Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

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Nr. 19 / 03.05.2004
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Thema Sterbehilfe - Debatte ohne Tabus ist im Bundestag erforderlich

Interview mit E. Nagel, Präsident des Evangelischen Kirchentages
Prof. Dr. Dr. Eckhard Nagel ist Mediziner und Philosoph. Er gehört dem Nationalen Ethikrat an und ist Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Das Interview führte K.Rüdiger Durth.

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Der SPD-Abgeordnete Rolf Stöckel will mit einem Antrag, der von einigen Abgeordneten seiner Partei, der Grünen sowie der FDP unterstützt wird, auch in Deutschland die aktive Sterbehilfe ermöglichen. Bahnt sich damit ein Dammbruch in der Diskussion um dieses sensible Thema an?

Nagel Damit bahnt sich eher eine intensive Diskussion als ein Dammbruch an. Und diese Diskussion halte ich persönlich für positiv, weil man wieder lernt, über den Tod zu sprechen. Der Tod darf nicht länger ein Tabu sein. Zum anderen ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich auch der Deutsche Bundestag intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Das ist in anderen Ländern nicht anders.

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Erste Auswertungen der holländischen und belgischen Erfahrungen mit der gesetzlich erlaubten Euthanasie lassen die Befürchtung zu, dass nicht wenige schwerkranke oder sehr alte Menschen zur Einwilligung in einen freiwilligen Tod gedrängt werden. Treffen diese Befürchtungen aus Ihrer Sicht zu?

Nagel Ursprünglich hatte man eine Erlösungshoffnung für einige wenige Schwerstkranke erwartet. Doch dies hatte die Konfrontation mit vielen anderen Fällen zur Folge. So schieben sich Fragen der Autonomie des Menschen und die Belastung für Schwerstkranke sowie ein größer werdender Sozialdruck in den Vordergrund. Und von holländischen Patienten höre ich bisweilen, dass sie Angst haben, in ein Krankenhaus ihres Landes zu gehen, weil sie sich nicht mehr sicher sind, ob der Arzt ihnen in schwerer Notlage noch wirklich hilft...

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...ist Ihnen von deutschen Patienten zu Ohren gekommen, dass sie im Fall verweigerter aktiver Sterbehilfe nach Holland gehen würden?

Nagel Das ist mir im Blick auf die Schweiz zugetragen worden. Allerdings handelt es sich dabei um einige wenige Einzelfälle. Man kann also nicht von einem Patiententourismus sprechen. Um auf die Angst holländischer Patienten zurückzukommen, kann ich nur unterstreichen: Das Arzt-Patient-Verhältnis darf nicht durch die Sorge belastet werden, der Arzt könnte mir schaden. Das verunsichert die Menschen. Mit Sterbegleitung hat das alles nichts zu tun.

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Ist eine aktive Sterbehilfe aus Ihrer Sticht als Medizinier und Philosoph überhaupt mit Artikel 1 Grundgesetz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" vereinbar?

Nagel Für mich persönlich ist die aktive Sterbehilfe mit Artikel 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Der Mensch ist nicht berechtigt, einen anderen Menschen zu töten. Vom christlichen Menschenbild her ohnehin nicht.

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Obwohl in Umfragen die Menschen auch in Deutschland die aktive Sterbehilfe nicht grundsätzlich ablehnen, setzen sich Parteien und Kirchen für eine passive Sterbehilfe ein...

Nagel Wir haben uns im Nationalen Ethikrat sehr intensiv mit den von Ihnen angesprochenen Umfragen auseinandergesetzt. Dabei zeigt sich sehr deutlich, dass die Umfragen nicht das differenziert wiedergeben, was die Bevölkerung denkt. Ganz wichtig ist immer, wie gefragt wird. Dass die Menschen Angst vor dem Sterben haben, ist klar. Dass man ihnen suggeriert, mit aktiver Sterbehilfe diese Angst nehmen zu können, ist aus der Sicht des Mediziners der völlig falsche Weg. Im Klartext: Es gibt keine solide demoskopische Untersuchung, die eine Mehrheit der Bevölkerung für die aktive Sterbehilfe nachweist.

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Wo sehen Sie Überschneidungen von aktiver und passiver Sterbehilfe?

Nagel Es gibt immer wieder - einige wenige - Fälle, die in der Öffentlichkeit den Eindruck einer aktiven Sterbehilfe durch deutsche Ärzte erwecken - beispielsweise der Streit über die Frage, ob ein Arzt zu viele Schmerzmittel verabreicht hat, was den Tod des Patienten zur Folge hat. Das hat aber in der Regel nichts mit einer aktiven Tötung zu tun. Es wird im ärztlichen Alltag immer wieder Grenzbereiche geben, in denen so oder so entschieden werden kann. Das aber ist keine aktive Sterbehilfe. Wichtig ist, dass es immer eine klare Übereinstimmung, eine offene Kommunikation zwischen Patient und Arzt gibt. Dann gibt es auch heute keine Probleme für den Arzt mit der Justiz. Noch einmal: Nein zur aktiven, Ja zur passiven Sterbehilfe.

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Hat die Emotionalität, die das Thema der Sterbehilfe auslöst, nicht auch etwas mit seinem unsäglichen Missbrauch im Dritten Reich zu tun?

Nagel Aus ärztlicher Sicht spielt die Euthanasie im Dritten Reich heute keine Rolle, wohl aber aus politischer. Denn die menschenverachtende Praxis im Nationalsozialismus, in deren Dienst sich auch Ärzte gestellt haben, darf nicht vergessen werden.

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Welche Rolle wird die Sterbehilfe voraussichtlich auf dem 30. Deutschen Evangelischen Kirchentag im kommenden Jahr in Hannover spielen?

Nagel "Wenn dein Kind dich morgen fragt..." (das ist die Losung des Kirchentages 2005, Anm. d. Red.), wie hältst du es mit dem Ende des Lebens, mit einem würdigen Abschied und was kommt nach dem Tod, dann ist es ganz wichtig, welche Antworten wir als evangelische Christen geben. Daraus ersehen Sie schon, dass das Thema Sterbehilfe auch auf diesem evangelischen Laientreffen eine ganz wichtige Rolle spielen wird.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.