Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 28 / 05.07.2004
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Volker Koop

Notwendig oder Einstieg in den Überwachungsstaat?

Unterschiedliche Haltungen zum Kennzeichen-Scanning
Die Angelegenheit ist zweifellos zunächst etwas für Technik-Begeisterte: Vom Dach eines Gebäudes ist ein Laserstrahl permanent auf die Straße gerichtet, Unterbricht ein Auto diesen Strahl, wird eine Digitalkamera ausgelöst, die Frontseite des Fahrzeuges fotografiert. Über Glasfaserkabel werden die Bilder an eine Computer weitergeleitet, wo eine spezielle Software diese Bilder zunächst nach Fahrzeugkennzeichen absucht. Nach einer Zeichenseparierung und Klassifikation wird das Kennzeichen mit einer im PC abgespeicherten Datenbank abgeglichen.

In Sekundenschnelle ist ermittelt, ob das Kfz-Kennzeichen erfasst und zur Fahndung ausgeschrieben ist. Ist dies nicht der Fall, werden Kennzeichen und die dazu gehörenden Bilder sofort und unwiederbringlich gelöscht. Im anderen Fall beginnt die Fahndungsmaschinerie anzulaufen

Kennzeichen-Scanning nennt sich das Ganze und wird möglicherweise in absehbarer Zeit in Deutsch-land flächendeckend die Fahndungsarbeit der Polizei erleichtern. Wie in anderen Sicherheitsbereichen hat auch in diesem Fall der 11. September der techni-schen Entwicklung einen Schub gegeben. Pilotversu-che in Bayern, Thüringen, Brandenburg und Hessen sind erfolgreich verlaufen. Im Rahmen der zeitlich und örtlich eng begrenzten Versuche konnten mit Haftbe-fehl gesuchte Personen aufgespürt und gestohlene Fahrzeuge identifiziert werden. Doch sollte alles, was technisch machbar ist, auch tatsächlich um- und ein-gesetzt werden? Bleibt möglicherweise der Daten-schutz auf der Strecke?

Prinzipiell steht zum Beispiel die CDU-Abgeordnete Susanne Jaffke einer automatischen Erfassung von Kfz-Kennzeichen positiv gegenüber. Allerdings ist nach ihrer Überzeugung der Gesetzgeber aufgefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen exakt vorzugeben, um einen möglichen Missbrauch beim Umgang mit persönlichen Daten vorzubeugen. Für die Abgeordnete, deren Wahlkreis eine lange Grenze zu Polen hat, ist das Thema Organisierte Kriminalität - Menschenhandel, Auto- und Drogenschmuggel - ein immanentes Problem. In der Erfassung und Abfrage von Kennzeichen sieht sie daher eine geeignete Möglichkeit, diesen kriminellen Handlungen wirksam entgegen zu treten. Sie stellt daher jedoch klipp und klar fest: "Bei dieser Form der verdachtsunabhängigen Kontrolle muss sichergestellt werden, dass auf eine negativ beantwortete Fahndungsabfrage die Anfragedaten unverzüglich wieder gelöscht werden." Selbst der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sehe hier kein datenschutzrechtliches Problem.

Erheblich skeptischer betrachtet Siegfried Scheffler die neue Technik, auch wenn er zunächst auf das nach den Anschlägen vom 11. September massiv ge-stiegene Bedürfnis nach Sicherheit verweist. Dies sei - so der SPD-Abgeordnete - auch ein Argument der Befürworter des Kfz-Kennzeichen-Scanning. Die bisherigen Erfahrungen hätten gezeigt, dass das Scanning durchaus eine erfolgreiche Fahndungsmethode sein könne. Doch Scheffler hält mit seiner Besorgnis nicht hinter dem Berg: "Es gibt für das Scanning keine rechtliche Grundlage, und es ist damit im Grunde unzulässig. Weiter unterstellt eine solche Fahndungs-Maßnahme, dass alle Kraftfahrer potentielle Straftäter sind. Für die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger hat das Bundesverfassungsgericht jedoch enge Grenzen gesetzt. Ein Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz des Betroffenen ist nur dann erlaubt, wenn erheblich höhere Rechtsgüter gefährdet sind. Dazu zählt das Auffinden gestohlener Fahrzeuge zweifelsfrei nicht." Bedenklich sei zudem, dass die Maßnahme lage- und verdachtsunabhängig erfolgen solle und dass dabei eine Infrastruktur entstehe, die gegebenenfalls für weitergehende Überwachungsmaßnahmen verwendet werden könne. Es bestehe daher vielfach die Sorge, dass eine so aufwändige Technik nicht nur der Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen dienen werde, sondern bald auch den Ruf nach mehr erschallen lasse. Dies könne nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sein, zumal eine missbräuchliche Verwendungen der Daten kaum zu kontrollieren sein dürfte.

