Der Fall zeigt, wie eng miteinander verbunden Straftaten und Sucht sind. In dem hier beschriebenen Verfahren hob das Oberlandesgericht Köln die vom Landgericht verhängte Freiheitsstrafe auf: "Das angefochtene Urteil ist sachlich-rechtlich unvollständig, weil die Frage einer drogenbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht erörtert worden ist."
Im deutschen Strafrecht spielt die Schuld des Täters eine herausragende Rolle. Paragraf 46 StGB macht sie zur Grundlage für die Zumessung der Strafe. Was Schuld ist, sagt das Strafgesetzbuch nicht. Es regelt allerdings, wann jemand ohne Schuld handelt und wann die Schuldfähigkeit vermindert ist. Ein wichtiges Anzeichen für eine verminderte oder gar überhaupt nicht vorhandene Schuldfähigkeit sind tiefgreifende Bewusstseinsstörungen oder krankhafte seelische Störungen. Die wohl bekannteste Art schuldunfähig zu sein, ist hochgradige Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Tat. Allerdings werden hier auch die Grenzen des Schuldstrafrechts deutscher Prägung deutlich: Wer sich nämlich in einen Vollrausch versetzt und in diesem Zustand eine Straftat begeht, für die er wegen Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden kann, wird dafür mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belangt. Damit will der Gesetzgeber auf die besondere Gefährlichkeit des Vollrausches reagieren - gleichzeitig wird die Strafbarkeit aber auch vor verlagert, weil es nicht hingenommen werden soll, dass jemand straflos ausgeht, weil er sich selbst in einen Zustand der Schuldunfähigkeit gebracht hat.
Verminderte Schuldfähigkeit?
Wie steht es um die Schuldfähigkeit von Menschen, die drogenabhängig sind? Wie frei und damit strafrechtlich verantwortlich handeln sie, wenn sie einbrechen und stehlen um sich mit dem Erlös für ihre Beute die teuren Suchtmittel kaufen zu können? Ist die Beschaffungskriminalität nicht eher Folge ihrer Suchtkrankheit, als strafwürdiges Tun? Und umgekehrt: Ließe sich nicht durch eine Legalisierung von Drogen auch die Beschaffungskriminalität wirkungsvoll bekämpfen?
Drogenkriminalität hat für Polizei und Justiz erhebliche Bedeutung. Das Bundeskriminalamt geht von mehr als 230.000 Konsumenten harten Drogen in der Bundesrepublik aus. Deren Einkommen und Vermögen kann allerdings nur zu einem Bruchteil die Kosten der Sucht finanzieren. Nicht der ganze Rest wird allerdings durch Beschaffungskriminalität gedeckt: Der größere Teil der Drogen wird durch Teilnahme am "Ameisenhandel" finanziert, etwa ein Drittel der Kosten der Sucht bestreiten Süchtige durch Eigentums- und Vermögensdelikte. Das Rauschgiftkomissariat Frankfurt am Main rechnet mit fünf Straftaten, die ein Fixer täglich begeht. In einem 1991 abgeschlossenen Forschungsprojekt, in dem 100 ausgewählte Heroinabhängige intensiv befragt wurden, stellte sich heraus, dass allein diese Probanden in einem Jahr 52.000 Delikte begangen haben, die der mittelbaren Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind.
Die Rechtsprechung ist in Deutschland fast nie bereit festzustellen, dass Drogenabhängigen die Schuldfähigkeit fehle. Allenfalls zeigen sich die Gerichte bereit, eine verminderte Schuldfähigkeit zuzugestehen. Der Bundesgerichtshof hat zu diesem Thema in mehreren Entscheidungen seit 1989 festgestellt, dass "die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich alleine noch nicht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit begründet." Abhängigkeit von Drogen führe nur ausnahmsweise zu einem anderen Ergebnis, wenn "langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn das Delikt im Zustand eines akuten Rauschs verübt wird." Diese Rechtsprechung, die oft hart wirkt, ist jedenfalls nicht willkürlich: Vor allem bei den Delikten der so genannten "indirekten Beschaffungskriminalität", die nicht direkt zur Droge führen, sondern die nur das Geld bringen, mit dem Drogen später erworben werden können, ist oft einige Umsicht erforderlich. Tatorte müssen ausgekundschaftet werden, die zur Tat Entschlossenen müssen oftmals auf eine günstige Gelegenheit warten, sie müssen Hindernisse überwinden - mit der klassischen Vorstellung von Schuldunfähigkeit ist so ein zielstrebiges Vorgehen kaum in Übereinstimmung zu bringen. Darauf weist auch der Kriminologe Arthur Kreuzer hin, der argumentiert, dass Beschaffungskriminalität meist "im 'subjektiven Normalzustand' eines Süchtigen" begangen werde. In diesem Zustand befinde sich ein "angepasst dosierter Opiodsüchtiger den größten Teil des Tages über."
