Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
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Jörg Schallenberg

"Wenigstens einer in der Stadt sollte Hochdeutsch sprechen"

Ein Preuße ist demnächst der dienstälteste Oberbürgermeister Bayerns
Im Frühjahr 2008 ist Schluss. Soviel steht fest. Dann ist Hartwig Reimann 69 Jahre alt und darf laut Gesetz nicht noch einmal als Bürgermeister von Schwabach gewählt werden. Wenn Reimann in seinem weiträumigen Büro von dieser Regelung erzählt, betont er das Wort "darf" nachdrücklich. Er sagt es nicht direkt, aber wenn man ihn nur ließe, dann würde der Bürgermeister auch in der nächsten Wahlperiode weitermachen. Falls ihn seine Bürger noch mal wählen würden - aber warum sollten sie das nicht tun? Bei den letzten sieben Urnengängen haben sie hier in Schwabach, knapp 40.000 Einwohner, ein paar Kilometer südlich von Nürnberg, auch für den SPD-Mann Reimann gestimmt, wenn auch manchmal erst in der Stichwahl.

Das erste Mal trat Hartwig Reimann, damals gerade 31, im Frühjahr 1970 hier als Kandidat an. Dabei wohnte er weder in Schwabach noch stammte er aus der Gegend. 1938 in Westpreußen geboren und bei Hamburg aufgewachsen, verschlug ihn es ihn erst gegen Ende seines Studiums ganz in die Nähe nach Erlangen. Doch mit einem juristischen Prädikatsexamen in der Tasche wanderte Reimann bald ins bayerische Finanzministerium nach München weiter. Dort erreichte ihn aber im Herbst 1969 plötzlich der Anruf eines alten Bekannten, der zufällig SPD-Vorsitzender in Schwabach war. In der kleinen Stadt hatten es sich Bürgermeister und Verwaltung gründlich mit der Bevölkerung verscherzt, zugleich wehte mit dem fernen Hauch von 1968 und der beginnenden Willy Brandt-Ära der Wunsch "nach einem totalen Generationswechsel" durch die Stadt, wie Reimann rückblickend erzählt. Die Gräben waren so tief gezogen, dass es plötzlich zum Nachteil geriet, ein alteingesessener Lokalpolitiker zu sein.

Trotzdem war Reimann anfangs überzeugt, dass die SPD eher pro forma ein paar neue Gesichter für die interne Abstimmung suchte, zumal "ich gegen ein sozialdemokratisches Urgestein antreten musste, der sozusagen neben dem Rathaus auf die Welt gekommen war. Ich habe nur gedacht: Die werden doch nie einen 31-jährigen Preußen als Kandidaten nominieren." Doch genau das taten die Schwabacher Genossen. Wenige Monate später saß Reimann dann im Rathaus - und blieb dort bis heute.

Bislang sind es 34 Amtsjahre, und wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, dann wird Hartwig Reimann im Jahre 2008 der dienstälteste Bürgermeister sein, den es in Bayern bislang gegeben hat. Dabei sind die Sozialdemokraten in Schwabach nicht einmal die dominierende Kraft. Eine absolute Mehrheit haben sie nur einmal Anfang der 70er-Jahre erringen können. Doch da die Bürgermeister in Bayern traditionell direkt gewählt werden, zählen Parteiergebnisse nur begrenzt. Warum also konnte sich der Preuße Reimann so lange im Amt halten - obwohl er bis heute nicht einmal die Spur eines fränkischen Akzents verrät?

Der Bürgermeister erzählt von seinen ersten Tagen im Amt: "Das mit der Sprache wäre doch ein Problem, haben sie im Stadtrat gesagt, aber ich habe bloß geantwortet: ?Wenigstens einer in der Stadt sollte Hochdeutsch sprechen - und wenn es der Oberbürgermeister ist.'" Es ist nicht so, dass es Hartwig Reimann an Selbstbewusstsein mangelt. Wenn man sich länger mit ihm über seine außergewöhnliche Amtszeit unterhält, erwähnt er gerne immer mal wieder, dass ihm fachlich niemand etwas vormachen kann und dass er immer noch das Tempo in der Verwaltung vorgibt. Und als ihn Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen vor der dortigen Reform des kommunalen Wahlrechts einmal fragten, was man denn für einen Typ Mensch als Kandidat für eine direkte Wahl braucht, da meinte Reimann, es wäre wohl hilfreich, "wenn diese Menschen so sind wie ich".

