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Februar 02/2001
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Die Welt ändert sich, und mit ihr die Bundeswehr

Die Welt ist anders geworden. Europas Landkarte hat sich dramatisch verändert. Und Deutschland ist wiedervereinigt. Wo sich noch vor zwölf Jahren waffenstarrende Systeme gegenüberstanden, arbeiten Nationen nun gemeinsam am weiteren Aufbau Europas. Das bedeutet, dass auch die Aufgaben der Bundeswehr völlig anders geworden sind. Jahrzehntelang sollten knapp 500.000 Soldaten die ersten Angriffswellen aufhalten, mit stärkster Panzerung in einem konventionellen Krieg so viel Boden wie möglich verteidigen. Parallel sollte die Heimatverteidigung durch Hunderttausende von Reservisten verstärkt werden. Die Durchsicht der internen Planungen des früheren Ostblocks hat gezeigt, dass die Bedrohungseinschätzung realistisch war. Aber das ist Vergangenheit.

Kasernentor.
Kasernentor.

Heute ist Deutschland mit sämtlichen Nachbarn freundschaftlich verbunden. Und die Welt erwartet von Deutschland, dass es mehr sicherheitspolitische Mitverantwortung in der Welt übernimmt. Schrittweise ist die Beteiligung Deutschlands gewachsen. Bei der Befreiung Kuwaits im Golfkrieg 1991 beschränkte sich das Engagement auf logistische und finanzielle Unterstützung. Während der Jugoslawien-Krise in den folgenden Jahren flogen deutsche Soldaten in den AWACS-Aufklärungsmaschinen mit. Das Stellen von Sanitätspersonal – bis dahin einzige Form direkter Beteiligung an internationalen Missionen – ging 1995 in eine umfassende Teilnahme mit Heeres-, Luftwaffen- und Marinesoldaten über. Dies war der Beginn von IFOR, der militärischen Durchsetzung der Friedensvereinbarung von Dayton für Bosnien-Herzegowina. Inzwischen ist aus der Umsetzung eine Stabilisierung geworden, aus IFOR wurde SFOR, und Bundeswehrsoldaten bilden darin einen wichtigen Faktor. Für die Öffentlichkeit waren die NATO-Kampfeinsätze 1999 im Kosovo das einschneidendste Erlebnis einer gewandelten Rolle, die Deutschland mit seiner Bundeswehr im Bündnis übernommen hat. Deutsche Kampfflugzeuge wurden von der Operationszentrale angefordert und eingesetzt wie die der anderen NATO-Partner auch. Wegen der besonderen Fähigkeiten der Tornado-Jets bei der Unterdrückung und Bekämpfung von Radaranlagen kam ihnen sogar eine besondere Bedeutung zu. Und bei der Entwaffnung der verfeindeten Gruppen im Kosovo und dem Neuaufbau des zivilen Lebens in der serbischen Provinz stellte Deutschland ein Sechstel der multinationalen KFOR-Truppe.

Das konnte die Bundeswehr leisten, weil die Politik Milliarden für die spezielle Ausrüstung der Missionen bereitstellte, die jahrzehntelang nicht zu den Kernaufgaben der deutschen Streitkräfte gehört hatten. Nun stehen sie neben der Bündnisverteidigung im Mittelpunkt der neuen Anforderungen. Und so kommt die Notwendigkeit einer fundamentalen Bundeswehrreform von zwei Seiten: Die neuen Aufgaben verlangen die Fähigkeit zur schnellen Verlegung bei leichterer Bewaffnung und mit spezieller Ausrüstung, gleichzeitig ist durch die politische Umgestaltung Europas ein tiefgestaffelter, schwer gepanzerter Abwehrriegel überflüssig geworden. Weitere Vorgaben setzten Abrüstungsverträge im Prozess der Einheit, die der Bundeswehr nach der Aufnahme von Teilen der Nationalen Volksarmee der DDR einen Zwang zum Schrumpfen bei Personal und Bewaffnung auferlegten. In der ersten Hälfte der 90er Jahre waren die neuen Streitkräfte der Einheit bereits von 585.000 auf 340.000 Mann reduziert worden. Am Ende des nächsten Umbau-Schrittes sollen nur noch 285.000 Soldaten stehen, wovon gut 250.000 die eigentliche Truppe bilden. Sie wird ebenfalls von Grund auf neu organisiert. Zu den traditionellen Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine tritt – wegen der besonderen Bedeutung bei internationalen Einsätzen – das ausgebaute Sanitätswesen und eine neue Teilstreitkraft, die so genannte Streitkräftebasis, die für alle anderen Teile gemeinsame Unterstützung leistet. Bis 2004 soll der militärische Umbau in den Grundzügen abgeschlossen sein. Bis 2006 werden nach den Plänen die damit verbundenen Auswirkungen auf die Stationierung umgesetzt. Bis 2010 soll dann auch die zivile Bundeswehrverwaltung den neuen Anforderungen angepasst werden.



