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September 03/1998
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Johann Hahlen

Der Countdown läuft
Blickpunkt Bundestag-Gespräch mit Bundeswahlleiter Johann Hahlen

Er ist der Mann, bei dem am 27. September die Strippen zusammenlaufen: Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamtes und Bundeswahlleiter. Blickpunkt Bundestag sprach mit ihm über Wahlbeteiligung, Lampenfieber und ungewöhnliche Begleitumstände der Wahl. Hat ein Bundeswahlleiter Lampenfieber?
Nein, habe ich nicht. Wir haben eine hervorragende und erfahrene Mannschaft zusammen. Im eigentlichen Wahlbüro haben wir etwa 15 Mitarbeiter, bei der Informations-Technik ebenfalls, und am Wahlabend sind es sogar an die 150 Mitarbeiter in Wiesbaden und im Bundeshaus, die die Wahl organisieren. Das sind Kollegen, die schon drei, vier oder fünf Wahlen und vor allem die erste gesamtdeutsche Wahl bewältigt haben, als es zum Beispiel kaum Fernsprecher zwischen Ost- und Westberlin gab. Wer das geschafft hat, der schafft auch die kommende Bundestagswahl.

Was macht der Bundeswahlleiter am Wahltag? Haben Sie überhaupt Zeit zu wählen?
Ich wohne zwischen Köln und Bonn in Urfeld und werde dort erst einmal gegen halb neun im Wahllokal in der Grundschule zur Wahl gehen. Dann fahre ich ins Bundeshaus, denn schon während des Tages melden sich Kreis- und Landeswahlleiter mit Zweifelsfragen und holen sich bei uns Rat. Aber der Vormittag ist überwiegend ruhig. Dann werden wir um 12, 14 und 16 Uhr den Stand der Wahlbeteiligung aus einigen hundert ausgewählten Wahlbezirken ermitteln, die wir zuvor um Meldungen gebeten haben. Damit wollen wir die Bürger zu Hause, die noch gemütlich beim Kaffee sitzen, aufmuntern, zur Wahl zu gehen. Und um 18 Uhr beginnt der Ernst des Lebens.

Verfolgen Sie auch die ersten Hochrechnungen, die schon kurz nach 18 Uhr über die Sender gehen?
Natürlich, die verfolgen wir mit großen Augen. Erfahrungsgemäß gegen 21 Uhr kommen bei uns die ersten Ergebnisse aus den 328 Wahlkreisen an, wobei oft die Stadtgebiete die ersten sind. Gegen 22:30 Uhr erreichen wir eine Bugwelle, wo viele Ergebnisse geballt eintreffen. Anschließend flaut es ab, und wir wartet dann oft sehr lange auf die letzten Ergebnisse.

Ihr Ziel ist es normalerweise, zwischen 1 und 2 Uhr das vorläufige Endergebnis zu melden...
... das wäre eine sehr schöne Zeit, aber ich habe nicht die Illusion, daß wir diese Zeit erreichen. Bei den letzten beiden gesamtdeutschen Wahlen hat es bis in die Morgenstunden gedauert, weil in einzelnen Wahlkreisen zum Beispiel die Meldewege nicht so funktionierten, Wahlvorstände bereits nach Hause gegangen waren oder die Kreiswahlleiter feststellten, daß noch ein Ergebnis fehlte und deshalb ihre Meldung zurückhielten. Ein Problem, das auf uns zukommt, ist jedoch die Ungeduld der Politiker, die wissen wollen, wie die Wahl ausgegangen ist. Und dabei könnten wieder die Überhangmandate eine große Rolle spielen. Vor allem in Ostdeutschland, wo in vielen Wahlkreisen SPD, CDU und PDS stark miteinander konkurrieren, können schon kleine Verschiebungen einen Wahlkreis kippen lassen, ohne daß es zu wesentlichen Veränderungen bei den Zweitstimmen gekommen ist.
Erst wenn wir alle Ergebnisse der 328 Wahlkreise haben, können wir das Ergebnis der Erst- und Zweitstimmen für eine Partei vergleichen und die Zahl der notwendigen Überhangmandate errechnen. Und das braucht eben Zeit.

