Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 19 / 03.05.2004
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K. Rüdiger Durth

Mammut-Aufgabe für die neue Super-Senatorin

Berlin: Ingeborg Junge-Reyer tritt Strieders Nachfolge an

Die Berufung zur Senatorin für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr kam für Ingeborg Junge-Reyer (57) ebenso überraschend wie der Rücktritt des bisheriges Super-Senators Peter Strieder (51) für den Berliner Senat und die Öffentlichkeit. Doch eine Unbekannte auf dem Feld des Viel-Themen-Senators ist sie nicht. Denn Strieder hatte sie bereits im Jahr 2002 als seine Staatssekretärin verpflichtet. Das neue Amt versteht sie als "eine hervorragende Herausforderung". Nachdem sie am 29. April vom Abgeordnetenhaus gewählt wurde - in Berlin wird jeder Senator einzeln vom Landesparlament gewählt und kann von diesem auch abberufen werden -, kann sie nun die neue Herausforderung annehmen.

Zu beneiden ist Senatorin Junge-Reyer - die dritte Frau im achtköpfigen Senat - keineswegs. Denn ohne Geld kann sie nicht viel machen. Und eben daran fehlt es in der Bundeshauptstadt an allen Ecken. Es kommt also darauf an, wie sie mit Finanzsenator Thilo Sarrazin zurechtkommt, der seit einiger Zeit jeden Euro gleich zweimal umdreht, bevor er ihn freigibt. Ihr Vorgänger und bisheriger Chef Peter Strieder hatte einen großen Vorteil: Er war nicht nur Super-Senator, sondern auch Berliner SPD-Chef.

Warum warf Strieder das Handtuch? Unumstritten war der ehemalige Bürgermeister des Berliner Stadtbezirks Kreuzberg nie. Weder als Senator, noch als Parteichef. Und so bekam er 2002 auch einen schweren Denkzettel vom Abgeordnetenhaus verpasst. Denn als einziger Senator der neuen rot-roten Landesregierung wurde er erst im zweiten Wahlgang gewählt.

Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, tobte. Schließlich war die Koalition mit der PDS - nach dem noch immer nicht ganz geklärten Scheitern der Verhandlungen über eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen - das Werk Strieders. Auch in der SPD hatte der Vorsitzende oft Probleme. Doch er wurde immer wieder gewählt. Weil es keine Alternative zu ihm gab. Bis Anfang April. In Berlin schwappte die Tempodrom-Affäre hoch, die letztlich zu Strieders politischem Aus führte.

Für Nicht-Berliner: Das Tempodrom war einst ein Kulturzelt im Schatten der Mauer auf dem Gebiet des Stadtbezirks Kreuzberg - vom damaligen Bezirksbürgermeister Strieder gefördert. Nach dem Fall der Mauer musste das Zelt weichen. Nach allerlei Ausweichstandorten wurde die Idee geboren, dem Tempodrom ein festes Haus zu bieten. Und nun steht es als "Zelt aus Beton" mit spitzen Türmen wieder auf Kreuzberger Boden. Längst ist es architektonisch zu einem Wahrzeichen geworden. Zugleich aber ist das Tempodrom auch ein Zeichen für den alten (West-) Berliner Filz und für ungeklärte Finanzierung. Schulden in zweistelliger Millionenhöhe lasten auf dem etwas anderen Kulturtempel, die schließlich niemand mehr begleichen wollte. Und dann wurden Vorwürfe laut, der Stadtentwicklungssenator habe die Finger bei Darlehen im Spiel, die nicht ordnungsgemäß bewilligt worden seien. Etwa vom Abgeordnetenhaus. Und plötzlich interessierte sich der Staatsanwalt für das Tempodrom, das inzwischen pleite ist.

Schock für die SPD

Offen war auch, wie Strieder aus den staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen herauskommen würde, obwohl er nach wie vor seine Unschuld beteuert. Doch in Berlin gelten Unschuldsbeteuerungen von Politikern nicht viel. Die moderne Medienlandschaft braucht ihre Opfer. Und Strieder wurde durch die Mühlen der Medien gemahlen als auch noch seine Immunität als Mitglied der Bundesversammlung aufgehoben wurde, was bislang noch nie geschah. Wiederum ein gefundenes Fressen für die Medien. Selbstverständlich auch für die politische Opposition.

Strieder warf das Handtuch. Aber er trat nicht nur als Senator zurück, sondern auch als SPD-Chef. Für die SPD ein Schock, die sich freilich genauso schnell von der überraschenden Nachricht erholte wie Wowereit: Der Regierende Bürgermeister ernannte vorbehaltlich der Wahl durch das Abgeordnetenhaus Ingeborg Junge-Reyer zur neuen Senatorin und die SPD nominierte ihren Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Michael Müller, als neuen Berliner Parteichef.

Der 39-jährige Müller sträubte sich lange gegen das zusätzliche Amt. Er weiß nur zu gut, wie schwer es ist, die Berliner SPD zu führen, die aus den unterschiedlichsten Flügeln besteht und keineswegs nur in das Links-Rechts-Schema passt. Und es steht nicht gut um die größte Regierungspartei im Land Berlin: Der bundesweite Negativ-Trend für die Sozialdemokraten schlägt auch in Berlin voll durch. Dazu kommt das in der Bevölkerung schlechte Ansehen des rot-roten Senats. Lediglich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bekommt in den Umfragen sehr passable Noten. Der Grund liegt in den harten Sparmaßnahmen, die so gut wie keine Bevölkerungsgruppe ausschließen. Schwer fällt den Berlinern die Einsicht, dass viel zu spät gespart werden muss. Außerdem sind viele überzeugt, der Bund solle gefälligst mehr zahlen. Doch dieser denkt nicht daran, zumal er überzeugt ist, ohnehin schon genug für die Hauptstadt zu tun.

Die neue Super-Senatorin Junge-Reyer (verheiratet mit einem Richter) kann sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen: Rund 100.000 Wohnungen stehen in der Stadt leer. Einige Stadtteile drohen bereits zu verslumen, was nicht nur eine Folge des hohen Ausländeranteils ist. Der Anteil an Sozialhilfeempfängern ist extrem hoch. Die Stadtentwicklung ist mit dem Potsdamer Platz keineswegs abgeschlossen. Was wird aus dem Alexanderplatz, auf dem in dem einen oder anderen Architektenplan die Hochhäuser in den Himmel ragen und der Stadt eine Skyline geben sollen? Was wird aus dem Gebiet rund um den Bahnhof Zoo? Der wird nach der Fertigstellung des Hauptbahnhofs am Rande des Regierungsviertels viel von seiner Bedeutung als zentraler Verkehrsumschlagsplatz verlieren.

Wann wird genügend Geld da sein, um das Ostberliner Straßenbahnnetz nach Westen hin auszudehnen, was nicht wenige Stadtplaner und Politiker für dringend erforderlich halten? Ganz zu schweigen vom Zustand zahlreicher Straßen. Und für die Umwelt bleibt auch immer weniger Geld übrig. Ein Mammut-Ressort wartet auf die neue Super-Senatorin, der der starke Rückhalt in der Partei fehlt. Vielleicht wird dies durch einen starken Rückhalt durch den Regierenden Bürgermeister ausgeglichen. Schließlich ist die neue Senatorin so etwas wie die Architektin des äußeren Berlin in der nahen Zukunft. K. Rüdiger Durth


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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