmte Versicherungsbereiche für die Altersvorsorge genutzt werden. Insgesamt sammelt man in einer Größenordnung von rund 25 Milliarden Euro pro Jahr ein. In diesem Jahr gibt man den Leuten bzw. der Wirtschaft 2,5 Milliarden Euro zurück. Das ist die Relation, um die es geht. Ich glaube nicht, dass mit dieser kurzsichtigen Politik das Vertrauen von Bürgern und Unternehmen insgesamt in den Standort Deutschland mittel- und langfristig gestärkt wird.
Alle reden darüber, dass strukturelle Reformen für dieses Land zwingend notwendig sind. Wir sehen aber, dass, abgesehen von dem bisherigen Klein-Klein, die große Koalition immer noch nicht in der Lage ist, sich auf Strukturreformen zu einigen. Peer Steinbrück nimmt 2006 ein verschärftes EU-Defizitverfahren in Kauf, rückt Deutschland damit in eine gefährliche Nähe zu Strafzahlungen in der Größenordnung von rund 10 Milliarden Euro an die EU
und setzt alles auf die Steuererhöhungskarte. Sie müssen einmal Folgendes sehen: Wenn Deutschland 2007 das Maastrichtkriterium eventuell wieder einhält, dann nur deswegen, weil das Aufkommen der auf 19 Prozent erhöhten Mehrwertsteuer vorwiegend in den Haushalt fließt. Die gesamte Finanzplanung hängt aber völlig in der Luft.
Wir sehen, dass es in der großen Koalition keine Einigung gibt, dass das geringere Defizit allein das Ergebnis der Steuererhöhungen ist und dass die strukturellen Probleme, wie gesagt, unverändert bestehen bleiben. Wenn die Konjunktur ein Stück nachlässt, schnellt das Defizit im Prinzip sofort wieder nach oben. Das ist keine gute Politik,
bei der man mit Verlässlichkeit für die Zukunft planen kann.
Eindrucksvoll ist auch, wie die große Koalition ihre mangelnde Einigungsfähigkeit beispielsweise bei der Gesundheitsreform derzeit inszeniert. Es gibt einen ideologischen Grabenkampf zwischen SPD und Union. Da ist, wie man lesen kann, jetzt Stillstand eingetreten. Ulla Schmidt will Beitragsfinanzierung. Stimmen aus der Union fordern Steuerfinanzierung. Fazit dieser festgefahren Debatte: Wir machen überhaupt nichts. - Derjenige, der gegenüber einer Zeitung gesagt hat, dass man sich jetzt nur noch auf die Ausgabenseite konzentrieren will, hat seinen Namen nicht genannt. Ich kann auch verstehen, dass der zitierte Spitzenpolitiker auf eine Namensnennung verzichtet hat.
Bei der Unternehmensteuerreform sollen, wie Peer Steinbrück sagt, Steuerausfälle ausgeschlossen werden. Nach dem von der Stiftung Marktwirtschaft vorgelegten Modell ist mit Steuerausfällen in Höhe von 10 Milliarden Euro zu rechnen, nach dem vom Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgelegten Modell ist mit Steuerausfällen in Höhe von 22 Milliarden Euro, und zwar pro Jahr, zu rechnen. Letzterer kommt dann auf die Idee, dass man die 22 Milliarden Euro Steuerausfälle abfangen kann, indem man die Mehrwertsteuer auf 21 Prozent erhöht. Dazu kann ich nur sagen: Klasse Idee! Das wäre ein Totschläger für die Inlandsnachfrage. Das wissen auch Sie. So bin ich ganz froh, dass Sie sich nicht darauf einlassen, obwohl Herr Meister von der CDU ja gesagt hat, man müsse das alles völlig vorurteilsfrei prüfen. Das Fazit lautet auch hier: Es ist ein Konflikt vorprogrammiert. Deswegen wird die Unternehmensteuerreform wohl nicht in der Form kommen, wie sie sich manch einer vorstellt; denn es ist ja bislang überhaupt keine Einigung absehbar.
Was Bürger und Bürgerinnen und Wirtschaft wollen, Frau Bundeskanzlerin, sind Steuervereinfachung und Bürokratieabbau.
Statt einer Vereinfachung des Steuerrechts haben wir heute jedoch eine Vielzahl von neuen Regelungen präsentiert bekommen, die das System noch komplizierter machen, seien es nun die Regelungen zu Kinderbetreuungskosten, seien es andere Maßnahmen.
In der Konsequenz bedeutet Steuerpolitik der großen Koalition: komplizierter, verworrener, vertrackter.
Die Bürger haben nicht, wie es Herr Merz von der Union immer gefordert hat - er ist ja immer noch im Rennen und hat, wie man hören konnte, jetzt einen Orden erhalten -, eine Steuerreform bekommen, bei der ein Bierdeckel ausreicht, sondern das Steuerrecht gleicht nun eher einem riesigen Bierzelt mit einem eingebauten Labyrinth. Das ist die Konsequenz der von Ihnen betriebenen Politik.
Der Bürokratieabbau - das war die zweite Maßnahme, die sich die Bürgerinnen und Bürger dringend für dieses Land wünschen und die nötig ist, damit mehr Investitionen kommen - wurde zunächst von der Kanzlerin zur Chefsache erklärt,
wird jetzt aber von ihr eigenhändig von der Tagesordnung des Kabinetts gestrichen. Daran sieht man, dass Ankündigungen anscheinend bloße Ankündigungen bleiben und dass sich diese Koalition, wenn es konkret wird, nicht einigen kann. Das heißt, es gibt keine konsistente Strategie, sondern es regiert das Prinzip Hoffnung. Peer Steinbrück hat ja jüngst vor der IHK in Frankfurt festgestellt, dass wir im Haushalt ein Strukturproblem haben, indem wir zu viel Vergangenheit und zu wenig Zukunft finanzieren. Damit haben Sie, Herr Steinbrück, wirklich Recht. Nur lösen Sie genau dieses Problem mit Ihren Vorschlägen nicht. Wenn Sie sich hier hinstellen und fordern, die Ausgaben für Bildung und Forschung müssten 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen, aber zugleich in der Kabinettssitzung der Ansatz für Bildung und Forschung zurückgefahren wird, frage ich mich, welche Perspektive man verfolgt.
Die Wachstumsstrategie des Wirtschaftsministers Michael Glos erschöpft sich im Hoffen auf Besserung. Mittlerweile beklagen sich bereits Wirtschaftsverbände der Union. Im „Handelsblatt“ vom 14. Februar fordern sie:
Wir brauchen in diesem Amt eine Persönlichkeit, die als marktwirtschaftliches Gewissen der Regierung ernst genommen wird.
Weiter heißt es:
Glos fehle die erforderliche klare ordnungspolitische Orientierung ebenso wie das nötige Fachwissen.
Dazu kann ich nur sagen: Hört! Hört! Wenn aus den eigenen Reihen eine solche Kritik geübt wird, dann brauchen wir sie gar nicht mehr zu formulieren. Sie erledigen das ja anscheinend selbst.
Als Reaktion auf die Probleme am Arbeitsmarkt verteuert die große Koalition das Erfolgsmodell Minijob. Wir haben ja mittlerweile gelernt, dass es sich dabei um etwas Positives handelt, auch wenn das Linksbündnis das immer noch nicht kapiert hat, aber egal. Sie verteuern dieses Modell, indem Sie die Abgaben von 25 auf 30 Prozent anheben, und gefährden damit viele kleine Jobs.
Auf der anderen Seite diskutieren Sie über ein Kombilohnmodell, das Milliarden kostet. Ich frage mich, um welche Strategie es sich handelt, wenn man zuerst Jobs im unteren Lohnbereich verteuert und dann Kombilohnmodelle anbietet, die vielfältige Mitnahmeeffekte auslösen.
Da haben die Grünen wahrlich einen besseren Vorschlag eingebracht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen gezielte Politik für Zukunftsbereiche, in denen Arbeitsplätze entstehen. Wir haben als Grüne in den letzten Jahren im Umweltsektor viel für die regenerativen Energien getan, einen boomenden Bereich, in dem Deutschland weltweit führend ist. Wir brauchen eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die unsere Stärken konsequent weiterentwickelt. Wir brauchen vor allen Dingen eine verlässliche Perspektive. Diese gibt Schwarz-Rot derzeit beileibe nicht.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ortwin Runde, SPD-Fraktion.
Ortwin Runde (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Thiele, Sie haben über den Kernbereich der FDP-Politik geredet. Eigentlich habe ich bisher vermutet, es sei nur ein Verdacht, dass der Schutz vor Kontenabfragen und das Schützen derjenigen, die ein bisschen Steuern hinterziehen, zum Kernbereich Ihrer Politik gehören. Dass Sie das in Ihrer Rede aber so direkt als einen der ersten Punkte ansprechen, hat mich schon ein wenig verwundert.
Diese Art von Offenheit und Ehrlichkeit hat man wirklich selten.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist Teil eines umfassenden Konzeptes. Neben dem Gesetzentwurf gibt es die Aussage in der großen Koalition, für Forschung und Entwicklung 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben. Das ist eine Zielsetzung, die, wie ich sehe, von fast allen Fraktionen des Hauses geteilt wird.
Langfristig hat das eine sehr positive Wirkung.
Ein anderer Teil des Konzeptes, der hier nicht enthalten ist, weil wir hier nur über 21 Milliarden Euro reden, ist die energetische Gebäudesanierung. Auch das ist ein Punkt, der, wie ich glaube, bei nüchterner Betrachtung sehr positiv bewertet wird.
Bei dem Gesamtkonzept wird etwas sichtbar, was auch für die verschiedenen Bestandteile des vorliegenden Gesetzentwurfes gilt, dass nämlich nicht allein die Haushaltsausgaben und die Steuerausfälle eine Rolle spielen, sondern dass es Multiplikatoreffekte gibt, die bei der energetischen Gebäudesanierung, der AfA, aber auch bei anderen Teilen wirksam werden. Das heißt, die 37 Milliarden Euro, die über vier Jahre ausgegeben werden sollen, vermehrfachen sich entsprechend in der Wirkung.
Frau Scheel, Sie haben gesagt, das sei ein „Gute-Laune-Programm“. Da muss ich sagen: Ich wäre in früheren Zeiten froh gewesen, wenn wir im Bereich Wirtschaft die pessimistische Stimmung in Richtung guter Laune hätten drehen können.
Da waren gewisse „gesäßgeografische“ Veränderungen schon sehr hilfreich, dass das jetzt in großem Umfang gelungen ist.
Der alte Vorwurf, Herr Thiele, es handele sich lediglich um ein Strohfeuer und nicht um ein wirksames Programm, ist schon durch die Veränderung bei den Prognosen widerlegt. Man muss sich einmal anschauen, wie die Prognosen vor einigen Monaten aussahen und wie sie sich verändert haben. Zunächst wurde ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent prognostiziert, dann waren es 1,8 Prozent; inzwischen spricht der Deutsche Industrie- und Handelskammertag von 2 Prozent. Daran wird deutlich, dass dieses Programm konjunkturpolitische Wirkung entfaltet, dass es einen erheblichen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung gibt und damit eine Chance nicht nur für mehr Wachstum, sondern auch für mehr Beschäftigung. Das ist nicht unser Urteil, sondern das können Sie überall in der Presse und bei den Ökonomen nachlesen.
Herr Thiele hat wie üblich gesagt, im Haushalt sei im Bereich der Ausgaben nicht hinreichend eingegriffen worden.
Schauen wir uns das einmal an. Die Ausgabenseite des Haushalts war in den letzten Jahren nicht das Problem. Die Ausgabenzuwächse waren sehr gering. Was die Herstellung der Handlungsfähigkeit des Staates behindert, ist ein Einnahmeproblem. Da sind wir wieder bei der Kontenabfrage. Das entspricht Ihrer Mentalität, auch im Zusammenhang mit den Steuereinnahmen, dem Abbau von Steuersubventionen und Ähnlichem mehr. Es besteht jedoch kein Problem auf der Ausgabenseite.
Sie müssten auch sagen, in welchen Bereichen Sie Ausgabenkürzungen vornehmen wollen, um das für die Finanzierung Ihrer Programme benötigte Geld einzusparen.
Wir kennen doch alle die großen Ausgabenblöcke. Man kommt sehr schnell auf Bereiche wie aktive Arbeitsmarktpolitik und soziale Sicherungssysteme von Rente bis zur Gesundheit. An diese Bereiche müsste man herangehen. Mathematisch geht es gar nicht anders.
Wir stehen natürlich vor einer großen Herausforderung, was den gesamten Bereich Steuerpolitik und insbesondere den Bereich Unternehmensteuerpolitik angeht. Wir werden in den nächsten eineinviertel Jahren sehr intensive Diskussionen darüber führen müssen. Dabei wird es um folgende Fragen gehen: Welche Art der Unternehmensteuerreform ist zielführend? Kann es immer nur um Steuersatzdumping gehen oder muss es nicht vor dem Hintergrund europäischer Aspekte auch um andere Dinge gehen?
Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, wie wir Wettbewerbsfähigkeit auf der europäischen Ebene schaffen können, ohne die Finanzierungs- und Handlungsgrundlagen aller europäischen Länder zu zerstören.
Es ist ein Unterschied, ob steuerpolitische Maßnahmen in Ländern wie Estland oder Lettland oder in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden. Die Übertragung der Steuerpolitik kleiner Länder als Muster auf die Volkswirtschaft eines Landes mit 83 Millionen Einwohnern ist methodisch nicht sehr günstig. Wir werden uns damit beschäftigen müssen, ob wir den Wettbewerb bei den Steuersätzen, den wir in den letzten anderthalb Jahrzehnten in Europa zu verzeichnen hatten, nicht durch entsprechende Harmonisierungen auf der europäischen Ebene verhindern können. Dieses wird eine der ganz wesentlichen Herausforderungen sein.
In den vorliegenden Steuerreformkonzepten des Sachverständigenrates und der Stiftung Marktwirtschaft werden, gleiche Bedingungen vorausgesetzt, Ausfälle in Höhe von 22 Milliarden Euro vorhergesagt. Können wir uns in der gegenwärtigen und in der absehbaren Situation Steuerausfälle in der Größenordnung von 22 Milliarden Euro zugunsten von Unternehmen leisten? Ist das mit der Konsolidierung der Haushalte und mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien zu vereinbaren? Das sind ganz spannende Fragen, die wir zu beantworten haben.
Bezüglich der Gewerbesteuer müssen wir Folgendes sehen: Was bedeutet die Umschichtung von 32,5 Milliarden Euro Gewerbesteueraufkommen für die Investitionstätigkeit und für die Investitionsbereitschaft der Gemeinden?
Denn durch die schon anderthalb Jahre währende Diskussion über die Abschaffung der Gewerbesteuer, die in Ihrem Konzept enthalten ist, wurden die Gemeinden verunsichert. Ich kann nur sagen, dass wir die Finger davon lassen sollten.
Der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrates, Herr Wiegard, hat in kluger Voraussicht gesagt, die Wissenschaftler seien 30 Jahre gegen die Gewerbesteuer angerannt und sie könnten dieses Anrennen auch weiterhin aushalten. Wir sollten die Gewerbesteuer beibehalten, weil sie für die Handlungsfähigkeit dieser Körperschaftsebene dringend gebraucht wird und die Investitionen für das Wachstum von entscheidender Bedeutung sind.
Natürlich ist es so, dass wir bezogen auf die gegenwärtige Situation eine Stärkung der Binnennachfrage brauchen. Da sind aber nicht nur der Staat, sondern auch die Unternehmen gefragt, die heute große Gewinne machen. Dass diese Unternehmen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Gewinn beteiligen, liegt im volkswirtschaftlichen Interesse, langfristig aber auch im Interesse dieser Unternehmen. Insofern sind die früheren Aussagen von Herrn Glos, die zwischenzeitlich aufgrund seines neuen Amtes ein wenig relativiert wurden, immer noch richtig. In diesem Punkt unterstützen wir ihn weiterhin.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing, FDP-Fraktion.
Dr. Volker Wissing (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die drei vorliegenden Gesetzentwürfe sind bezeichnend für die Finanzpolitik der Bundesregierung. Mit dem einen bekommen die Bürger ein wenig zurück; mit den beiden anderen wird kräftig einkassiert.
Nun ist es bestimmt - da gibt es überhaupt keinen Zweifel - eine gute Sache, gegen Steuermissbrauch vorzugehen. Aber, Herr Minister Steinbrück, dann muss man das auch konsequent machen. Ein schon hundertmal geflickter Sack wird nicht besser, wenn man zwei weitere Flicken aufnäht. Während Sie ein Loch flicken, reißen in unserem Steuersystem zwei neue auf.
Wenn man sich die Begründung zu Ihren Gesetzentwürfen durchliest, dann hat man den Eindruck: Da ist ein beleidigter Gesetzgeber, der sich echauffiert, weil die Bürgerinnen und Bürger in den Gesetzen Schlupflöcher finden und nutzen. Dabei wird ausgeklammert, dass der Gesetzgeber selbst diese Schlupflöcher geschaffen hat.
Das Problem sind nämlich nicht die Bürgerinnen und Bürger mit ihren wohlverstandenen Sparbemühungen; das Problem sind handwerklich schlecht gemachte Gesetze. In der Begründung zu Ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Verringerung steuerlicher Missbräuche und Umgehungen heißt es wörtlich:
Einzelne Steuerzahler versuchen, sich der Steuerzahlung … durch legale, aber unerwünschte Umgehungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu entledigen.
„Legal, aber unerwünscht“, das ist die zentrale Aussage. Der Gesetzgeber macht schlechte Arbeit und beschwert sich dann über legale, aber unerwünschte Steuersparmöglichkeiten.
Das ist ein offensichtlicher Offenbarungseid der Politik. Sollen denn Steuerzahler sich nicht mehr daran halten, was in Deutschland legal ist, sondern daran, was Herr Steinbrück wünscht? Das ist doch kein vernünftiges Steuersystem und kein verlässliches Steuerrecht.
Wenn Sie in Zukunft vernünftige Gesetze vorlegen, die ein Konzept darstellen und mit denen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung ausgeschlossen werden sollen, dann kämpft die FDP an Ihrer Seite; das ist gar keine Frage. Aber die Einführung der Kategorie „unerwünscht“ oder „erwünscht“ in Gesetze, so wie es sich der Finanzminister vorstellt, lehnen wir ab. So kann man sich nicht aus der Verantwortung stehlen, endlich ein klar verständliches Steuerrecht aus einem Guss auf den Tisch zu legen.
Nun sollte man von einer großen Koalition eigentlich große Schritte erwarten. Aber wir bekommen von Ihnen nur Flickschusterei geboten. Ihnen fällt nichts anderes ein, als einen zerrissenen Sack immer wieder mit einem neuen Flicken zu reparieren. Zu einem Steuersystem, das endlich nicht mehr mit politischen Absichten und sich widersprechenden Gerechtigkeitsansprüchen überfrachtet ist, sind Sie schlichtweg nicht imstande. Ihre Diagnose ist richtig: Die Menschen nutzen jeden Spielraum, um die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Nur, bei der Therapie liegen Sie komplett falsch. Es sind nicht die Bürgerinnen und Bürger, Herr Steinbrück, die an den Pranger gehören.
Zu Ihrem Umgang mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten, den Sie vorhin diffamiert haben, indem Sie so locker sagten, er mache seine Arbeit nicht richtig und fahre eine Kampagne gegen Sie, muss ich sagen: Ich bin sehr froh, dass der Datenschutzbeauftragte Ihnen und Ihren Finanzbehörden im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auf die Finger schaut.
Denjenigen, die von Ihnen fordern, dass beim Vollzug der Kontenabfragen die Grundsätze unseres Grundgesetzes eingehalten werden, zu unterstellen, sie unterstützten Steuerhinterzieher, und darüber freundlich zu lächeln, ist ein Rechtsstaatsverständnis, über das man sich nur wundern kann.
Man kann die Steuerumgehung durch ein einfaches und gerechtes Steuersystem bekämpfen, ein Steuersystem, wie es die FDP vorgelegt hat und wie wir es seit langem fordern. Sie können in unseren Gesetzentwürfen nachlesen, wie man so etwas macht. Dort finden Sie praktikable Lösungen, zu deren Umsetzung Ihnen aber die Kraft fehlt, weil Sie sich nicht darauf verständigen können.
Die große Koalition der kleinen Schritte ist eine Koalition des Wankelmutes; das haben Sie mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen wieder bewiesen. Sie können sich nicht zu klaren Signalen durchringen. Deshalb bieten Sie uns ein finanz- und wirtschaftspolitisches Hin und Her. Da soll die Wirtschaft mit einem Sofortprogramm entlastet und angekurbelt werden und dann kommt die Mehrwertsteuererhöhung und macht all das wieder kaputt. Mit einem Schritt vor und zwei Schritten zurück kommen wir nicht weiter. Auch wenn Sie an der einen Stelle ein bisschen entlasten, stehen bei Ihnen unterm Strich - das wissen Sie ganz genau - massive Belastungen im Vordergrund.
Die größte Einigkeit, die wir bei dieser Koalition festgestellt haben - das hätten die Wählerinnen und Wähler von Ihnen am wenigsten erwartet -, ist die Einigkeit auf eine Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte. Obwohl die Steuereinnahmen steigen und ein Licht am Horizont erkennbar ist, nutzen Sie diese Situation nicht, um die von Ihnen geplante, völlig verfehlte Mehrwertsteuererhöhung zu überdenken. Sie passen sich der Entwicklung überhaupt nicht an und lassen der Wirtschaft keine Entwicklungsspielräume, sondern halten starr an diesem Steuererhöhungsprogramm fest, obwohl wir alle wissen, dass es für die Binnennachfrage schädlich ist und dass es sich negativ auf die Wirtschaft und natürlich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken wird.
Einem Licht am Horizont wird von Ihnen damit begegnet, Herr Steinbrück, dass Sie ihm durch Ihre Mehrwertsteuererhöhung den Strom abdrehen. Das ist kein Programm für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.
Die Kunst besteht heute nicht darin, den Menschen das Geld, das sie erwirtschaftet haben, zu nehmen und es umzuverteilen. Die Kunst und die Aufgabe, vor der diese Regierung steht, besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern einen angemessenen Teil zu belassen, damit sie die Vorsorge treffen können, zu der der Staat nicht mehr in der Lage ist, und damit die Wirtschaft wachsen kann und neue Arbeitsplätze in unserem Land entstehen. Ihre Vorschläge führen in dieser Hinsicht keinen einzigen Schritt weiter.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Scheel, der Regierungswechsel macht sich in Deutschland positiv bemerkbar. Die Verwirrung ist im Herbst gewichen, Klarheit und Perspektive haben Einzug gehalten.
Ich glaube, das ist ein Verdienst dieser Koalition.
Zu Recht ist heute früh die positive Stimmung in der Wirtschaft gelobt worden; auf die Konjunktur und das Ergebnis der Stimmungsumfragen ist hingewiesen worden. Ich glaube, wir können feststellen, dass das viel damit zu tun, dass der Wechsel von Verwirrung zu Klarheit und Verlässlichkeit bei den Menschen im Land, bei denen, die Entscheidungen treffen, angekommen ist.
Der Stimmungswechsel in Deutschland hat etwas mit den objektiven Faktoren zu tun, zum Beispiel mit dem guten Export. Der Stimmungswechsel hat aber auch etwas damit zu tun, dass die neue Regierung starkes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Das zeigt sich nicht nur daran, dass der Export gut läuft, sondern auch daran, dass die Inlandsnachfrage mittlerweile anzieht, dass die Investitionszurückhaltung überwunden scheint und dass die Menschen wieder Vertrauen in eine bessere Zukunft haben. Die Basis dafür sind der Koalitionsvertrag und diese neue Bundesregierung.
Wir diskutieren heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Dies ist Teil unseres Impulsprogrammes, mit dem wir zwei Ziele verfolgen: Erstens müssen wir versuchen, den einsetzenden Aufschwung zu verstärken, indem wir ihn an Breite gewinnen lassen und ihn dauerhaft selbsttragend machen. Zweitens geht es darum, die Wachstumsbasis unserer deutschen Volkswirtschaft nachhaltig zu stärken und dauerhaft zu festigen. 1 Prozent Potenzialwachstum ist auf Dauer zu wenig. Wir brauchen langfristig stärkere Wachstumskräfte für unsere Wirtschaft. Auch dazu werden wir einen Beitrag leisten.
