Nein, über Divisionen verfügen die Päpste der Neuzeit schon lange nicht mehr - auch die himmlischen Heerscharen werden nicht aufmarschieren, selbst wenn es der Stellvertreter Christi auf Erden wünschen würde, und auch die rund 100-köpfige Schweizergarde ist kein Instrumentarium des Krieges. Die Macht des Papstes liegt in seinen Worten - zumindest dann, wenn die Bereitschaft besteht, ihnen zu folgen.
Das Verhältnis von Religion zur Politik war seit jeher kompliziert. Geistliche und weltliche Führer gingen bis in die Neuzeit mal Hand in Hand, mal machten sie sich das Leben gegenseitig schwer. So musste beispielsweise der amerikanische Präsident George W. Bush die Erfahrung machen, dass das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche ein sehr unangenehmer Widerpart sein kann. Johannes Paul II. nahm sich die Bush-Administration beziehungsweise ihre Irak-Politik mit deutlichen Worten vor.
Diplomatie des Papstes
Bereits in seiner Weihnachtsbotschaft 2002 rief er dazu auf, "das unheilvolle Flackern der Gewalt auszulöschen". Kurz darauf betonte der neu ernannte Präsident des päpstlichen Rates "Justitia et Pacis" (Gerechtigkeit und Frieden), Erzbischof Renato Martino, mit Bezug auf die Kriegspläne der USA, einem Aggressionskrieg auch unter dem Vorzeichen der Prävention, fehle jede Legitimität und falle nach der kirchlichen Lehre nicht unter den Begriff des "gerechten Krieges".
Johannes Paul II. bemühte sich redlich, einen Waffengang an Euphrat und Tigris zu verhindern. In Privataudienzen empfing er unter anderem UN-Generalsekretär Kofi Annan und demonstrativ auch den irkaischen Außenminister Tarik Aziz - ein Christ. Als Sondergesandten schickte er den französischen Kardinal Roger Etchegaray Mitte Februar 2003 nach Bagdad und forderte Saddam Hussein zur besseren Zusammenarbeit mit den UN-Waffeninspektoren auf. Anfang März ließ er Kurienkardinal Pio Laghi dem US-Präsidenten eine Warnung vor einem militärischen Alleingang im Irak zukommen, und Mitte März erinnerte er die Staaten im UN-Sicherheitsrat daran, dass der Einsatz von Gewalt das "letzte Mittel" bleiben müsse. Außer für die betroffenen Menschen könne der Krieg auch für das politische Gleichgewicht im Nahen Osten und die Ausbreitung des Extremismus "schreckliche Folgen" haben. Wie wahr.
Die Warnungen aus Rom haben den Krieg nicht verhindern können und so mag die zynische Bemerkung Stalins über die Ohnmacht des Papstes berechtigt erscheinen. Aber in Washington dürfte man alles andere als "amused" gewesen sein über die päpstliche Schelte aus Rom. Schon gar nicht mit Blick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen, in denen ein Katholik, John F. Kerry, das Weiße Haus erobern will. In den USA, die sich als "god's own country" verstehen und die Religion eine noch viel ausgeprägtere Rolle spielt als hierzulande, in einem Land, in dem der Präsident nach jeder großen Rede den Segen Gottes für die Nation erbittet, ist ein Rüffel des Papstes keine Kleinigkeit. Immerhin sind rund 61 Millionen der 285 Millionen US-Amerikaner Katholiken. Kerry wiederum zieht sich aber auch den Unwillen des Vatikans zu, wenn er für eine liberale Politik gegenüber Homosexuellen und der Abtreibung eintritt.
Innerhalb der christlichen Welt war das Verhältnis zwischen Papst und den großen weltlichen Führern von Anfang an gespannt. Der Grund hierfür ist zunächst einmal ein biblischer. Im Lukas-Evangelium (22. Kapitel) wird folgender Wortwechsel zwischen Christus und seinen Jüngern wiedergegeben: "Da sagten sie: Herr, hier sind zwei Schwerter. Er erwiderte: Genug davon!". Dies gilt als Schlüsselstelle für die Entstehung eine Lehre, die das Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht bis in die frühe Neuzeit nachhaltig prägen sollte - die Lehre der zwei Schwerter. Sie besagt, dass Christus allein der Herr der Christenheit ist. Er bestimmte zwei Mächte - die weltliche und die geistliche - zur Regierung der Welt. Symbolisiert wurden diese Mächte eben durch die zwei Schwerter. Beide habe Jesus Christus dem Heiligen Petrus übergeben, damit er das geistliche selbst führe und das weltliche an die Fürsten - allen voran den Kaiser - übergebe. In letzter Konsequenz hieß dies, dass die weltliche Macht eine von der geistlichen Macht verliehene ist und somit auch wieder entzogen werden kann: Königtum von Gottes Gnaden.
Der Gang nach Canossa
Vor allem zwischen den deutschen Königen beziehungsweise Römischen Kaisern und dem Papst wurde diese Thematik zu einem Dauerbrenner. Er eskalierte erstmals zwischen Papst Gregor VII. und dem deutschen König Heinrich IV. im Investiturstreit. Heinrich wollte den Papst absetzen lassen, der Papst verhängte den Kirchenbann über seinen Widersacher. Das Duell der beiden Schwerter gipfelte im theaterreifen und bis heute sprichwörtlichen "Gang nach Canossa". Heinrich beugte sein Knie vor Gregor. Wirklich beigelegt wurde der Konflikt jedoch nicht.
Selbst zu Zeiten Napoleons sollte er noch einmal zum Vorschein kommen. Als er sich am 2. Dezember 1804 in Paris zum Kaiser der Franzosen im Beisein von Papst Pius VII. krönen ließ, setzte er sich die Krone selbst auf's Haupt. Eine klare Absage an das Prinzip der monarchischen Gewalt von Gottes Gnaden.
In der heutigen Zeit spielen solche Konflikte keine Rolle mehr und Päpste belegen Staatsoberhäupter auch nicht mehr mit dem Kirchenbann. Aber Konfliktpotential zwischen Kirche und Staat gibt es in Hülle und Fülle. Die Diskussionen über die Frage, ob in Deutschlands Schulzimmern ein Kruzifix an der Wand hängen oder eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch - als Zeichen ihrer freien Religionsausübung - unterrichten darf, sind nur zwei Beispiele.
Der Autor ist Redakteur der Wochenzeitung "Das Parlament".