Alternativen
Allerdings ist für den Süchtigen auch in den Momenten relativer Klarheit und Zielstrebigkeit die Droge nicht einfach nur ein beliebiger Konsumgegenstand. So umsichtig Täter auch bei der Planung der Einbrüche zur Finanzierung ihres Drogenkonsums vorgehen mögen - sie bleiben doch von ihrem Rauschmittel abhängig. Auch das planvolle Vorgehen eines Süchtigen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf mittlere und lange Sicht immer nur ein Ziel beherrschend ist: wieder Drogen zu bekommen. Eine ähnlich starke Triebkraft ist in vielen Fällen die Angst des Drogenabhängigen vor den Entzugserscheinungen - die nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ebenfalls verminderte Schuldfähigkeit begründen kann, aber nur wenn sie die treibende Kraft für die konkrete Straftat war. Werrner Theune, früher selbst Richter am Bundesgerichtshof resümiert angesichts dieses Kurses des obersten deutschen Strafgerichts in einem Aufsatz: "Die Rechtsprechung scheint nach wie vor eher von generalpräventiven Überlegungen als vom Schuldprinzip geprägt zu sein."
Immerhin hält das Strafrecht auch noch andere Instrumente bereit, um auf Delikte Drogenabhängiger reagieren zu können. Im allgemeinen Strafrecht besteht die Möglichkeit, Süchtige, die voraussichtlich weitere Straftaten begehen werden, in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Da diese Maßregel auf eine Zwangstherapie hinausläuft wird sie vielfach auch kritisch beurteilt. Das Gesetz selbst verbietet die Anordnung der Unterbringung, wenn der Entzug von vornherein aussichtslos erscheint. Viele Experten gehen allerdings davon aus, dass diese Zwangsmaßnahme gerade bei Drogenabhängigen Therapiemotivation erzeugen und damit der Ausgangspunkt für eine später erfolgende freiwillige Therapie sein kann. Um zu verhindern, dass eine solche Therapiebereitschaft durch die Haft zerstört wird, schafft der Paragraf 35 des Betäubungsmittel-Gesetzes die Möglichkeit, die Vollstreck-ung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Die Zeit der Therapie kann dann auf die Strafe angerechnet werden, so dass die Chancen hoch sind, dass nach erfolgreicher Beendigung eines solchen Entzugs auch keine weitere Haftzeit mehr verbüßt werden muss.
Die so geschaffenen Möglichkeiten, auch mit Hilfe des Strafrechts im Einzelfall angemessen auf die Melange von Rechtsverstößen und Sucht zu reagieren, ändern nichts daran, dass der Versuch, Drogenkonsum und in diesem Zusammenhang zu Tage tretende Kriminalität durch Strafrecht zu bekämpfen insgesamt nicht erfolgreich ist. In der rechtswissenschaftlichen und kriminologischen Debatte wird deswegen immer wieder gefordert, an die Stelle des strafbewehrten Verbots von Drogenkonsum eine überwachte Duldung zu setzen, in der Hoffnung, dass in der Folge Drogenabhängige nicht in die Illegalität abgedrängt werden und so eine bessere gesellschaftliche Steuerung des Drogenkonsums möglich und insbesondere die Beschaffungskriminalität wirksam vermindert wird.
Dr. Oliver Tolmein arbeitet als Journalist und Jurist in Hamburg.