Ich möchte dem einen oder anderen Redner in dieser Debatte sagen: Es bringt nichts, das Gesamtkonzept dieser Regierung auseinander zu dividieren. Wir reden über das Sparen - in der Haushaltswoche werden wir klare Worte zur Haushaltskonsolidierung sagen -, wir reden über das Investieren - das werden wir heute gemeinsam tun - und wir reden über langfristige Reformen, die in Vorbereitung sind und die wir zu gegebener Zeit, wie vereinbart, diskutieren werden. Hören Sie endlich auf, diese drei Elemente auseinander zu nehmen. Wir haben ein Gesamtprogramm und dabei sollte es auch bleiben.
Ich will ausdrücklich festhalten, dass dieses Impulsprogramm kein Konjunkturprogramm ist. Es geht zwar auch um die Stimulierung der Binnennachfrage. Aber dies allein wäre aufgrund unserer weltwirtschaftlichen Vernetzung viel zu wenig. Deshalb müssen wir uns auch mit der Frage beschäftigen: Wo können in unserem Land zusätzliche Arbeitsplätze entstehen? Mit diesem Programm haben wir versucht, eine Antwort darauf zu geben.
Ich will Ihnen einige Beispiele nennen. Wir haben in Deutschland die klassisch-mittelständischen Unternehmen. Wir glauben, dass hier sehr viel Potenzial vorhanden und mobilisierbar ist. Wir müssen den Unternehmen bei der Stärkung des Eigenkapitals und der Verbesserung der Liquidität helfen. Wir können diese Unternehmen aber nicht bis zum 1. Januar 2008, also dem Zeitpunkt, bis zu dem wir die große Unternehmensteuerreform handwerklich sauber hinbekommen wollen, vertrösten, sondern müssen ihnen für diesen Zeitraum ein Angebot machen. Dabei werden wir die Umsatzgrenze bei der Ist-Besteuerung in den neuen Ländern so beibehalten, wie sie heute existiert, und die Umsatzgrenze für die Ist-Besteuerung in den alten Ländern verdoppeln. Damit stärken wir das Eigenkapital und verbessern die Liquidität gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Jetzt kann man sagen, dass wir die Abschreibungsbedingungen im Jahr 2000 verschlechtert haben, sie nun aber wieder verbessern wollen. Wir bieten eine klare und konsistente Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 an.
- Frau Scheel, auch an dieser Stelle gilt: Diese Unternehmensteuerreform ist ein Angebot und sie wird rechtzeitig hier im Haus verabschiedet werden.
Sie wird eine klare Perspektive bieten. Wir können den Unternehmen aber nicht sagen: Bis zu dem Zeitpunkt tun wir nichts und lassen die Probleme anwachsen. Deshalb bauen wir für diese zwei Jahre eine Brücke, indem wir die Abschreibungsbedingungen verbessern. Deshalb beschließen wir das jetzt.
Der zweite Bereich, von dem wir glauben, dass dort Arbeitsplätze entstehen können, ist der Privathaushalt. Wir sind der Meinung, dass in Privathaushalten viele neue Beschäftigungsmöglichkeiten entwickelt werden können. Wir denken dabei an Kinderbetreuung sowie die Betreuung Pflegebedürftiger. Deswegen tun wir mit diesem Gesetz etwas zur Verbesserung der Situation in diesen Bereichen. Wir kümmern uns darum, die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen zu vereinfachen. Außerdem schaffen wir mit den verbesserten steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten für Handwerkerleistungen Anreize, Handwerker in Privathaushalten legal auf Rechnung arbeiten zu lassen. Dadurch werden diejenigen - das ist heute schon mehrfach gesagt worden -, die ohne Rechnung arbeiten, aus dem grauen oder schwarzen Bereich, herausgedrängt und Arbeit wird legalisiert.
Wir müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland ein Schwarzarbeitsvolumen haben, das fast so hoch ist wie das Volumen der Arbeit, die von den derzeitigen Arbeitslosen geleistet werden könnte. Dann muss man sich doch die Frage stellen, ob wir diese illegale Beschäftigung nicht in die Legalität überführen können und so auch Steuer- und Abgabenzahlungen für die Volkswirtschaft sowie vernünftige Beschäftigungsbedingungen für die betroffenen Menschen bekommen.
Ein weiterer Bereich betrifft das Thema, wie wir es schaffen, die Wachstumspotenziale unserer Wirtschaft nachhaltig zu verbessern. Es ist wichtig, dass wir uns im Sinne des Lissabonprozesses darüber klar werden, dass wir hochwertige Dienstleistungen und Produkte brauchen. Das Zeichen für Spitzenqualität im Bereich Dienstleistungen und Produkte „Made in Germany“ muss auch in Zukunft eine Chance auf dem Weltmarkt haben. Wir müssen daher verstärkt in Technologieentwicklung und Forschung investieren.
Das kann die Politik aber nicht alleine. Wir können jedoch die Wirtschaft nicht einladen, sich stärker zu beteiligen, wenn die Politik nicht ihren Beitrag leistet. Deshalb verpflichten wir uns auf das Lissabonziel und erhöhen dauerhaft den Anteil für Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die nachhaltige Stärkung unserer Wachstumsbasis, unserer Volkswirtschaft, hat auch etwas mit Mobilität zu tun. Es geht hierbei zunächst einmal nicht um die Menge an Geld, das wir bereitstellen, sondern für diejenigen, die an der Ausführung beteiligt sind, geht es zunächst einmal darum, dass wir Planungssicherheit schaffen und für Stetigkeit sorgen. Deswegen machen wir eine Vorgabe zur Festlegung der Ausgabevolumina für Infrastruktur in Deutschland für die nächsten vier Jahre. Damit sind an dieser Stelle Stetigkeit und Planungssicherheit gegeben.
Darüber hinaus werden wir das Volumen deutlich steigern und mehr Geld zur Verbesserung der Infrastruktur bereitstellen. Wir müssen uns darüber klar sein, dass Mobilität und damit auch Infrastruktur die Basis für wirtschaftliches Wachstum ist. Das gehört zusammen. Ich glaube, dass langfristig mehr Mobilität zu mehr Wachstum führt, und diese Regierung ermöglicht mehr Mobilität und damit auch mehr Wachstum.
Es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem wir versuchen, ein Zukunftsfeld zusammenzuführen: Klimaschutz sowie Arbeit in Bau und Handwerk. Wie können wir hier die Konjunktur in Gang bekommen und dadurch Arbeitsplätze schaffen? Wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen, ist der finanziell günstigste Weg, in Gebäude zu investieren. Es gibt aus finanzieller Sicht keinen günstigeren Weg, um dieses Ziel zu erreichen.
Deshalb hat diese Koalition gesagt: Wir nutzen den günstigsten Weg und legen die drei Ziele, die ich genannt habe, an dieser Stelle zusammen. Das ist zwar nicht Inhalt dieses Gesetzes, aber es gehört zum Impulsprogramm.
Dieses Impulsprogramm - eingebettet in unsere Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung und in unsere langfristigen strukturellen Reformziele - ist gut angelegtes Geld. Wir sollten nicht ständig darüber klagen, dass wir das Programm auflegen. Die Argumente für das Programm habe ich gerade vorgetragen.
Zu den langfristigen Reformzielen: Ja, wir werden zum 1. Januar 2008 eine Unternehmensteuerreform verabschieden. Wir werden in diese Unternehmensteuerreform auch die Punkte, die heute Morgen angesprochen wurden, einbeziehen, also die Besteuerung der Kapitalerträge und der Veräußerungsgewinne. An dieser Stelle wird deutlich, was diese Koalition auszeichnet, nämlich dass wir in Zusammenhängen denken und nicht in Einzelheiten und dass wir versuchen, die Probleme, die strukturell zusammengehören, gemeinschaftlich zu lösen.
Wir brauchen international wettbewerbsfähige Steuersätze. Ich möchte folgende Frage aufgreifen: Was nützt uns die Debatte über die Steuer- und Abgabequote? Die Steuer- und Abgabequote interessiert doch keinen Unternehmer in diesem Land, wenn er eine Investition tätigt oder einen neuen Arbeitsplatz schafft. Den Unternehmer in unserem Land interessiert der Durchschnittssteuersatz für sein Unternehmen. Wenn er investieren will, interessiert ihn die Grenzbelastung. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, welches Signal wir bei der Grenzbelastung setzen. Über diese Frage denkt die Koalition nach. Wir sagen: Hier muss das Signal besser gestellt werden. Wir brauchen eine niedrigere Grenzbelastung. Aber wir müssen klar und deutlich dazu sagen: Wir haben nichts zu spendieren. Das heißt, wir müssen die Entwicklung nachzeichnen, die in anderen europäischen Ländern schon stattgefunden hat: breite Bemessungsgrundlage und dafür niedrige nominale Steuersätze als attraktives Angebot an diejenigen, die in Deutschland etwas unternehmen wollen.
Wir machen nicht nur ein Angebot für Kapitalgesellschaften, sondern ein Angebot für alle Unternehmen in diesem Land: eine umfassende Unternehmensteuerreform, durch die es zu keiner unterschiedlichen Behandlung der Familien- und der Kapitalunternehmen kommt. Das, was wir beim Jobgipfel angedacht haben, war ein Notbehelf. Der würde an dieser Stelle zu kurz springen. Deshalb bin ich dafür, dass wir mutiger sind und diese umfassende Reform für alle Rechtsformen von Unternehmen zustande bringen.
Herr Kollege Wissing hat gerade beklagt, dass ihm die Zuversicht dafür fehlt, dass diese Koalition im steuerlichen Bereich zu umfassenden Reformen in der Lage sei. Ich gebe ihm die Empfehlung, den Koalitionsvertrag - ich schicke Ihnen gern ein Exemplar - zu lesen.
Darin steht, dass wir uns über die Unternehmensteuerreform, aber auch darüber hinaus über entsprechenden Reformschritte, zum Beispiel bei der Grundsteuer, verständigt haben. Diese werden wir auch umsetzen. Haben Sie etwas Zuversicht und glauben Sie an den Willen dieser Koalition, Herr Kollege Wissing.
Diese Reform braucht allerdings Zeit. Denn wir wollen keinen Schnellschuss aus der Hüfte, den wir dann wenige Monate später nachbessern; darauf hat der Herr Finanzminister heute Morgen hingewiesen. Damit würden wir keine Verlässlichkeit und kein Vertrauen schaffen. Deshalb haben wir gesagt, dass wir diesen komplexen Vorgang in Ruhe und mit aller Sachlichkeit beraten und rechtzeitig vor Inkrafttreten am 1. Januar 2008 über dieses Reformwerk entscheiden. Damit schaffen wir Vertrauen und Verlässlichkeit.
Ich möchte ausdrücklich denjenigen danken, die uns geistig zugearbeitet haben, und zwar sowohl dem Sachverständigenrat wie auch der Stiftung Marktwirtschaft. Ich denke, dadurch haben wir eine hervorragende Plattform für die Arbeit, die jetzt vor uns als Gesetzgeber liegt.
Ich bin ausdrücklich der Meinung, dass wir in diesem Zusammenhang das Problem der kommunalen Finanzreform lösen müssen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Gewerbesteuer zu einer kommunalen wirtschaftskraftbezogenen Unternehmensteuer fortzuentwickeln. Diesen Ansatz haben wir jetzt einvernehmlich von beiden Facharbeitsgruppen, sowohl dem Sachverständigenrat wie auch der Stiftung Marktwirtschaft, vorgelegt bekommen. Die Unterschiede an dieser Stelle sind marginal. Deshalb bin ich guten Mutes, dass wir gemeinsam mit den Kommunen eine für die Zukunft stetige und verlässlich kommunale Finanzreform zustande bekommen. Das hilft den Kommunen, das hilft dem Standort, das hilft den Arbeitnehmern und den Unternehmen.
Wir werden im Rahmen des Bürokratieabbaus die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren vorantreiben. Diese Koalition hat als erste nicht nur die Klage geführt, dass Bürokratielasten wachsen, sondern wir haben auch klare Vereinbarungen getroffen, wie wir diese Lasten überwinden wollen.
Ich wundere mich darüber, dass all diejenigen, die immer über zu viel Bürokratie geklagt haben, jetzt, da wir dieses Problem angehen, Klage darüber führen, all unsere Maßnahmen seien nichts Rechtes. Lassen Sie uns die Schritte, die wir vereinbart haben, doch erst einmal implementieren! Dann werden wir sehen, wie weit wir an dieser Stelle kommen. Sie sollten nicht nur in Sonntagsreden ständig Klage über die Bürokratie führen, sondern auch bereit sein, dieses Problem wirklich anzupacken. Daher sollten Sie den neuen Ansatz der Koalition unterstützen.
Meine Damen und Herren, auch beim Thema Senkung der Lohnnebenkosten bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit. Wir haben festgelegt, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2007 um 2 Prozentpunkte gesenkt wird. Der Ehrlichkeit halber haben wir auch gesagt, wie wir das finanzieren wollen: zum Teil durch Einnahmen aus Effizienzgewinnen der Bundesagentur für Arbeit, zum Teil aber auch durch Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung.
Man kann nicht nur die Senkung der Lohnnebenkosten befürworten, wenn es aber um die Mehrwertsteuererhöhung geht, still aus dem Raum gehen, weil man hier nur sehr ungern dabei ist. Ich bin der Meinung, man muss beide Aspekte gemeinsam betrachten. Auch in der Haushaltswoche, wo wir über die Haushaltskonsolidierung diskutieren werden, wird man nicht einfach sagen können: „Wir wollen das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts in Höhe von 60 Milliarden Euro beseitigen“, aber durch die Hintertür rausgehen, wenn all die anderen Maßnahmen zur Debatte stehen. Das, was zusammengehört, muss auch in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Es geht nicht, dass immer nur punktuell Klage geführt wird.
Ich will ausdrücklich unterstreichen - das ist bereits heute Vormittag gesagt worden -, dass die Wachstumskräfte in unserem Lande durch die Konsolidierung des Bundeshaushalts nachhaltig stabilisiert werden. Hier gilt der Satz des vorherigen Bundesfinanzministers: Die Schulden von heute sind die Steuern und Abgaben von morgen. - Durch die Reduzierung der Staatsschulden leisten wir also einen positiven Beitrag zur zukünftigen Entwicklung bei Steuern und Abgaben. Ich glaube, wenn wir die Haushaltskonsolidierung vorantreiben, entsteht dadurch auch ein Impuls für nachhaltiges Wachstum in unserem Land.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich auf den zweiten Gesetzentwurf eingehen, der nicht von den Koalitionsfraktionen, sondern heute Morgen von der Bundesregierung eingebracht wurde. In ihm geht es um die Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Zu diesem Gesetzentwurf will ich Folgendes sagen: Es ist ja nett, zu sagen, dass der Gesetzgeber die eine oder andere Möglichkeit geschaffen hat, die von den Steuerpflichtigen auch wahrgenommen wird; soweit ist alles in Ordnung. Wenn wir aber der Meinung sind, dass diese Möglichkeiten in Zukunft nicht mehr wahrgenommen werden sollten, dann hilft auch hier nicht die Klage. Dann müssen wir diese Möglichkeiten schlicht und ergreifend abschaffen, wie es zum Teil im vorliegenden Gesetzentwurf steht.
Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Übersicht, sondern nur um einen kleinen Ausschnitt dessen, was wir in Angriff nehmen. In den anstehenden Beratungen sind wir natürlich offen, an der einen oder anderen Stelle über Änderungen zu sprechen. Wir werden Sachverständige anhören, mit der Opposition diskutieren und versuchen, die betreffenden Regelungen geländegängig zu machen und sie so wenig bürokratieanfällig wie möglich zu gestalten, damit wir letzten Endes zu einem Ergebnis kommen, das in unsere Gesamtkonzeption passt. Hierzu lade ich Sie herzlich ein und freue mich auf die Diskussionen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Axel Troost, Fraktion Die Linke.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag ist den Bürgerinnen und Bürgern in der Tat versprochen worden: „Mit gezielten Maßnahmen wollen wir die Konjunktur in Fahrt bringen.“ Auch haben Sie sich vorgenommen, verstärkt gegen Steuermissbrauch vorzugehen. Dass an dieser Debatte gleich zwei Minister teilnehmen, die versuchen, die heute vorliegenden Gesetzentwürfe unter diesem Motto vorzustellen, ist ja schon eine ganze Menge. Aber aus Sicht der Linken muss ich sagen: Die Bürgerinnen und Bürger werden von den beiden Gesetzentwürfen, die Sie vorgelegt haben, zutiefst enttäuscht sein.
Der Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen“ hört sich klasse an.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Einen kleinen Augenblick, Herr Kollege. - Darf ich darum bitten, dass Gespräche nicht im Plenarsaal, sondern höchstens am Rande des Plenarsaals geführt werden?
Bitte schön, Herr Kollege.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Danke. - Aber wenn man sich die Gesetzentwürfe im Einzelnen ansieht, stellt man fest, dass es ausschließlich um steuertechnisches Klein-Klein geht. In der Summe sollen durch die vorgeschlagenen Maßnahmen Mehreinnahmen in Höhe von 820 Milliarden Euro erzielt werden.
Vor dem Hintergrund, dass die Einnahmeausfälle durch Steuerhinterziehung jährlich eine geschätzte Größenordnung von über 75 Milliarden Euro erreichen, sind diese Maßnahmen wirklich kein mutiger, sondern ein sehr kleinmütiger Schritt.
Und von den insgesamt erwarteten 820 Milliarden Euro entfallen alleine auf eine Maßnahme - die Steuerstundung - 500 Milliarden Euro. - Entschuldigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben von Milliarden gesprochen. Es muss natürlich heißen: Millionen. -Gestern im Finanzausschuss konnte mir niemand schlüssig erklären, wie diese Steuerstundung dauerhaft zu jährlichen Steuermehreinnahmen von 500 Millionen Euro führen soll. Insofern steht auch das, was hier vorgelegt worden ist, auf ganz wackeligen Beinen. Trotzdem sind einzelne Maßnahmen sicherlich sinnvoll; wir werden sie diskutieren und gegebenenfalls unterstützen. Aber alles in allem bleibt der Entwurf hinter unseren Erwartungen weit zurück.
Nicht anders beim Thema Konjunktur. Heute liegt der steuerpolitische Teil des Sofortprogramms für höheres Wachstum und mehr Beschäftigung vor. Nur damit sollten wir uns auch beschäftigen. Es ist ja schön, dass es später noch einen investiven Teil geben wird; aber darüber diskutieren wir schließlich in einer anderen Debatte. Wenn man sich den steuerpolitischen Teil anschaut, stellt man fest, dass die eingesetzten Instrumente wieder ausgesprochen fragwürdig sind. Aus unserer Sicht werden sie lediglich Mitnahmeeffekte bewirken. Insbesondere - auf diesen Teil entfallen 60 bis 75 Prozent des Gesamtvolumens - haben wir wieder eine Erleichterung von Abschreibungen, die letztlich dazu führen wird, dass die Kosten der Unternehmen für Investitionen gesenkt werden und die Gewinnmargen der Unternehmen steigen. Das Problem der deutschen Wirtschaft ist aus unserer Sicht aber gerade nicht, dass die Gewinnmargen zu klein wären und deswegen nicht investiert würde; das Problem ist und bleibt, dass die erwarteten Absatzchancen auf dem Binnenmarkt zu gering sind und deswegen die Investitionen ausbleiben.
Wenn Sie sich also loben, dass die Investitionen wieder angesprungen seien, muss man sagen: Sie sind trotz Ihrer Politik, nicht wegen Ihrer Politik angesprungen.
Den gesamten Haushalt 2006 zugrunde gelegt, auch die Kürzungen bei den Arbeitslosen, im öffentlichen Dienst und in anderen Bereichen, wird es kein expansiver Haushalt, sondern ein restriktiver Haushalt. Das bestätigt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Das heißt, es wird keinen Konjunkturimpuls geben, sondern wir erwarten eher weitere Einschränkungen. Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch die „Financial Times Deutschland“; sie hat ebenfalls festgestellt, dass Ihre Maßnahmen unter dem Strich nicht zu einer Expansion, sondern zu einer Schrumpfung führen werden.
Zusammenfassend aus meiner Sicht: Was Sie hier heute vorgelegt haben, folgt erneut der Philosophie: Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Das aber ist ein Märchen aus der Sammlung „Tausendundein Arbeitsloser“; daran glauben wir schon lange nicht mehr.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion.
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als jemand, der über die Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung sprechen möchte, wäre ich natürlich sehr froh, wenn dieser Gesetzentwurf dem Haushalt unserer Republik 820 Milliarden Euro bringen würde, nur, dieser Versprecher ist ja bereits korrigiert worden: Es sind 820 Millionen Euro.
Gleichwohl ist dieser Gesetzentwurf notwendig und richtig. Unser Land, Deutschland, steht vor großen Herausforderungen: Hohe Arbeitslosigkeit und noch zu schwache Binnenkonjunktur bestimmen trotz positiver Signale die Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen. Die Verschuldung aller öffentlichen Haushalte beträgt 1,4 Billionen Euro und jeder sechste Euro der Bundesausgaben wird für Zinszahlungen aufgewandt. Die Menschen erwarten jedoch - das ist heute Morgen schon angeklungen - einen handlungsfähigen Staat, sie erwarten, dass unser Gemeinwesen die Infrastruktur finanziert, Sozialleistungen bereitstellt und innere und äußere Sicherheit gewährleistet. Deshalb ist es an der Zeit, Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben, aber auch einen kritischen Blick auf Ungereimtheiten im Steuerrecht zu werfen. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die erfolgreiche Praxis der Schließung von Steuerschlupflöchern fort.
Ein starker Staat kann nur dann Schutz bieten, wenn er die Auswüchse, die in der Praxis entstanden sind, beseitigt. In einem modernen und leistungsfähigen Staat ist es daher Pflicht, dafür zu sorgen, dass jeder nach seiner Fähigkeit und nach seiner Stärke zum Wohle des Ganzen beiträgt. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, eine faire Verteilung der Chancen und Möglichkeiten zu gewährleisten. Mit dem Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen, das ich soeben angesprochen habe, ist ein guter Entwurf gelungen, um mehr Steuergerechtigkeit im Sinne des Zusammenhalts und der Solidarität der Menschen in unserem Staat zu verwirklichen.
Zurzeit gibt es in Deutschland ein lukratives Steuermodell, durch welches in unseren Ländern Steuerausfälle in Höhe von Hunderten Millionen Euro jährlich entstehen. Bei diesem Modell beteiligen sich Kapitalanleger unter Ausnutzung der Gewinnermittlungsvorschriften gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes an einer so genannten gewerblich geprägten Gesellschaft, die zum Beispiel im Wertpapierhandel tätig ist. Dies hat zur Folge, dass das investierte Kapital als Betriebsausgabe deklariert und als Verlust mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden kann, obwohl es in Form der Wertpapiere noch vorhanden ist. Gleiches gilt für Steuerpflichtige, die im gewerblichen Grundstückshandel tätig werden wollen und Grundstücke erwerben, dessen Wert sie voll als Betriebsausgabe absetzen können. Das ist ungerecht. Diese Lücke wollen wir schließen.
Wir planen daher, die Berücksichtigung der Anschaffungs- und Herstellungskosten erst zum Zeitpunkt der Veräußerung bzw. Entnahme zu gestatten und damit die bislang gegebenen Steuerstundungseffekte abzuschaffen.
In diesem Zusammenhang nehmen wir auch die Äußerung des Bundesrates - zuletzt in seiner Sitzung am 10. Februar dieses Jahres - sehr ernst. Um nämlich der Ausnutzung weiterer Steuerstundungseffekte vorzubeugen, ist in der Tat zu überlegen, ob auch der Ankauf von Wirtschaftsgütern, die in dem Katalog der Bundesregierung bislang nicht genannt worden sind, unter eine Neuregelung fällt. In Betracht kämen Edelmetalle, Gold und auch Rohstoffe, die in großen Mengen auf dem Markt zur Verfügung stehen und kurzfristig weiterverkauft werden können. Wir werden auch die Anregung prüfen, bei dem Betriebsausgabenabzug nicht auf den Veräußerungszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt des Zuflusses des Veräußerungserlöses abzustellen.