IFOR – SFOR – KFOR

Im Friedensvertrag von Paris 1995 stimmten die am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien beteiligten Parteien der Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe IFOR (Implementation Force) von Soldaten aus NATO- und Nicht-NATO-Staaten zu. Ende 1996 wurde auf einer Konferenz in London speziell für Bosnien eine SFOR (Stabilization Force) der NATO beschlossen, die dort die IFOR ablöste.

Nach Ende des Konflikts im Kosovo schickte die NATO Mitte 1999 die KFOR (Kosovo Force) in die Region, die dort mit einem UNO-Mandat zum Aufbau von Sicherheitsstrukturen eingesetzt ist.



Weizsäcker-Kommission

Die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" wurde von der Bundesregierung im Mai 1999 berufen. Das Gremium wurde nach seinem Vorsitzenden, dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard Freiherr von Weizsäcker, kurz "Weizsäcker-Kommission" genannt. Es sollte untersuchen, wie die Bundeswehr künftig ihre Aufgaben im Rahmen umfassender Sicherheitspolitik wahrnehmen kann. Der Kommission gehörten neben Weizsäcker 19 Experten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an. Ihre Empfehlungen zur langfristigen Entwicklung der Bundeswehr hat sie dem Verteidigungsminister sowie dem Bundeskanzler am 23. Mai 2000 vorgelegt.



Internet

Umfangreiche Informationen zur Bundeswehr unter: www.bundeswehr.de.

Texte zur Bundeswehrreform finden Sie unter "Ministerium" und "Politik aktuell".



Blickpunkt Bundestag hat die Sprecher der fünf Parlamentsfraktionen gefragt, wie der Umbau der Bundeswehr nach ihrer Ansicht vonstatten gehen sollte.

Peter Zumkley, SPD.
Peter Zumkley, SPD
peter.zumkley@bundestag.de.

Neuausrichtung erfordert Umstrukturierung

Die Bundeswehrreform basiert auf einer umfassenden sicherheitspolitischen Analyse. Seit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes stellen sich neue Herausforderungen an die deutsche Sicherheitspolitik. Deutschland nimmt seine Verantwortung ernst. Die Wahrung von Stabilität und Sicherheit in und für Europa und die Förderung des Weltfriedens fordern einen veränderten sicherheitspolitischen Ansatz. Die NATO ist und bleibt der Garant für die Sicherheit in Europa. Gleichzeitig erhält die Europäische Union mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität eine größere Bedeutung.

Bundeswehr braucht ein neues Profil

Die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" hat weitgehende Empfehlungen für die konzeptionelle Neuausrichtung der Bundeswehr und eine fundierte Einschätzung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen gegeben. Diese Empfehlungen werden überwiegend umgesetzt. Für die neuen Aufgaben ist es notwendig, der Bundeswehr neue Fähigkeitsprofile zu verschaffen. Dazu gehören u.a. die Erhöhung der Interoperabilität, die strategische Aufklärung und die Möglichkeit zum operativen Lufttransport. Die Streitkräfte der Zukunft werden kleiner, im Hinblick auf die Herausforderungen jedoch auch moderner und effizienter. Die Feinausplanung sieht deshalb modular aufgebaute, flexible und zugleich straffe Strukturen vor.

Die Zahl der Soldaten wird von 340.000 im Soll auf ca. 285.000 reduziert. Gleichzeitig wird die Zahl der Soldaten, die neben der Landes- und Bündnisverteidigung auch zur Krisen- und Konfliktprävention befähigt sind, von 50.000 auf 150.000 verdreifacht. Die Bundeswehr wird in der bewährten Mischform aus ca. 200.000 Zeit- und Berufssoldaten und ca. 85.000 Wehrpflichtigen bestehen. Im Zuge der Reduzierung und Rationalisierung sowie einer konsequenten Verlagerung von nichtstreitkräftespezifischen Aufgaben in die Privatwirtschaft wird es möglich, die Zahl der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr auf ca. 80.000 bis 90.000 zu verringern. Die gesamten Personalmaßnahmen werden sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen bis etwa 2010 vollzogen.

