Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2003 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 06/2003 >
Oktober 6/2003
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Ferdinand Kirchhof
Ferdinand Kirchhof.

Starker Bund mit selbständigen Ländern

von Ferdinand Kirchhof

Der deutsche Föderalismus bietet seinen Bürgern viel mehr als ein Zentralstaat: Mehr Demokratie, weil in Bund und Ländern gewählt wird, sachnähere, regionale Entscheidungen vor Ort, eine breitere politische Diskussion und regionale Opposition, leichtere Identifikationsmöglichkeiten für Regionen und Bevölkerung, Wettbewerb zwischen den Ländern und den Vergleich zwischen verschiedenen politischen Lösungen.

Zurzeit befindet sich unser Bundesstaat aber nicht mehr in bester Verfassung. Die Sicherung gleicher Leistungsniveaus in Bund und Ländern wurde zu sehr betont, Bund und Länder reden sich gegenseitig in ihre Politik und Finanzen hinein. Zudem werden die Finanzquellen des Staates in einer Weise verteilt, die eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht belohnt, sondern die Haushaltseinnahmen aller Länder nivelliert.

Was ist vorrangig in einem ersten Schritt zu tun? An zwei Punkten sollte die Föderalismusreform ansetzen: bei der Gesetzgebung und bei den Staatsfinanzen. Wenn ein Bundesgesetz von den Ländern durchzuführen ist und dabei Verwaltungsbehörden oder -verfahren der Länder regelt, bedarf es der Zustimmung des Bundesrates. Dieser war als Vertreter der Interessen der einzelnen Länder gedacht, entscheidet aber in der politischen Praxis länderübergreifend meist als Sprachrohr der Opposition. Das lähmt die Eigenständigkeit des Bundes. Auf der anderen Seite hat der Bund den Ländern immer mehr Gesetzgebungszuständigkeit genommen, er kann oft sogar den Aufbau und das Verfahren der Landesbehörden regeln. Abhilfe könnte die Beseitigung der Zustimmungsrechte des Bundesrates schaffen; damit würde der Bund wieder eigenständig. Im Gegenzug sollte er Gesetzgebungskompetenzen abgeben und Eingriffe in Organisation und Verfahren der Länder unterlassen. Ein ganzer Katalog von Gesetzgebungszuständigkeiten vor allem in Kultur und Bildung, im Sozialwesen, im Planungsrecht oder im Recht des öffentlichen Dienstes sollte an die Landesparlamente zur orts- und sachnahen Lösung überwiesen werden. Die Befugnis des Bundes, durch sein Gesetz einen Rahmen zu setzen, den die Länder mit ihren Regelungen ausfüllen, wäre ganz zu beseitigen, weil sie der Bund stets zur detaillierten Vollnormierung einsetzt.

Im Finanzwesen von Bund und Ländern breitet sich eine lähmende Verflechtung aus. Der Bund kann sich mit Finanzhilfen in die Investitionspolitik der Länder einmischen. Einige Staatsaufgaben werden über Mischfinanzierungen sogar gemeinsam bestritten. Der Finanzausgleich zwischen den Ländern wird vom Bund bestimmt und nivelliert weitgehend die Finanzsituation der Länder. Damit lässt sich keine eigenständige Politik der Länder mehr machen. Die Eigenstaatlichkeit der Länder versinkt in einem unüberschaubaren Gewirr von Finanzhilfen, Mischfinanzierungen und Ausgleichstöpfen. Wir sollten deshalb im Grundgesetz den Ländern eigene Steuerquellen statt Subventionen des Bundes geben. Der Finanzausgleich sollte auf eine befristete Hilfe in echten Notlagen begrenzt werden. Die Finanzen von Bund und Ländern sollten streng getrennt werden, so dass jeder mit eigenen Einnahmen wirtschaften muss und über seine Aufgaben und Ausgaben selbst, ohne Zutun Dritter entscheiden darf. So gewinnt auch die Demokratie ihre Verantwortung zurück, denn Wähler und Parlament spüren die Kosten ihrer eigenen Politik.

Ein letzter wichtiger Punkt: Der Bund erlässt oft Gesetze, welche die Länder auf ihre eigenen Kosten ausführen müssen. Der Bund kann so großzügige Politik aus der fremden Tasche der Länder finanzieren, wie die Beispiele Sozialhilfe und Kindergartenplätze belegen. Nach dem Motto „Wer bestellt, bezahlt“, muss künftig der Bund die Kosten seiner gesetzlich geschaffenen Aufgaben selbst aufbringen. So wird der deutsche Bundesstaat wieder fit für die kommenden Jahrzehnte.



Ferdinand Kirchhof lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Verfassungsrecht, Europäisches und Deutsches Abgaben- und Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht sowie öffentliche Unternehmen. Seit Mitte dieses Jahres ist Professor Kirchhof auch Richter am Staatsgerichtshof Baden-Württemberg.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0306/0306003
Seitenanfang
Druckversion