Darüber hinaus wollen wir dafür sorgen, dass die handelsrechtliche Praxis zur Bildung von Bewertungseinheiten für die steuerliche Gewinnermittlung bei so genannten Grund- und Sicherungsgeschäften weiterhin das Maß aller Dinge ist. Damit wirken wir einer weiteren Differenzierung von Handels- und Steuerrecht entgegen. Das ist eine gute Nachricht für Unternehmen, wird doch dadurch der Verwaltungsaufwand, den eine steuerliche Einzelbewertung von Grund- und Sicherungsgeschäften nach sich ziehen würde, in erheblichem Umfang vereinfacht. Eine schlechte Nachricht ist das allerdings für die Unternehmen, die daran gedacht haben, mit dieser Möglichkeit zu spielen.
Außerdem kommen wir in diesem Gesetz auch an der Regelung der Besteuerung der privaten Nutzung von Kraftfahrzeugen unter Anwendung der 1-Prozent-Regelung nicht vorbei. Das Problem ist, dass es durch die Ausweitung der Zulässigkeit der Bildung von gewillkürtem Betriebsvermögen bei Kraftfahrzeugen mit geringer betrieblicher Nutzung Fälle gibt, in denen der Wert der privaten Nutzung pro Monat mit 1 Prozent des Listenpreises zu ungerechtfertigten Vorteilen des Steuerpflichtigen führt, weil der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Möglichkeit von einer hohen betrieblichen Nutzung ausgegangen war. Diese Steuerlücke ist ungerecht. Auch sie werden wir schließen.
Daher werden wir bei dem infrage stehenden Personenkreis die Möglichkeit der 1-Prozent-Regelung auf Fahrzeuge des so genannten notwendigen Betriebsvermögens zu beschränken haben, also auf die Fälle, bei denen eine betriebliche Nutzung von mehr als 50 Prozent festzustellen ist. Eine Regelung des so genannten Dienstwagenproblems, das heißt der privaten Nutzung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einschließlich Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften, ist mit dieser Lösung allerdings nicht - noch nicht - verbunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Gerichtshof hat fast auf den Tag genau vor einem Jahr entschieden, die gängige Praxis der Umsatzbesteuerung von zugelassenen öffentlichen Spielbanken im Gegensatz zu umsatzsteuerpflichtigen gewerblichen Glücksspielanbietern zu untersagen, und darauf verwiesen, eine derartige Ungleichbehandlung sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar.
Mit dem vorliegenden Entwurf tragen wir diesem Monitum der Rechtsprechung Rechnung und schließen eine entstandene Besteuerungslücke.
Last, but not least wird - das als Kleinigkeit am Rande - mit dem Gesetzentwurf auch die entgeltliche Weitergabe von Tankbelegen als Steuerordnungswidrigkeit geahndet. Es ist schon wirklich interessant, mit welcher Fantasie im Zeitalter des Internets versucht wird, auf der einen Seite durch Verkauf der Belege Kapital zu erwirtschaften, welches in der Regel nicht versteuert wird, und auf der anderen Seite illegal Belege zu erwerben, um das zu versteuernde Einkommen künstlich zu senken. Ich kann dazu nur sagen und Ihnen versichern: Mit der gleichen Fantasie, wie sie bei solchem Missbrauch zutage tritt, werden wir dieser Gestaltung entgegentreten und alles tun, um ein faires Steuerrecht zu schaffen, damit - da wiederhole ich mich gerne - der Ehrliche nicht der Dumme bleibt.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich auf die Gesetzentwürfe beziehe, möchte ich zu der Debatte eines sagen: Man kann Ihnen von hier aus prophezeien, dass Ihnen bei der Unternehmensteuerreform nicht der große Wurf gelingen wird. Allein die Aussagen, die wir hier zur Gewerbesteuer gehört haben, sind derart unterschiedlich, dass ich wirklich gespannt bin, wie Sie die Unternehmensteuerreform und die Reform der kommunalen Finanzen auf den Weg bringen wollen. Wir werden darüber noch diskutieren. Aber man muss kein Prophet sein, um schon heute zu sagen, dass dies kein großer Wurf werden wird.
Die große Koalition hat nach heftigen Gefechten im zweiten Anlauf die steuerliche Förderung von Wachstum und Beschäftigung auf den Weg gebracht. So wie das gelaufen ist, hat das doch viel über den Zustand der Koalition ausgesagt. Nun liegt ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen vor. Es handelt sich im Wesentlichen um die Ausweitung dessen, was wir bereits in der letzten Legislaturperiode umgesetzt haben. Aber es gibt große Unterschiede: Anstatt einfacher, machen Sie es komplizierter. Anstatt transparenter, machen Sie es intransparenter. Anstatt gerechter, machen Sie es ungerechter.
Dem gemeinsamen Ziel, das Steuerrecht zu vereinfachen, kommen Sie mit diesem Gesetzespaket nicht näher. Ich möchte das am Beispiel der Ausweitung der Steuerermäßigung bei haushaltsnahen Dienstleistungen deutlich machen. Im Grundsatz gilt: je einfacher, desto wirksamer. Aber diesem Anspruch werden Sie nicht gerecht. Vielmehr schaffen Sie Abgrenzungsprobleme und Mitnahmeeffekte. Interpretationsspielräume tun sich auf. Nach welchem Kriterium grenzen Sie Handwerkerleistungen ab? Was ist absetzbar, was ist nicht absetzbar? Was sind nach Ihrer Definition handwerkliche Tätigkeiten? Gilt der Eintrag in die Handwerksrolle? Fragen über Fragen, die Sie in diesem Gesetzentwurf nicht beantwortet haben. Ich gehe davon aus, dass Sie hier noch nachbessern werden. Bei diesem Gesetz springen Sie wieder zu kurz. Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, Veränderungen vorzunehmen, um diese Abgrenzungsproblematik zu vermeiden.
Sie versprechen sich von dieser Maßnahme - das ist das Entscheidende - eine Verringerung der Schwarzarbeit und wollen mit diesem Gesetzentwurf der Schwarzarbeit etwas entgegensetzen. Aber mit der Mehrwertsteuererhöhung ab 2007 konterkarieren Sie dieses Ziel in zweierlei Hinsicht: Erstens. Die Handwerksarbeit wird noch teurer und der Weg in die Schwarzarbeit wieder attraktiver. Zweitens. Wenn Sie schon den zweifelhaften Weg wählen und die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöhen, dann nutzen Sie diese Einnahmen wenigstens für die Senkung der Lohnnebenkosten, und zwar die kompletten Einnahmen. Damit erreichen Sie nämlich, dass Arbeit billiger wird, womit Sie dem Ziel, die Schwarzarbeit einzudämmen, tatsächlich näher kommen. Das wären die richtigen, größeren Schritte.
Ich habe vorhin gesagt, dass die Neuregelung bei den Handwerkerleistungen kompliziert ist. Dies ist aber nichts im Vergleich zu dem, was Sie uns hinsichtlich der Absetzbarkeit der Kosten für die Kinderbetreuung vorschlagen. Nach Ihrem Vorschlag können zukünftig Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, rückwirkend vom 1. Januar dieses Jahres an die Kosten für die Betreuung ihrer Kinder bis 14 Jahren vom ersten Euro an steuerlich absetzen, aber nur zwei Drittel der Kosten bis maximal 4 000 Euro. Wenn nur ein Elternteil berufstätig ist, dann gilt diese steuerliche Begrenzung für Kinder zwischen drei und sechs Jahren.
So etwas Kompliziertes habe ich noch nicht erlebt. Vor allem geht es völlig an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei.
Nehmen wir einmal folgenden Fall: Ein junges Paar mit abgeschlossener Ausbildung, aber leider Vertreter der „Generation Praktikum“ - das ist heute ziemlich üblich: berufs-, aber nicht erwerbstätig -, hat zwei Kinder, die zwei und fünf Jahre alt sind. Nach der Hälfte ihres Praktikums wird die Mutter vom Betrieb übernommen, der aber leider ein halbes Jahr später in Konkurs geht, sodass sie ihre Stelle verliert.
Sind Sie in der Lage, mir zu erklären, welche Ausgaben in diesem durchaus realistischen Fall absetzbar sind? Die Kitagebühren für die Kleine? Die Kindergartenbeiträge für den Älteren? Für den ganzen Zeitraum, also auch für die Praktikumszeit? Was Sie da auflegen, ist ein Steuerberaterbeschäftigungsprogramm; es ist kompliziert und geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Man kann nicht einmal von kleinen Schritten reden. Es wird geholpert und gestolpert und damit werden Sie auf die Nase fallen.
Ich begrüße es, dass der Finanzminister vorhin über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geredet hat. Für uns Grüne ist es völlig klar, dass der Ausbau der frühkindlichen Betreuung ein entscheidender Punkt ist. Es ist volkswirtschaftlicher Unsinn, wenn wir es uns leisten, dass gut ausgebildete junge Frauen - sie haben häufig die besseren Abschlüsse - zu Hause bleiben müssen, wenn sie Kinder bekommen, weil sie keinen Betreuungsplatz finden. Dass diese Frauen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, ist blanker volkswirtschaftlicher Unsinn. Deswegen ist der Ausbau der frühkindlichen Betreuung eines der wichtigsten Ziele unserer Gesellschaft. In diesem Punkt müssen Sie etwas auf den Weg bringen. Dabei können Sie mit unserer Unterstützung rechnen.
Was Sie aber jetzt zur steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten auf den Weg gebracht haben, ist zu kompliziert. Wir werden eigene Vorschläge einbringen und hoffen, dass Sie uns darin folgen werden.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion.
Antje Tillmann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Einen Teil der heutigen Debatte könnte man unter das Motto „Wer das Ziel nicht kennt, darf sich nicht beklagen, dass er den Weg nicht findet“ stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Sie haben heute sehr viele Themen angesprochen, von der Haushaltskonsolidierung über eine Umsatzsteuererhöhung und die Steuersätze bis hin zur Unternehmensteuerreform. Sie haben aber sehr wenig über den vorliegenden Gesetzentwurf gesprochen.
Seien Sie sicher: Alle Themen, die Sie zu Recht ansprechen, werden in den nächsten Wochen hier diskutiert werden, zum Beispiel die Haushaltskonsolidierung im Rahmen der Haushaltsberatungen. Die Unternehmensteuerreform wird zum 1. Januar 2008 kommen. Ich bin optimistisch, dass wir das erreichen werden. Ich kann Sie nur auffordern, dieses Vorhaben mitzutragen.
Aber worum geht es heute? Was ist das Ziel des von uns eingebrachten Gesetzentwurfs? Es geht um die Stärkung der Wachstumskräfte durch die Wiederbelebung der Investitionstätigkeit, die Gewährung von Liquiditätsvorteilen der Unternehmen im Wege des Steuerrechts, die steuerliche Förderung der privaten Haushalte, um neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, sowie um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Verbesserung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten.
Dass Sie auf diese Ziele nicht eingegangen sind, macht mir Mut. Ich erwarte freudig Ihre Zustimmung zu dem Antrag; denn keiner von Ihnen hat sich gegen die degressive AfA ausgesprochen. Keiner von Ihnen hat festgestellt, dass er die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten nicht will.
Jedem Ihrer Beiträge kann man eigentlich nur den Satz folgen lassen: „Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu“.
Es würde mich freuen - ich bin sehr gespannt -, wenn Sie das im Laufe der Debatte auch tatsächlich tun.
Lassen Sie mich nun auf die einzelnen Ziele zu sprechen kommen. Das erste Ziel ist die Berücksichtigung erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten. Es mag zwar sein, dass dabei ein gewisser Sinn für Steuersystematik erforderlich ist, aber die Tatsache, dass wir erstmalig Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten und Betriebsausgaben anerkennen wollen, muss als Erfolg gewertet werden.
Zum ersten Mal gibt der Gesetzgeber zu, dass Kinderbetreuungskosten keine außergewöhnlichen Belastungen, sondern eine Voraussetzung dafür sind, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Man kann zwar bemängeln, dass die Kinderbetreuungskosten nicht in voller Höhe und nur bis maximal 4 000 Euro absetzbar sind. Aber wir werden sehen, was noch möglich ist. Ich bin optimistisch, dass dieser erste Schritt dazu beitragen wird, dass die Kinderbetreuungskosten in Zukunft weiter absetzbar werden.
Das zweite Ziel betrifft die Berücksichtigung nicht erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten. Dieser Teil der Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten passt nicht ganz in das Konzept; ich gebe das offen zu. Aber ich bin froh, dass wir heute in erster Lesung über den vorliegenden Kompromissvorschlag und nicht über den Gesetzentwurf in der Fassung von Genshagen diskutieren, obwohl in wirtschaftspolitischer Hinsicht das, was dort beschlossen wurde, mit Sicherheit der richtige Weg gewesen wäre. Wenn wir aber das Wahlrecht der Familien wirklich ernst nehmen, wenn wir wollen, dass die Eltern entscheiden, wie sie ihre Kinder betreuen lassen, dann müssen wir auch akzeptieren - das tue ich aus voller Überzeugung -, dass sich manche Eltern dazu entscheiden, ihre Kinder selber zu betreuen, und dafür - ganz oder teilweise - auf ein Gehalt verzichten, sich also selber beschränken. Wenn wir das akzeptieren und fördern wollen, dann müssen wir es ermöglichen, dass die Kosten der Kinderbetreuung, die durch Eigenorganisation der Eltern geleistet wird, ähnlich steuerlich abzugsfähig sind wie die Kosten der erwerbsbedingten Kinderbetreuung. Deswegen ist der Kompromiss richtig.
Mit diesem Gesetz nehmen wir in der Summe 1,26 Milliarden Euro in die Hand, um private Haushalte und Familien zu fördern. Wir können daher unmöglich einen Gesetzentwurf verabschieden, über den 70 Prozent der Familien sagen könnten: Dieses Gesetz ist für mich ungerecht. - Deswegen, glaube ich, ist der vorliegende Gesetzentwurf trotz seiner Kompliziertheit richtig.
Im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf ist uns vorgehalten worden, er sei wegen des Eigenanteils bei den Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1 000 Euro sozial ungerecht und benachteilige Geringverdienerhaushalte. Eines sollte uns klar sein: Wir sprechen heute über ein Steuergesetz. Solchen Gesetzen ist immanent, dass sich mit ihnen soziale Probleme bei Geringstverdienern nicht lösen lassen, weil nur derjenige Steuern spart, der zuvor Steuern gezahlt hat. Das ist im Steuerrecht so. Wenn man Geringstverdiener und ihre Familien begünstigen will, dann muss man das im Sozialgesetzbuch und nicht im Steuerrecht regeln. Es steht Ihnen, liebe Kollegin von der Linken, frei, einen eigenen Gesetzentwurf mit entsprechender Zielsetzung auf den Weg zu bringen. Wir werden mit Ihnen darüber hier mit großer Freude diskutieren.
Heute sprechen wir aber über Steuergesetze. Das dritte Ziel ist: Wir sehen im Bereich der steuerlichen Abzugsbeträge Vergünstigungen für Privathaushalte vor. Wir haben erstmalig die private Pflege in den Begünstigungskatalog aufgenommen. Zudem begünstigen wir steuerlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse oder Minijobs, die im Haushalt geschaffen werden. Lassen Sie mich zu der Neiddebatte noch eines sagen: Ich persönlich kann nichts Schlimmes daran finden, wenn sich ein gut verdienendes Ehepaar eine Kinderbetreuung leistet, damit einer Arbeitnehmerin ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und gleichzeitig Zeit dafür hat, sich selber um die Kinder zu kümmern. Wir reden über sozial problematische Familien ständig unter dem Aspekt, dass diese kein Geld haben. Aber seien wir doch ehrlich - wir müssen nur auf uns selber schauen -, soziale Probleme haben durchaus auch gut verdienende Familien. Wenn eine Mutter, die 40 bis 60 Stunden arbeitet, eine Haushälterin hat, damit sie abends eine Stunde mit ihrem Kind spielen kann, dann, finde ich, ist das familienpolitisch richtig und wir sollten das unterstützen.
Ein Vorwurf ist zutreffend - das sage ich ganz offen -: Dem Ziel, ein einfacheres Steuerrecht zu schaffen, sind wir mit diesem Gesetz nicht näher gekommen.
Liebe Kollegin Andreae und Frau Kollegin Scheel, ich habe schon gestern im Finanzausschuss gesagt, dass ich nicht ganz sicher bin, ob Ihre Aussage stimmt, dass die Bürger ein einfaches, durchsichtiges Steuerrecht haben wollen. Die Debatte über die Kinderbetreuungskosten hat sehr deutlich gezeigt, dass der Hang zur Einzelfallgerechtigkeit in Deutschland überdurchschnittlich groß ist.
Deshalb mache ich mir große Sorgen - das gebe ich gerne zu - hinsichtlich der geplanten Unternehmensteuerreform, die am 1. Januar 2008 in Kraft treten soll. Wir haben gemeinsam noch einiges bei den Bürgerinnen und Bürgern zu leisten. Mein Lieblingsmodell - sehr hohe Freibeträge, bei denen auch die Kinderbetreuungskosten berücksichtigt werden, bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze - zeigt zwar, dass wir Familien begünstigen. Aber wir sind damit noch nicht am Ziel. Wir haben noch gemeinsam Aufgaben zu erledigen. Ich würde mich freuen, wenn Sie unser Konzept einer Unternehmensteuerreform unterstützten.
Das vierte Ziel unseres Konzepts zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung ist die Verbesserung der Liquidität kleiner Unternehmen. Auch diesem Ziel wird der Gesetzentwurf gerecht. Durch die Anhebung der Bemessungsgrundlage bei der Mindest-Istbesteuerung verbessern wir die Liquidität der Unternehmen, insbesondere der kleinen und mittelständischen, weil sie die Umsatzsteuer erst dann abführen müssen, wenn ihre Rechnungen bezahlt worden sind. Das ist in den neuen Bundesländern schon seit einiger Zeit so. Das hat den dort tätigen Unternehmen geholfen. Ich finde, es ist richtig, dass dieser Grundsatz nun auf die alten Bundesländer übertragen wird; denn auch die Kleinunternehmer in den alten Bundesländern können selbstverständlich Liquiditätsprobleme haben.
Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, eine Unternehmerfeindlichkeit an den Tag legen, die kaum noch zu übertreffen ist, ist nichts Neues. Aber dass Sie behaupten, dass der kleine Handwerksbetrieb so exorbitante Gewinne hat, dass er auf die degressive Abschreibung verzichten kann, finde ich schon ein bisschen absurd. Ich hoffe, dass Sie das im Rahmen der Debatte überdenken; denn diese Forderung ist gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen erhoben worden. Wir kommen dem entgegen. Wir erhöhen die Liquidität durch Abschreibungsvereinfachung.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir heute die Debatte beginnen, also noch die Möglichkeit haben, das eine oder andere Knirschen im Gesetz über die Anhörung in den Griff zu bekommen.
Wir haben über dreißig Sachverständige eingeladen, mit uns über dieses Gesetz zu diskutieren. Wir werden die Vorschläge der Sachverständigen ernst nehmen. Liebe Kollegen der FDP, wir tun das deswegen, weil wir das Steuergesetz nicht alle naselang ändern wollen. Wir wollen es besser machen als manche Regelungen, die auch unter Ihrer Mitwirkung ins Steuergesetz gekommen sind.
- Ich war noch nicht dabei, aber das können wir später diskutieren.
Wir wollen, dass dieses Gesetz stimmig ist. Wir werden das zusammen mit den Sachverständigen erreichen. Ich glaube, wir werden dann auch das Ziel Wachstum und Beschäftigung erreichen.
Danke schön.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Lydia Westrich, SPD-Fraktion.
Lydia Westrich (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich darf noch einmal zum schönsten Teil dieser zwei Gesetzentwürfe sprechen, zur Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Wir als Koalitionsfraktionen haben zwar eine lange Diskussion gehabt, insgesamt aber einen guten Gesetzentwurf vorgelegt.
Auch Sie von der Opposition, Christine Scheel und Kerstin Andreae, hätten das schon gerne früher verwirklicht. Ich bin richtig froh, dass wir es jetzt in der großen Koalition verwirklichen konnten. Das ist ein guter Schritt für die Familien.
Sie von der FDP und den Grünen mögen über diese komplizierte Lösung herziehen;
aber wir haben es mit diesen Regelungen wirklich geschafft, allen steuerpflichtigen Familien, die Aufwendungen für Kinderbetreuung haben, künftig deutlich mehr Geld in die Hand zu geben.
Die Vielfalt der Lebensplanungen macht einen Reiz in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft aus. Uns als Staat obliegt es, den Müttern und Vätern bei ihren Lebensplanungen zu helfen und nicht zu dirigieren. Wir helfen ihnen auf verschiedenste Weise. Ich erinnere an die Erhöhung des Kindergeldes, die Steuersenkungen und das Ganztagsschulprogramm. Das ist nicht ganz ohne. Überall in unseren Wahlkreisen weihen wir neue Ganztagsschulen ein. Oft steht „Land sowieso“ darauf, aber es steckt unser Geld darin und es steckt unsere Idee dahinter.
- Dahinter steckt natürlich immer der Steuerzahler. - Wir haben das TAG gemacht, wir haben den Anstoß für eine familienfreundliche Politik in der Arbeitswelt gegeben und wir haben die lokalen Bündnisse. Das ergibt ein gutes Fundament, auf das wir heute einen weiteren Stein setzen, worauf ich stolz bin.
Es gibt eine Steuersenkung in Höhe von 460 Millionen Euro, die vor allem Müttern und Vätern zugute kommen wird, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Frau Tillmann hat schon gesagt, dass wir mit der Veränderung von der außergewöhnlichen Belastung zu den Werbungskosten einen Zeitensprung erreicht haben. Wir alle haben in unseren Parteiprogrammen immer gesagt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie an erster Stelle stehen soll.
In diesem Gesetz haben wir erstmalig festgeschrieben, dass Kinderbetreuungskosten erwerbsbedingt sein können. Sie sind bei erwerbstätigen Eltern und Alleinerziehenden Betriebsausgaben und Werbungskosten. Ich bin sehr froh, dass das im Gesetz festgeschrieben ist. Vielleicht erinnern Sie sich noch, Frau Scheel: Vor zehn Jahren haben Wissenschaftler das bei Finanzminister Theo Waigel vorgebracht. Dieser hat das in den Papierkorb gesteckt. Wir haben das jetzt verwirklichen können.
Es ist unser Wunsch und unser Wollen, das wir in die Praxis umsetzen.
Pro Kind sind zwei Drittel der Betreuungskosten bis maximal 4 000 Euro als Werbungskosten oder Betriebsausgaben steuerlich absetzbar. Das bedeutet, dass zwei Drittel der Kosten für einen Kindergarten oder eine Tagesmutter abgesetzt werden können. Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch geringe Kinderbetreuungskosten abgesetzt werden können. Ich will an dieser Stelle unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Nicolette Kressl ganz herzlich danken: Sie hat die Drittelungsregelung angeregt und so dafür gesorgt, dass auch Eltern mit geringeren Betreuungskosten in den Genuss von Steuersenkungen kommen können.
Das war nicht selbstverständlich; dazu war ein langer Kampf notwendig. Ich will hinzufügen, dass dies - das müssen auch Sie zugeben - der verwaltungstechnisch einfachste Teil der neuen Regelung ist. Zwei Drittel der Betreuungskosten für Kinder bis 14 Jahren sind bis maximal 4 000 Euro steuerlich absetzbar. Wie viel das im Einzelfall ist, kann wohl jeder ohne einen Steuerberater ausrechnen.
Der Rest ist tatsächlich etwas komplizierter. Paare, bei denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist, können für Kinder im Kindergartenalter ebenfalls Kinderbetreuungskosten steuerlich geltend machen, nicht als Werbungskosten, sondern als Sonderausgaben, aber unter den gleichen Bedingungen. Wir haben hier oft genug darüber geredet - erst letzte Woche wieder -, wie wichtig die Betreuung von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren ist. Wir begrüßen es, dass möglichst alle Kinder in den Genuss des Angebots der Kindertagesstätten kommen. Deswegen sollen alle Familien von der steuerlichen Absetzbarkeit profitieren dürfen.
Familien mit einem erwerbstätigen Elternteil, deren Kinder jünger als drei oder älter als sechs Jahre sind, können ihre Kinderbetreuungskosten wie bisher als Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen nach § 35 a EStG geltend machen.
Frau Andrae hat schon Recht: Das ist kompliziert. Aber das war schon vorher so. Es ist also kein neuer Tatbestand, der in das Gesetz eingefügt wird.
