Das Ergebnis der juristischen Gutachten zugunsten Elisabeth Charlottes mag überraschen, ist doch bis heute die Auffassung weit verbreitet, selbst hochadelige Frauen seien im frühneuzeitlichen Europa recht- und schutzlos, den Launen ihrer Väter, Brüder oder Gatten ausgeliefert gewesen. Obwohl Herrschaft von hochadeligen Frauen strukturell und institutionell in den politischen Systemen der frühneuzeitlichen Staaten begründet war, wurde ihre Bedeutung für die politische Geschichte, ihre Rollen und Aufgaben bisher nicht systematisch untersucht. Maria Theresia oder Katharina die Große, Elisabeth Tudor oder Katharina von Medici: Alle Herrscherinnen gelten immer noch als Ausnahmefrauen, die aufgrund besonderer Situationen, aus Machtgier oder als Marionetten ihrer Minister an die Regierung gelangten.
Gegen natürliches und göttliches Recht
Die Gesellschaft des frühneuzeitlichen Europa war eine ständische. Während Frauen in den auf Wahlen basierenden politischen Ordnungen von der Partizipation ausgeschlossen blieben, war in den monarchisch strukturierten Staaten ihre Regierung qua Geburt legitimiert. Denn innerhalb der Dynastie wurde die Herrschaftsberechtigung zwar von der Nachrangigkeit, nicht aber von dem grundsätzlichen Ausschluss der weiblichen Mitglieder des Geschlechterverbands bestimmt. Hochadelige Frauen übernahmen Regierungsbefugnisse aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundla-gen. Maria die Katholische und Elisabeth I. von England besaßen das Thronfolgerecht; die französischen Prinzessinnen waren zwar von der Erbfolge ausgeschlossen, aber als "Königinnen auf Zeit" lenkten Katharina und Maria von Medici sowie Anna von Österreich während der Minderjährigkeit ihrer Söhne die Geschicke Frankreichs. Habsburgerinnen regierten als Stellvertreterinnen in den spanischen Niederlanden. Während im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation eine Frau Kaiserin nur als Gemahlin des Reichs-oberhaupts war, besaßen Fürstinnen hier nicht nur das subsidiäre Erbrecht und den legitimen Anspruch auf die vormundschaftliche Regentschaft. Darüber hinaus stand ihnen ein weiterer Weg zu Herrschaft offen. In den reichsunmittelbaren Stiftern verfügten Äbtissinnen wie Maria Kunigunde von Sachsen über die uneingeschränkte Landesherrschaft: "1.000 Jahre Macht in Frauenhand" charakterisiert die Geschichte des Damenstifts Essen.
Angesichts der Herrscherinnen im frühneuzeitlichen Europa befassten sich Gelehrte zum einen mit der Frage nach ihrer Herrschaftsbefähigung und zum anderen mit der Problematik ihrer Regierungen. Von vielen ihrer Zeitgenossen wie dem französischen Juristen Jean Bodin (1530 bis 1596) wurde ihre Herrschaft als "WeiberRegiment" diskreditiert. Denn die Herrschaft einer Frau widersprach nach Ansicht der Gelehrten dem natürlichen und dem göttlichen Recht. Um Frauen die Befähigung zum Regieren abzuspre-chen, nutzten sie das gesamte Arsenal misogyner Topoï über Charaktereigenschaften von Frauen, die ihnen die Bibel, die Schriften der Kirchenväter sowie die Texte der "Querelle des Femmes" lieferten.
Nach dem theologisch-anthropologischen Diskurs wurden Männern und Frauen grundsätzlich unterschiedliche Handlungssphären zugewiesen. Diese aber ergänzten sich: Gemeinsam stand das regierende Fürstenpaar als "Obrigkeit in Elternstand" an der Spitze der Herrschaft. Aus den Korrespondenzen ist häufig kooperatives Handeln des "Arbeitspaares" erkennbar. Dem Landesvater kam jedoch nicht nur die Gewalt über seine Dynastie zu, sondern gemäß Genesis 3,16 durfte er darüber hinaus auch den Handlungsraum der Landesmutter begrenzen. Als "Kampf um die Hose" ist die Umkehrung dieser von Gott gewollten und natürlichen Geschlechterordnung allegorisch in Text und Bild dargestellt worden.