Die Idee einer flächendeckenden automatischen Kennzeichenerkennung lasse das Herz einiger Sicherheitsexperten und Innenminister schneller schlagen, sagt die FDP-Abgeordnete Gisela Piltz. Von dem elektronischen Abgleich der Kennzeichen vorbeifahrender Autos mit vorher festgelegten "Ziel-Kennzeichen" versprächen sie sich eine umfassende und effektive Jagd vor allem nach Verbrechern und gestohlenen Autos. Gisela Piltz weiter: "Zugegeben, effektiv wäre diese Suche, die eine Lokalisierung eines jeden beliebigen, sich im Straßenverkehr bewegenden Fahrzeugs ermöglicht. Andererseits ist es mit ernsthafter krimineller Energie ein Leichtes, etwa durch den Wechsel des Kennzeichens eine Fahndung zu vereiteln." Für die FDP-Parlamentarierin gibt es denn auch ein kräftiges "Aber" in der Beurteilung, wobei es ihr nicht um die Technik an sich geht. Ob bei einer Grenzkontrolle ein Beamter das Kennzeichen in den Fahndungscomputer tippe oder es automatisch ausgelesen werde, könne keinen Unterschied machen. Diesen mache es jedoch dann, wenn man in Kenntnis der Kontrolle eine Landesgrenze überschreite oder einfach von Frankfurt nach Würzburg fahre. Schließlich sei die verdachtsunabhängige Kontrolle dem deutschen Recht gänzlich fremd, was Ausdruck einer begrüßenswert ernst genommenen Rechtsstaatlichkeit auch in der Strafverfolgung sei. Wenn sich Verdächtige der Übverwachung so leicht entziehen könnten, dürfe die Freiheit des Einzelnen dafür nicht aufgegeben werden. "Ein absolute Kontrolle sei das Ende der Freiheit in unserer demokratischen Grundordnung."

Missbrauch ausschließen

Eine erfolgreiche, schnelle und kostengünstige Fahndungsmethode sieht der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer in dem Scanning. Nach den positiven Erfahrungen aus den Pilotprojekten in mehreren Bundesländern sollten Videokontrollen von Kfz-Kennzeichen bundesweit eingeführt werden. Die Methode, nach denen ein positiver Abgleich automatisch zur Einleitung einer Fahndungsmaßnahme, ein negativer dagegen zur sofortigen und unwiederbringlichen Datenlöschung führe, ermögliche eine absolut zielführende Fahndung nach flüchtigen Straftätern und gestohlenen Fahrzeugen. Gerade die durch den internationalen Terrorismus angespannte Sicherheitslage erfordere ein effektives bundesweites Fahndungssystem. Um einen Missbrauch auszuschließen, sollte eine Rechtsgrundlage für den präventiven Einsatz geschaffen werden, damit der Datenschutz unbeteiligter Personen gewährleistet sei. Seine Haltung in dieser heiklen Frage fasst Stephan Mayer so zusammen: "In Anbetracht der Tatsache, dass heutzutage der Bürger sowieso schon an vielen öffentlichen Plätzen mit Videoüberwachungen, sei es in Kaufhäusern, Stadien Bahnhöfen, Flughäfen etc. konfrontiert wird, kann eine effektive Kriminalitätsbekämpfung in Zeiten von organisiertem Verbrechen und Gefahr terroristischen Anschläge nur im Interesse eines jeden unbescholtenen Bürgers liegen."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.