Auch das muss man noch einmal ganz deutlich sagen. Wir selbst haben gemeinsam für diese Kompliziertheit gesorgt. Wir wollen die Lebensplanungen von Familien unterstützen und wir wollen Familien nicht dirigieren.
Wir haben mit diesem Gesetz Steuersenkungen in Höhe von insgesamt 460 Millionen Euro für Familien auf den Weg gebracht. Wir werden im Bereich Betreuung - davon bin ich überzeugt - eine Menge neue Beschäftigungsverhältnisse ermöglichen. Wir leisten endlich einen guten Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit diesem Gesetz werden die Koalitionsfraktionen einen weiteren Stein auf das gute Fundament, das sie zusammen gelegt haben, setzen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, dass wir ein Elterngeld einführen möchten. Wir werden es schaffen, dafür zu sorgen, dass der Besuch von Kindergärten kostenfrei ist. Außerdem werden wir dafür sorgen, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten noch einfacher ist.
Wir werden zusammen den Weg in ein kinderfreundliches Land fortsetzen. Ich denke, dass alle Fraktionen daran interessiert sind, dabei mitzuarbeiten. Ich würde mich sehr freuen, wenn uns das im Endeffekt gelänge.
Vielen Dank.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile nun das Wort Kollegen Rainer Wend, SPD-Fraktion.
Dr. Rainer Wend (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach gut zwei Stunden dieser Diskussion, die sich nicht nur um die vorliegenden Gesetzentwürfe, sondern allgemein um finanzpolitische, steuerpolitische und wirtschaftspolitische Fragen gedreht hat, können wir schon feststellen, dass wir uns über die zwei großen Ziele, nämlich Wachstum anzuregen und den Haushalt zu konsolidieren, weitgehend einig sind.
Wenn es aber um die Instrumente zur Erreichung dieser Ziele ging, dann sind aus meiner Sicht nicht nur Meinungen aufeinander gestoßen; vielmehr haben wir zum wiederholten Male zwei in sich geschlossene Ideologien kennen gelernt, denen wir nach meiner Überzeugung nicht folgen dürfen.
Da ist zunächst die Position der FDP, die durch den Kollegen Thiele vertreten wurde. Er sagt uns, wir müssten die Steuern nur genug senken, wir müssten die Sozialleistungen des Staates nur genug kürzen, dann springe sozusagen automatisch die Konjunktur an und belebe sich die Wirtschaft.
Ich sage Ihnen: Dieses neoliberale Konzept schafft nicht nur den Sozialstaat ab; es macht den Staat auch handlungs- und investitionsunfähig.
Wer den Staat handlungsunfähig macht, führt uns in eine Rezession, aus der man nur schwer wieder herauskommt. Diese Politik kann die große Koalition nicht unterstützen.
Das zweite ideologische Weltbild wurde von der Linkspartei durch den Kollegen Lafontaine vorgestellt und ist sozusagen das umgekehrte Extrem: Man müsse die Steuern nur genug erhöhen, dann würden wir, so sagte er wörtlich, in Geld schwimmen und weiter keine Probleme mehr haben, Bildung und Investitionen zu finanzieren. - Wer dieses umgekehrte ideologische Weltbild pflegt, verkennt die Gesetze der globalisierten Wirtschaft, schwächt uns im Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften und das Ende vom Lied ist die Vernichtung von Wachstum und Beschäftigung. Deswegen kann die große Koalition auch diesem Kurs nicht folgen.
Was wir an dieser Stelle versuchen, entspricht keinem geschlossenen Weltbild. Ich räume ein: Über jeden einzelnen unserer Punkte kann man kontrovers diskutieren. - Wir haben aber den Versuch unternommen, Ihnen für dieses und das nächste Jahr insgesamt etwas vorzulegen, von dem wir glauben, dass es die Bedingungen am Standort Deutschland verbessert:
In diesem Jahr steht die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten an. Eben wurde auf Folgendes hingewiesen: Die Istbesteuerung wird in Zukunft großzügiger ermöglicht. Der Privathaushalt als Arbeitgeber wird gefördert. Die Finanzierungsbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen werden verbessert. Ein Gebäudesanierungsprogramm wird aufgelegt. Mehr öffentlich-private Partnerschaften werden begründet. Das ist eine Politik, die versucht, wirtschaftliche Belebung zu erzeugen.
Im nächsten Jahr steht die Konsolidierung der Haushalte an. Wir wissen, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht unproblematisch ist, senken aber gleichzeitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte und damit die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent.
Im Jahr 2008 steht die große Unternehmensteuerreform an. Ich kann alle die verstehen, Frau Kollegin Andreae, die Zweifel daran haben, ob man das vernünftig hinbekommt. Das wird auch kein einfacher Schritt sein. Ich will es nur an einem Beispiel darlegen. Wir reden immer davon, dass wir die kleinen und mittleren Unternehmen, die eigentümergeführten Unternehmen unterstützen wollen. Jawohl! Wenn wir aber den von manchen Sachverständigen für Körperschaften und Einzelunternehmen vorgeschlagenen einheitlichen Steuersatz von 30 Prozent einführten, belasteten wir in erheblichem Umfang kleinere und mittlere Unternehmen zusätzlich,
weil sie nämlich jetzt weniger als 30 Prozent Steuern zahlen. Probleme sind also ohne Zweifel da. Deswegen muss man sich Zeit lassen, um zu versuchen, diese Probleme vernünftig zu lösen. Die Zeit haben wir, wenn wir eine Neuregelung zum 1. Januar 2008 auf den Weg bringen.
Also: keine ideologischen Weltbilder bei der großen Koalition, Schritt für Schritt vorwärts gehen, eine klare Perspektive, ein Gesamtkonzept. Wenn ich mir vor Augen führe, wie die Wirtschaft darauf reagiert, dann können wir, glaube ich, optimistisch sein. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sagte wörtlich:
Für 2006 sind die Vorzeichen so günstig wie seit fünf Jahren nicht mehr.
Lassen Sie uns das doch nutzen, indem wir weiter hart arbeiten und keine ideologischen Weltbilder verkaufen!
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/643 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie den Haushaltsausschuss zu überweisen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/634 und 16/520 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf:
Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Aktuelle Situation zur Vogelgrippe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 14. Februar, kurz nach 19 Uhr, wurde die Bundesregierung unterrichtet, dass nach einer Laboruntersuchung von zwei Schwänen das Vogelgrippevirus H5N1 auch in Deutschland angekommen ist. Auch wenn der Kontrollbefund durch das EU-Referenzlabor noch nicht vorliegt, gehen wir davon aus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dieses bei Tieren hoch aggressive Virus H5N1 hierzulande vorhanden ist.
Wir haben es mit einer gefährlichen Tierseuche zu tun, die, wie die weltweite Erfahrung zeigt, auch potenzielle Gefahren für Menschen birgt. Bei dieser sehr ernsten Lage gibt es nur eine Antwort, meine Damen und Herren, nämlich rigoros und konsequent gegen diese Tierseuche vorzugehen und dabei der Sicherheit für Menschen oberste Priorität einzuräumen.
Der Schutz der Menschen steht an erster Stelle. Deshalb müssen wir die Menschen immer und immer wieder aufklären, wie sie sich selbst vor dieser Krankheit schützen können. Weltweit gibt es keinen Beleg für die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch, aber sehr wohl für die von Geflügel auf Menschen. Eine solche Übertragung können die Menschen vermeiden, indem sie keinen engen und intensiven Kontakt zu Geflügel halten. Deshalb auch heute wieder die Empfehlung an die Menschen, sich von Geflügelhaltungen fernzuhalten, an die Geflügelhalter die Empfehlung, die ja auch rechtlich niedergelegt ist, konsequent und ausnahmslos sowie mit größter Sorgfalt alle Hygienemaßnahmen wie zum Beispiel das Tragen von Schutzkleidung zu beachten und betriebsfremde Personen von den Geflügelställen fernzuhalten, und an alle die Empfehlung, keine Privatentsorgung von totem Geflügel und bei erkennbaren Krankheiten keine Privattherapie vorzunehmen, sondern sofort die Behörden zu unterrichten, damit sie sich um diese Fälle kümmern können. Das ist der beste Schutz, den die Menschen selbst gegen dieses Virus ergreifen können. Ich appelliere auch von dieser Stelle an die Eltern, ihre Kinder über die Gefahren aufzuklären, damit Kinder totes Geflügel nicht anfassen. Vielmehr sollten diese ihre Eltern und diese dann die Behörden informieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Wir haben auch Geflügelmärkte und Geflügelausstellungen in Deutschland verboten. Sie stellen nämlich potenzielle Drehkreuze für die Weitergabe des Virus dar. Ich kann hier sagen, meine Damen und Herren, dass wir Geflügelausstellungen und -märkte ohne Ausnahme verboten haben. Das ist wichtig, denn in der Vergangenheit waren Ausnahmen möglich. Jetzt gibt es ausnahmslos keine Geflügelausstellungen und -märkte mehr in Deutschland.
Der erste und wichtigste Punkt ist der Schutz der Menschen vor diesem Virus. Ich bin, meine Damen und Herren, kein Anhänger von Panikmache. Deshalb sage ich auch deutlich, es gibt keinen Beleg für eine Übertragbarkeit von Mensch auf Mensch, aber es gibt weltweit viele Belege für die Übertragbarkeit von Tier auf Mensch. Deshalb kommt es auch auf das verantwortungsvolle Verhalten der Menschen selbst an. Ich bitte alle Menschen, sich an diese Hinweise zu halten, und insbesondere die Geflügelhalter, die Hygienebestimmungen konsequent einzuhalten.
Die zweite wichtige Aufgabe ist, alles Erdenkliche zu tun, damit dieses Virus, das im Moment in der Wildvogelpopulation vorhanden ist, nicht in die Nutztierhaltung eingetragen wird. Das hängt wiederum mit dem Schutz der Menschen zusammen; denn ein Eindringen des Virus in die Nutztierhaltung erhöht auch die Gefahr für die Menschen, jenseits der ökonomischen Auswirkungen auf die Geflügelhaltung.
Deshalb gilt unser zweites Augenmerk, übrigens seit vielen Monaten, der Frage: Wie können wir verhindern, dass das Virus von Wildvögeln auf Nutztiere übertragen wird? Da ist weltweit im Moment die Stallpflicht für Geflügel die wirksamste Maßnahme. Die Stallpflicht ist auf Rügen, wo die Wildvogelfunde waren, mit sofortiger Wirkung angeordnet worden. Das ist EU-Recht und seit langem vorbereitet. Es gibt eine Sperrzone und eine Beobachtungszone; die Sperrzone beträgt 3 Kilometer, die Beobachtungszone 10 Kilometer. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat - wir werden es hören - die Sperrzone sogar ausgedehnt. In der Sperrzone gilt das Aufstallungsgebot sofort. Bundesweit ist es heute veröffentlicht worden und wird morgen - die Anordnung ist mit Strafe bewehrt - in Kraft treten. Aber dort, wo das Geflügel aufgefunden wurde und der starke Verdacht auf die Virusinfektion aufgetreten ist, gilt das Aufstallungsgebot sofort.
In den Sperr- und Beobachtungszonen sind die Behörden unterwegs, um klinische Befunde bei der Nutztierhaltung zu erheben. Denn jetzt ist es auch sehr wichtig, dass wir in dem Fall, dass die Weitergabe des Virus verdeckt erfolgt ist, sehr schnell entdecken, ob und wo die Nutztierhaltung betroffen ist. Deshalb besteht EU-weit die Regelung, dass in den Sperrzonen nicht nur für eine bestimmte Zeit ein Verbringungsverbot gilt, sondern dass auch sehr konsequent eine Identifizierung betrieben wird, bis hin zu den Kleinsttierhaltern, und eine Desinfektion der Ein- und Ausgänge der Ställe in der Sperrzone erfolgt. Für gleichermaßen wichtig halte ich, dass die Veterinäre klinische Befunde erheben, damit in dem Fall, dass sich der Virus ausgebreitet hat, sehr früh ein Virusherd in der Nutztierhaltung erkannt wird.
Nach dem Schutz für die Menschen ist also die zweitwichtigste Maßnahme, zu verhindern, dass das Virus von den Wildvögeln auf die Nutztiere übertragen wird, im Interesse der Geflügelhalter, der Tiere, aber auch der Menschen, für die das die potenziellen Gefahren erhöhen würde.
Der dritte Punkt ist die Beobachtung und Beprobung der Wildvögel. Epidemiologisch und seuchenpolitisch ist es ganz wichtig, sich sehr viel Klarheit über das Geschehen zu verschaffen. Deshalb sind wir in dem Fall von Mecklenburg-Vorpommern dazu übergegangen, die Laboruntersuchungen von toten Vögeln unmittelbar in unserem bundesdeutschen Referenzlabor in Riems, dem Bundesinstitut für Tiergesundheit, durchzuführen. Bisher war es so, dass das über die Landesuntersuchungsämter lief und erst, wenn der erste Screeningtest zu Ergebnissen geführt hat, die Weitergabe an das Referenzlabor in Riems erfolgt ist. Wir haben gestern mit dem Personal von Riems 40 tote Schwäne und andere Vögel in dieses Institut befördert. Dort ist man zur Stunde dabei, die Untersuchungen durchzuführen. Das verschafft uns schneller Gewissheit. Es soll auch zeigen, dass die Bundesregierung es mit ihren Hilfsangeboten gegenüber den betroffenen Ländern ernst meint. Wir werden heute im Laufe des Tages zu den 40 Proben erste Erkenntnisse bekommen.
Ich sage hier ganz offen: Nach all den Geschehnissen und der Dynamik bei der Ausbreitung dieses Virus weltweit rechnen wir mit weiteren Fällen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir erleben jetzt offensichtlich eine Ausbreitung in die nordischen Länder. Sehr dynamisch ist die Ausbreitung nach Süden, nach Österreich, Slowenien, Italien, Griechenland. Ich persönlich gehe nach Rücksprache mit unseren Experten und mit Wissenschaftlern davon aus, dass wir auch in der Bundesrepublik Deutschland mit weiteren Fällen zu rechnen haben. Die Beobachtung und die Beprobung der Wildvögel sind für die Tierseuchenbekämpfung ungeheuer wichtig, um sich möglichst frühzeitig ein klares Bild von dem Geschehen zu verschaffen.
Hinsichtlich des Schutzes der Menschen möchte ich noch Folgendes sagen: Auch wir haben jetzt eine Hotline geschaltet - für die Bundesländer wurde eine Hotline von Mecklenburg-Vorpommern eingerichtet -, weil es sehr viele konkrete Fragen aus der Bevölkerung, beispielsweise von Hunde- und Katzenhaltern, gibt. Es gibt Fragen, wie man bezogen auf die Ernährung mit Geflügel umgeht. Ich möchte an dieser Stelle öffentlich mitteilen, dass die Bevölkerung durch Anrufen dieser vom Bundesverbraucherschutzministerium geschalteten Hotline die Gelegenheit hat, mit Spezialisten über Detailfragen, die für das praktische Leben von Bedeutung sind, zu sprechen und entsprechende Informationen einzuholen. Denn auch die Information gehört zu einer erfolgreichen Bekämpfung. Nur mit ausreichenden Informationen kann man eines solchen Geschehens Herr werden.
Der vierte Punkt. Wir haben es mit einer weltweiten Entwicklung zu tun. Vor wenigen Wochen erfolgte die Ausbreitung nach Afrika. Ich möchte darauf hinweisen, dass eine solche weltweite Entwicklung nur durch eine intensive internationale Zusammenarbeit zu beherrschen ist. Wir arbeiten mit der Weltgesundheitsorganisation und natürlich auch mit der Europäischen Union zusammen. Gestern und heute kamen alle Spezialisten aus Europa zusammen. Nächsten Montag wird sich der Agrarrat in Brüssel treffen, um sich mit dem aktuellen Geschehen in Europa zu beschäftigen.
Auch wenn im Moment das Schwänesterben in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund steht, so möchte ich dennoch heute darauf hinweisen, dass es drei Gefährdungsstränge gibt, die wir gleichermaßen im Blick behalten müssen. Wir dürfen nämlich nicht glauben, dass die anderen Gefährdungsstränge in den Hintergrund treten, nur weil wir es jetzt mit einem Schwänesterben zu tun haben.
Ich weise darauf hin, dass nach allen Risikoanalysen der Spezialisten die Rückkehr der Zugvögel - nach allgemeiner Erfahrung findet sie Anfang März bis Ende April statt; aber je nach Witterungsbedingungen kann sie auch früher stattfinden - nach wie vor ein hohes Risiko darstellt. Angesichts der neuen Virusfunde sind alle Rückkehrrouten der Zugvögel für uns außerordentlich bedeutsam geworden: die Rückkehrroute aus Richtung Südosteuropa wegen der Fälle in der Türkei, die Rückkehrroute aus Richtung Südwest wegen der Fälle in Afrika und Spanien und die Zentralroute über Italien wegen der Fälle in diesem Land. Aufgrund der Rückkehr der Zugvögel ist die Aufstallungspflicht unausweichlich. Indem wir sie jetzt in Kraft gesetzt haben, haben wir mehr Sicherheit geschaffen. In den nächsten Wochen müssen wir nicht pausenlos die Witterungsbedingungen und das Rückkehrverhalten der Zugvögel beobachten.
Ein sehr hohes Risiko stellt auch der Waren- und Reiseverkehr aus Befallgebieten dar. Nach wie vor ist die Quote der Beschlagnahmungen von Geflügel und von Geflügelprodukten hoch. Deshalb wird die Bundesregierung - das haben wir schon vor einigen Wochen in die Europäische Union mit großer Unterstützung vieler Mitgliedstaaten eingebracht - die Kommission am Montag drängen, endlich eine Entscheidung hinsichtlich der Kontrollen an den Außengrenzen der Europäischen Union zu treffen. Wenn im Inland bei Kontrollen auf Straßen und Flughäfen illegal eingeführtes Geflügel und illegal eingeführte Geflügelprodukte beschlagnahmt werden müssen, dann deutet das darauf hin, dass die Kontrollen an den Außengrenzen der Europäischen Union nicht dicht genug organisiert sind.
Die entsprechenden Bemühungen müssen verstärkt werden.
Die deutsche Regierung hat ebenfalls den Vorschlag gemacht - auch da hoffe ich, dass wir nächste Woche zu einer Entscheidung kommen -, eine Deklarationspflicht beim Waren- und Reiseverkehr, wie wir sie von anderen Kontinenten kennen, einzuführen. Menschen, die einreisen wollen, sollen eine Selbstdeklaration abgeben, dass sie verbotenes Geflügel und verbotene Geflügelprodukte nicht mitführen.
Ich glaube, auch dieses Vorgehen ist dazu geeignet, die Menschen stärker aufzuklären; denn es ist natürlich mit Informationen verbunden. Gerade die Information und die Aufklärung sind ein ständiger Prozess. Wir dürfen nie glauben, dass wir damit fertig sind. Wir müssen die Informationen immer wieder auffrischen und erneuern. Dazu brauchen wir die Unterstützung der Medien, der Fluglinien und der Reisebüros, damit die Menschen wissen, was gilt und woran sie sich zu halten haben.
Ich verweise auf die Problematik der Verstärkung der Forschung. Auch diese muss europaweit vorangetrieben werden.
Zur Tierimpfung möchte ich sagen: Wir haben es im Moment mit einer Tierseuche zu tun, die in der Wildvogelpopulation vorkommt. Wir haben darüber gestern im nationalen Krisenrat sehr intensiv diskutiert. Bei den für Tiere verfügbaren Impfstoffen besteht im Moment das Problem, dass die Krankheit, wenn Tiere geimpft werden, verdeckt wird. Auch nach einer Impfung ist es möglich, dass ein Tier das Virus trägt und weitergeben kann, aber selbst nicht erkrankt. Deshalb haben diejenigen Länder, vor allem die Chinesen, die die Impfung betrieben haben, das Seuchengeschehen eher vergrößert; denn sie haben die Krankheit, die weitergetragen werden kann, verdeckt. Deshalb besteht hier ganz entschiedener Forschungsbedarf.
Ich möchte Ihnen sagen, dass wir nachdrücklich darauf dringen - wir tun dies auch bei uns im Bundesinstitut -, die Forschung voranzutreiben, um vielleicht in absehbarer Zeit einen Markerimpfstoff zur Verfügung zu haben. Dieser hätte dann den Vorteil, dass durch eine serologische bzw. eine Blutuntersuchung festgestellt werden kann, ob ein Tier, das geimpft worden ist, das Virus in sich trägt. Die Wissenschaftler sagen mir, dass sie nach heutigem Stand wohl noch zwei Jahre brauchen, um über seriöse Grundlagen für einen Impfstoff zu verfügen. Wir werden die Anstrengungen enorm verstärken, damit es zu einem früheren Zeitpunkt einen Markerimpfstoff gibt, der das Problem der heutigen Impfung aufhebt, nämlich dass ein Tier das Virus trägt und es weitergeben kann, aber nicht daran erkrankt. Das ist das heute bei der Impfung bestehende Problem.
Wir werden darüber am Montag auch im Agrarrat weiterreden. Denn es ist ähnlich wie bei anderen großen Entwicklungen und Seuchen: Je mehr sich international um dieses Thema kümmern, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir weiterkommen. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass unsere Wissenschaftler und unser Bundesinstitut in Deutschland sich intensiv darum kümmern, die bei den Tieren bestehende Impfproblematik zu einem guten Ergebnis zu führen.
Wir brauchen das auch deshalb, weil wir bei aller rigorosen und konsequenten Vorgehensweise nicht davon ausgehen können, dass wir dieses Geschehen in wenigen Wochen überwunden haben werden. Wenn wir im Frühjahr und im Herbst nicht immer wieder über die Stallpflicht, über entsprechende Fristen und zeitliche Korridore diskutieren wollen, müssen wir eine Strategie entwickeln, welche Alternative es zu der Pflicht, Tiere im Stall zu halten, gibt.
Deshalb ist die Forschung bezüglich der Fortentwicklung der Impfmöglichkeit sehr wichtig. Es sollte sich dabei aber um eine seriöse, belastbare Impfung handeln und nicht um eine Impfung, die nur die Gefühle beruhigt, uns aber in der Praxis nicht nach vorne bringt.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Der Schutz der Menschen steht an erster Stelle. Die Menschen selbst können durch verantwortliches Verhalten eine ganze Menge dazu beitragen. Das Fernhalten von Geflügel und das Vermeiden von engerem und intensivem Kontakt mit erkrankten Tieren sind der beste Schutz für die Menschen. Zur Beantwortung der vielen Einzelfragen sind auf Bundes- und Länderebene Hotlines eingerichtet worden.
Zweitens. Die Übertragung des Virus von Wildvögel auf Nutzgeflügel muss durch die Aufstallung und die Einrichtung von Sperrzonen an Fundorten vermieden werden. Betriebe, die Nutztiere halten, werden stärker reglementiert.
Schließlich ist die internationale Zusammenarbeit wichtig, die alle Gefährdungsstränge zum Inhalt haben muss. Dabei geht es um Kontrollen des Waren- und Reiseverkehrs, die Zugvögelproblematik, die durch die Ausbreitung der Krankheit nach Afrika größer geworden ist, die Eigendeklaration und die intensive Forschung bezüglich der Tierimpfung.
Aufgrund der aufgefundenen Schwäne stellt sich natürlich die Frage nach den Ursachen für die Geschehnisse in Italien, in Griechenland und jetzt auch im Norden unseres Landes, auf Rügen. Ich wiederhole hier, was ein Wissenschaftler im Krisenstab gestern darauf schlicht und einfach gesagt hat: Wir wissen es nicht.
Ich empfehle allen, die sich mit diesem Thema intensiver beschäftigen, keine Anekdoten oder Vermutungen zu verbreiten, sondern sich auf seriöser wissenschaftlicher Basis zu bewegen. Vor wenigen Tagen wurde in der Öffentlichkeit noch die Behauptung vertreten, Ursache sei die Nord-Süd-Wanderung der Tiere wegen des kalten Winters. Das kann nicht ernsthaft aufrechterhalten werden. Jetzt lautet die Argumentation, es habe eine Ost-West-Wanderung gegeben. Es gibt auch die Spekulation, das Virus sei schon länger im Lande, allerdings verdeckt. Ich empfehle, wie wir es als Bundesregierung überhaupt halten, uns nach den Expertenmeinungen zu richten, weil nur so adäquate Maßnahmen möglich sind.
