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März 02/1999
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Politik unterschiedlich bewertet

(hh) Unterschiedlich haben die führenden Politiker der Koalition und der Opposition die ersten Monate der neuen Bundesregierung bewertet. In der Debatte zum Etat des Bundeskanzleramtes, in der es am 24. Februar traditionell zu einer Generalaussprache über die Regierungspolitik kam, hielt die Opposition die Regierung für "substanzlos" und "überheblich". Demgegenüber vermißten die Koalitionsfraktionen "konstruktive" Gegenvorschläge der Opposition.

"Selten hat eine Regierung in so kurzer Zeit so viel Durcheinander angerichtet", betonte der Vorsitzende der CDU/CSU­Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble. Es gehöre viel Frechheit dazu, etwas "ökologische Steuerreform" zu nennen, was keinerlei ökologischen Lenkungseffekt und keinerlei Energieeinsparung erwarten lasse. Wie die Neuordnung der 630­Mark­Jobs, die eine "Reformpleite ohne Ende" sei, kritisierte Schäuble auch die Vorhaben zur großen Steuerreform.

"Reformpleite ohne Ende"

"Sie selbst haben mit Ihren hektischen Nachbesserungen, Ihren laufend neuen Ausnahmen und Korrekturen längst eingestanden, daß die ganze Aktion schiefgegangen ist", sagte der CDU/CSU­Fraktionsvorsitzende in Richtung des Bundeskanzlers. Zum Haushalt 1999 betonte Schäuble, daß zu einer Konsolidierung durch Einschränkung der Ausgaben der neuen Regierung die Kraft und der Mut fehle. Statt dessen würden die Ausgaben um fast 7 Prozent wachsen. Dies sei die höchste Steigerungsrate seit Jahrzehnten. Die Regierung habe keine neuen Haushaltslöcher beim Kassensturz vorgefunden, sondern 10 Milliarden DM Überschuß, die ins Haushaltsjahr 1999 transferiert worden seien. So sei der "unverantwortliche Ausgabenanstieg" notdürftig im Rahmen der verfassungsrechtlich noch zulässigen Neuverschuldung gehalten worden.

Der SPD­Bundestagsfraktionsvorsitzende, Peter Struck, warf der Opposition vor, keine Alternative zur Regierungspolitik aufzuzeigen. Die Linie der Unionsparteien erschöpfe sich darin, zu polarisieren und zu polemisieren. Die Regierung habe in den ersten Monaten eine Menge geschafft, es bestehe aber ein Defizit, diese Leistungen richtig darzustellen. "Wir können für unseren ersten Haushalt sagen, daß unsere Überschrift stimmt: Versprochen und Wort gehalten", betonte Struck.

Es sei ein Haushalt für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung, der den Rahmen für neue Arbeitsplätze und für finanzpolitische Stabilität schaffe. "Es ist ein Haushalt, der deutliche Signale setzt: Solidität und Klarheit in den Finanzen, Deckel auf die Neuverschuldung, mehr Geld für Innovationen und Investitionen", sagte er. Er stehe im Zusammenhang mit der umfangreichsten Steuerreform seit 1949. Deren wichtigste Ziele seien die Entlastung der Arbeitnehmer und Familien sowie die Stärkung der mittelständischen Wirtschaft und ökologische Innovationen.

Für die F.D.P.­Fraktion kritisierte ihr Vorsitzender Wolfgang Gerhardt, daß die Bundesregierung bisher nicht deutlich gemacht habe, was sie wolle, sondern nur, was sie nicht wolle. Die Steuerpläne der Koalition liefen auf das "größte Abkassieren der Bürger Deutschlands seit 1945" hinaus, sagte er. Die F.D.P. habe auf allen wesentlichen Politikfeldern brauchbare Vorschläge. Gerhardt forderte die Bundesregierung bei der Steuerreform und beim Staatsangehörigkeitsrecht auf, die Modelle der F.D.P. zu diskutieren.

"Probleme angegangen"

Rezzo Schlauch (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, die rotgrüne Koalition gehe die Probleme an und habe bereits "den Staub des Stillstands" der alten Regierung weggefegt. Er unterstrich, die neue Regierung sei nicht am Ende, sondern fange "erst an". Bei der Ökosteuer warf Schlauch der Opposition vor, sie habe nicht begriffen, oder sie wolle es nicht begreifen. Bei der Einkommensteuerreform würden kleine und mittlere Einkommen entlastet. "Die Verlierer ihrer Politik erhalten so endlich einen gerechten Ausgleich", sagte er mit Blick auf die Opposition.

Der Vorsitzende der PDS­Fraktion im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi, kritisierte die neue Bundesregierung vor allem wegen handwerklicher Mängel. Was das angehe, so laufe noch vieles durcheinander. Dies gelte vor allem für die Neuregelung der 630­Mark­Beschäftigungsverhältnisse. Gysi forderte den Bundeskanzler auf, Fehlentwicklungen in den neuen Ländern "anzupacken", nachdem der Kanzler dieses Thema zur Chefsache erklärt habe.

"Handwerkliche Mängel"

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verteidigte bei der Haushaltsdebatte die Politik der rotgrünen Koalition. Die Regierung sei angetreten, Modernität mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden, und sei trotz eines zuweilen hohen Tempos dabei, dies erfolgreich in die Tat umzusetzen. Aufgabe der Regierung sei es, die soziale Balance wiederherzustellen. Deshalb habe die Koalition Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz wieder einrichten, die Kürzung kleiner Renten zurückgenommen und rücke in der Gesundheitspolitik die Belange der Patienten statt die der Interessengruppen in den Mittelpunkt. Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit habe sich die abgewählte Koalition Jahr für Jahr mit Versprechungen der Unternehmen hinhalten lassen, sagte Schröder. Unter seiner Verantwortung sei ein Programm auf den Weg gebracht worden, mit dem arbeitslosen Jugendlichen geholfen werde. "Darauf bin ich stolz", betonte er.

Im energiepolitischen Teil seiner Rede machte Schröder deutlich, daß es ein langfristiges Ziel sei, auf die Kernenergie zu verzichten. Die Regierung brauche aber Zeit, dieses Ziel zu verwirklichen.

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) entgegnete dem Kanzler, der Kurs der neuen Regierung sei unklar - soweit er überhaupt zu erkennen sei, gehe er in die falsche Richtung. Er warf der rotgrünen Regierung vor, "weit weg von der Bevölkerung" zu sein. Stoiber sagte, es sei ihm "gewaltig aufgestoßen", daß der Kanzler Schäuble und ihn kritisiere, wenn sie eine erhebliche Senkung der deutschen EU­Beiträge um 14 Milliarden DM forderten. Einen entsprechenden Beschluß habe der Bundesrat 1997 mit der Stimme des niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder gefaßt. "Auf Dauer werden sie mangelnde Glaubwürdigkeit nicht mit lockeren Sprüchen und Optimismus überspielen", sagte er. Der bayerische Ministerpräsident machte bei der neuen Bundesregierung "mangelnde politische Führung und Gestaltungskraft" aus. "Das war kein Aufbruch", schloß Stoiber.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9902/9902025
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