Andererseits weiß der Bürgermeister sehr genau, dass es viel mit der wirtschaftliche Situation und der - wie er sagt - damit verbundenen "Grundstimmung der Bevölkerung" zu tun hat, dass es in Schwabach seit 1945 erst zwei Bürgermeister gegeben hat. "Es fehlt so ein bisschen das Spektakuläre hier", überlegt Reimann. "Wir hatten immer eine etwas kuriose Situation: Ausgezeichnete Beschäftigungszahlen, aber relativ wenig Gewerbesteueraufkommen." Denn trotz eines "Innovationsparks" wird die Stadt bis heute von mittelständischen Betrieben dominiert, die für die Automobil- und Elektronikbranche zuliefern. "Es wurde immer viel gearbeitet und wenig verdient", fasst Reimann die Lage zusammen, "aber diese alteingesessenen Firmen sind ein sehr stabilisierender Faktor".

Und so lief in Schwabach nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich jahrzehntelang alles "in einem gewissen Gleichmaß", wie der Bürgermeister analysiert. Zwar war es ein harter Schlag, als 2002 Photo-Porst dichtmachte und 800 Arbeitsplätze wegfielen. Doch die Arbeitslosenquote liegt mit gut sechs Prozent noch immer weit unter dem Bundesdurchschnitt - und weitaus besser als die Zahlen in der umliegenden Region Nürnberg.

Besser keine Experimente

Das Fehlen jeglicher dramatischer Einschnitte mag eine wichtige Erklärung sein, warum Reimann immer wieder gewählt wurde. Besser keine Experimente, denken die Schwabacher anscheinend. Und der größte Streitfall in der Stadt, der Bau einer Sondermüllverbrennungsanlage, wurde schon vor Reimanns Amtsantritt beschlossen. Wenn es nötig war, konnte der ruhige "Büchermensch", wie sich der Bürgermeister selbst beschreibt, allerdings auch durchgreifen - etwa als er 1998 den Leiter des Ausländeramtes absetzte, nachdem sich Mitarbeiter über dessen selbstherrlichen Führungsstil beschwert hatten. Seine durch das Amt erlangte Autorität musste Reimann aber selten strapazieren - selbst politische Gegner beschreiben ihn als durchaus diskussionsfreudig und erfreulich wenig beratungsresistent.

Schließlich aber, da grinst Reimann verschmitzt, "war ich schlicht zur rechten Zeit am rechten Ort". Zum Beispiel, was die Gebietsreform von 1972 betrifft. Die brachte Schwabach zwar wenig neue Einwohner, dafür aber ein Gelände, das als neues Gewerbegebiet ausgeschrieben werden konnte und der Stadt binnen kurzer Zeit 3.000 neue Arbeitsplätze bescherte. Anschließend nahm Reimann die dringend nötige Altstadtsanierung in Angriff - und konnte dank des neuen Städtebauförderungsgesetzes und nach der Ölkrise aufgelegter Konjunkturprogramme "Bundesmittel in Maßen abrufen, die heute gar nicht mehr denkbar wären".

Die Zeiten haben sich geändert. Heute, sagt Reimann, "stellen die Bürger gar keine Forderungen mehr, die irgendwo Geld kosten könnten - ich muss sagen, da haben die Menschen hier schnell mitgedacht". Mit den immer knapper werdenden Finanzen hat sich Reimanns Berufsbild vom ersten Bürger der Stadt zum obersten Manager der Kommune gewandelt. Der Job ist anstrengender geworden, befindet Reimann - nicht was die Arbeitszeit betrifft, aber "als immer alles aufwärts ging, hatte man das Gefühl, das läuft fast von alleine hier und man muss nur ab und zu mal regulierend eingreifen". Heute dagegen blickt man auch in Schwabach bang darauf, ob die einheimischen Firmen nicht immer mehr Arbeitsplätze hinüber in die Slowakei oder nach Tschechien verlegen.

Nicht, dass Reimann deswegen den Mut verlieren würde. Nach 34 Amtsjahren wirkt der groß gewachsene, fast schon weißhaarige Mann keineswegs abgenutzt, sondern verbreitet eher einen gelassenen, illusionsfreien, von Jahr zu Jahr gereiften Optimismus, der perfekt mit der von ihm beschriebenen "Grundstimmung" Schwabachs übereinzustimmen scheint. Abgesehen davon ist der ewige Bürgermeister Hartwig Reimann eben ein treuer Gewohnheitsmensch. Einen Ruf nach Bonn hat der SPD-Mann zu Zeiten der sozialliberalen Koalition zweimal abgelehnt. Er hatte eben schon für die nächste Amtszeit in Schwabach zugesagt. Wie hätte er den Wechsel auch Irene Roth-Szauer erklären sollen? Sie ist die Dame, von der Reimann sagt: "Wenn sie mal aufhört, ist das für Schwabach viel schlimmer, als wenn ich gehe." Irene Roth-Szauer sitzt im Vorzimmer des Bürgermeisters und organisiert seine Arbeit und seinen Terminkalender. Seit 1970.

Jörg Schallenberg arbeitet als freier Journalist in München.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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