Wir haben gestern den nationalen Krisenstab einberufen. Er besteht nach einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern seit vielen Jahren. Ihm gehören Vertreter aller Bundesländer an - sie waren auch alle anwesend -, aber auch Vertreter der Geflügelwirtschaft. Ich darf dem Parlament mitteilen, dass die rechtlichen Vorsorge- und Schutzmaßnahmen, die im Kern seit August des letzten Jahres in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa gelten - eine Vielzahl der von mir geschilderten Maßnahmen sind europaweit festgelegt und werden in allen Ländern Europas gleichermaßen gehandhabt - und für deren nationale Umsetzung die Bundesregierung verantwortlich ist, begrüßt worden sind. Es gab keinen einzigen Vorschlag für eine Ergänzung oder eine Verstärkung dieser Maßnahmen; auch das ist wichtig. Es gab eine sehr lange sachliche Diskussion ohne jede Parteipolitik. Ich wiederhole hier, was ich gestern gesagt habe: Wir haben als Bundesregierung die Aufgabe der Koordinierung und der Unterstützung und ich biete jedem Betroffenen größtmögliche Hilfe an.
Es gibt übrigens auch eine Vereinbarung zwischen den Bundesländern, nach der in dem Fall, dass ein Bundesland aufgrund seiner Kapazitäten überfordert sein sollte, jederzeit andere Bundesländer unterstützend eingreifen. Diese Notwendigkeit ist im Krisenstab bis gestern Abend in diesem aktuellen Fall nicht benannt geworden. Ich biete hier aber noch einmal ausdrücklich unsere Hilfe an. Wir sind als Bundesregierung zu jeder in unseren Kräften liegenden Unterstützung bereit, beispielsweise beim Personal oder bei der Logistik. Wir nehmen unsere Aufgabe der Koordination sehr ernst. Ich werde morgen mit dem Kollegen Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern das betroffene Gebiet und die Krisenstäbe im Kreis und im Land Mecklenburg-Vorpommern besuchen, um dieses Angebot zur Hilfe und zur Koordinierung zu untermauern.
Meine Damen und Herren, wir haben es mit einer gefährlichen Tierseuche zu tun und, wie die weltweite Entwicklung zeigt, auch mit potenziellen Gefahren für die Menschen, was die Übertragbarkeit vom Tier auf den Menschen betrifft. Deshalb wiederhole ich, was ich eingangs gesagt habe: Wir gehen rigoros und konsequent nach der obersten Regel „Im Zweifel für die Sicherheit“ vor. Ich habe Verständnis für die wirtschaftlich betroffenen Geflügelhalter, die sich gestern im nationalen Krisenstab im Übrigen außerordentlich verantwortungsbewusst geäußert haben. Dafür möchte ich mich noch einmal bedanken.
Sie haben die Maßnahmen ausdrücklich für notwendig erklärt und auch begrüßt. Das ist angesichts ihrer ökonomischen Betroffenheit keine Selbstverständlichkeit und zeigt, dass dort ein hohes Maß an Verantwortung vorhanden ist.
Ich habe angesichts der ökonomischen Auswirkungen dieser Maßnahmen gerade für die Großgeflügelhalter Verständnis. Aber ich wiederhole, was ich gestern am Schluss der Krisenstabssitzung gesagt habe: Wir müssen über diese ökonomischen Betroffenheiten diskutieren. Aufgrund der aktuellen Geschehnisse muss aber die Sicherheit der Menschen und des Nutzgeflügels an erster Stelle stehen. Sicherheit geht im Moment vor Ökonomie. Hier bitte ich um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundeskanzlerin! Sehr geehrter Herr Minister Backhaus! Wir freuen uns über die Regierungserklärung - nicht über den Anlass, sondern über die Art und Weise, mit der wir uns mit diesem Thema befassen. Wir unterstützen alle klugen und sinnvollen Maßnahmen, die Herr Seehofer zum Teil angesprochen hat. Ich sage „zum Teil“, weil ich noch einige Ergänzungen vornehmen möchte.
Wir haben diese sehr konsequente Linie im Ausschuss erarbeitet, bis hin zum Kampf um inhaltliche Darstellungen, während andere sich mit diesem Thema schon gar nicht mehr beschäftigen wollten, wie in der gestrigen Ausschusssitzung. Wir erheben in dieser Frage einen sehr hohen fachlichen und sehr hohen fachwissenschaftlichen Anspruch. Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen wissen, wie wir sie schützen und wie sie sich selbst zu schützen haben.
Wir stellen aber auch fest, dass das, was wir zu transportieren versuchen, in der konkreten Situation zerschlagen wird. Es ist absolut unerklärlich, dass die Schwäne noch immer vor der Insel Rügen liegen. Es ist absolut unerklärlich, dass Menschen - insbesondere Kamerateams und Touristen - ungehindert durch Absperrungen bis zu den Tierkörpern vordringen konnten. Es ist absolut unerklärlich, dass sich die Diagnosedauer über mehrere Tage hinzog, sodass auch Professor Kurth vom Robert-Koch-Institut sagt: Ich habe mich gewundert, dass dies so lange dauert. Das ist natürlich nicht ideal.
Herr Minister Seehofer, Sie mahnen zu Recht die Eltern und erteilen ihnen den Auftrag, ihren Kindern das Notwendige zu sagen. Die Eltern werden damit aber Schwierigkeiten haben, wenn sie gleichzeitig feststellen müssen, dass wir mit dem Verbot des Zugangs zu den toten Schwänen so lax umgehen, wie sich das hier dargestellt hat.
Ich weiß, das Ganze ist in der Sache schwierig. Es ist aber absolut unerträglich, dass die Botschaft der Bundesregierung zerrissen ist. Herr Seehofer sagt: Die Vogelgrippe ist eine gefährliche Tierseuche mit potenziellen Gefahren für den Menschen. Das ist richtig. Frau Schmidt jedoch sagt: Es gibt keine Gefährdung. Es bleibt eine reine Tierseuche. Diese Position ist falsch.
- Genau das haben Sie gesagt.
Vogelgrippe hat durch Anpassung auch schon zu Todesfällen bei Menschen geführt. Natürlich sind wir von der Mutation des Virus und damit der Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch Gott sei Dank noch ein Stück entfernt. Pandemieprobleme haben wir noch nicht. Aber vor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung - ich weiß nicht, ob Sie die Gelegenheit hatten, heute Nacht eine hoch informative Fernsehsendung zu diesem Thema zu verfolgen - ist die Frage an die Bundesregierung zu richten: Was gilt denn nun? Was ist Ihr Handlungsstrang? Denken Sie, es ist eine reine Tierseuche wie Schweinepest oder Maul- und Klauenseuche? Oder ist es vielleicht doch eine Seuche, bei der man im Grunde genommen davon ausgehen kann, dass sie auf den Menschen übertragbar ist und übertragen wird und damit die Gefahr der Pandemie mit dieser Geflügelseuche ganz unmittelbar verbunden ist?
Herr Minister, wir brauchen in diesem Bereich absolut passgenaue Informationen. Wir brauchen keine Aktionen, sondern klare Informationen an die Nutztierhalter, an die Hobbytierhalter, an die Reisenden. Es gibt einen Fall, in dem diese Krankheit auf einen Menschen nicht nach Berührung mit Tieren, sondern durch Geflügelkot übertragen worden ist. Wir müssen das in unseren Überlegungen berücksichtigen. In diesem Bereich sind Ihre Antworten zum Teil doch sehr dürftig.
Es ist richtig, dass wir mehr forschen müssen. Ich bin darüber betroffen, dass die vorliegenden Forschungsergebnisse und Informationen aus Ländern wie Belgien, den USA, Großbritannien und den Niederlanden kommen und dass wir anscheinend nicht genügend für die Forschung getan haben. Wir müssen uns in diesem Bereich verbessern.
Ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass wir alle den Wunsch haben, ideologische Grabenkämpfe zu beenden. Liebe Frau Kollegin Höhn, Sie haben heute gesagt, -
- ja, das habe ich gemacht, da können Sie ganz sicher sein - sofortige Stallpflicht in Mecklenburg-Vorpommern sei Aktionismus. Das enttäuscht mich zutiefst - so werden Sie wörtlich zitiert. Ich habe alle Meldungen dabei.
So habe ich Sie heute Morgen auch eindeutig im Frühstücksfernsehen gehört. Es ist unerklärlich, dass Sie eine solche Position einnehmen.
Sie wissen das. Sie können mich gleich in Ihrer Rede korrigieren. Hören Sie endlich damit auf, eine bestimmte Klientel, die auf Freilandhaltung setzt und möglicherweise Ihre Wähler sind, zu bedienen.
Sorgen Sie vielmehr dafür, dass die Viruskette unterbrochen wird. Sie wird durch Aufstallung unterbrochen. Das sagt Ihnen jeder, der sich mit dieser Sache beschäftigt.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Kollege Goldmann, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Ich komme zum Schluss. - Wir dürfen vor dem Ausmaß der Bedrohung nicht die Augen verschließen. Wir dürfen nicht bei der Stallpflicht stehen bleiben. Wir werden alle klugen und fachlich begründeten Aktionen, Maßnahmen der Information und der fachlichen Verbesserung aktiv begleiten. Im Vordergrund müssen die Menschen stehen. Es ist zudem ein Problem mit außerordentlich großen wirtschaftlichen Auswirkungen.
Herzlich Dank.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Ulla Schmidt.
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussagen des Kollegen Goldmann können hier nicht unwidersprochen bleiben.
Jenseits der Tatsache, dass ich mir wünschen würde, dass sich Abgeordnete, wenn sie hier im Deutschen Bundestag Behauptungen darüber aufstellen, was andere gesagt haben, umfassend informieren, möchte ich betonen, dass es in der Bundesregierung keine Differenzen über die Frage gibt, wie gefährlich das Virus ist und wie gefährdet die Menschen in Deutschland sind. Genau wie der Kollege Seehofer habe auch ich immer wieder deutlich gemacht, dass allein der Tatbestand, dass das hoch pathogene Virus H5N1 bei Wildschwänen auf der Insel Rügen gefunden wurde, keine Veränderung der Gefährdungssituation der Menschen in Deutschland bedeutet. Wir sind nach wie vor in Phase 3, die die Weltgesundheitsorganisation definiert hat, also einer Phase, in der keine Gefährdung für Menschen besteht, es sei denn, dass ein enger Kontakt zwischen infiziertem Geflügel und Menschen stattfindet.
Deswegen, Herr Kollege Goldmann, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Aussagen des Kollegen Seehofer von mir hundertprozentig unterstützt werden - wir sind uns in dieser Frage einig - und dass wir beide die Maßnahmen, zum einen die Aufstallungspflicht und zum anderen die Warnhinweise, eingeleitet haben, durch die versucht wird, den direkten Kontakt von Menschen mit infiziertem Geflügel zu verhindern. In der Einschätzung der Gefährdungssituation sind wir einer Meinung. Ich behaupte nach wie vor: Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass das Virus effizient von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Aber es gibt kein Nullrisiko.
Deshalb wiederhole ich hier den Hinweis. Wir fordern alle Menschen auf: Wenn ihr tote und kranke Vögel, Geflügel oder Wildschwäne findet, haltet euch bitte von diesen fern und ruft die entsprechenden Behörden an. Wenn es keinen direkten Kontakt gibt, besteht im Moment keine Infektionsgefahr.
Danke schön.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Kollege Goldmann, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Sehr verehrte Frau Ministerin, ich habe Tiermedizin studiert und passe, wenn es um solche Begriffe geht, sehr genau auf. Sie haben eben wieder etwas vermischt - ich weiß nicht, ob Sie das mit Absicht tun; man könnte auch etwas anderes annehmen -:
Ich habe überhaupt nicht davon geredet, dass der vorhandene Virustyp H5N1 von Mensch zu Mensch übertragbar ist.
Wir sollten einmal rekapitulieren, wie die Situation ist - Sie kennen sie ja -:
Erstens. H5N1 nennt man einen mutierten Virustyp, der eine Pandemie auslösen kann. Klar ist: Je mehr Viren vom Typ H5N1 in der Welt herumschwirren, desto größer ist die Gefahr, dass es zu einer Pandemie kommt.
Zweitens. Sie behaupten, es handele sich bei diesem Virustyp um eine Tierseuche. Als Tierarzt kann ich Ihnen sagen: Die Schweinepest ist eine Tierseuche, weil sie - Gott sei Dank! - nicht auf den Menschen übertragbar ist. Sie ist, wie der Name Schweinepest sagt, eine Pest der Schweine. Bei der Geflügelpest ist die Situation eine andere: Das Geflügelpestvirus H5N1 kann sich an den Organismus des Menschen anpassen. Aufgrund seiner Aggressivität, die ja bekannt ist, kann dieses Virus zum Tod von Menschen führen, wie es in der Türkei und in anderen Ländern bereits der Fall war.
Jetzt komme ich zum springenden Punkt: Sie haben gesagt, die Situation habe sich nicht verändert. Ich dagegen sage: Doch, die Situation hat sich verändert. Denn nun ist der Kontakt mit infizierten Tieren, zu dem es in Deutschland bisher nicht kommen konnte, auch hierzulande möglich, zum Beispiel auf der Insel Rügen und eventuell auch an anderen Orten, wie es Herr Seehofer vorhin beschrieben hat.
Vor diesem Hintergrund ist Ihre Einschätzung, dass wir noch die Möglichkeit haben, die Entstehung einer Pandemie zu vermeiden, richtig. Aber ich kann Ihnen nur empfehlen, sich auch mit den Aussagen, die Vertreter der WHO heute getroffen haben, zu beschäftigen. Dann werden Sie nämlich feststellen, dass höchster Alarm geboten ist. Deswegen ist Ihre Aussage, die Leute sollten zwar vorsichtig sein, sich aber nicht massiv betroffen fühlen, weil es sich ja nur um eine Tierseuche handele, aus meiner Sicht fachlich falsch. Sie trägt nicht zur Beruhigung, sondern eher zur Verunsicherung der Menschen bei.
Frau Schmidt, Sie sollten Ihre Aussage korrigieren und genau das sagen, was auch Herr Seehofer ausgeführt hat - denn seine Aussage ist fachlich richtig -: Es handelt sich um eine Tierseuche mit der Potenz der Übertragbarkeit auf den Menschen.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile noch einmal Bundesminister Horst Seehofer zu einem kurzen Nachtrag das Wort.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Anschluss an meine Rede eine Mitteilung vom Friedrich-Loeffler-Institut erhalten, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte - damit Sie nicht glauben, ich hätte in meiner Rede etwas unterschlagen -: Das Friedrich-Loeffler-Institut hat jetzt endgültig bestätigt, dass die zwei untersuchten Schwäne tatsächlich mit dem hoch pathogenen H5N1-Virus infiziert waren und dass es sich bei diesem Virus um einen Subtypen handelt, den man erstmals im letzten Jahr bei Wildvögeln in China registriert hat.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Blumentritt, SPD-Fraktion.
Volker Blumentritt (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, zur Aufklärung und Beruhigung der Bevölkerung haben Sie nicht gerade beigetragen.
Zunächst möchte ich mich ganz herzlich für die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen bedanken, die in der Öffentlichkeit auf eine sehr positive Resonanz gestoßen sind. Die Wiedereinführung der Stallpflicht im gesamten Bundesgebiet vorzuziehen, ist sicherlich eine geeignete Maßnahme, um die Situation in den Griff zu bekommen.
Weit schwieriger erscheint es im Augenblick, die Bevölkerung im Rahmen einer angemessenen Informationspolitik umfassend und ehrlich zu informieren. Hier bewegen wir uns in einem Bereich, der nicht allein durch Maßnahmen der Bundesregierung zu beherrschen ist. Daher richte ich an dieser Stelle den klaren Appell an alle Medien, in ihrer Berichterstattung verantwortungsbewusst zu verfahren; ich bitte darum, diesem Appell zu entsprechen.
Für die Bevölkerung besteht derzeit absolut keine Gefahr - dies bestätigt insbesondere das Robert-Koch-Institut - und dies bleibt so, wenn wir das Hausgeflügel schützen. Diese und keine andere Botschaft gilt es zu vermitteln.
Doch die Menschen haben im Augenblick Angst vor einer Ansteckungsgefahr. Durch gezielte Aufklärung sowie umfassende Information sollten wir die Bevölkerung davon überzeugen, dass keine Ansteckungsgefahr besteht und dass der Verzehr von Geflügelfleisch nicht gesundheitsgefährdend ist. Aufklärung ist gefragt, nicht irreführende Information. Wir brauchen klare Anweisungen wie zum Beispiel:
Die Vogelgrippe ist eine Tierseuche!
Berühren Sie keine verendeten Tiere!
Verständigen Sie die Behörden, wenn Sie verendete Tiere finden!
Importieren Sie kein Geflügel und keine Geflügelprodukte, wie zum Beispiel Federn, aus betroffenen Ländern!
Vermeiden Sie vorübergehend den direkten Kontakt durch Anfassen von Geflügel!
Mit solchen sachlich fundierten Informationen kann die Bevölkerung etwas anfangen; sie gehören meines Erachtens jeden Tag in die Presse.
Öffentliches Spekulieren über die Möglichkeit von Pandemien und ihre Folgen vermag vielleicht notorischen Pessimisten und Freunden schwarzer Zukunftsszenarien Genugtuung bereiten, dient jedoch nicht der Sache: einer angemessenen, verständlichen Aufklärung unserer Bevölkerung.
Meine persönliche Bitte an die Presse lautet: Ehrlich und sachlich fundierten Journalismus betreiben, Verzicht auf jeglichen Schlagzeilenaktionismus, der die Ängste der Menschen schürt.
Die Einrichtung eines Bürgertelefons am Robert-Koch-Institut für eine umfassende Aufklärung oder Internetseiten über Schutzmaßnahmen geben denjenigen, die mehr Informationen brauchen oder wollen - ob Insider oder andere -, die Möglichkeit, mehr zu erfahren - zu welcher Stunde auch immer. Nicht nur für die privaten Verbraucher, sondern auch für die Geflügelindustrie spielt Aufklärung eine besondere Rolle. Dabei geht es auch um den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Während wir uns in den Diskussionen um Gammelfleisch und verdorbenes Wildfleisch vorwiegend auf nationalem Terrain bewegten, handelt es sich bei der Vogelgrippe um ein Problem mit Ursachen und Ausmaßen, die uns global denken und handeln lassen müssen. Eines sollte allen Beteiligten klar sein: Eine perfekte Koordination und Handlungskompetenz im direkten Umfeld oder sogar EU-weit kann den Problemen vor Ort entgegenwirken und die Bevölkerung vorübergehend schützen. Schon jetzt wird allerdings nur allzu deutlich, dass weltweit bereits sehr viele betroffen sind und dass ihnen geholfen werden muss. Dies ist insbesondere wichtig, um uns perspektivisch selber helfen zu können.
Ursachenbekämpfung ist gefragt. Denn eines ist sicher: Der nächste Vogelzug kommt bestimmt. Wenn wir zukünftig nicht zweimal im Jahr in bangem Warten verharren wollen, um hoffentlich jedes Mal erleichtert seufzend aus der Sache herauszukommen, müssen wir über den eigenen Tellerrand hinausblicken und handeln - vor Ort, zum Beispiel in Südostasien. Es hilft wenig, angesichts der Missstände dort zu sagen: Schaut auf uns in Deutschland, so müsst ihr es machen! - Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unsere gesundheitlichen Standards, unsere veterinärmedizinischen Anforderungen und Kenntnisse, zum Beispiel das Aufstallen, nichts mit den Realitäten in den betroffenen Ländern zu tun haben und kaum übertragbar sind. Unser Know-how ist gefragt. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, darauf hinzuwirken, dass unsere Standards im Umgang mit dieser Seuche weltweit üblich werden. Daraus ergibt sich für mich als eine der wichtigsten Herausforderungen: Wir müssen Strategien erarbeiten, um eine Ursachenbekämpfung vor Ort zu ermöglichen und voranzutreiben. Nur durch weltweit einheitliche Standards wird es uns in Zukunft gelingen, derartige Epidemien von Pandemien zu minimieren, vielleicht sogar vollkommen zu bannen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Kollege Blumentritt, das war Ihre erste Rede. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für Sie!
Ich erteile das Wort Kollegin Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Um es vorwegzuschicken: Auch wir wollen keine Panikmache, im Gegenteil; denn Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Bezüglich der aktuellen Infektionsgefahr für den Menschen muss in der öffentlichen Debatte aber daran gedacht werden: Bei 7 000 bis 13 000 Todesfällen jährlich infolge humaner Influenzaviren allein bei Menschen in der Bundesrepublik relativieren sich die bislang 79 Todesopfer durch H5N1 weltweit. Sie sind aber Anlass genug - auch hinsichtlich der Pandemiegefahr -, den humanmedizinischen Aspekt in dieser Diskussion niemals aus den Augen zu verlieren.
Die Debatte hat das gerade gezeigt, Herr Goldmann. Ich stehe hier an Ihrer Seite.
Die aktuell größere Gefahr besteht allerdings für das 160 Millionen Tiere starke deutsche Geflügelvolk. Dem Geflügelpestausbruch in Italien sollen immerhin 30 Millionen Hühner zum Opfer gefallen sein. Die wirtschaftlichen Verluste zum Beispiel in Asien wurden im vergangenen Jahr auf mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt. Es stehen damit auch wirtschaftliche Existenzen auf dem Spiel. Wir haben also zumindest potenziell ein sehr ernstes Problem.
Nach den beiden Anhörungen im Ausschuss bin ich mir aber aus verschiedenen Gründen, von denen ich hier nur einige nennen kann, eher unsicher, ob wir dieser bedrohlichen Situation entsprechend aufgestellt sind. Vor allem die zentralen Defizite hinsichtlich der epidemiologischen Grundlagen der aviären Influenza sind beunruhigend; denn dieses Wissen ist der Schlüssel für effektive und angemessene Handlungskonzepte.
Neben ganz grundsätzlichen Fragen stellen sich auch sehr konkrete Fragen, die alle unbeantwortet sind: Welche Konsequenzen hat die Situation in Norditalien, wo aufgrund der Impfung nicht zwischen infizierten und geimpften Tieren unterschieden werden kann? Wie ist das Virus zu uns gelangt? Wie lange hält es sich bereits hier auf? Tote Schwäne gab es schließlich jedes Jahr. Welche Verbreitungswege hat es genommen oder wird es noch nehmen?
Warum sind jetzt ausgerechnet Höckerschwäne eine Indikatorspezies?
Sind sie infektionsgefährdeter? Sterben sie besonders schnell? Sind sie besonders oft untersucht worden? Geht von ihnen eine unmittelbare Gefahr für die Geflügelhaltung aus? Zumindest die letzte Frage könnte man grundsätzlich mit Ja beantworten; denn es gab Ausbrüche in Gebieten, in denen auch Schwäne infiziert waren. Was bedeutet das aber für die hiesigen Verhältnisse? Welche anderen Vogelarten sind involviert? Wie verhält sich das Virus in Wildvögeln? Wie groß ist die Gefahr, die durch Wildvögel für die Menschen entsteht?
Durch diese Fragen werden die Defizite belegt.
Dabei war - das müssen Sie zugeben, wenn Sie ehrlich zu uns sind - die Wahrscheinlichkeit einer Einschleppung eher hoch. Ich habe darum auch von dieser Stelle aus mehrmals darauf hingewiesen; denn die wichtigsten Einschleppungsrisiken, die illegale Zufuhr von Risikomaterial und der Vogelzug, sind nicht beherrschbar. Es wären also Anlass und Zeit genug gewesen, sich einigen Fragen sehr ernsthaft zu widmen.
Zugegeben, es ist ein gewaltiger Fortschritt, dass Bundes- und Landesregierung die Risikobewertung der Experten im Friedrich-Loeffler-Institut, vor allem im Institut für Epidemiologie in Wusterhausen, jetzt ernster nehmen. Selbst Epidemiologen können aber nicht alles gleichzeitig tun: wissenschaftlich arbeiten, die relevanten Daten sammeln, pflegen und evaluieren, in der Türkei, in Rumänien und in Nigeria die Bekämpfung unterstützen, in Brüssel, Bonn und Berlin Rede und Antwort stehen und tagesaktuelle Risikobewertungen schreiben.