Wieso kostet die Bundestagswahl rund 100 Millionen Mark?
Weil vor allem die Post viel Geld durch die Wahl verdient. Wir hatten beim letzten Mal fast 6,4 Millionen Briefwähler. Zwar zahlt der Bürger kein Porto, aber der Bund erstattet der Post natürlich die Gebühren. Dabei werden die Briefwahlunterlagen erst an den Bürger geschickt, der sie dann wieder ausgefüllt zurücksendet. Da kommt eine Menge Porto zusammen. Jeder der 60,5 Millionen Wahlberechtigten bekommt außerdem eine Wahlbenachrichtigung, die ebenfalls überwiegend mit der Post verschickt wird. Und dann gibt es noch das Erfrischungsgeld für die Bürger, die in den Wahllokalen am Wahltag die Wahlvorstände bilden. Der Bund erstattet den Gemeinden pro Helfer 30 Mark. Bei rund 80.000 Wahllokalen und 10.000 Briefwahlbezirken kommen wir auf rund 600.000 Helfer. Allein für das Erfrischungsgeld brauchen wir also schon 18 Millionen Mark.

Seit den 50er Jahren ist der Anteil der Briefwähler von 4,9 auf inzwischen 13,4 Prozent gestiegen. Wie erklären Sie sich diesen deutlichen Zuwachs?
Ich glaube, dafür sind vor allem zwei Gründe verantwortlich. Die Leute sind mobiler geworden, machen sonntags einen Ausflug und wollen sich durch die Wahl nicht einschränken lassen. Zum anderen gibt es immer mehr ältere Menschen, die eher dazu neigen, zu Hause zu bleiben oder auch nicht mehr im Lokal wählen können, weil sie krank oder gebrechlich sind.

Warum wird in Deutschland sonntags gewählt und nicht wochentags wie beispielsweise in Großbritannien und den USA?
Das ist eine alte und, wie ich finde, gute Tradition. Der Sonntag ist ein freier Tag, so daß jeder, egal wie er beruflich eingespannt ist, genug Zeit hat, zur Wahl zu gehen. Die hohe Wahlbeteiligung in Deutschland von rund 80 Prozent führe ich auch auf den Sonntag zurück. In anderen Staaten, die unter der Woche wählen, gibt es eine deutlich geringere Wahlbeteiligung.

Ist die Wahl in einem Wahlkreis zum Beispiel wegen höherer Gewalt schon einmal ausgefallen?
Nein, das ist zum Glück noch nie passiert. Aber eine Situation wie beim Oderhochwasser im vergangenen Jahr könnte so eine Situation sein, die uns zwingt, die Wahl zu verschieben.

Es gibt bei jeder Wahl auch unabhängige Einzelpersonen, die sich in einem Wahlkreis für den Bundestag bewerben. Gab es auch schon erfolgreiche Bewerber?
Ja, allerdings nur bei der Bundestagswahl 1949. Damals haben gleich mehrere unabhängige Bewerber ihren Wahlkreis errungen und den Sprung in den Bundestag geschafft. Seither wird das zwar immer wieder versucht, aber ohne Erfolg. Eines der bekanntesten Beispiele ist der frühere Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels, der aus Protest gegen die kommunale Neugliederung als Einzelbewerber angetreten ist und ein Achtungsergebnis von etwa 20 Prozent errungen hat. Daniels hat es dann sogar geschafft, die Wahlkampfkostenerstattung, die es für die Parteien gab, auch für Einzelbewerber durchzusetzen.

Gibt es auch diesmal Einzelbewerber?
Ja, eine ganze Menge sogar. Wir rechnen mit über 100.

Wie viele Bundestagswahlen haben Sie schon geleitet?
Noch keine. Die Wahl '98 ist meine erste.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9803/9803016
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