Standorte dienen nicht nur der Strukturförderung

Das Stationierungskonzept ist ausgewogen. Obwohl der Personalumfang um fast 17 Prozent reduziert wird, werden nur 6,5 Prozent der Standorte geschlossen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hätte es auch zu weit drastischeren Schließungen kommen können. Viele Fachleute, auch die "Weizsäcker-Kommission", haben diesen Ansatz verfolgt. Obwohl die Entscheidung für die betroffenen Gemeinden ein schmerzlicher Einschnitt ist, kann die Bundeswehr nicht allein einem strukturpolitischen Zweck dienen. Auch wenn dies in Einzelfällen wünschenswert wäre. Wir haben und wir werden keine Kürzungen in laufenden Haushaltsjahren vornehmen. Mit dem vorgesehenen Plafond werden wir die Bundeswehr kontinuierlich – Schritt für Schritt – modernisieren.

Der durch die Reform gewonnene finanzielle Spielraum wird für die dringend benötigten Investitionen und die Attraktivitätssteigerungen im Personalbereich verwandt.

Die Neuausrichtung erfordert erhebliche Umstrukturierungen in der gesamten Bundeswehr, sie wird mehrere Jahre dauern. Damit haben alle Beteiligten die Möglichkeit, sich auf die Veränderungen einzustellen. Die Reform verlangt eine große Kraftanstrengung. Für das Gelingen brauchen wir vor allem die Mitwirkung der Soldaten und zivilen Mitarbeiter sowie ihre Bereitschaft, sich den Herausforderungen mit Engagement zu stellen.



"Reform" der Bundeswehr auf Sand gebaut

Paul Breuer, CDU/CSU.
Paul Breuer, CDU/CSU
paul.breuer@bundestag.de.

Scharpings Konzept für die Zukunft der Bundeswehr ist auf Sand gebaut. Die Bundeswehr steht deshalb in einem Umbauprozess ohne klare Perspektive und voller neuer Unsicherheiten. Eine sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte hat nicht hinreichend stattgefunden. Erst danach könnte die Beschreibung von Aufgaben und Fähigkeiten der Bundeswehr stehen. Dann käme die Finanzierung.

Es ist bezeichnend: Das Weißbuch, mit der Darstellung grundsätzlicher Überlegungen zur Sicherheitspolitik, ist immer noch nicht auf dem Markt. Maßgebliche Entscheidungen zur Struktur sind jedoch getroffen. Der Grund ist die Ausrichtung des Umbaus der Bundeswehr an Eichels Finanzdiktat.

Krisen und Konflikte an den Rändern Europas

Der Blick auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre zeigt: In Europa ist zwar eine große Zone der Sicherheit entstanden. An den Rändern und im Südosten Europas haben Krisen und Konflikte jedoch massiv zugenommen. Dort ist die Lage voller Risiken und Instabilitäten. Noch vor wenigen Jahren hätte niemand das Ausmaß unseres Balkanengagements voraussehen können. Niemand kann eine Prognose abgeben, welche sicherheitspolitische Lage in und um Europa uns in den nächsten Jahrzehnten erwartet.

Die Bundeswehr muss auf zukünftige Risiken und Unwägbarkeiten ausgerichtet und leistungsfähig sein. Sie muss zur Landes- und Bündnisverteidigung sowie zur Krisenreaktion befähigt sein. Das ist wohlverstandene Sicherheitspolitik als Vorsorge. Neben einer ausreichenden personellen Stärke der Bundeswehr, der ausgewogenen Mischung aus Freiwilligen und Wehrpflichtigen, ist eine moderne Ausrüstung unerlässlich.

Wer Strukturen, Material und Personal der Bundeswehr effizienter nutzen und einsparen will, muss zunächst einmal modernisieren. Das bedeutet Investitionen. Wer die "größte Bundeswehrreform aller Zeiten" (Scharping) aber näher betrachtet, muss feststellen, das die notwendigen Anschubinvestitionen nicht vorhanden sind, um die Reform nach vorne zu bringen. Scharping ist nicht in der Lage, den laufenden Betrieb allein für dieses Jahr solide zu finanzieren. Die fälligen Rechnungen für
Reparaturen kann er bald nicht mehr bezahlen. An größere Beschaffungsprojekte ist nicht zu denken.