Wenn jetzt die Wusterhausener epidemiologische Einsatzgruppe zu Seuchenausbrüchen gerufen wird, dann ziehen wir an der viel zu kurzen Decke wieder nur hin und her und uns wird gleichwohl kalt bleiben. Selbst mit dem Mut zur Lücke und dankenswert hohem Engagement der Kolleginnen und Kollegen sind unter solchen Bedingungen nicht mehr alle fachlichen Anforderungen zu erfüllen. Die Forschung bleibt fast gänzlich auf der Strecke. Fehlende Ressourcen durch nicht wieder besetzte oder nicht zugewiesene Personalstellen spitzen die Situation weiter zu.
Die Frage nach der dringenden Notwendigkeit eines personell und finanziell angemessen ausgestatteten epidemiologischen Zentrums, wie es in Wusterhausen in Grundzügen besteht, ist in anderen Ländern Europas und der Welt längst positiv beantwortet. In Deutschland dagegen wird die Wissenschaftsdisziplin Epidemiologie oft auf Prozentrechnung und mehr oder weniger bunte Karten reduziert. Das ist bei der zunehmenden wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedeutung von Tierseuchen in Zeiten von MKS, Schweinepest, SARS und Tollwut und auch aufgrund der gewachsenen Personen- und Warenströme in der globalen Welt blamabel für ein Land der Dichter und Denker.
Dass eine epidemiologische Einrichtung an einen Standort gehört, der für ihre spezifischen Aufgaben geeignet ist, sollte eigentlich unstrittig sein. Die Wusterhausener kämpfen jetzt seit zehn Jahren um ihren Standort und sie werden das auch weiter tun. Die jetzigen Zeiten zeigen, dass sie Recht damit haben.
Beim Thema Epidemiologie war die ehemalige DDR ihrer Zeit übrigens offensichtlich weit voraus. Das ist eine vergebene historische Chance.
Auch durch diese Defizite ist im Moment nur eines sicher: H5N1 ist in Deutschland angekommen. Spätestens jetzt stellt sich die sehr drängende Frage: Sind wir auf einen daraus möglicherweise folgenden Tierseuchenausbruch vorbereitet? Die Bundesregierung verweist auf standardisierte Bekämpfungsverfahren, deren Effektivität und Realisierbarkeit nicht bewiesen sind. Das sind jedenfalls keine Bekämpfungskonzepte, wie sie gebraucht werden: wissenschaftlich erarbeitet und evaluiert, mit Kosten-Nutzen-Rechnung, mit Ermittlung der notwendigen und, was sehr wichtig ist, tatsächlich verfügbaren finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen und mit sachlicher Prüfung von Präventionsoptionen, zum Beispiel Impfstrategien.
Antworten der Bundesregierung auf meine schriftlichen Anfragen verweisen auf weitere Unwägbarkeiten. Krisenübungen haben Defizite aufgezeigt. Das für solche Krisen so dringend gebrauchte mobile Bekämpfungszentrum scheint immer wieder in die Mühlen des Föderalismus und anderer sachfremder Erwägungen zu geraten.
Gleiches gilt für die bundesweite Koordination des so dringend benötigten Tierseuchenbekämpfungshandbuchs. Mit dem Wissen, dass sich Tierseuchen selten an administrative Grenzen halten, kann ich an dieser Stelle nur dazu aufrufen, weniger Föderalismus zu wagen.
Das Wissensdefizit bei Wildtieren als Erregerreservoir fällt uns auch bei anderen Infektionen immer wieder vor die Füße. Dass ausgerechnet jetzt den oft ehrenamtlich arbeitenden ornithologischen Experten mit ihren Strukturen das finanzielle Siechtum droht, ist eine dramatische Verkennung der Tatsachen. Vielmehr sind ein Ausbau und eine enge Verknüpfung von wildtierbiologischen und epidemiologischen Ressourcen zu fordern. Das ist am Ende auch billiger, wenn man die wirtschaftlichen Schäden durch Tierseuchen in die Bilanz aufnimmt.
Mein Fazit ist: Wir wissen vieles nicht. Aber eines steht fest: Die Zeit des Beobachtens ist vorbei. Jetzt muss agiert werden. Ich hoffe, wir sind darauf einigermaßen vorbereitet.
Danke.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion.
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor fast genau einem Monat haben wir hier schon einmal über das Thema Vogelgrippe gesprochen, und zwar im Rahmen einer Aktuellen Stunde. Damals ging es um die verstärkte Ausbreitung der Vogelgrippe in der Türkei. Aber die Debatte damals war ganz anders als die heutige Debatte. Die damalige Debatte war nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sich alle Redner, auch die von der Opposition, bemüht haben, besonnen zu sein, vernünftig zu argumentieren und aus diesem wichtigen Thema kein innenpolitisches Kampfthema werden zu lassen, wie sich das heute darstellt. Ich bin sehr enttäuscht, dass so gehandelt wird.
Kollege Goldmann, ein Wort zur Ergänzung. Die Weltgesundheitsorganisation hat - das geht aus den Tickermeldungen hervor - Deutschland gerade bestätigt, dass wir gemeinsam mit Frankreich und den USA bei den Notfallmaßnahmen, die wir auf den Weg bringen, führend sind. Das sind doch Tatsachen. Das, was in Deutschland gemacht wird, wurde geprüft. Man kann doch nicht einfach sagen, dass das nicht stimmt. Dasselbe gilt für Sie, Frau Tackmann. Das Tierseuchenbekämpfungszentrum ist längst auf den Weg gebracht worden.
- Das kommt jetzt. Ich finde es einfach eine Frechheit, wenn Sie hier Sachen behaupten, die nicht stimmen.
Heute Morgen habe ich in den Meldungen der Agenturen gelesen, dass Frau Höhn erklärt hat, die Tötung von Millionen von Tieren sei möglich. Ich finde es zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich, so zu argumentieren.
Frau Höhn, als Sie Agrarministerin in Nordrhein-Westfalen gewesen sind, haben Sie versucht, mit Augenmaß zu handeln, als es im Jahr 2003 um den Ausbruch der Geflügelpest in Nordrhein-Westfalen und Holland gegangen ist.
Dass Sie dieses Verhalten über Bord werfen, nur um eine schnelle Schlagzeile zu bekommen, finde ich persönlich enttäuschend.
Vorhin wurde von dem Kollegen der FDP gesagt, er sehe keinen Handlungsrahmen. Vielleicht waren Sie 20 Minuten woanders als ich. Ich habe das, was der Minister an Maßnahmen vorgestellt hat und was nach seiner Meinung alles gemacht werden soll, sehr gut verstanden.
Ich kann nur sagen: Das Handeln der Bundesregierung ist zurzeit besonnen und effektiv. Die Aufstallung ist für den morgigen Tag angeordnet. In Mecklenburg-Vorpommern hat der Landwirtschaftsminister die Aufstallung bereits ab dem gestrigen Mittwoch verpflichtend gemacht. Damit wurde entsprechend dem Risiko gehandelt und reagiert. Dass die Bundesregierung diese Maßnahmen ergriffen hat und Vorbereitungen zum weiteren Handeln trifft, ist bekannt. Dies gilt verstärkt, seit in Österreich zu Beginn der Woche die ersten Fälle aufgetreten sind.
Alles in allem sind die in Europa aufgetretenen Fälle zwar beunruhigend, aber es besteht kein Grund zur Panik. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Menschen vor einer Ansteckung zu schützen. Aber wir wissen auch - die Gesundheitsministerin hat es eben in ihrer Kurzintervention noch einmal deutlich gemacht -: Es erfolgt, wenn überhaupt, nur eine Übertragung vom Tier auf den Menschen. Wir haben keinerlei Hinweise auf Übertragungen von Mensch zu Mensch. Auch das hat die Weltgesundheitsorganisation erst kürzlich noch einmal deutlich gemacht.
Dass sich die Geflügelpest in Asien beispielsweise derartig ausgebreitet hat, hängt auch mit den dortigen Lebensbedingungen zusammen. Wo Menschen mit Geflügel unter einem Dach leben, vergrößert sich nämlich die Ansteckungsgefahr erheblich. Das war in der Türkei der Fall, wo Kinder gestorben sind, weil sie mit toten Hühnern gespielt haben. Wir erinnern uns noch alle an diese Bilder. Wir sollten insofern mit Panikmache vorsichtig sein.
Das Friedrich-Loeffler-Institut ist ein renommiertes Institut, das uns bisher sehr fachkundig unterrichtet hat. Es hat in allen Bewertungen und Berichten, die wir vor einem Monat und auch in diesem Monat bekommen haben, die höchsten Risiken für uns deutlich gemacht. Das Wildvogelrisiko ist nur mäßig hoch. Auch durch legale Importe kann an sich wenig passieren.
Unser Hauptproblem ist nach wie vor der illegale Import von Geflügel. Es hat bereits entsprechende Vorfälle gegeben. Im Januar hat ein Reisender fünf Gänse aus der Türkei mitgebracht. In dem Bericht des Friedrich-Loeffler-Instituts wird ein Reisender aus Bangkok angeführt, der zwei Bergadler mitgebracht hat, von denen einer mit dem Virus infiziert war. In solchen Fällen müssen wir handeln. Insofern ist es besonders wichtig, dass wir nächste Woche im Agrarministerrat der Europäischen Union um die Verschärfung der Einfuhrkontrollen und vor allem für die Deklarationspflicht kämpfen, die es bisher noch nicht gibt.
Ich bedaure es, dass Ihre Kollegen auf EU-Ebene derzeit noch etwas zögern, den Vorschlägen der Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu folgen und sie umzusetzen. Aber ich hoffe, dass die in Europa aufgetretenen Fälle dazu beitragen, das Bewusstsein auch der anderen europäischen Minister zugunsten einer verbesserten Handlungsfähigkeit zu schärfen, auch wenn es darum geht, das Schengenabkommen teilweise außer Kraft zu setzen, um die Kontrollmöglichkeiten weiter zu verbessern.
Wenn wir all diese Maßnahmen - vor allen Dingen hinsichtlich der illegalen Importe - sukzessive befolgen, dann wird die Vogelgrippe das bleiben, was sie ist, Kollege Goldmann, nämlich eine Tierseuche.
Ich bin der Meinung, dass wir als Abgeordnete dieses Parlaments mit diesem Thema verantwortungsvoll umgehen sollten.
Danke schön.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Informationen haben sich in den vergangenen Tagen überschlagen. Das machen zum Beispiel die Zeitungsüberschriften vom Mittwoch deutlich. Die Zeitungen, die früher in Druck gingen, brachten noch Titelzeilen wie „Vogelgrippe jetzt in Österreich“. Die Zeitungen, die etwas länger auf Informationen warten konnten, haben schon am Mittwochmorgen mit „Vogelgrippe jetzt in Deutschland“ getitelt. Die Nachrichten haben sich, wie gesagt, überschlagen. Aber gerade bei Tierseuchen kann etwas, das man lange hat kommen sehen, schnell eintreten.
Ich halte es für notwendig, zunächst einmal festzuhalten, welche großen und wichtigen Gemeinsamkeiten bestehen. Eine wichtige Gemeinsamkeit ist aus meiner Sicht - darin stimme ich dem Bundesminister ganz und gar zu - die Auffassung, dass bei allen Maßnahmen, die wir durchführen, der Schutz der Menschen oberste Priorität haben muss.
Wichtig ist außerdem, dass wir die Bevölkerung umfassend und ausreichend informieren, um so das notwendige Vertrauen in die zu ergreifenden Maßnahmen zu schaffen. Damit meine ich richtige Informationen, lieber Herr Blumentritt. Ihre Ausführungen, die etwas ungenau waren,
möchte ich gerne korrigieren. Sie werden schnell merken, dass die Menschen Ihnen nicht glauben.
Tatsächlich ist es so: Wenn man engen Kontakt zu erkrankten Tieren hat, kann man sehr wohl erkranken und sogar sterben. Mittlerweile sind weltweit circa 90 Menschen an der Vogelgrippe gestorben. Das sollten wir sicherlich nicht zum Anlass nehmen, Panik zu machen und für Hysterie zu sorgen. Aber wir dürfen das den Menschen nicht verheimlichen. Die für die Bevölkerung wichtige Information lautet: Normale Verbraucherinnen und Verbraucher, die totes Geflügel oder fremdes Federvieh nicht anfassen, müssen sich keine Sorgen machen. Für sie besteht keine Gefahr. So ist es exakt und differenziert darzulegen.
Viele Punkte sind in dieser Debatte bislang - gerade von den Regierungsfraktionen - nicht angesprochen worden. Liebe Frau Heinen, es geht nicht nur darum, darzulegen, was gemacht wurde, und darauf zu verweisen, was auf EU-Ebene noch zu tun ist. Vielmehr geht es darum, darüber nachzudenken, was in Deutschland passiert ist, nachdem das Virus bei uns entdeckt worden ist. Ich muss sagen: Die Premiere ist absolut fehlgeschlagen. Das, was wir in Mecklenburg-Vorpommern gesehen haben, war in vielen Punkten fehlerhaft.
Es geht nicht nur darum, Notfallpläne aufzustellen, sondern auch darum, Notfallpläne umzusetzen. Die Umsetzung hat nicht funktioniert. Die Menschen, die im Fernsehen sehen, dass tote Schwäne - obwohl bekannt ist, dass sie mit dem Vogelgrippevirus infiziert sind - einen ganzen Tag herumliegen und nicht abtransportiert werden, glauben nicht daran, dass der Notfallplan richtig umgesetzt worden ist.
Dazu, dass im Ernstfall nicht richtig gehandelt wurde, haben Sie nichts gesagt.
Es ist gut, dass Herr Backhaus auf der Bundesratsbank, und zwar hinter mir, Platz genommen hat; denn ich habe ein paar Fragen an ihn, die er oder gegebenenfalls die Bundesregierung beantworten soll.
Wir haben am vergangenen Dienstagabend erfahren, dass die Schwäne infiziert sind. Das ist durch einen Schnelltest festgestellt worden. Nun habe ich aber erfahren, dass die Tiere schon in der vorangegangenen Woche gefunden worden sind, und zwar - hierzu gibt es unterschiedliche Daten - entweder am 10. Februar oder am 8. Februar. Es hat also vier bis sechs Tage gedauert, die Ergebnisse des Schnelltests auszuwerten. Das ist doch kein Schnelltest mehr. Da ist doch etwas schief gegangen.
Hier haben die Behörden vor Ort, in Mecklenburg-Vorpommern, offensichtlich versagt. Ich möchte von Herrn Backhaus genau wissen, warum der Schnelltest vier bis sechs Tage gedauert hat, wann der erste tote Schwan gefunden wurde, wann die Untersuchung durchgeführt worden ist und wann die Öffentlichkeit informiert wurde. Auch das gehört zu einem wirksamen Krisenmanagement.
Wir müssen aufpassen, was als Nächstes passiert. Wir müssen jetzt verhindern, dass das Virus in die Geflügelställe gelangt. Wenn das geschieht, Frau Heinen - es stimmt, dass ich entsprechende Erfahrungen habe; vor drei Jahren hatten wir die Geflügelpest in den Niederlanden und in Nordrhein-Westfalen -, müssen leider Millionen Tiere getötet werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Umso wichtiger ist es deshalb, Frau Heinen, dass wir eine mobile Einsatzstation bekommen, die dann in die Krisenzentren fährt, um die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen. Eine solche Einsatzstation gibt es bislang - im Gegensatz zu dem, was Sie hier behauptet haben, Frau Heinen - leider nicht.
Es geht nicht nur darum, theoretische Notfallpläne aufzustellen. Vielmehr müssen die Notfallpläne dann, wenn sie zum Tragen kommen sollen, auch funktionieren. Wir müssen schauen, welches die besten Maßnahmen sind. Der Minister hat eben gesagt, die beste und wirksamste Maßnahme ist die Stallpflicht. Die Stallpflicht ist unbestritten wichtig und notwendig; darüber gibt es keine Diskussion. Aber noch wichtiger ist, dass wir die Ställe gerade in den Krisengebieten von Mecklenburg-Vorpommern schützen und desinfizieren lassen; denn gerade hier ist die Gefahr der Übertragung des Virus auf den Menschen viel gravierender. Es kann nämlich vorkommen, dass Menschen, die in die Gebiete gehen, in denen infizierte tote Tiere liegen, in einen Kothaufen treten, diesen unter ihren Stiefeln in einen Geflügelstall tragen und so für die Weiterverbreitung des Virus sorgen. Deshalb ist es umso notwendiger, dass wir jetzt zu einer Desinfektion der Ställe kommen, damit das Virus nicht in die Ställe gelangt. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Ich möchte am Ende noch eines zu den Ausführungen von Herrn Seehofer sagen. Er hat zum Schluss gesagt - ich hoffe, das war eine freudsche Fehlleistung -: Sicherheit geht im Moment vor Ökonomie.
Aus meiner Sicht geht Sicherheit immer vor Ökonomie. Das sollte immer der Fall sein. Auch in diesem Punkt.
Bei allen Gemeinsamkeiten, die wir haben und die wir immer vertreten werden: Achten Sie im Zusammenhang mit der Föderalismusdiskussion darauf, dass mehr Kompetenzen an den Bund gehen. Wir sehen momentan, dass die Länder überlastet sind. Herr Seehofer, Sie haben gestern gesagt, beim Krisenstab sei keine Hilfe angefordert worden. Heute gibt es eine Meldung der dpa, dass der Rügener Amtsleiter Karl-Heinz Walter sagt, er sei vollkommen überfordert, er könne die toten Schwäne überhaupt nicht einsammeln und er bitte um Hilfe. Es kann nicht sein, dass der Minister gestern im gemeinsamen Krisenstab sitzt und nichts sagt und heute der Amtsleiter um Hilfe bittet. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern muss verbessert werden. Der Bund muss mehr Kompetenzen bekommen, damit wir auf eine Tierseuche richtig reagieren können.
Danke schön.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Vogelgrippe hat Deutschland erreicht. Das macht uns sehr betroffen. Als zuständiger Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes Mecklenburg-Vorpommern und als Verantwortlicher für den Verbraucherschutz nehme ich diese Lage sehr ernst.
Frau Höhn, ich möchte zunächst Ihre Frage und Ihre Äußerungen aufgreifen. Wir wissen jetzt definitiv, dass es sich um das Virus H5N1 handelt, das hochpathogen ist. Diese Bestätigung haben wir heute Vormittag endlich bekommen.
Die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern haben seit August 2005 - Frau Höhn, damals waren Sie selbst noch in Ihrem Bundesland verantwortlich - Alarmpläne und klare Anweisungen erarbeitet. Ich will ausdrücklich betonen: Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern einen ganz klar strukturierten Plan. Die Verantwortung vor Ort trägt zunächst der Landkreis, solange es sich um einen lokal klar definierten Raum handelt. Das heißt, die Landrätin des Landkreises Rügen hat die volle Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen. Wir als Landesregierung haben dem Landkreis Rügen die volle Unterstützung und Hilfe angeboten. Sollte es zu weiteren Vorfällen kommen - das habe ich gestern in der Verbraucherschutzkonferenz deutlich gemacht -, werden wir als Landesregierung ganz stringent weitere Maßnahmen einleiten.
- Darauf komme ich gleich, Herr Westerwelle.
Wir haben im Vorgriff auf die Bundesverordnung und in Absprache mit Ihnen, Herr Bundesminister, sowie im Vorgriff auf die Verordnung der Europäischen Union eine Verordnung innerhalb des Landes erlassen. Daraus geht ganz klar hervor, dass wir erstens die Stallpflicht in ganz Mecklenburg-Vorpommern durchsetzen, zweitens den Handel mit Geflügel in mobilen Einrichtungen untersagen und drittens insbesondere den Tierverkehr einschränken.
Ich will auch betonen, dass wir in diesem Krisengebiet - das ist richtigerweise hier angedeutet worden - einen Schutzradius von 3 Kilometern gezogen und einen Beobachtungsraum von 10 Kilometer Breite eingerichtet haben. In diesem Gebiet sind folgende Dinge angeordnet worden: Jegliches Verbringen von Geflügel und frischem Geflügelfleisch ist untersagt. Die Einschränkung des Personen- und Fahrzeugverkehrs ist umgesetzt und - Frau Höhn, das sage ich Ihnen ausdrücklich; Sie hätten eigentlich die Unterlagen haben müssen - wir haben insbesondere Desinfektionsmaßnahmen vor den Ställen und an den Ausgängen angeordnet.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Minister, gestatten Sie zwei Zwischenfragen, eine der Kollegin Iris Hoffmann und eine des Kollegen Guido Westerwelle?
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Ja, gerne.
Iris Hoffmann (Wismar) (SPD):
Herr Minister, nachdem die Kollegin Höhn ausgeführt hat, dass der Notfallplan in Mecklenburg-Vorpommern fehlerhaft umgesetzt wurde - ich möchte sie mit meiner Frage nicht enttäuschen -: Können Sie hier erläutern, welche konkreten Maßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern erlassen worden sind und welche Sie noch zu ergreifen gedenken?
- Ja, aber ich möchte es ganz konkret wissen. Ich habe sehr wohl zugehört. Vielleicht ist es auch für Sie wichtig, das noch einmal zu hören.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Ich will die Maßnahmen, die ich gerade angedeutet habe, unterstreichen. Was den Wildgeflügelbereich angeht, werden wir bis zum Wochenende insgesamt 7 000 Tiere in Mecklenburg-Vorpommern untersucht haben. An dieser Stelle möchte ich wirklich um ein bisschen mehr Sachlichkeit bitten. Wir haben ein Problem. Das ist erkannt worden. Maßnahmen sind eingeleitet worden. Die Umsetzung wird jetzt mit aller Kraft betrieben.
An dieser Stelle sage ich noch einmal sehr klar: Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern zwei Höckerschwäne und einen Habicht mit dem Erreger H5N1 aufgefunden. Ich wiederhole: Bei 7 000 Tieren wurden Proben entnommen; drei davon wurden positiv getestet. Man muss der Bevölkerung sagen: Jawohl, wir haben hier ein Problem, aber wir werden alles dafür tun, Gefahren und Probleme für die Bevölkerung abzuwenden; außerdem werden wir alles dafür tun, dass in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo das Übergreifen der Vogelgrippe auf Haustierbestände verhindert wird.
Ich wiederhole an dieser Stelle auch, Frau Höhn: Wir haben ebenfalls angewiesen, dass verschärft Laboruntersuchungen von Hausgeflügelbeständen vorgenommen werden, um wirklich einen epidemiologischen Weg aufzuzeigen. Was hier dazu gesagt worden ist, ist richtig. Herr Bundesminister, ich bitte darum, dass wir die Behandlung dieser Fragestellung mit aller Kraft gemeinsam betreiben.
Wir beproben und analysieren alle - ich betone: alle; ich verweise auf die Zusammenarbeit mit dem Bund - tot aufgefundenen Wildvögel.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Minister, ich möchte Sie daran erinnern, dass auch Herr Westerwelle eine Zwischenfrage stellen möchte. Außerdem hat sich die Kollegin Höfken zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Von mir aus beantworte ich diese Fragen gerne, wenn das nicht von meiner Redezeit abgeht, Herr Präsident.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Minister, nein, es geht nicht von Ihrer Redezeit ab.
Vorab möchte ich sagen: Ich habe nicht die tiermedizinischen Kenntnisse von Frau Kollegin Tackmann oder von Herrn Goldmann. Das geht wahrscheinlich fast allen anderen in diesem Raume so.
Wenn ich den Verlauf dieser Debatte, Ihre Ausführungen und die Ausführungen von Herrn Minister Seehofer richtig verstanden habe, dann handelt es sich um ein Virus, das bei Kontakt mit dem verendeten Federvieh auf den Menschen übertragen werden kann. Das heißt, es besteht eine Gefährdung für den Menschen. Wie ist es zu erklären - ich habe es selber gestern Abend vor einer Veranstaltung bei RTL und im Zweiten Deutschen Fernsehen in den Hauptnachrichtensendungen gesehen -, dass in Ihrem unmittelbaren Regierungsbereich Kameras vor verendeten Schwänen aufgebaut wurden, die dort nicht stunden-, sondern tagelang lagen? Diese Bilder waren als Hintergrundmaterial für die Fernsehanstalten tauglich.
