Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
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Ilse Nagelschmidt

Bildung ist der Schlüssel für weibliche Unabhängigkeit

Das neue Jahrbuch Menschenrechte
Die Diskussion im späten 18. Jahrhundert, die in der Problemstellung gipfelte, "ob die Weiber Menschen sind", scheint zum Glück Lichtjahre hinter uns zu liegen. Dennoch ernüchtert die Sachlage am Beginn des 21. Jahrhunderts trotz ausgewiesener Erfolge. Noch immer sind drei Fünftel der 115 Millionen Kinder, die weltweit keine Schule besuchen, Mädchen; zwei Drittel der 876 Millionen Analphabeten sind Frauen.

Die Ausgangssituation für wirkliche Veränderungen war noch nie größer als heute. Sowohl das Agenda-Setting der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz 1993 als auch das Abschlussdokument der Weltfrauenkonferenz in Peking (1995) leiteten einen Paradigmenwechsel ein. Nach Jahren intensivsten Ringens um und der Orientierung auf Frauenfragen erfolgte nun die Ausrichtung auf Frauenrechte als Menschenrechte. Dieser andere Ansatzpunkt und somit die Annahme der Strategie des Gender Mainstreaming haben zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und zu einer verstärkten Sensibilisierung für Frauenrechtsfragen geführt. Zunehmend können Einseitigkeiten vermieden und Fragestellungen in größeren Zusammenhängen diskutiert werden.

Mit dem neuen "Jahrbuch Menschenrechte", das die Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Diskursen thematisiert, liegt für mich ein wahrhaftes Plädoyer für die Bildungs- und Politikstrategie von Gender Mainstreaming vor. Fernab von jeglichem Populismus bekommen wir differenzierte Einblicke in weltweite Problemlagen bei gleichzeitiger Schärfung des europäischen Blickes.

Folgerichtig legt Ute Gerhard ihrer Einleitung diese Doppelstrategie zugrunde. Es gilt dringender denn je, die Rechte der Frauen in der Öffentlichkeit zur Sprache zu bringen, um die Universalität der Menschenrechte für Frauen in Anspruch nehmen zu können. In sechs präzis geschriebenen Beiträgen werden dann aktuelle Probleme vom Anspruch, dass Arbeitsrechte Menschenrechte sind, über den Frauenhandel in Westeuropa bis zum langen Weg im Kampf gegen die Genitalverstümmlung in Niger thematisiert.

Bildung ist nach wie vor der Schlüssel für weibliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Auf den Punkt brigt dies der Aufsatz zu "Geschlechtergerechtigkeit durch Bildungsrechte". Die aufgeführten Beispiele, die bei weitem nicht nur aus Entwicklungsländern gewonnen wurden und die nach den Pisa-Studien eine intensive Beachtung erfahren müssen, sind in der Auswertung die Basis der Erkenntnis für eine "menschenrechtsbasierte Bildung".

In den vier Hauptabschnitten werden "Globale Prinzipien", "Regionen und Länder", "Internationale Menschenrechtsarbeit" und "Menschenrechte in Deutschland und Europa" zur Diskussion gestellt. Bestechend ist der Aufsatz von Volkmar Deile, der an Hand von eindrucksvollen Beispielen schildert, wie akut im Zusammenhang mit dem Antiterrorkampf weltweit Menschenrechtsstandards in Gefahr sind. In sieben Thesen formuliert er Ansätze, wie gegen solche Bewegungen vorgegangen werden kann. Wo Menschenrechtsverletzungen als "Antiterrormaßnahmen" gerechtfertigt wurden und werden, sind Geistesfreiheit und Grundrechte beeinträchtigt. Neue Gewaltprozesse sind programmiert, die sich wiederum gegen die Schwächsten richten und weiter richten werden.

Der weltweite Blick ist in Zeiten der Globalisierung unumgänglich. Astrid Lipinsky weist nach, wie die staatlich vorgegebene Bevölkerungspolitik in China bis in das neue Jahrtausend hinein gegen Frauen und Mädchen gerichtet ist. Im scheinbar modernen China, das sich weltweit als aufstrebende Industrie- und Wissenschaftsnation feiern lässt, wird von Frauen noch immer primär verlangt, dass sie gebären. Die vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung, die zwar offiziell verboten ist, gilt als erwünschtes Mittel, um die unerwünschten weiblichen Föten abzutreiben.

Auch Deutschland rückt in den Blick. Ipek Gedik berichtet über Gewaltprozesse in Migrantenfamilien, in denen es vielfach zu Zwangsheiraten kommt. Wichtig sind ihre Schlussfolgerungen, dass auf beiden Seiten Präventionsarbeit geleistet und Sensibilisierungsprozesse greifen müssen. Nur durch das Bewusstwerden der eigenen bei gleichzeitiger Anerkennung der anderen Kultur werden diese Formen von Gewalt weiter zurückgedrängt werden können, bloße Eingriffe dagegen werden zu wenig Erfolg führen.

Der für viele Berufs- und Altersgruppen äußerst aufschlussreiche Band, dem ein großes Lesepublikum zu wünschen ist, wird durch eine Chronologie ausgewählter menschenrechtspolitischer Ereignisse in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis Juni 2004 sowie durch ausgewählte Berichte im Serviceteil abgerundet.

Jahrbuch Menschenrechte 2005.

Themenschwerpunkt: Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen.

Herausgegeben vom Deutschen Institut für Menschenrechte und von Volkmar Deile, Franz-Josef Hütter, Sabine Kurtenbach und Carsten Tessmer.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2004; 399 S., 11,- Euro


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