Scharping präsentiert einen ungedeckten Scheck

Während die Bundeswehr auf dem Balkan die aufwändigsten und gefährlichsten Einsätze ihrer Geschichte besteht und Deutschland gegenüber NATO und EU immer mehr Verpflichtungen eingeht, wird die Bundeswehr finanziell in die Enge getrieben. Rot-Grün entzieht der Bundeswehr in vier Jahren knapp 20 Milliarden Mark. Scharping präsentiert damit auf internationalem Parkett nicht mehr als einen ungedeckten Scheck. Den Anspruch, den er erhebt, hat mit der Wirklichkeit einer "Reform" nichts zu tun. Die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr haben die Suppe auszulöffeln, denn: Immer mehr Aufgaben werden auf immer weniger Schultern verteilt.

Die Bundeswehr ist ein wichtiges Instrument der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir müssen Sicherheit exportieren und Stabilitätspolitik, zusammen mit unseren Partnern in NATO und EU betreiben können. Deutschland ist ein wesentliches Land in der Mitte Europas. Wenn die rot-grüne Bundesregierung nicht bereit ist, diese Verantwortung zu erkennen und entsprechend zu handeln, werden der Ansehensverlust für Deutschland und der Schaden für die europäische und nordatlantische Sicherheit massiv sein.



Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen
angelika.beer@bundestag.de.

Von Partnern und Freunden umgeben

Die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland wird sich in den kommenden Jahren gründlich ändern. Dies ist die Folge der außerordentlich günstigen sicherheitspolitischen Lage, in der wir uns seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes befinden, sowie der Entscheidung der rot-grünen Koalition, die Versäumnisse der 90er Jahre aufzuholen. Wir sind seit über zehn Jahren von Partnern und Freunden umgeben. Als Folge daraus wird die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik umorientiert: Sie wird in Zukunft kooperativ und präventiv orientiert sein. Die sicherheitspolitischen Beziehungen, zum Beispiel zu Russland, sollen verbessert und stabilisiert werden. Konflikte müssen so bearbeitet werden, dass der Ausbruch von Gewalt verhindert oder eingedämmt werden kann.

Bundeswehr ist keine Armee des Kalten Krieges mehr

Die Aufgaben für die Bundeswehr haben sich daher aufgrund der internationalen Lage grundlegend geändert. Die zukünftigen Aufgaben im Rahmen einer präventiv orientierten Sicherheitspolitik entsprechen nicht mehr den traditionellen militärischen Aufgaben, sondern ordnen sich in multilaterale und internationale Aktionen zum Krisenmanagement ein. Die Bundeswehr ist keine Armee des Kalten Krieges mehr. Daher muss sie modernisiert und verkleinert werden. Das Bundeskabinett hat den Vorschlag von Verteidigungsminister Scharping mit Mehrheit angenommen und die Neuausrichtung der Bundeswehr mit der Konsolidierung des Haushaltes verbunden. Durch interne Einsparungsmöglichkeiten, durch Ausgliederung von bestimmten Aufgaben und durch den Erlös des Verkaufs von Grundstücken hat die Bundeswehr eine Anschubfinanzierung sowie zwei Milliarden aus dem Einzelplan 60 bekommen. Die Reform ist eine gewaltige und komplexe Aufgabe und daher "work in progress" (etwa: ständige Aufgabe, d. Red.). Man kann davon ausgehen, dass es zu Nachsteuerungen während des Prozesses kommen wird. Dies ist auch völlig normal bei der Reform in dieser Größenordnung.

Standortschließungen sind kein Grund zur Panik

Orientierung für die Reform bietet das Ergebnis der Weizsäcker-Kommission, die einen Umfang von 240.000 Soldaten vorschlägt. Damit liegt sie in der Nähe unserer Vorschläge, die auf eine Freiwilligenarmee mit maximal 200.000 Soldaten zielen.

Eine notwendige Folge der Reduzierung ist die Schließung von Standorten. Dies mag für die Betroffenen schwierig sein, ist aber, wie schon dargelegt, aus sicherheitspolitischen Gründen unumgänglich. Die gegenwärtigen populistischen Versuche der
Opposition, die Standortfrage und die
Sorgen der Menschen und Gemeinden zu instrumentalisieren, muss zurückgewiesen werden. Wir werden die Betroffenen nicht im Regen stehen lassen. Die Koalition hat in der Koalitionsvereinbarung die bundespolitische Verantwortung für Konversion anerkannt. Da der Prozess der Standortschließungen mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird, gibt es jetzt auch keinen Grund zur Panik. Die Betroffenen, die Soldaten und ihre Familien, die Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr und die Kommunen können sich darauf einstellen. Damit haben wir Planungssicherheit geschaffen.