Trotz missbilligender Äußerungen über die Regierung von Frauen, trotz der biblischen Gebote über die Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des Mannes, verfochten nicht alle Gelehrten die pauschale Negierung der Herrschaftsbefähigung von Frauen. Viele Texte aus dem höfischen Umfeld verherrlichten wie 1646 François du Soucy in seinem "Triomphe des Dames" die Politik der Landesherrin. Aus dem universitärgelehrten Bereich stammten insbesondere juristische Texte, in denen die verschiedenen Rechtsgrundlagen der Herrschaftsformen behandelt wurden. Der Jenaer Professor für Jurisprudenz Peter Müller (1640 bis 1696) erläuterte, dass die Herrschaft unverheirateter oder verwitweter Fürstinnen als Äbtissinnen oder als vormundschaftlicher Regentinnen im Reichsrecht, im Lehenrecht und im dynastischen Herkommen begründet sei. Im Sinne des cartesianischen Systems, nach welchem Egalität und Ebenbürtigkeit von Mann und Frau von der zur Fortpflanzung notwendigen biologischen Differenz unberührt blieben, vertrat Samuel Stryk (1640 bis 1710), der an der Universität Halle lehrte, die Meinung, die Nicht-Befähigung von Frauen zur Ausübung öffentlicher Ämter sei allein in ihrer mangelhaften Ausbildung begründet.
In den meisten Abhandlungen wurden jedoch die Besonderheiten regierender Frauen betont und Herrscherinnen zu Ausnahmen stilisiert. Die Gelehrten waren der Ansicht, nur auserwählten Frauen sei es vergönnt, die Grenzen ihrer wesensmäßigen Weiblichkeit zu überschreiten. Die "Vermännlichung" befähige sie, ihrem Geschlecht grundsätzlich unangemessene Tätigkeiten wie Regieren und Rechtsprechung zu vollbringen. Über Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar heißt es, nach dem Tod ihres Gemahls habe sie mit männlicher Einsicht sich in die Geschäfte gefunden. Der letzten Essener Fürstäbtissin Maria Kunigunde wurden sogar männliche Neigungen nachgesagt.
Darüber hinaus vertraten die Gelehrten die Ansicht, dass Herrscherinnen nicht selbst regierten, sondern die Regierungsgeschäfte in den Händen der Räte gelegen habe. Das Argument, Frauen hätten sich auf repräsentative Aufgabenbereiche beschränkt, wird ohne Prüfung des empirischen Befundes bis heute genutzt. Von zahlreichen Herrscherinnen ist ihr diplomatisches Geschick und ihr staatsmännisches Talent überliefert. Über die hessen-kasselische Landgräfin Amelie Elisabeth, die während des 30-jährigen Krieges anstelle des minderjährigen Erben regierte, urteilte ein französischer Gesandter: "Diese Prinzessin besaß in höchstem Maß politisches Talent." Fürstin Pauline, die von 1802 bis 1820 vormundschaftlich in Lippe regierte, warfen die Zeitgenossen ihre "Vielregiererei" vor - während das persönliche Regiment des Alten Fritz als Ausweis seiner Arbeitsauffassung galt. Die ebenso sehr oder so wenig selbständig wie ein Fürst regierende Fürstin scheint nach wie vor nicht in das Bild der "Frau" zu passen.
Erfindung des 19. Jahrhunderts
Der angebliche Ausschluss von Frauen von Herrschaft und Politik ist ein Konstrukt der Historiographie des 19. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte, von denen Frauen, die zuvor aufgrund ihrer Standesqualität Herrschaft ausgeübt hatten, nun aufgrund ihres Geschlechts der Idylle des biedermeierlichen Wohnzimmers zugewiesen wurden. In der bürgerlichen Geschichtsschreibung wurden nur spezifische Argumente des frühneuzeitlichen staatstheoretischen Diskurses tradiert, um das neue Gesellschaftsmodell auch historisch zu begründen und den Anspruch von Frauen auf politische Partizipation abzuwehren. Johannes Voigt (1786 bis 1863) beschrieb das Leben einer Fürstin im Reformationszeitalter: Je wilder der Sturm von außen tobte, sei es im Kampf der Waffen oder im zornerhitzten Streite um Lehrmeinungen und Glaubenssatzung, um so mehr sah sie sich vom öffentlichen Leben zurückgedrängt auf die ruhigen Gemache ihres Hofes, in die Kreise ihrer häuslichen Umgebungen. Die Aufteilung der Welt in ein Außen und ein Innen, in öffentlich und privat, in politisch agierend und häuslich intrigierend ist jedoch ahistorisch. Tatsächlich sollte der Politikbegriff überdacht, dessen zeitgenössische Bedeutungen diskursiv erschlossen und Handlungsmöglichkeiten von Männern und Frauen in den verschiedenen Politikfeldern neu konturiert werden.
Denn im Gefüge der monarchisch strukturierten Staaten des frühneuzeitlichen Europa herrschten auch Frauen. Wie aus Memoiren, Tagebüchern und Korrespondenzen hervorgeht, verstanden sie sich als regierende Fürstinnen. Ihr politisches Handeln war nicht von besonderen Situationen oder starken Persönlichkeiten abhängig, sondern im Interesse der dynastischen Fürstenstaaten institutionell und strukturell legitimiert.
Dr. Pauline Puppel, Historikerin, promovierte über "Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500 bis 1700". Derzeit arbeitet sie als Referendarin im Landeshauptarchiv Koblenz.