Wenn das so ist, ist es meines Erachtens nahe liegend, dass Kinder oder andere, die weniger aufgeklärt oder informiert sind, möglicherweise Kontakt zu diesen verendeten Vögeln hatten. Ist es in dieser Lage zu verantworten, dass diese verendeten Vögel als Kulisse für Fernsehanstalten dienen konnten, weil niemand von Ihrer Regierung beauftragt wurde, diese Tiere wegzuräumen?
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Herr Westerwelle, es tut mir Leid, sagen zu müssen: Was Sie hier zum Ausdruck bringen, ist eine Zumutung,
auch für Behörden, die versuchen, ordnungsgemäß ihre Arbeit zu machen.
Ich will Ihnen Folgendes erklären - das werden auch Sie verstehen -: Auf der Insel Rügen ist es in den letzten Jahren, insbesondere in kalten Wintern, zu verstärktem Aufenthalt von Geflügel gekommen.
Ich nenne Ihnen die Zahl - ich hoffe, man kann sich das bildlich vorstellen -: Am Tag sind es bis zu 100 000 Stück Geflügel der verschiedenen Arten und Gattungen. Bis zu 100 000!
- Augenblick mal! - In schweren Wintern - einen solchen haben wir gerade - ist es normal - so bitter das ist und so weh mir das auch in der Seele tut, weil ich Tierschützer bin -, dass bis zu 300 Tiere
aufgrund von Erfrieren oder Futtermangel verenden.
Bei der Bergung der toten Tiere, insbesondere der Schwäne, ist es - das ist richtig - zu Problemen gekommen. Warum? Wenn Tiere eingefroren sind, ist es außerordentlich kompliziert - das können Sie sich vorstellen -, diese herauszubekommen. Dazu kommt, dass jetzt Tauwetter herrscht und Menschen nicht auf das Eis gehen dürfen, um die Tiere zu bergen. Ich habe angewiesen, dass Katastrophenschutz und Polizei, insbesondere Wasserschutzpolizei, alles unternehmen, um die Tiere jetzt zu bergen und unverzüglich zur Beprobung zu bringen.
Ich bitte auch die Medien an dieser Stelle um ein bisschen Verständnis. Ich kann sie ja verstehen. Mir ist es auch nicht anders gegangen. Wenn man diese Bilder sieht, bekommt man das Gefühl, als ob dort nicht gehandelt wird. Ich sage Ihnen aber: Mir ist mitgeteilt worden, dass der Landkreis - wir haben im Übrigen Verstärkung dorthin gegeben - bis gestern Abend in der Lage war, alle toten Tiere zu bergen. Ich werde das jetzt nochmals überprüfen und wir werden weitere Maßnahmen einleiten.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Letzte Zwischenfrage, Kollegin Höfken.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister Backhaus, einige Fragen.
Erstens. Sie haben die Frage der Kollegin Höhn, warum zwischen dem Auffinden der Tiere und der Bekanntgabe des Ergebnisses so viel Zeit vergangen ist, nicht beantwortet.
Das Zweite. Wir haben gestern im Ausschuss über das Wildvogelmonitoring gesprochen. Da wurde gesagt, es sei in Risikogebieten untersucht worden, gerade von Mecklenburg-Vorpommern. Haben Sie denn Risikogebiete, in denen eine solche Untersuchung stattfindet, definiert und ausgewiesen?
Das Dritte. Die Schutzzone und das Beobachtungsgebiet umfassen eine Fläche mit einem Radius von 10 Kilometern. Nun gibt es dort in 13 Kilometer Entfernung große Geflügelbetriebe. Sind die jetzt in alle Schutzmaßnahmen einbezogen oder sind die, weil sie gerade außerhalb der Schutzzone und des Beobachtungsgebietes liegen, davon nicht erfasst?
Das Letzte. Werden Sie sich auch im Bundesrat demnächst als Tierschützer betätigen, wenn es dort um das Verbot der Käfighaltung geht?
Danke schön.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Sehr geehrter Herr Präsident, ich möchte natürlich auf die Fragen konkret antworten.
Zu unserem Verfahren der Überwachung des Wildgeflügels und des Geflügels insgesamt ist Folgendes festzustellen: Im Zusammenhang mit einem Seuchengeschehen - es handelt sich hier um eine meldepflichtige Krankheit; das wissen Sie - hat jeder Tierhalter, ob klein oder groß, dann, wenn in den Beständen Symptome auftreten, die darauf hindeuten könnten, dass es sich um Geflügelpest oder -grippe handelt, unverzüglich - so ist es jedenfalls bei uns im Land - den Veterinär und den Landkreis zu informieren.
Was das Auffinden der toten Schwäne anbetrifft, will ich konkret wie folgt antworten: Die Tiere sind am 8. Februar aufgefunden worden - das ist richtig - und in dem Verfahren in das Landesamt verbracht worden. Dann haben die Untersuchungen stattgefunden und es ist dann sofort gehandelt worden.
- Frau Höhn, ich komme gleich noch auf Ihr Problem mit dem mobilen Bekämpfungszentrum zu sprechen. Dann werde ich dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit auch einmal sagen, was da los gewesen ist
und welche Verantwortung Sie im diesem Bereich getragen haben, nämlich überhaupt keine.
Frau Höfken, ich kenne Sie viele Jahre. Deswegen sage ich Ihnen: Wir überprüfen die Abläufe sehr genau. Wir haben 7 000 Proben genommen. Was das Wildvogelmonitoring anbetrifft, so haben wir das selbstverständlich mit Ornithologen festgelegt, in Mecklenburg-Vorpommern übrigens auch transparent. Ich bin gespannt, was uns andere Bundesländer dazu präsentieren werden. Wir haben die Gebiete ganz klar festgelegt. Das ist mit Wissenschaft und Forschung, mit dem Forschungsinstitut und insbesondere mit dem Bundesministerium abgestimmt worden.
Dass wir in Mecklenburg-Vorpommern als gewässerreichstes Bundesland - auch deswegen ist es für mich das schönste Bundesland - eine besondere Gefahrensituation haben, hat mich im Übrigen zu der Entscheidung gebracht, dass wir als erstes Bundesland festlegen, in welcher Form Wildmonitoring zu betreiben und umzusetzen ist. Darauf ist auch von Ihrer Partei mit Häme und überzogenen Forderungen reagiert worden. So wurde gefragt, was denn dieser Quatsch solle.
Ebenso bin ich - auch von Kollegen von Ihnen - dafür beschimpft worden, dass wir schon im September ein Aufstallungsgebot erlassen haben.
Diese Kritik war unverantwortlich.
Ich bin kein Prophet, aber ich sage Ihnen, Frau Höhn, dass ich mittlerweile davon überzeugt bin, dass angesichts der Tatsache, dass das Virus aus Richtung China kommt, der Eintrag früher stattgefunden hat. Das muss natürlich noch wissenschaftlich abgeklärt werden. Somit tragen auch Frau Künast und Sie konkret dafür Verantwortung, das nicht rechtzeitig erkannt zu haben.
Damit komme ich auf die Argumentation von Ihnen und Ihrem ehemaligen Kollegen in Schleswig-Holstein zu sprechen, die mir in der Seele wehgetan hat; denn es ist für jeden Geflügelbetrieb und jeden Landwirt in Deutschland schlimm, wenn er jetzt die Tiere einstallen muss und dadurch wirtschaftliche Probleme bekommt. Wir haben in Deutschland 123 Millionen Stück Geflügelvieh. Allein mit dem Tiermaterial wird ein Umsatz von etwa 1,2 Milliarden Euro erzielt. Es muss doch jedem klar sein, dass daran Existenzen von Familien hängen. Deswegen bitte ich wirklich darum, diese Problematik hier nicht zum Anlass zu polemischen und populistischen Äußerungen zu nehmen. Das tut der Sache nicht gut.
Nun auch noch einmal zu den beiden anderen Beispielen. Zunächst zur unseligen Käfighaltung: Wenn es nach mir bzw. dem Willen meiner Landesregierung gegangen wäre, hätten wir längst ein TÜV-geprüftes Haltungsverfahren. Da waren Sie, Frau Höhn - Sie können jetzt ja die Wahrheit sagen -, mit uns auf einer Wellenlänge. Sie haben sich bloß gegenüber Frau Künast nicht durchsetzen können.
Das war doch das ganze Problem.
Wenn wir das geregelt hätten, hätten wir uns den jetzigen Zustand erspart, in dem die deutsche Geflügelwirtschaft auf der Stelle tritt und keinen Millimeter weiterkommt.
Nun zu dem zweiten Beispiel, dem mobilen Bekämpfungszentrum: Es ist richtig, dass die Länder und der Bund 2005 entschieden haben, ein mobiles Bekämpfungszentrum einzurichten. Ich sage hier an dieser Stelle - auch das gehört zur Wahrheit -, dass damals Ihr Haus und die nordrhein-westfälische Landesregierung erhebliche Probleme bei der Finanzierung gemacht haben.
- Das ganze Problem fällt auf Sie zurück, Frau Höhn. - Wir hatten nämlich bis Anfang Januar keine Zustimmung Bayerns und Nordrhein-Westfalens zur Einrichtung dieses mobilen Bekämpfungszentrums. Darunter leiden wir heute. Ich bin dem Bundesminister sehr dankbar, dass wir gemeinsam - ich glaube nämlich, dass ich nicht ganz unbeteiligt war - die Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern gezwungen haben, mitzumachen.
Das Problem, meine Damen und Herren Abgeordnete, ist, dass wir nun in Zeitverzug geraten sind. Die Verantwortung dafür tragen Sie, Frau Höhn, voll mit.
Hören Sie auch auf, in der Öffentlichkeit solch einen Blödsinn zu erzählen wie den, dass wir Seuchenmatten aufstellen sollten. Das steht doch in unserem Erlass. Ich bin immer davon ausgegangen, dass wir gemeinsam vernünftig miteinander reden können. Sie kennen meine Telefonnummer. Ich hätte wirklich erwartet, dass Sie mich wenigstens einmal angerufen hätten. Noch nicht einmal dazu waren Sie in der Lage.
Abschließend möchte ich, um meine Redezeit nicht völlig zu überziehen, noch einmal einige wenige Punkte aus der Sicht meines Bundeslandes sagen. Wir haben klare Handlungsanweisungen erarbeitet und veröffentlicht, um eine Infektionsgefahr für die Bevölkerung und für die Tierbestände in Mecklenburg-Vorpommern möglichst auszuschließen.
Ich habe Ihnen darzustellen versucht: Wir haben uns über das Bundesrecht bzw. über das EU-Recht abgestimmt, um im Interesse der Menschen und im Interesse der Tiere zu handeln. Wir handeln mit ganz klaren Maßgaben.
Zweitens. Wir haben ganz klare Vorkehrungen getroffen, um ein Überspringen des Virus von Wildgeflügel auf Hausgeflügel zu vermeiden. Ich hoffe, dass uns das gelingt. Ich bin kein Prophet; aber wir wissen, was in Dänemark los ist und dass es erste Anzeichen des Virus in Schleswig-Holstein gibt. Wir werden also leider - das betone ich - keine Sonderrolle einnehmen. Dass Rügen, die schönste deutsche Insel, die es gibt,
betroffen ist, schmerzt nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern, wie ich glaube, sehr viele Menschen in Deutschland, in Europa und auf der Welt. Denn die Geschehnisse sind natürlich auch für das Gesundheitsland Mecklenburg-Vorpommern und den Tourismusstandort wirklich schrecklich. Das sage ich ganz klar. Deswegen müssen wir weg von der Polemik hin zur Aufklärung, zur Information. Lassen Sie uns gemeinsam - Frau Höhn, da lade ich Sie ein - deeskalieren und uns austauschen!
Ich glaube, Folgendes darf ich noch sagen, Herr Bundesminister. Wir haben jetzt zwei Verbraucherschutzkonferenzen durchgeführt. Gestern habe ich ausdrücklich gesagt - Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben zum Teil dabeigesessen -: Wenn es kluge weitere Hinweise gibt, welche Maßnahmen wir ergreifen sollen, dann möge man mir das bitte sagen. - Ich habe zur Kenntnis genommen, dass nichts Neues auf den Tisch gelegt worden ist, sondern dass die Informationen über den Sachstand und auch die Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, nicht nur von meinen Kolleginnen und Kollegen und vom Bundesminister akzeptiert, sondern auch von Brüssel als positives Beispiel dargestellt worden sind. Deshalb agieren wir in diesem Sinne. Ich glaube, das ist richtig so.
Ich will nicht ausweichen. Ich sehe ein paar Punkte, bei denen wir Geschlossenheit in Deutschland benötigen, über alle Parteigrenzen hinweg. Ich habe Ihnen die Maßnahmen erläutert. Handlungsbedarf sehe ich erstens in Bezug auf ein einheitliches Vorgehen in Deutschland. Das wird jetzt endlich durchgesetzt. Endlich haben wir eine einheitliche Verordnung und alle haben sich daran zu halten. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht fertig gebracht.
- Ich bin in dieser Frage ein Vorreiter; das wissen Sie ganz genau. Wir in Mecklenburg-Vorpommern sind Vorreiter, was die Frage der prophylaktischen Maßnahmen anbetrifft.
Zweitens muss mit Hochdruck an dem mobilen Bekämpfungszentrum gearbeitet werden. Ich glaube, Herr Bundesminister, hier müssen wir noch Kohle nachlegen, wenn ich das so sagen darf, damit wir vorankommen.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Minister, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident.
Drittens müssen wir mit aller Kraft - das ist hier schon gesagt worden - an dem wissenschaftlich begründeten Markerimpfstoff arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass das weltweit stärker unterstützt wird.
Viertens sage ich mit aller Klarheit und Deutlichkeit: Wir brauchen alternative Haltungsformen, weil bei der Freihaltung und auch bei anderen Haltungsformen Risiken bestehen.
Der letzte Punkt: Wir brauchen wissenschaftlich begründete, aussagefähige epidemiologische Untersuchungen.
Alles andere ist Stochern im Nebel.
Meine letzte Botschaft richtet sich an die Bevölkerung in Deutschland insgesamt: Hände weg von toten und kranken Tieren!
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Es liegen jetzt zwei Wortmeldungen zu Kurzinterventionen vor. Ich erteile zunächst dem Kollegen Karl Addicks, FDP-Fraktion, das Wort.
Dr. Karl Addicks (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich sehe mich, Herr Minister, zu dieser Kurzintervention genötigt, da Sie mir leider gerade eine Zwischenfrage verweigert haben.
Herr Minister Backhaus, nachdem Sie versucht haben, einen Teil der Verantwortung auf Ihre Landrätin abzuschieben, möchte ich von Ihnen schon gerne ganz genau wissen: Wann hat Ihre Landrätin erfahren, dass tote Vögel herumliegen, wann haben Sie davon erfahren und wann kam es zu den ersten Maßnahmen? Es gibt Präventivmaßnahmen wie beispielsweise die Aufstallung. Es gibt aber auch Notfallpläne. Ich möchte schon gerne wissen, ob die dazu gehörenden Alarmpläne entsprechend eingehalten wurden.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur sofortigen Reaktion.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Ich will noch einmal betonen: Das Verfahren nach dem Auffinden toter Tiere ist in Mecklenburg-Vorpommern wie in anderen Bundesländern durch die Alarmpläne ganz klar geregelt. Die aufgefundenen Tiere werden dem Veterinäramt gemeldet.
In diesem Fall ist das am 8. Februar geschehen. Danach sind alle weiteren Maßnahmen eingeleitet worden. Ich bin am Dienstagabend um 20.15 Uhr darüber informiert worden, dass das Ergebnis der zweiten Analyse von Riems positiv war.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile jetzt der Kollegin Bärbel Höhn das Wort zu einer Kurzintervention.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister Backhaus, ich möchte zwei Punkte ansprechen.
Der erste Punkt. Ich will auf das mobile Bekämpfungszentrum zurückkommen. Sie wissen, dass sich Nordrhein-Westfalen damals bei der Geflügelpest sehr genau in den Niederlanden umgesehen hat. Wir haben uns sehr genau angeschaut, was wir von den Niederländern lernen können. Sie wissen ebenfalls, dass Nordrhein-Westfalen den Antrag, ein solches mobiles Bekämpfungszentrum auch in Deutschland einzurichten, in die Agrarministerkonferenz eingebracht hat.
Das alles wissen Sie! Erzählen Sie also nicht solche Märchen!
Der zweite Punkt. Wir wissen, dass die toten Schwäne am 8. Februar aufgefunden worden sind. Sie wissen genauso gut wie ich, dass man für einen Schnelltest weniger als einen Tag braucht. Ich frage Sie, ob Sie den Schnelltest erst deshalb am Montag gemacht haben, weil Sie die Kosten für eine Prüfung schon am Wochenende sparen wollten. Ich frage Sie weiter: Warum haben Sie für den Schnelltest, für den man weniger als einen Tag braucht, sechs Tage benötigt? Was war der Grund?
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
Dr. Till Backhaus, Minister (Mecklenburg-Vorpommern):
Zur ersten Frage. Es ist richtig - etwas anderes ist von mir auch nicht gesagt worden -, dass das mobile Bekämpfungszentrum ein Thema in der Agrarministerkonferenz war. Ich habe im Übrigen diese Anschaffung unterstützt. Das Problem war aber der Zeitpunkt, zu dem Nordrhein-Westfalen die Bund-Länder-Vereinbarung unterschrieben hat.
Diese Vereinbarung hätten Sie in Ihrer Amtszeit umsetzen können. Das haben Sie aber nicht getan. Reden Sie also nicht um den heißen Brei herum!
Zur zweiten Frage. Wir haben am 8. die Information bekommen. Die toten Tiere sind in das Landesamt gebracht worden. Sie müssen einmal versuchen, sich in unsere Lage zu versetzen. Wir haben zurzeit eine hohe Kontrolldichte. Diese Kontrollen reichen - ich will das an dieser Stelle einmal sagen - vom Wellensittich über den Spatz bis hin zu Schwänen, Gänsen und Enten. Dass sich diese Belastung auf die Abfolge der Untersuchungen auswirkt, ist doch ganz klar. Das wäre in jedem anderen Landesinstitut genauso. Nachdem es diesen Hinweis gegeben hat, ist die entsprechende Probe sofort auf den Riems geliefert worden.
Ich betone noch einmal: Es gab bis dato 3 220 Tiere, die zur Beprobung angeliefert wurden.
Davon fiel nicht eine Untersuchung positiv aus. Danach wurden die Untersuchungen in der üblichen Reihenfolge schrittweise durchgeführt.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Edmund Geisen, FDP-Fraktion.
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Die Vogelgrippe kam, wie wir wissen, nicht aus heiterem Himmel. Nein, wir wussten seit langem, dass sie kommt; jedenfalls mussten wir seit langem damit rechnen.
Weil dem so ist, wird dieses Problem auch nicht in wenigen Tagen oder Monaten zu lösen sein, vielleicht nicht einmal in Jahren. Dies müssen wir den Menschen sagen. Wir müssen die Bevölkerung umfassend informieren.
Panikmache ist nicht meine Sache; aber es kann nicht sein, Herr Minister Backhaus, dass Sie das Problem so tief hängen, wie Sie das getan haben, und die Verantwortung auf die Landkreise übertragen.
Es kann auch nicht sein, dass etwas als eine reine Tierseuche bezeichnet wird,
was Menschen zum Sterben bringt.
Ich will ganz persönlich erklären, dass ich nie für Panikmache war. Denn ich habe mir in Zeiten der BSE-Krise nie den Genuss von Rindfleisch nehmen lassen. Auch in Zeiten der Vogelgrippe werde ich mir nicht den Genuss von Geflügelfleisch nehmen lassen. Das muss auch nicht sein. Auch das darf ruhig gesagt werden.
Die Bundesregierung sollte zusammen mit der Wissenschaft kurzfristige und langfristige Strategien entwickeln. An dieser Stelle möchte ich das jüngste Papier des Friedrich-Loeffler-Instituts zur Bewertung des Risikos der Vogelgrippe vom 14. Februar 2006 besonders lobend erwähnen. Mir ist keine bessere Bewertung bekannt. Die dort gemachten Vorschläge sind durchweg zu unterstützen.
Hierin wird besonders deutlich, dass die Einschleppung der Krankheit durch legalen - ich füge hinzu: kontrollierten - Handel vernachlässigbar ist, während das illegale Inverkehrbringen von Geflügelprodukten als hohes Risiko eingestuft wird. Ich meine, daraus darf abgeleitet werden, dass ordnungsgemäße und kontrollierte Geflügelhaltungen überall - auch in Deutschland - geringere Risiken in sich bergen als oberflächliche, nicht organisierte und nicht kontrollierte Verfahren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für die FDP-Fraktion fordere ich die Bundesregierung auf:
Erstens. Entscheiden Sie kurzfristig unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Handlungsoptionen des FLI! Dabei müssen die Quarantäne der Wirtschaftsbetriebe, deren Qualitätssicherung und die Erhaltung der Märkte und Handelsströme im Vordergrund stehen.
Zweitens. Beginnen Sie sofort internationale Handelsgespräche, um die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen gerade auch für die Geflügelwirtschaft langfristig zu sichern! Funktionierende Märkte dürfen nicht willkürlichen und kurzfristigen Vorteilsnahmen zum Opfer fallen, die vordergründig mit dem Ausbruch der Vogelgrippe begründet werden könnten.
Wir von der FDP-Fraktion sind der Meinung: Die Bundesregierung sollte ihre Strategien in Sachen Vogelgrippe an folgenden Schwerpunkten orientieren: erstens an der Gesunderhaltung von Mensch und Tier, zweitens an der Existenzerhaltung unserer Geflügelwirtschaftsbetriebe sowie drittens an der langfristigen Erhaltung diesbezüglicher nationaler und internationaler Wirtschaftsbeziehungen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Geisen, dies war Ihre erste Rede im Bundestag. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre politische Arbeit!
Nun erteile ich Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Musste sich unser Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer noch am Dienstag dieser Woche gegen Vorwürfe wehren, die vorgezogene Stallpflicht sei bloßer Aktionismus, stellte ein Fernsehsender schon am gestrigen Mittwoch in einer Telefonumfrage die Frage: „Tut die Bundesregierung zu wenig für die Vogelgrippe?“
- Sie haben Recht: gegen die Vogelgrippe. -
Weder der Vorwurf vom Dienstag noch die Frage vom Mittwoch ist ernst zu nehmen; beides ist unseriös.
Leichtsinn ist hier genauso falsch wie übertriebene Furcht. Aber: Es war meiner Meinung nach auch keine Panikmache. Die Kommunikationsstrategie der Bundesregierung, die Bevölkerung zu warnen und sie auf die nahende Seuche vorzubereiten, war richtig. Wenn wir ehrlich sind, hätte es doch einem Wunder geglichen, wenn Deutschland von der Vogelgrippe verschont geblieben wäre.
Die entscheidende Aufgabe, vor der wir in den nächsten Wochen und Monaten stehen, wird sein, die Übertragung der Geflügelpest von den Wildvögeln auf das Hausgeflügel zu verhindern.
Ich war schon etwas erstaunt, Frau Höhn, von Ihnen zu hören, dass Sie die Schnelltests lieber gegen einen Schnellschuss eintauschen. Uns ist es wichtig, wissenschaftlich belegbares Datenmaterial zu haben, statt wilde Panikmache zu betreiben, nur um Aktionismus zu zeigen.
Bisher handelt es sich noch um eine Tierseuche; deshalb war das, was Minister Seehofer und Ulla Heinen gesagt haben, richtig. Es geht hier nicht um eine Pandemie. Es ist noch nicht so weit - und wir hoffen, dass es auch nicht so weit kommt -, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Eine moderne und effektive Tierseuchenbekämpfung muss aber auch Teil eines vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes sein. Nichts anderes, Herr Kollege Goldmann, hat der Herr Bundesminister eben gesagt. Es ist mir klar, dass die Opposition immer versucht, andere Aspekte herauszuarbeiten, weil ihr keine anderen Möglichkeiten bleiben. In dieser Frage aber sollte man seriös bleiben. Es ist auch im Sinne einer Deeskalation, wenn man sensibel mit der Bevölkerung umgeht, die sich Sorgen macht und natürlich oft nur Schlagzeilen in den Zeitungen mitbekommt. Ein anderes Verhalten kann nicht im Interesse verantwortlicher Politiker sein.
Es muss alles getan werden, um das Vordringen der Geflügelpest zu verhindern.
- Herr Westerwelle, Sie lassen sich gerade über die Farben meines Outfits aus.