Wir hätten in der Logik unserer grünen Vorschläge für eine konsequentere Lösung in der Standortfrage plädiert, wohl wissend, dass wir uns damit nicht beliebt gemacht hätten. Es ist aber im Interesse aller Betroffenen notwendig, rechtzeitig auf zukünftige Entwicklungen aufmerksam zu machen. Diese Art von Offenheit ist notwendig, wenn man die Betroffenen ernst nimmt und nicht zum Spielball der eigenen Interessen machen will, wie das die Opposition praktiziert.



Allgemeine Wehrpflicht jetzt aussetzen

Günther Nolting, F.D.P.
Günther Nolting, F.D.P.
guenther.nolting@bundestag.de.

Die Reform der Bundeswehr ist überfällig! Sie muss umfassend sein, hat sich an den neuen Anforderungen auszurichten und darf nicht zulasten der betroffenen Menschen gehen. Hier versagt der Regierungsentwurf, da er einen zu hohen Personalumfang vorsieht, ohne sicherheitspolitische Begründung und trotz massiver Aushöhlung der Wehrgerechtigkeit an der allgemeinen Wehrpflicht festhält und aufgrund eines zu geringen Verteidigungsetats finanziell nicht abgesichert ist.

Als erste politische Kraft legte die F.D.P.-Bundestagsfraktion bereits Anfang 1999 ein umfassendes Reformkonzept vor. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission folgte ein Jahr später weitgehend den Vorstellungen der F.D.P.-Fraktion, lediglich in der Wehrpflichtfrage kam es zu einer gravierenden Abweichung. Der Kommissionsvorschlag, 30.000 Stellen für Wehrpflichtige vorzusehen, die freiwillig einen 10-monatigen Wehrdienst ableisten sollen, ist Augenwischerei und verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig. Die F.D.P. will hingegen, mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung, 30.000 Stellen für Kurzzeitsoldaten mit einer Dienstzeit von 12 bis 24 Monaten einrichten.

Reduzierung der Bundeswehr verantwortbar und angezeigt

In Konsequenz der deutlich verbesserten sicherheitspolitischen Lage und der zunehmenden Wehrungerechtigkeit fordert die F.D.P. die Aussetzung der Wehrpflicht. Diese Forderung ist sicherheitspolitisch verantwortbar und gesellschaftspolitisch geboten. Nur durch die Aussetzung der Wehrpflicht zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich eine erneute Reform der Bundeswehr in diesem Jahrzehnt vermeiden.

Im Gegensatz zum Regierungsmodell und zu den nicht abgestimmten Papieren von CDU und CSU haben sich F.D.P. und Kommission vorrangig von der sicherheitspolitischen Notwendigkeit und dem Willen zur Effizienzsteigerung leiten lassen. Aus der Analyse der sicherheitspolitischen Lage, wie aus eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der NATO, der EU und den Vereinten Nationen, ist die Reduzierung des Bundeswehrpersonals auf 240.000 bis 260.000 Soldaten und 80.000 bis 90.000 Zivilbediensteten verantwortbar und angezeigt. Mindestens 150.000 Soldaten müssen den Einsatzstreitkräften angehören. Interoperabilität, Mobilität und Flexibilität sowie strategische Aufklärungskapazitäten und Führungsfähigkeiten über weite Entfernungen sind für die Auftragserfüllung von zentraler Bedeutung. Im Rahmen der Rationalisierung ist Privatisierung oder Ausgliederung – wo immer möglich und sinnvoll – ebenso zu betreiben.

Modernste Ausbildung und Ausrüstung unverzichtbar

Für die Reform ist ein Programmgesetz und eine Anschubfinanzierung unabdingbar. Der Verteidigungshaushalt muss ab 2002 real auf 50 Milliarden Mark festgeschrieben werden. Nur so ist Planungssicherheit zu erreichen, und nur so kann eine leistungsgerechte Bezahlung des Personals, dessen optimale Ausbildung und modernste Ausrüstung und Bewaffnung garantiert werden. Nicht nur zur Auftragserfüllung, sondern auch für die Nachwuchsgewinnung sind diese Rahmenbedingungen unverzichtbar. Die ungleiche Besoldung zwischen den neuen und den alten Bundesländern ist im Bereich der Bundeswehr schnellstens zu beenden, da sie durch nichts mehr zu begründen ist.