Die Farbgestaltung Ihrer Kleidung überlasse ich Ihnen. Die Farbgestaltung meiner Kleidung können Sie mir überlassen. Schwarz-Rot würde Ihnen aber auch ganz gut stehen.
Wichtig ist für uns, dass wir aus gesundheitlichen und aus ökonomischen Beweggründen, aber auch aus Gründen des Tierschutzes darauf achten, dass jetzt alle Vorsorgemaßnahmen getroffen werden.
Frau Höhn, ich möchte noch kurz auf das mobile Krisenzentrum eingehen. In der vorletzten Bund-Länder-Sitzung wurde beschlossen, dass nun endlich alle Länder im Boot sind. Was aber soll das Bundesministerium machen, wenn zwei Bundesländer noch nicht unterschrieben hatten? Sie kennen doch die Vorgehensweise. Das ist das Ergebnis des Föderalismus und der Demokratie. Ich hätte gerne gehört, was Sie damals als Landesministerin gesagt hätten, wenn das Bundesministerium zu Felde gezogen wäre und zwei Länder nicht unterschrieben hätten. Ich denke, wir sollten keinen Profit daraus schlagen, sondern uns erst einmal für den guten Abschluss bedanken, der erreicht werden konnte.
- Das hat unser Minister Seehofer in der Kürze der Zeit erreicht.
Keiner von uns blendet die Vorfälle in Asien aus, bei denen 91 Menschen gestorben sind. Nun ist aber Besonnenheit statt Panikmache gefragt. Genau das haben uns gestern auch die Experten in der Anhörung des Ausschusses bestätigt.
Besonnenheit bedeutet aber auch Vorsicht. Dieser Gesichtspunkt kam mir heute etwas zu kurz, auch von der FDP. Unsere Bevölkerung muss hier mitgenommen werden. Die Verbraucher müssen informiert werden und wir müssen gegen solche Schlagzeilen kämpfen. Vor allem muss eines geschehen: Die Kinder in Kindergärten und Grundschulen müssen gewarnt werden. Ihnen muss erklärt werden, warum sie kein totes Geflügel anfassen, geschweige denn Vögel an Gewässern füttern sollen; denn das zieht Zugvögel an.
Ich sage es noch einmal: Bisher besteht für den Verbraucher keine akute Gefahr. Ich möchte auch unterstreichen, dass der Verzehr von Geflügel und Eiern unbedenklich ist.
Im Übrigen wird das Virus bei einer normalen Verarbeitung in der Küche bei 70° Celsius abgetötet. Also: Angst vor Hühnerfleisch auf dem Esstisch ist unbegründet.
Uns sollte vor allem nicht das passieren, was in Italien durch überzogene Panikmache passiert ist, dass nämlich der Geflügelverbrauch um 40 Prozent zurückgegangen ist und dadurch rund 30 000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben - wie man erfahren konnte.
Minister Backhaus hat zu Recht hervorgehoben, dass hier verschiedene Betroffene beteiligt sind. Die verantwortungsvoll handelnden Geflügelhalter dürfen nicht in einen Topf geworfen werden mit denen, die sich nicht an eine Aufstallungspflicht halten und das ignorieren, was vom Bund und von den Ländern beschlossen worden ist. Hier geht es um Existenzen in Deutschland, die wir unterstützen wollen, damit wir kein Geflügelfleisch aus dem Ausland importieren müssen, bei dem wir nicht die gleiche Gewähr wie bei Fleisch aus Deutschland haben.
Es gibt keine Alternative zu unseren umfassenden Vorsorgemaßnahmen. Deshalb möchte ich abschließend einen Blick auf die Länder werfen. Wir müssen vom Worst-Case-Szenario ausgehen. Die Länder dürfen jedoch die Kreisveterinäre nicht allein und im Regen stehen lassen. Auch das ist wichtig. Herr Backhaus, ich war etwas irritiert, dass man die verendeten Wildvögel noch relativ lange und so zahlreich auf Rügen herumliegen ließ. Sie haben das hier erläutert und ich fand es sehr gut, dass Sie auf die Vorwürfe sehr dezidiert eingegangen sind. Ich finde es auch sehr gut, dass Sie sofort die Stallpflicht angeordnet haben.
Aber eines möchte ich zum Schluss noch zum Thema Impfen sagen - Frau Höhn, damit komme ich schon wieder zu Ihnen -: Heute Morgen im „Morgenmagazin“ sind Sie noch auf das Thema Impfen eingegangen, in Ihrer Rede hier jedoch nicht. Ich denke, das ist der Einsicht geschuldet,
welche Nachteile für den Verbraucher im gesundheitlichen Verbraucherschutz damit verbunden sind. Auch Herr Seehofer hat das unterstrichen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Klöckner, Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Für uns gilt: Im Zweifel für die Sicherheit, im Zweifel für die Menschen, und dann mit dem Tierschutz zusammen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion.
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Deeskalation ist weiß Gott angesagt! Heute Morgen waren die Opposition auf der einen Seite sowie der verehrte Herr Minister aus Mecklenburg-Vorpommern auf der anderen Seite gut gerüstet. Nach meiner Einschätzung war klarer Punktsieger der Herr zu meiner - von hier aus gesehen - Linken.
Es geht nicht darum, die Debatte zu emotionalisieren. Die Fragen haben aber deutlich gemacht, dass man das hier zumindest zum Teil versucht hat. Wir müssen bei der Diskussion dieses Themas in diesem Hause vorsichtig sein, dass wir uns nicht auf das gleiche Niveau begeben, das in der Boulevardpresse herrscht. Heute Morgen stand in der „Berliner Zeitung“: Der gefiederte Tod ist gelandet. Andere Schlagzeilen lauteten: „Kein Tiramisu mehr essen“ - das ist ja noch recht friedlich - oder „Wie schütze ich meinen Wellensittich?“ Auf dieses Niveau sollten wir in der Debatte nicht sinken. Dazu ist die Lage viel zu ernst.
Wir müssen klar erkennen, dass wir unsere Natur nicht mit Trassierbändern abteilen und portionieren können. Aus diesem Grunde ist immer zu hinterfragen, ob die Schutzmaßnahmen ausgereicht haben. Aus entsprechenden Stabsrahmenübungen, die man auf der Ebene zwischen den Ländern veranstaltet hat, zieht man natürlich auch Erkenntnisse. Wesentlicher Zweck solcher Übungen ist, dass man Schwachstellen aufdeckt und die Beseitigung hinterher konsequent angeht.
Die Debatte um ein mobiles Bekämpfungszentrum hält schon seit den ersten Erfahrungen mit der Geflügelpest im Jahre 2003 an.
In den Fachpublikationen konnte man lesen, wie so etwas auszugestalten ist. Es geht um einen ganz kleinen finanziellen Rahmen, nämlich um 3 Millionen Euro für die Beschaffung. In unserem real existierenden Föderalismus braucht man eine fast drei Jahre dauernde Debatte um 3 Millionen Euro! Man kann leicht die Anteile der einzelnen Bundesländer ausrechnen. Schlussendlich entscheidet man dann im Januar 2006, dieses zu beschaffen. Auf meine konkrete Nachfrage von heute Morgen, wann es verfügbar ist, bekam ich die Auskunft aus Niedersachsen, welches bei der Beschaffung federführend ist: frühestens im Herbst. Angesichts dieser Situation frage ich mich doch, wie das aussieht, wenn man Kompetenzen auf die Bundesebene verlagert und diesen Bereich ganz klar strukturiert und regelt.
Ich kann nachvollziehen, dass man sich hier bewegen muss, gerade weil es darum geht, unsere gesamte von diesem Bereich abhängige Wirtschaft vor Schäden zu schützen, letztendlich auch die Besitzer von kleinen Geflügelzuchten. Denn auch diese müssen einmal erwähnt werden. Es betrifft nicht nur die Großbetriebe, also die 90 000 Betriebe, die statistisch erfasst sind und mehr als 3 000 Stück Geflügel halten. Das macht 123 Millionen Stück Geflügel aus, davon leben ungefähr 4,4 Millionen in Freilandhaltung. Es betrifft vielmehr auch die 280 000 Geflügelzüchter, Kleintierzüchter und Hobbytierhalter, die zum Teil nicht erfasst sind und für die es im Augenblick zunächst einmal außer der Aufstallungspflicht keinen Hinweis gibt, wie sie ihre Tiere tierschutzgerecht halten können. Darüber sollten wir uns Gedanken machen und diesen Personenkreis wahrnehmen.
Wir sollten auch bedenken, dass der Tierschutz neben der Ökonomie bei allen strategischen Überlegungen mit Sicherheit die wichtigste Rolle spielt. Denn wir müssen in diesem Bereich gerüstet sein. Das heißt, wir müssen auf den Tag X vorbereitet sein, sodass wir, wenn es zu Tötungen kommen sollte, diese tierschutzgerecht durchführen, und die Kapazitäten haben, das anfallende Material entsprechend den Tierseuchenvorgaben und dem Rahmenplan zu beseitigen. Darum geht es. In solchen Situationen dürfen wir nicht hilflos dastehen, wie wir es bei der MKS in England erlebt haben. Das wollen wir alle nicht. Das verunsichert die Verbraucher noch viel mehr. Ich glaube, unser nationaler Rahmenplan stellt eine ausreichende Sicherheit dar.
Allen voran marschiert in diesem Zusammenhang das Land Mecklenburg-Vorpommern. Das muss man ganz klar sagen. Mecklenburg-Vorpommern ist bei den Haltungsformen führend. 50 Prozent aller Hühner und Legehennen in Mecklenburg-Vorpommern leben in Freiland- oder Bodenhaltung.
Hier sollte man keine Kritik aufkommen lassen oder es hinterfragen.
Ich sehe die Gefahr, dass dieser Bereich im Augenblick zunehmend hinterfragt wird. Denn wo ist die Perspektive für die Hennenhaltung im Freiland? Nicht nur Legehennen laufen im Freiland, sondern natürlich auch Gänse und Enten in der Aufzucht. Wo sind die Perspektiven? Ich muss die Position, die ich früher vertreten habe, ein wenig revidieren. Haben wir hier denn eine konkrete Perspektive unter ökonomisch tragbaren Bedingungen? Das wird im Augenblick sehr hinterfragt.
Wenn man ein dauerhaftes Aufstallungsgebot erlässt, auch nur in bestimmten Regionen, muss man sich schon die Frage stellen, wie man den betroffenen Betrieben zur Seite stehen kann. Im Augenblick sind wir glücklicherweise nicht in einer solchen Situation. Aber erinnern wir uns daran, dass im Jahre 2003 in den Niederlanden ein schwach pathogenes Virus die Seuche ausgelöst hat. Das ist eine Modellstudie für das, was uns unter Umständen erwartet.
Wir müssen das auf jeden Fall und unter allen Umständen verhindern.
Es geht darum, das Problembewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, aber dabei nicht zu übertreiben. Es geht nicht darum, keinen Kuchen oder kein Frühstücksei mehr zu essen oder es erst zehn Minuten lang zu kochen, wie es in der Presse dargestellt wird. Das verursacht tiefste Verunsicherung. Wir sollten uns davor hüten, den schmalen Grat zwischen Überdramatisierung und sachlicher Information zu verlassen. Denn dann fällt das auf uns zurück und wir werden in aller Breite ökonomische Probleme bekommen.
Ich gehe einmal davon aus, dass das Risiko in der jetzigen Lage - zumindest solange es keinen Ausbruch der Geflügelgrippe in einem Hühner- oder Geflügelbestand gibt - nicht anders eingeschätzt werden muss - auch nicht das Risiko für die Menschen, die in unserem Land leben. Es handelt sich konkret um eine Zoonose; die Krankheit ist also potenziell auf den Menschen übertragbar. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen gibt es dafür ganz bestimmte Bedingungen. Man muss eine größere Menge des Virus aufnehmen. Das wird auch Kollege Goldmann nicht bestreiten. Er spielt ja auch nicht im Sandkasten im Hühnerkot. Potenziell gefährlich ist es, das Virus zum Beispiel oral aufzunehmen oder es in einem Stall, in dem es infizierte Tiere gibt, massiv einzuatmen. Dann besteht ein großes Risiko. Das Risiko hängt aber auch davon ab, ob man mit geringen Virusmengen oder mit großen Virusmengen in Kontakt kommt.
Aus diesem Grunde sollte man hier deutlich unterscheiden, statt Szenarien zu konstruieren, die de facto nicht eintreten können. Das ist wichtig.
- Allerdings, Herr Kollege Goldmann, sollte man nicht versuchen, die gegenwärtige Situation zu instrumentalisieren.
Wer auf die andere Seite dieses Hauses blickt, sieht den Grund dafür, dass es heute Morgen dazu gekommen ist: Frau Kollegin Tackmann, ich schätze Sie als Epidemiologin, aber nicht als Ideologin.
Denn die Positionen, die Sie vertreten haben, haben zu einem großen Teil mit Ihrem Eigeninteresse zu tun. Das Institut für Epidemiologie liegt schließlich in Ihrem Wahlkreis. Ihre Forderung ist zwar opportun; aber sie passte nicht in die Debatte, die wir heute Morgen geführt haben. Diese Diskussion müssen Sie an anderer Stelle führen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Priesmeier.
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Auch geht es darum, die Grundvoraussetzung anzuerkennen: dass wir in nächster Zeit, gerade was FLI angeht, 25 Millionen Euro investieren werden.
Auch dieser Bereich gehört dazu.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Priesmeier, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Das muss ich zwangsläufig tun; denn sonst würde mir das Mikrofon abgestellt.
Abschließend appelliere ich an die Bevölkerung, dieser Problematik mit Zurückhaltung und der gebotenen Vorsicht zu begegnen, aber auf gar keinen Fall Konsumverzicht zu üben.
Denn das würde unserer Wirtschaft und den Betroffenen noch viel mehr schaden.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Franz-Josef Holzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion.
Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eingetreten, was wir seit Wochen, zumindest aber seit einigen Tagen befürchtet haben: Betroffenheit und Unsicherheit bei einem Großteil unserer Bevölkerung.
Wenn wir auf die Entstehung des Problems in Südostasien zurückblicken, dann müssen wir feststellen, dass vor allen Dingen zwei Fehler begangen wurden: Erstens haben die dortigen Behörden zu langsam reagiert, zweitens haben sie die Bevölkerung über die Folgen des Virus im Unklaren gelassen. Aus diesen Fehlern müssen wir für unser weiteres Vorgehen lernen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen. An oberster Stelle steht die koordinierte Aufklärung unserer Bevölkerung und der Tierhalter,
aber, Frau Höhn, bitte schön kein Theater.
Um zur Aufklärung beizutragen, müssen wir sagen: Ja, auch Menschen können sich, wenn sie Kontakt mit infizierten Tieren haben, mit diesem Virus anstecken. Wir müssen sagen, dass diese Gefahr besteht. Aber - dieses „Aber“ gilt es der Bevölkerung zu verdeutlichen - die Vogelgrippe ist eine Tierseuche, die bisher ausschließlich in der Wildvogelpopulation
- vielen Dank für Ihren Hinweis, Frau Tackmann - aufgetreten ist. Die Gefahr der Ansteckung ist und bleibt für Menschen gering. Deshalb kann ich nur davor warnen, zu polemisieren, eine Krise herbeizureden oder eine Krise für Klientelpolitik zu missbrauchen.
Hans-Michael Goldmann, in einem Punkt sind wir wirklich eng beieinander: Wir brauchen keine ideologischen Grabenkämpfe. Aber wir sollten auch nicht dramatisieren, wie du es getan hast. Darauf hatten wir uns in der gestrigen Ausschusssitzung eigentlich geeinigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hysterie wäre, so ernst sich die Lage auch darstellt, übertrieben. Dadurch würden wir keine Aufklärung betreiben, sondern vielmehr zur Verunsicherung beitragen. Das sage ich ganz bewusst auch in Richtung der Medien, an deren Verantwortung ich an dieser Stelle ausdrücklich appelliere. Im Übrigen muss ich sagen: Ich finde, dass sie in den letzten Tagen sehr sachlich und sehr ordentlich über dieses Thema berichtet haben. Unsere Bevölkerung ist nun auf eine solche nüchterne Tatsachenberichterstattung angewiesen. Wir alle müssen uns um Sachlichkeit in der Analyse und vor allen Dingen um Sachlichkeit in unserem Handeln bemühen, um zu verhindern, dass Panik entsteht.
Dass dies gewährleistet ist, davon zeugen sowohl die Aktivitäten, die die Bundesregierung im Vorfeld des jetzt aufgetretenen Falls der Vogelgrippe bei Wildgeflügel auf Rügen ergriffen hat, als auch die daraufhin eingeleiteten Maßnahmen. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bei Herrn Seehofer bedanken. Ein solches Vorgehen wurde in den vergangenen Jahren nicht immer an den Tag gelegt. Nun wird besonnen agiert
und ehrlich und deutlich aufgeklärt. All das geschieht auf sachliche und sehr professionelle Weise. Herr Minister, auch hierfür ein herzliches Dankeschön!
Meine Damen und Herren, Sachlichkeit in der Kommunikation bedeutet auch, den Verbrauchern deutlich zu sagen: Bisher ist von der Vogelgrippe in Deutschland ausschließlich Wildgeflügel befallen. Die Nutztierbestände auf unseren Höfen und in den Betrieben sind von der Virusinfektion nicht betroffen. Wir haben jetzt dafür Sorge zu tragen - der Minister hat das vorhin deutlich gemacht -, dass dieses auch so bleibt. Denn Nutztierschutz ist Verbraucherschutz; das muss uns allen klar sein.
Deshalb begrüße ich die Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, vor allen Dingen die Aufstallungspflicht. Ein Blick nach Asien und in die Türkei zeigt, dass dort gerade Tiere befallen wurden, die draußen, außerhalb von Ställen, gehalten wurden.
Auch wenn der eine oder andere es nicht gerne hören mag, möchte ich eines noch einmal deutlich sagen: Gerade die moderne Geflügelhaltung in Deutschland stellt für unseren Verbraucher einen besonderen Schutz dar.
Das Fleisch unserer Nutztiere ist sicher. Daher warne ich vor überzogener Panikmache: Wir sind dem Virus nicht schutzlos ausgeliefert. Wie Frau Höhn, in deren Bundesland 2003 die Vogelgrippe aufgetreten ist, schon mitgeteilt hat, konnte mit der Aufstallungspflicht verhindert werden, dass bei uns in Deutschland passiert, was in den Niederlanden passiert ist.
Deswegen appelliere ich an alle Geflügelhalter, diese Aufstallungspflicht strikt zu befolgen. Ich weiß, dass das für viele Betriebe schwierig ist; aber es gibt dazu keine Alternativen.
Neben den gesundheitlichen Folgen für unsere Bevölkerung, auf die meine Vorredner intensiv eingegangen sind, möchte ich Ihnen am Beispiel meiner Heimat Niedersachsen vor Augen führen,
vor welch enormen wirtschaftlichen Herausforderungen wir stehen, wenn wir es nicht schaffen, das Virus von unseren Nutztieren fern zu halten. Wie Sie sicherlich wissen, gibt es in Niedersachen sehr viele Geflügelhalter - 15 000 Nutztierhalter; wenn man Kleintier- und Hobbytierhalter hinzuzählt, kommt man auf 20 000 -; wir haben 75 Millionen Stück Geflügel mit einem Gesamtproduktionswert von über 800 Millionen Euro. 2003 verursachte die Vogelgrippe in den Niederlanden bei einem Bestand von 90 Millionen Tieren einen Schaden von über 500 Millionen Euro. Sie können sich ausrechnen, welch ein wirtschaftliches Desaster ein Vogelgrippebefall unserer Nutztiere in Deutschland anrichten würde: Dann wären auch bei uns Tausende Arbeitsplätze betroffen; an denen wiederum hingen Tausende Familienschicksale. Wie vorhin ausgeführt worden ist: In Italien sind bereits 30 000 Arbeitsplätze durch die Vogelgrippe verloren gegangen.
Der Verbraucherschutz steht natürlich an erster Stelle. Aber es ist auch wichtig, Herr Minister Seehofer, dass im Agrarrat am Montag auch die Sicherung der Drittlandexporte angesprochen wird. Die Kommission muss sich bemühen, dass nicht vollkommen unbegründet Märkte wegbrechen.
Abschließend noch einmal: Wir haben zurzeit keinen Befall unserer Nutztiere. Die Bevölkerung kann unbedenklich deutsches Geflügelfleisch genießen. Neben der Aufklärung der Verbraucher, die selbstverständlich an erster Stelle stehen muss, müssen wir aber auch alles in unserer Macht Stehende tun, um das Virus von unseren Tieren fern zu halten. Das ist aktiver Verbraucherschutz. Lassen Sie uns bei diesem wesentlichen Thema über die Parteigrenzen hinweg deeskalierend wirken und nicht polemisieren! Das wäre mein Appell an Sie alle.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Holzenkamp, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 k sowie Zusatzpunkte 7 a bis 7 d auf - es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte -:
22. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes
- Drucksache 16/644 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes
- Drucksache 16/635 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes
- Drucksache 16/645 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Personenbeförderungsrechts
- Drucksache 16/517 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
e) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2005
- Einzelplan 20 -
- Drucksache 16/500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für ein effektives, europataugliches und wirtschaftsfreundliches Umweltrecht
- Drucksache 16/654 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vierunddreißigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2005 bis 2008
- Drucksache 15/5141 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Leichter-als-Luft-Technologie - Innovations- und Anwendungspotenziale
- Drucksache 15/5507 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
i) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Fortschritte zur Entwicklung der verschiedenen Felder des Geoinformationswesens im nationalen, europäischen und internationalen Kontext
- Drucksache 15/5834 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
j) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung für den Zeitraum 2002 bis 2005
- Drucksache 15/6012 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
k) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Internet und Demokratie -
Abschlussbericht zum TA-Projekt „Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“
- Drucksache 15/6015 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Aigner, Michael Kretschmer, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Informatives Berichtswesen als Grundlage einer guten Forschungs- und Technologiepolitik
- Drucksache 16/646 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verwendung der Regionalisierungsmittel offen legen
- Drucksache 16/652 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Resozialisierungsziele des Strafvollzugs bewahren - Sicherheit nicht gefährden
- Drucksache 16/653 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für ein wirksames Umweltrecht im föderalen Deutschland schaffen
- Drucksache 16/674 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Tagesordnungspunkt 22 a. Es ist vorgesehen, die Vorlage auf Drucksache 16/644 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/645 - Tagesordnungspunkt 22 c - soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie den Haushaltsausschuss überwiesen werden.
Die Vorlage auf Drucksache 16/654 - Tagesordnungspunkt 22 f - soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Die übrigen Vorlagen sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 23 a bis i. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 23 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Reform hufbeschlagrechtlicher Regelungen und zur Änderung tierschutzrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/29 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
(10. Ausschuss)
- Drucksache 16/669 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/669, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/701? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/702? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz
- Drucksache 16/47 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/678 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Joachim Stünker
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Neskovic
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/678, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 172 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1991 über die Arbeitsbedingungen in Hotels, Gaststätten und ähnlichen Betrieben
- Drucksache 16/342 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/626 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dirk Niebel
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt auf Drucksache 16/626, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Richtlinie 95/50/EG des Rates über einheitliche Verfahren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße
KOM (2005) 430 endg.; Ratsdok. 12360/05
- Drucksachen 16/150 Nr. 2.191, 16/537 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Menzner
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über Stoffe, die die Ozonschicht schädigen
(Chemikalien-Ozonschichtverordnung - ChemOzonSchichtV)
- Drucksachen 16/411, 16/480 Nr. 2.3, 16/619 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 16/411 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkte 23 f bis 23 i. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 23 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 10 zu Petitionen
- Drucksache 16/558 -
Über die Beschlussempfehlung 1 und 2 in der Sammelübersicht 10 stimmen wir getrennt ab. Wir stimmen daher zunächst über die Beschlussempfehlung 1 des Petitionsausschusses in Sammelübersicht 10 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung 1 ist einstimmig angenommen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung 2? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung 2 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Damit ist die Beschlussempfehlung und somit die Sammelübersicht 10 insgesamt angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 11 zu Petitionen
- Drucksache 16/559 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 11 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 12 zu Petitionen
- Drucksache 16/560 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 13 zu Petitionen
- Drucksache 16/561 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 13 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 19. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 17. Februar 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]