Die Verankerung der Streitkräfte in der Gesellschaft verlangt unter anderem ihre flächendeckende Präsenz. Es darf deshalb, entgegen betriebswirtschaftlicher Vernunft, zu keiner übermäßigen Konzentration militärischer Verbände kommen. Eine breite Streuung der Standorte ist anzustreben, strukturschwache Gebiete sind dabei vorrangig zu beachten. Es kann durchaus sinnvoll sein, kleinere Standorte beizubehalten, vor allem dann, wenn die Rahmenbedingungen günstig sind.



Wolfgang Gehrcke, PDS.
Wolfgang Gehrcke, PDS
wolfgang.gehrcke@bundestag.de.

Qualitativ größtes Programm zur Aufrüstung

Die Reform der Bundeswehr ging vor einem halben Jahr über die Bühne, ohne dass es vorher eine umfassendere öffentliche sicherheitspolitische Debatte gegeben hat. In der Grundrichtung waren sich CDU/CSU, F.D.P., SPD und Grüne über das faktisch qualitativ größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einig. Aus der Bundeswehr, einer Armee zur Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik und seiner Bündnispartner, sollte eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee zur Interessendurchsetzung der NATO werden. Allein die Fraktion der PDS war dagegen und hatte ein alternatives Konzept vorgestellt. Nun schlägt das Verteidigungsministerium im Sinne der vorgesehenen Strukturreform Standortschließungen vor. Das klingt zunächst nach Abrüstung. Tatsächlich handelt es sich qualitativ um Aufrüstung.

Bisherigen Standorten neue Perspektiven bieten

Im Hinblick auf das Standortkonzept der Regierung ist nicht entscheidend, wie viel sie abbaut – das ist wenig genug -; entscheidend ist, was sie abbaut: Es sind Verbände, die etwas mit der Landesverteidigung zu tun haben. Als Interventionsarmee braucht die Bundeswehr hochmobile, schnelle und flexible Kontingente. Darauf werden die Standorte zugeschnitten.

Nun bedeuten Standortschließungen immer für die betroffenen Regionen tiefe Einschnitte mit gravierenden sozialen Folgewirkungen. Dabei stiehlt sich die Regierung jedoch aus der Verantwortung. Es liegt aber gerade jetzt beim Bund, den Kommunen Perspektiven jenseits der militärischen Standortfaktoren zu eröffnen. Leider verbindet die Regierung die Schließungen nicht mit gezielter regionaler Wirtschaftsförderung. Sie bietet keine Perspektiven für einen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Strukturwandel. Um aktuell den größten Schaden von den Gemeinden abzuwenden, fordert die PDS, Erlöse aus dem Verkauf von Liegenschaften den Kommunen zugute kommen zu lassen. Beim Verkauf der Liegenschaften müssen die Kommunen ein Vorkaufsrecht erhalten. Wichtig für die Regionen ist auch, dass die Konversion bislang militärisch genutzter Gebäude und Flächen aus dem Verteidigungsetat finanziert wird. Den Zivilbeschäftigten und den Berufssoldaten, die das wünschen, müssen sofort Beratung, Umschulung und Qualifizierung angeboten und finanziert werden.

Schließungen ohne Konversion unverantwortlich

In den letzten Wochen waren Mahnwachen vor Standorten zu erleben, wo es oft nichts außer der Bundeswehr gibt. Das ist angesichts der noch vorhandenen Unklarheiten für die Zukunft sehr verständlich. Besonders kompliziert ist die Situation in Ostdeutschland, wo Massenarbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen, schwierigste Bedingungen für den Mittelstand, Verarmung des kulturellen Lebens problemverschärfend wirken. Konversion und Schließung von Standorten müssen Hand in Hand gehen; Schließungen mit dem Gestus "Nach uns die Sintflut!" und ohne Konversion sind unverantwortlich. Gerade das scheint aber im Osten Praxis zu werden.

Wir haben ein Reformkonzept für die Bundeswehr vorgelegt, ein echtes Kontrastprogramm. Darin setzen wir auf den Verzicht neuer Waffensysteme, auf strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, auf eine Reduzierung der Armee auf 100.000 Soldaten. Diese Alternative würde Standortschließungen in weit größerem Umfang mit sich bringen. Dennoch sind für diese Abrüstungsvorschläge die soziale Verantwortung zum Aufbau ziviler Strukturen, ein Amt für Konversion und Abrüstung sowie ein Konversionsfonds eingebaut. Wir wollen, dass dieser Prozess sozial verläuft, dass er strukturell geordnet wird.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0102/0102012
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